Bibliotheken in Skandinavien

Expertise von Dr. Brigitte Kühne
Juli 2000

 

Inhaltsverzeichnis

Bibliotheken in Skandinavien

1. Einleitung *

2. Definitionen *

Die Volksbibliotheken *

Die wissenschaftlichen Bibliotheken *

3. Gesellschaftliche Bedeutung der Bibliotheken *

4. Positionierung der Bibliotheken in der Kultur- und Bildungslandschaft *

Entwicklungstendenzen in den 80er-Jahren *

Entwicklungstendenzen in den 90er-Jahren *

5. Innovative Modelle der Bibliotheksarbeit *

"Kalmarmodell" für Schulbibliotheken *

Modellbibliothek in Ljusdal *

Die Bibliothek in Bærum, Norwegen *

Bibliotheken als Informationszentren *

Skandinavien und die EU *

CYRANO *

6. Verhältnis der Bibliotheken zur Erwachsenenbildung *

Lifelong Learning *

Versuch einer nationalen Strategie für Erwachsenenausbildung und
lebenslanges Lernen
*

Distance Learning - Fernausbildung *

DERAL – Distance Education in Rural Areas via Libraries *

7. Zukunft *

Literaturhinweise *

 

Die vorliegende Expertise befasst sich mit der Situation der Bibliotheken in Skandinavien und wird hauptsächlich folgende Fragestellungen beleuchten:

Einleitung

Die öffentlichen Bibliotheken in den skandinavischen Ländern dienen seit langem (oftmals seit mehr als hundert Jahren) als Eckpfeiler der demokratischen Kulturpolitik und als Mittel des demokratischen Prozesses dieser Länder. In den letzten Jahrzehnten haben sich die öffentlichen Bibliotheken dorthin entwickelt, dass jede Kommune und fast jedes Dorf Zugang zu gut ausgerüsteten Bibliotheken haben, die fast zu 100% ans Internet angeschlossen sind. Die neueste Entwicklung zeigt, dass viele Bibliotheken im Zeichen der technischen Entwicklung von den zentralen Steuerungen absehen und versuchen, eigene Innovationen zu planen und durchzuführen. Neue Technik, neues Kulturangebot, Workshops für verschiedene Zielgruppen im Umkreis der Bibliotheken werden neben der traditionellen Literatur angeboten.

Definitionen

Geographisch besteht die skandinavische Halbinsel aus skandinavischer Sicht eigentlich nur aus Schweden und Norwegen. International werden jedoch Dänemark, Finnland und Island noch dazu gezählt, ein Begriff den wir „Norden" nennen. In der vorliegenden Arbeit benutze ich die internationale Definition von „Skandinavien" abwechselnd mit unserem eigenen Begriff „der Norden" und „nordisch".

In Skandinavien unterscheiden wir zwischen Volksbibliotheken und wissenschaftlichen oder Forschungsbibliotheken. Außerdem gibt es in allen Ländern verschiedene Spezialbibliotheken, wie z.B. Firmenbibliotheken, Privatbibliotheken, Bibliotheken in Museen und anderen Instituten etc. Diese Art Bibliotheken sind in dieser Übersicht nicht mit einbezogen.

Schulbibliotheken in den Grundschulen (Jahrgänge 1-9 in der Regel) sind häufig den kommunalen Bibliotheken zugeordnet und gehören somit zu den Kulturämtern der Kommunen. Die Bibliotheken in den Gymnasialschulen (Jahrgänge 10-12 in der Regel) gehören hingegen meistens zu den politischen Schulämtern, außer in Finnland, wo sämtliche Bibliotheken den Ausbildungsämtern untergeordnet sind und in Island, wo die Bibliotheken dem Ministerium für Ausbildung, Wissenschaft und Kultur zugeordnet sind.

Die Volksbibliotheken

In den skandinavischen Ländern gibt es in jeder „Kommune" eine oder mehrere Volksbibliotheken. Falls es mehrere gibt, dann gliedert man sie in Haupt- und Filialbibliotheken. Manchmal gibt es auch mobile Einheiten, s.g. Bücherbusse. Die Kommune selbst gibt den Bibliotheken die Rahmenbedingungen und bestimmt das Budget. Ursprünglich hat in Dänemark, Norwegen und Finnland der Staat Mittel für die Bibliotheken zur Verfügung gestellt, um sie dann allmählich den kommunalen Behörden zu überlassen. In Island und Schweden waren es schon immer (fast) rein kommunale Einheiten, sowohl was die Bewirtschaftung als auch die Verantwortlichkeit angeht.

In jedem „Län" oder „Fylke" gibt es eine „Läns-" oder „Fylkesbibliothek", die den Kommunen in der eigenen Provinz z.B. mit Literatur, Informationsmaterial, Ausbildung von Bibliothekspersonal, Teilnahme an verschiedenen Projekten hilft und diese als übergreifende Organisation unterstützt. Gegründet wurden diese Bibliotheken, die oftmals keine eigenen Sammlungen haben, sondern sich in den größten Bibliotheken ihrer Provinzen „einkaufen", um zwischen den armen und den reichen Kommunen der jeweiligen Provinz einen Ausgleich zu schaffen. Finanziert werden sie teils mit staatlichen Mitteln, teils mit Mitteln, die von der jeweiligen Provinzregierung gestellt werden.

