Öffentliche Erwachsenenbildung in Stuttgart – Perspektiven im Kontext des Projekts ‚Bibliothek 21’

Im Rahmen des Projektes EFIL (Entwicklung und Förderung innovativer weiterbildender Lernarrangements in Kultur- und Weiterbildungseinrichtungen) wurde Ende 1999 eine Expertise in Auftrag gegeben, die einerseits eine Einschätzung der Verortung der Stadtbücherei Stuttgart in den regionalen Kontext der öffentlichen Erwachsenenbildung vorsah, andererseits in den räumlichen und politischen Kontext, besonders im Hinblick auf den geplanten Neubau der Stadtbücherei innerhalb des Gesamtkonzeptes "Stuttgart21".

Die Expertise gründet sich neben der Recherche in diversen regionalen Publikationen hauptsächlich auf fünf anhand von Leitfäden durchgeführte qualitative Interviews. Interviewpartner waren neben Frau Jouly (Leiterin der Stadtbücherei Stuttgart) Herr Dr. Schneider (Leiter der Volkshochschule Stuttgart), Frau Amber Sayah (Kulturredakteurin der Stuttgarter Zeitung), Herr Müller (Leiter des Hospitalhof) und Herr Prof. Dr. Thissen (Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen).

Der Neubau der Stadtbücherei (Bibliothek21) wird in den Interviews durchgehend als "Jahrhundertchance" gesehen. Diese Chance wird nicht nur für die Stadtbücherei selbst, sondern auch für den gesamten Bereich der öffentlichen Kultur- und Weiterbildungsangebote anerkannt. Besonders das Innovationspotential der Stadtbücherei, aber auch die sich aus einem Neubau ergebenden Möglichkeiten einer Intensivierung des zukunftsorientierten inhaltlichen Umbaus der Stadtbücherei sind die Gründe für die Einschätzung der Bibliothek21 als zukunftsweisende Kulturinstitution.

Aus der geplanten Einbindung der Bibliothek21 in den städtebaulichen Kontext des Großprojektes "Stuttgart21" ergeben sich sowohl hohe Erwartungen, als auch damit verbundene städtebauliche Anforderungen. Besonders im Hinblick auf die Realisation des Gesamtprojektes wurde die Meinung vertreten, dass ohne diese ein Bau der Bibliothek21 am vorgesehenen Platz nicht in Frage kommen wird. Gründe hierfür waren vornehmlich die dann existierende räumliche Isolation und die dadurch zu befürchtende "Hinterhofatmosphäre". Besonders von einer Einbindung in die Innenstadt sei der Neubau der Stadtbücherei und damit die Akzeptanz der Einrichtung in der Bevölkerung abhängig.

Bereits heute stellt sich die Stadtbücherei auf die zu erwartenden veränderten Rahmenbedingungen ein. Dies betrifft einerseits die Anschaffung von zusätzlichen Medieneinheiten, aber auch die Überlegungen zur inhaltlichen Ausgestaltung des Hauses. Zudem verfügt die Stadtbücherei über diverse Erfahrungen mit medienunterstützten Angeboten, die in Zukunft unter der Maßgabe des selbstgesteuerten und lebenslangen Lernens zunehmend von Bedeutung sind. Dennoch wird in den Interviews kritisiert, dass der Begriff des "innovativen Lernarrangements", die in die Konzeption der zukünftigen Bibliothek Eingang finden sollen, noch ohne die nötige Schärfe und Konkretisierung benützt wird. Es ließe sich auch eine Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Innovation und der Pflicht, die Dimension des Lernens als entscheidenden Beitrag hierzu verstärkt zu berücksichtigen, feststellen. Auch seien in diesem Kontext die Weichen für eine Professionsentwicklung der Bibliothekare im ausreichendem Maße noch nicht gestellt.

Ein noch auszubauender Aspekt wird in den möglichen Kooperationen zwischen Kultur- und Bildungseinrichtungen gesehen. Trotz der 150 Kooperationspartner im Jahr 1999 wird in besonderem Maße von Bildungseinrichtungen die Befürchtung geäußert, die Stadtbücherei könne sich in Zukunft einen Teil des Kuchens "Bildungsmarkt" abschneiden wollen. In deutlicher Form wird deshalb die Zukunft der Stadtbücherei in deren klassischen Betätigungsfeldern gesehen und gefordert. Es werden in diesem Zusammenhang neben den Befürchtungen aber auch Absichtserklärungen zu einer verstärkten Kooperation mit der Stadtbücherei deutlich. Tatsächlich wird seitens der Stadtbücherei versucht, die Entwicklungen hinsichtlich des selbstgesteuerten und lebenslangen Lernens ernst zu nehmen und es werden Überlegungen angestellt, welche gesellschaftliche Verantwortung die Stadtbücherei bei dieser Entwicklung hat und wie sie diese Verantwortung praktisch umsetzen kann. Diese Verantwortungsübernahme ist zwar zwangsläufig auch ein Eintreten in den Bildungsbereich. Dennoch wird seitens der Stadtbücherei die Position innerhalb des Bildungsbereiches nicht in den klassischen Feldern der Erwachsenenbildung und damit auch nicht in einer Konkurrenzsituation zu den klassischen Bildungsträgern gesehen. Anregen, provozieren, animieren, durch Ungewöhnliches und Unerwartetes Menschen zu einem erweiterten Blickfeld zu verhelfen sind die Ausgangspositionen, welche die Stadtbücherei vertritt. Auch wenn, oder gerade weil diese Form der Bildung mit der klassischen und auch mit der strukturierten Form der Bildung nicht mehr viel gemein hat, besteht seitens der Stadtbücherei die Hoffnung, dadurch die Lust der Besucher am Wissen und damit auch am Lernen zu unterstützen. In der Unterstützung dieser informellen Bereiche, wie auch in der architektonischen Bereitstellung von Begegnungsräumen und Lernräumen wird das besondere Entwicklungs- und Servicepotential der Bibliothek21 gesehen.