Die wissenschaftlichen Bibliotheken

Die hauptsächliche Aufgabe der Nationalbibliotheken besteht darin, das nationale literarische Kulturerbe aufzubewahren. Sie zählen zu den wissenschaftlichen Bibliotheken.

Im Allgemeinen zählt man sonst die Universitäts- und Hochschulbibliotheken in den verschiedenen Ländern zu den wissenschaftlichen Bibliotheken. In neuester Zeit werden überall in Skandinavien neue Universitäten und Fachhochschulen gegründet. Hier werden die Bibliotheken besonders gefördert, da man der Überzeugung ist, dass diese wichtig sind, um die neuen pädagogischen Methoden, wie z.B. das PBL (Problem Based Learning), implementieren zu können. Der Staat finanziert diese Bibliotheken entweder direkt oder indirekt. Im letzteren Fall gehen die Mittel erst an die jeweilige Universität/Fachhochschule und von dort werden sie an die verschiedenen Fakultäten und andere Institutionen verteilt. In Schweden gibt es einen staatlichen Richtwert für Hochschulbibliotheken: Fünf Prozent des Gesamtbudgets der Universität/Fachhochschule sollte der eigenen Bibliothek zukommen; z. Zt. bewegt sich dieser Prozentsatz zwischen zwei und sieben Prozent, aber zur Orientierung ist der Richtwert sehr wichtig.

Gesellschaftliche Bedeutung der Bibliotheken

Die öffentlichen Bibliotheken oder Volksbibliotheken der skandinavischen Länder haben den gleichen Ursprung wie in anderen europäischen Ländern und sind heute vorwiegend von anglo-amerikanischen Einflüssen geprägt. Sie stammen aus der Zeit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts , wo man oft der Ansicht war, dass Aufklärung vor Kultur gehe, und dass man deshalb die Bürger aufklären und ausbilden müsse. Zu dieser Zeit haben gebildete Personen öfter ihre privaten Sammlungen entweder in öffentliche Bibliotheken umgewandelt oder sie haben die Allgemeinheit eingeladen, ihre Sammlungen vor Ort zu nutzen. Auf diese Art entstand z.B. die Deichmannske Bibliotek in Oslo, die heute noch als Stadtbibliothek dient. Oftmals jedoch war das Recht, Bücher auszuleihen, ausschließlich Männern vorbehalten.

Noch im 19. Jahrhundert waren öffentliche Bibliotheken, wie man sie heute kennt, rar. Die ältesten sind gut 150 Jahre alt. Ende des 19. Jahrhunderts wurden auf die Initiative von Arbeiter- und sozialen Bewegungen auch in kleineren Städten und Ortschaften eine ganze Reihe von Bibliotheken eröffnet. Ziel dieser Bewegungen war es, das „Volk" zu belehren, ihnen eine bessere „Bildung" zu geben und ihnen zu helfen, z.B. vom Alkoholismus weg zu kommen oder eine bessere Arbeit zu finden. Um 1920 wurden staatliche Bibliotheksgremien gegründet und das erste Bibliotheksgesetz wurde im gleichen Jahr in Dänemark erlassen. Dieses galt als Modell für die anderen nordischen Länder. Allerdings bekam Schweden erst im Jahr 1996 sein erstes Bibliotheksgesetz, während mehrere der anderen Länder ihr Gesetz schon mehrmals geändert und verbessert haben, z.B. Finnland zuletzt 1998 und Dänemark im Mai 2000. In allen Ländern außer in Island ist es gesetzlich festgelegt, dass die Ausleihe gebührenfrei sein soll, zumindest was Printmedien angeht. Doch z.B. für Videos können schon heute Entgelte genommen werden, und wie es in der Zukunft mit den elektronischen Medien werden wird, wenn Bibliotheken laut EU-Direktiven keinen freien Zugang mehr z.B. zu Datenbanken haben sollen, wird sich zeigen. Im Übrigen sind die Gesetze mehr als Rahmengesetze anzusehen, ohne detaillierte Bestimmungen bezgl. Medien, Lokalitäten oder Personal. Das Fehlen von detaillierten Bestimmungen kann allerdings zum Problem werden, wenn z.B. plötzlich eine Bibliothek wegen Sparmaßnahmen geschlossen werden muss oder wenn sie von (auf dem Bibliotheksgebiet) unqualifizierten Leuten geführt werden soll.

Die Grundregel in sämtlichen Gesetzen lautet ungefähr wie folgt („Variationen auf dem gleichen Thema", laut Thorhauge): Öffentliche Bibliotheken sollen den Bürgern freien Zugang zu Information bieten, um Ausbildung und kulturelle Aktivitäten zu fördern, und sie sollen ihnen Bücher und andere Informationsmaterialien zur Verfügung stellen und dies möglichst kostenlos. Die Bibliothek soll also eine Bildungs-, Informations- und Freizeitinstitution sein. Diejenigen in der Gesellschaft, die nicht selbst in die Bibliothek kommen können, sollen einen speziellen Service erhalten. In Schweden sprach man lange von „unprivilegierten Zielgruppen" (in den 70er- und 80er-Jahren), womit man ursprünglich Menschen mit verschiedenen Behinderungen meinte, und denen man spezielle Hilfe anbot oder mit denen man gezielte Aktivitäten durchführte, um ihnen die Bibliothek nahe zu bringen. Doch im Laufe der Zeit wurden mit diesen Aktivitäten auch Kinder, Frauen, Arbeitslose, Ältere, Kranke usw. als Zielgruppen angesprochen, sodass man sich schließlich fragte, ob es überhaupt noch „Unprivilegierte" gab. Heute, wo die Budgets sehr viel schmaler sind als in den 80er-Jahren, ist es sowieso nicht mehr möglich, solche Aktivitäten durchzuführen; man musste andere Wege finden, um die Bibliotheken weiter zu entwickeln.

Interessanterweise sind in allen skandinavischen Bibliotheksgesetzen auch elektronische Medien und Datenbanken genannt, die die öffentlichen Bibliotheken (hier meine ich sowohl Volks- als auch wissenschaftliche Bibliotheken) ihren informationssuchenden Besuchern zur Verfügung stellen sollen.

Leider gibt es bis jetzt nur in Dänemark einen nationalen Gesamtkatalog online, der s. g. DANBIB, welcher für alle Arten von Bibliotheken (allerdings nur mit Password) über das Internet zu erreichen ist. In Finnland hat man mit „Puls„ einen guten Suchdienst mit gemeinsamen Katalogen für mehrere Bibliotheken. In den anderen skandinavischen Ländern haben die Volks- und die wissenschaftlichen Bibliotheken jeweils ihre eigenen Kataloge. Schweden wird durch LIBRIS auch bald einen nationalen Gesamtkatalog haben. Eine gute Homepage (aus Finnland) um zu den skandinavischen Bibliotheken aller Art und in ihre Kataloge zu kommen bietet die Webadresse: http://www.folkbilioteken.fi/bibfack/utland. htm.

Auch durch die Webadresse von PubliCA kann man zu den (allerdings nur Volks-) bibliotheken kommen: http://www.croydon.gov.uk/publica/pblice.htm. Hier findet man z.B. auch interessante Statistiken und Informationen zu verschiedenen Bibliotheksvereinigungen.

 

Positionierung der Bibliotheken in der Kultur- und Bildungslandschaft

Die Kultur- und Bildungsbereiche der skandinavischen Länder heben die Rolle der Bibliotheken stark hervor. Das Buch soll nach wie vor an erster Stelle stehen auch wenn andere Medien an Bedeutung zunehmen und auch wichtig genommen werden sollen. Merkwürdig ist daher, dass es meistens sehr viel leichter ist, einige hunderttausend Kronen (bzw. finnische Mark) für Computer zu bekommen als mehr Mittel für den Kauf von Büchern. Oftmals werden sogar die Mittel für gedruckte Medien gekürzt und gleichzeitig die Mittel für technische Innovationen erhöht. Oder wie Kari Levola am 1. März 1999 in „Helsingin Sanomat" schrieb:

„In diesem Jahrzehnt sind annähernd zweihundert Bibliotheken geschlossen worden. Die Buchanschaffungen haben um 25 Prozent abgenommen. Was aber ständig zunimmt, ist die Anzahl der `Geräte´ in den Bibliotheken. Immer mehr neue Computer werden hineingetragen und alte bereits wieder abgeschafft. Der finnische Staat hat vieles daran gesetzt, mit einem Schlag eine Mediengesellschaft zu schaffen. Das Kulturministerium verteilte an die Bibliotheken Millionen für den Einstieg. Nach dem fulminanten Start mussten die Bibliotheken allerdings zusehen, wie sie klar kamen. Damit nahm das Verhängnis seinen Anfang. Um den technischen Standard zu halten, mussten zuerst die Buchetats dran glauben - als diese bis unter die Schamgrenze angeknabbert waren, kamen die Zweigstellen dran!"

Er spricht einer schwedischen Bibliothekarin aus dem Herzen, nur dass wir keine „Millionen" vom Staat bekommen haben, sondern dass in Schweden die Kommunen es mit mitunter noch schlimmeren Folgen selbst finanziert haben.

Man kann leicht den Eindruck gewinnen, dass alle skandinavischen Bibliotheken Spiegelbilder voneinander sind, da wir im Grunde eine gemeinsame Verständigung über Aufgaben, Ziele und Qualitäten und ein gemeinsames Verständnis und Berufsethos haben. Dies ist jedoch nicht der Fall, auch wenn sich manche Diskussionen ähneln, und wir manchmal eines der anderen Länder als Vorbild nehmen und versuchen es nachzuahmen. Dänemark scheint z.B. als erstes Land die tiefgreifenden Qualitätsdiskussionen begonnen zu haben, während man in Norwegen die „Zielgruppen" der Bibliotheksarbeit diskutiert hat. Kinder und Jugendliche werden dort als wichtige Zielgruppen angesehen, was auch in Schweden der Fall ist. In Norwegen meint man auch, dass der Service für Politiker und andere Aktive in der Gesellschaft wichtig ist, und hier debattierte man mehr als in den übrigen Ländern die Ausbildung der Bibliothekare. Zusammenarbeit zwischen Volks- und Schulbibliotheken, manchmal hin bis zur totalen Integration, sind wichtige Diskussionspunkte in allen Ländern, sowie die intensivere Zusammenarbeit mit anderen Organisationen im Bereich Kultur und Bildung. Heute spricht man in Schweden immer häufiger von Zusammenarbeit bis hin zur totalen Integration von Volks- und Forschungsbibliotheken in einem Gebäude. Beispiele hierfür sind die neugebaute Stadt- und Hochschulbibliothek in Härnösand und die geplante Stadt-, Läns- und Hochschulbibliothek in Visby. In Island ist es schon seit jeher eher selten, dass eine Volksbibliothek in einem separaten Gebäude angesiedelt ist. Oftmals hat man schon von Anfang an die Bibliothek z.B. mit. Kunstgalerien, Seefahrtsmuseen und lokalen Archiven zusammengeführt. Ein Beispiel ist hier die Stadtbibliothek in Akureyri. In vielen kleinen Kommunen ist die Volksbibliothek auch Schulbibliothek und demnach in der Schule oder in der Kirche verortet.

Konkrete Beispiele von Kooperationen zwischen den skandinavischen Ländern sind die gemeinsame englischsprachige Fachzeitschrift „Scandinavian Public Library Quarterly", die von den Nordic Directorates for Public libraries herausgegeben wird, und „Nordinfonytt", welches von „The Nordic Council for Scientific Information" (Nordiska samarbetsorganet för vetenskaplig information) herausgegeben wird. Ziel der erstgenannten Zeitschrift ist es, Informationen über Aspekte des Volksbibliothekswesens aller skandinavischer Länder zu geben. Ziel des zweitgenannten Fachorgans ist es, Informationen an die Partner und andere Interessenten der Skandinavischen Länder (hauptsächlich im Forschungsbibliotheksbereich) zu vermitteln, teils über die eigene Tätigkeit, teils über die internationale Entwicklung.

Zum vierten Mal wird im November 2000 eine gemeinsame nordische Bibliothekswoche durchgeführt, „Kura skymning„, was ungefähr „Dämmerstunde halten„ bedeutet. In diesem Jahr soll das Thema „Kinder„ fokusiert werden, d. h. die Beziehungen von Kindern zur Umwelt, zu Freunden, zur Familie und zu anderen Erwachsenen. Ein gemeinsamer Abend in allen nordischen Volksbibliotheken, am 13. November, um 19.00 Uhr, wird damit begonnen, dass man Texte von Astrid Lindgren bei Kerzenschein liest. In der restlichen Woche vom 13. bis 19. November wird jeden Tag etwas anderes passieren, so werden z.B. Kinderbuchautoren wie H C Andersen (Dänemark), Tove Jansson (Finnland), Torbjörn Egner (Norwegen) und Gudrún Helgadottír (Island) präsentiert.

Entwicklungstendenzen in den 80er-Jahren

Charakteristisch für die Entwicklung der 80er-Jahre waren die Folgen der wirtschaftlichen Probleme. Dänemark geriet als erstes skandinavisches Land in ökonomische Schwierigkeiten und somit Vorreiter bei der Auseinandersetzung mit Fragen wie z.B. der Effektivierung der Arbeit und der „Value-for-money"-Perspektive in Bibliotheken. Neben Qualitäts- und Managementfragen spielten dabei Diskussionen darüber eine Rolle, womit die Bibliothek sich eigentlich beschäftigen soll: Bücherausleihe, Informationsvermittlung, Vermittlung von kulturellen Erlebnissen, als ökonomischer Faktor für schwache Regionen, als Ausbildungsinstitut für Erwachsenenbildung etc. Mit anderen Worten, soll die Bibliothek weiterhin „Mädchen für alles" sein, oder hat die Bibliothek einen eigenen Wert für die Menschen, die im Umkreis wohnen, und worin liegt dann dieser Wert?

Eine Reihe von Untersuchungen wurden durchgeführt, um wissenschaftlich zeigen zu können, dass Umorientierung, Umstrukturierung, Umorganisation (neue Führungsmodelle und -kräfte waren z.B. erforderlich) und schließlich die Einführung von neuen Techniken, besonders der Informationstechnologie, notwendig seien. In Schweden hat man auch ein paar Versuche mit Bibliotheken durchgeführt, sie Unternehmern zu überlassen, die versuchen sollten, diese ökonomisch mit Gewinn zu betreiben. Das bekannteste Beispiel ist Åre. Dort hatte Ende der 80er-Jahre ein Bibliothekar die Rolle des Unternehmers übernommen, war aber genau wie bei anderen Beispielen damit gescheitert. Öffentliche Bibliotheken können nicht privat mit Gewinn betrieben werden, wenn man die demokratische Funktion beibehalten will, dass jeder Bürger das Recht hat, sich kostenlos zu informieren, sei es durch Printmedien oder digitale elektronische Medien.

Entwicklungstendenzen in den 90er-Jahren

Die oben gestellte Frage „… hat die Bibliothek einen eigenen Wert für die Menschen, die im Umkreis wohnen, und worin liegt dann dieser Wert?" wurde in den 90er-Jahren vertieft und mit der Entwicklung der Informationstechnik verschärft. Auch jetzt im neuen Jahrtausend ist dies meiner Meinung nach immer noch die wichtigste Frage, die bisher unbeantwortet geblieben ist. In den 90er-Jahren hat man sich erst einmal damit beschäftigt, eine Menge von neuen Begriffen, neuen Zuständen und neuen Entwicklungstendenzen zu definieren. U.a. sind folgende Begriffe und Tendenzen in Augenschein genommen worden:

Informationsrevision

Total Quality Management

Zugang zu Information

Information overload

Informationsökonomie

Informationspolitik

Social Intelligence

Ich möchte hier hinzufügen:

Information literacy

Knowledge

Fernausbildung

Lifelong Learning

Diese Begriffe sind meiner Meinung nach nicht nur und nicht einmal hauptsächlich für Volksbibliotheken zu definieren, auch für die wissenschaftlichen Bibliotheken in der heutigen Gesellschaft mit ihrem Druck in Richtung „Lifelong" und „Distance Learning" sind sie außerordentlich wichtig.

Laut Kristiansson und Kajberg ist der Begriff „Social Intelligence" so zu deuten, dass es ein strategisches Werkzeug ist, mit dessen Hilfe man eine Organisation analysieren kann. „Social Intelligence" ist synonym mit gut entwickelten sozialen Interaktionsfähigkeiten und es ist ein Werkzeug mit dessen Hilfe eine Gesellschaft, eine Organisation oder eine Einzelperson ihre Umgebung untersucht, um sich in dieser Umgebung orientieren und um sich zurechtfinden zu können. Die Bibliothek kann als eine Organisation definiert werden, die möglichst in der zukünftigen Gesellschaft überleben soll. Mit anderen Worten müssen Bibliotheken organisatorisch verändert werden, so dass sie sich der Umgebung anpassen. Allzu lange haben wir traditionell immer wieder das Gleiche getan und haben geglaubt, dass dies das einzig Richtige gewesen ist und sein wird. Durch „Social Intelligence" kann man die Informationsgesellschaft, sowohl deren Akteure als auch deren Entwicklung, auf einem regionalen, organisatorischen und auf Invidualniveau erforschen, was laut Kristiansson und Kajberg notwendig ist. Erst dann kann man etwas darüber sagen, wie die Bibliotheken in Zukunft z.B. Erwachsenenbildung unterstützen oder wie sie besser mit dem Übermaß an Information zurechtkommen können. Hier müssen dann auch die anderen oben genannten Begriffe näher erforscht werden. Mit einigen der Begriffe hat man begonnen. Z.B. haben etliche skandinavische Bibliotheken verschiedene Qualitätsuntersuchungen gemacht nach der TQM-methode (Total Quality Management). Hier betont man, dass Qualität letztendlich das ist, was der Benutzer als Qualität bezeichnet. In Finnland hat der finnische Kommunalverband gerade das Projekt „Die Bibliothek und die Qualität„ gestartet, an dem zehn Bibliotheken teilnehmen. Sie überlegen sich, wie unterschiedliche Bibliotheken in einer Region miteinander verglichen werden können und sie wollen auch definieren, was „Qualität„ für sie bedeutet.

An dieser Stelle möchte ich zwei Beispiele für Untersuchungen, die als „Social Intelligence"-Untersuchungen betrachtet werden können, vorstellen.

 

A. Das GÖK-Projekt

Mit Beginn in den 80er-Jahren, aber hauptsächlich Anfang der 90er-Jahre, verbreiteten sich in Skandinavien die Ideen von den s.g. dreigeteilten Bibliotheken, die zum Teil aus Deutschland kamen (Beispiel Gütersloh). In Dänemark stellte man 1992 fest: (meine Übersetzung aus dem Dänischen):

"Die Bibliotheken sollen nicht mehr Universalbibliotheken sein, und der Einheitsgedanke soll durch kommunale Profilierung abgelöst werden, die auf Bedürfnisse der Lokalbevölkerung fundiert werden soll, sodass ein höherer Grad von Nachfrage zufriedengestellt wird."

Ziel des GÖK-Projektes war es, die Bibliotheken innovativ zu gestalten und die Erfahrungen mit den dreigeteilten Bibliotheken in Schweden zu implementieren. Unterstützt und gefördert wurde das Projekt von dem schwedischen "Kulturråd", ein staatliches Gremium für nationale Kulturfragen unter dem Kulturministerium, zu denen auch die Volksbibliotheken gehören (aber nicht die wissenschaftlichen, die unter dem Ausbildungsministerium resortieren). Es gab damals in Kalmar, wo man das GÖK-Projekt 1989-1992 durchführte, Auseinandersetzungen, weil der damalige Chef der Stadtbibliothek Bücher etwas unkonventionell ausrangieren wollte, um die neuen Medien besser präsentieren zu können. Heutzutage haben fast alle öffentlichen Bibiliotheken diese Ideen aufgenommen.

Die Auswertung, die nach den Auseinandersetzungen von Forschern der Universität in Göteborg vorgenommen wurde, stellte u.a. fest, dass Bibliothekare sehr oft sehr konservativ arbeiten und dass Innovationen nur sehr schwer in die Organisation und durch alle Ebenen dringen können. Dass die Stadtbibliothek Kalmar es dennoch versucht hat, wurde lobend festgestellt, dass allerdings auch Kolleginnen dort waren, die sich nur schwer damit zurechtfinden konnten, wurde auch erwähnt, und man meinte, dass es für die Zukunft der Volksbibliotheken notwendig sein würde, sich der Umgebung anzupassen.

Eigentlich bedeutet das ja nur, dass der Besucher oder Kunde oder wie man den Nutzer der Bibliothek nennen möchte, in den Vordergrund gerückt wird und sich das Bibliothekspersonal zurücknimmt. Sehr lange war es umgekehrt, d. h. das Bibliothekspersonal hat sich als „Erzieher", Spezialist usw. gesehen und dabei nicht realisiert, dass sehr viele Bibliotheksnutzer ihre eigenen Spezialisten sind.

B. Findet die Bibliothek wirklich jede Antwort?

Bei der Stadtbibliothek in Tønsberg in Norwegen hat man drei Jahre lang ein Qualitätsuntersuchungsprojekt durchgeführt (1992-95) mit dem Titel „Die Bibliothek findet die Antwort". Schließlich ist es das, was wir immer behaupten tun zu können. Ein Teilprojekt bekam den Titel „Findet die Bibliothek die Antwort?" Der Ausgangspunkt dieses Projektes war, dass man anfing daran zu zweifeln, ob das Bibliothekspersonal wirklich die korrekten Antworten auf gestellte Fragen geben kann. In Dänemark hatte man 1987 eine ähnliche Untersuchung durchgeführt und dabei festgestellt, dass etwa 50% der Fragen korrekt beantwortet wurden. In Norwegen hatte man die Hypothese, dass es hier ähnlich sein würde. Es gab dann großes Aufsehen, als man feststellen musste, dass nur 23,8% der Fragen richtig beantwortet wurden. Man hat dann gesagt, dass die Untersuchungsmethoden (in Norwegen wusste das Bibliothekspersonal nicht, dass es untersucht wurde, da das Untersuchungspersonal als verdeckte Kunden kam, während es in Dänemark sowohl offen als auch verdeckt seine Fragen stellte) nicht die gleichen gewesen seien und auch die Art der Fragen nicht vergleichbar war. Trotzdem konnte man ja nicht verleugnen, und man wollte es auch gar nicht, dass das Ergebnis niederschmetternd schlecht war. Als ein paar Jahre später auch in Schweden eine ähnliche Untersuchung durchgeführt wurde und auch hier das Resultat genauso schlecht wie in Norwegen war, da begannen die Diskussionen über die Existenzberechtigung der Volksbibliotheken. Diese Untersuchungen haben das Bibliothekspersonal aufgerüttelt und haben dazu geführt, dass viele Direktoren mitsamt ihrem Personal oftmals zum ersten Mal gründlich die qualitativen Aspekte der Bibliotheksarbeit, vor allem die informative Aufgabe, analysiert haben. Dies wiederum hat sicher dazu geführt, dass die skandinavischen Bibliotheken recht gut für die Zukunft in der Informationsgesellschaft gerüstet sind.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die skandinavischen Volksbibliotheken auch nach den turbulenten 90er-Jahren folgende wichtige Aufgaben haben:

Die Voraussetzung für Meinungs- und Redefreiheit ist die Sprache. Bücher stärken die Sprachentwicklung und das Wort ist das Mittel, um frei seine Ansichten und Gefühle ausdrücken zu können. Bibliotheken betreiben lesefördernde Arbeit, z.B. bei Kindern und Jugendlichen, bei Rentnern, Arbeitslosen und Behinderten.

Die Bibliothek ist ein Forum für aktive Bürgerschaft, eine Quelle für Information, Wissen, Erlebnisse und für lebenslanges Lernen. Wenn ein Bürger an der gesellschaftlichen Entwicklung teilnehmen will, und jeder Bürger sollte dieses tun, dann braucht er Kenntnisse über das, was vorher geschehen ist, über das, was heute geschieht und das, was geschehen wird. Daher ist es z.B. äußerst wichtig, dass jede Bibliothek baldmöglichst mit modernster Technik ausgerüstet wird, um den Forderungen der Bürger nachkommen zu können.

Die lokale Perspektive in unserem Kulturerbe findet man in der Literatur. Mit seiner starken Verankerung in der lokalen Gesellschaft (z.B. Dorf oder Stadtteil) macht die Bibliothek dieses Kulturerbe sichtbar.

Die Bibliothek ist ein spannender, sozialer Treffpunkt und eine Arena für neue Ideen und Gedanken. Hier kann man zwangsfrei mit anderen diskutieren, Gedanken austauschen, gute Ratschläge bekommen, im Internet surfen usw.

 

Abbildung 1
Die Aufgaben der Volksbibliothek

 

Frei nach einer Idee von Erik Silenstam

5. Innovative Modelle der Bibliotheksarbeit

"Kalmarmodell" für Schulbibliotheken

Die Zusammenarbeit zwischen Volks- und Schulbibliotheken hat eine lange Tradition in Skandinavien. Die Grundidee ist gewesen, dass man mit den Kindern anfangen muss, damit sie später den Weg in die Bibliothek finden, entweder „nur" um zu lesen oder um sich verschiedene Informationen einzuholen oder Fragen beantwortet zu bekommen. Fragen, die sie vielleicht stellen, um besser in der Welt zurecht zu kommen. Dänemark hat hier lange eine führende Position eingenommen und hat u.a. fantastische Kinderbibliotheken gebaut, die wir anderen nur aus der Ferne mit Neid bestaunen konnten. Jedoch auch Schweden hat weit vorne gelegen, wenn auch nicht mit teuren Gebäuden. Anfang der 80er-Jahre hat sich die Stadtbibliothek in Kalmar an der südöstlichen Küste Schwedens profiliert, indem man sehr bewusst mit den Grundschulen (also Jahrgänge 1-9) zusammenarbeitete und nach den neuesten Lehrplänen die s.g. „untersuchende Arbeitsweise" (was eigentlich das Gleiche ist wie das, was man heute „Problem Based Learning" nennt) einführen wollte. Hierzu brauchte man gut ausgerüstete Schulbibliotheken und spezielle Programme, wie Kinder systematisch mit den Beständen von sowohl Schul- als auch Volksbibliotheken vertraut gemacht werden sollten. Regelmäßig wurden die Schulkinder in ihre eigenen Schulbibliotheken und in die Stadtbibliothek eingeladen und haben dort unter bibliothekarischer Führung einen ganzen Vormittag auf den verschiedensten Gebieten „geforscht". Ich habe in den Jahren 1988-91 neun verschiedene Klassen drei Jahre lang beobachtet, wie sie in der Bibliothek mit den Mitteln der Bibliotheken gearbeitet haben und wie sehr die Bibliothek eigentlich im Lehrprozess einbezogen ist, sowohl aus der Sicht der Schüler als auch aus der Sicht der Lehrer. Ich stellte in meiner Arbeit u. a. fest, dass (Grund-) Schulbibliotheken und Volksbibliotheken zwei verschiedene Zielgruppen hatten, einmal Schüler im Alter von 7 bis 16, und einmal „alle", d. h. die allgemeine Bevölkerung. Über diesen Unterschied muss man sich erst einmal im Klaren sein, wenn man sich die Frage stellt, was diese verschiedenen Zielgruppen benötigen. Zum anderen stellte ich fest, dass Bibliothekare selten automatisch in Lehrprozesse einbezogen werden und dass die Bibliothek selten oder nie als pädagogisches Werkzeug von den Lehrern genutzt wird, dass man einfach nicht sieht, welches Potential die Bibliothek haben könnte, wenn man den Schülern zeigt, wie und wo man Informationen erhalten kann, welche Art von Informationen, wie man sie qualitativ bewerten kann, wie man sie verwendet usw. An den Lehrerhochschulen wird nach wie vor den zukünftigen Lehrern gezeigt, wie sie selbst ihre eigene Information (meist eigene Kursliteratur) suchen können, aber (auch heute noch) nicht, wie sie die Bibliothek als Werkzeug im Unterricht nutzen könnten.

Das Kalmarmodell wurde in vielen anderen schwedischen Städten als Beispiel genutzt, und es fand auch in Finnland und Deutschland Resonanz.

Modellbibliothek in Ljusdal

Nach 1949hat die UNESCO 1994 ihr neuestes Volksbibliotheksmanifest veröffentlicht. Damals hat man drei s g. „pilote libraries" eingerichtet, um zu zeigen, wie man die Ideen des Manifestes im täglichen Leben verwirklichen könne. Nach dem letzten Manifest hat man 1995 vier s.g. „Modellbibliotheken" auserkoren, um zu sehen, wie die Ideen praktisch umgesetzt werden können. Eine dieser Bibliotheken ist in Ljusdal, Schweden, die anderen sind in Bulawayo, Zimbabwe; Vila Verde, Portugal und Rakvere, Estland. Ljusdal ist eine für schwedische Verhältnisse recht normale kleine Stadt, 20 000 Einwohner, und mit einem großen Areal, was bedeutet, dass die Entfernungen in der Stadt sehr weit sind. Das Bibliothekswesen besteht aus einer Hauptbibliothek, fünf Filialen und einem Bücherbus. Die Arbeitslosigkeit war höher als der Durchschnitt Schwedens (damals mehr als 13%), und das Ausbildungsniveau niedriger. Aufgrund dieser Modellbibliothek hat Ljusdal sein verlorenes Selbstvertrauen zurückgewonnen, jedenfalls deuten führende Politiker es so. Die Politiker haben das Angebot der UNESCO und des schwedischen „Kulturråds„ ohne zu zögern angenommen, zumal die Intentionen der UNESCO den eigenen Vorstellungen sehr nahe kamen, das Bibliothekswesen der Stadt zu entwickeln, vor allem Volks- und Schulbibliotheken besser auf einander abzustimmen und teilweise zu integrieren. Überhaupt stand und steht hier die Zusammenarbeit zwischen Schule und Volksbibliothek sehr hoch auf der Agenda. Der zuständige Politiker im Freizeit- und Kulturamt betont immer wieder, wie wichtig es ist, dass Kultur, wozu selbstverständlich die Bibliotheken gezählt werden, ein natürlicher Bestandteil von anderen Aktivitäten wird, im Besonderen in Aktivitäten, denen sich Kinder und Jugendliche zuwenden. Selbstverständlich liegt der Bibliothekskatalog jetzt auf dem Internet und die Anzahl der Besucher und der Ausleihe liegt höher als der Durchschnitt in Schweden. Besucher haben Zugang zum Internet in der Bibliothek und haben auch eine Menge Leseplätze zur Auswahl, wo sie z.B. studieren können. Man hat mit der Hochschule in Ronneby, die sich auf Forschung und Entwicklung im IT-Bereich spezialisiert hat, Kontakt aufgenommen und arbeitet jetzt mit ihr zusammen, um den Einwohnern Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, über das Internet an verschiedenen Kursen teilzunehmen. Es ist jedoch nicht so, dass Ljusdal aufgrund dieser besonderen Stellung als Modellbibliothek mehr staatliche Mittel bekommen hat. Die Absicht , die hinter der Auswahl stand, war ja zu sehen, ob sich eine „gewöhnliche" Bibliothek ohne zusätzliche Mittel, aber mit neuen Ideen und Ambitionen, zu einer Bibliothek im Sinne des UNESCO-Manifestes entwickeln könnte. Nach zwei Jahren hat man gesehen, dass vieles relativ glatt ging, hauptsächlich, weil die führenden Politiker positiv eingestellt waren, und jedenfalls keine Kürzungen im Budget durchführten, was zu der Zeit sonst überall in Schweden üblich war. Als 1997 die erste Auswertung durchgeführt wurde, hat man ein generelles Lob ausgesprochen, wie sehr das neu entwickelte Bibliothekswesen zur allgemeinen Entwicklung der Stadt beigetragen hat. „Nach schwedischen Maßstäben ist die Volksbibliothek in Ljusdal ein gutes Beispiel für gediegene schwedische Bibliothekstradition", hieß es in dem Bericht. Es gab jedoch auch einige kritische Punkte. Man hat angemerkt, dass die Schulbibliotheken generell zu wenig Mittel bekämen und auch die s.g. "aufsuchende Wirksamkeit", womit man die Arbeit meint, die in schwedischen Bibliotheken durchgeführt wird, um den Menschen einen Service anzubieten, die nicht selber in die Bibliothek kommen können. In erster Linie handelt es sich um Kranke oder Behinderte, die von Bibliotheksangestellten entweder zu Hause oder in Kranken-, Pflege- und dergl. Heimen besucht werden, die gewünschte Bücher mitbringen und neue Bestellungen aufnehmen. Es geht aber auch um Besuche in Gefängnissen, in Firmen, Kindergärten, Altersheimen usw., eine Tätigkeit die heute leider mit den gekürzten Etats der 90er-Jahre nicht mehr so funktioniert wie früher. In Ljusdal wurde auch bemängelt, dass man sehr wenige Medien wie Videofilme und CDs hatte, was dort dazu führte, dass Mittel dafür im Budget für die nächsten Jahre vorgesehen wurden. Ein Traum in vielen anderen Kommunen! Schließlich hat die Auswertung auch darauf aufmerksam gemacht, dass man das allgemeine Lesevermögen der Bevölkerung zu wenig beachtet hat, und dass man einen Plan aufstellen sollte, um Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben, zu erreichen. Im Vergleich zwischen Ljusdal und den anderen Modellbibliotheken meint die Bibliothekschefin Kerstin Hassner, dass viele Probleme rund um in der Welt die gleichen sind, aber dass wir es in Schweden vielleicht manchmal leichter haben, die Bibliotheken in Richtung Informationszentren zu entwickeln, aufgrund unserer Tradition die Bibliotheken in den politischen Demokratisierungsprozess mit einzubinden.

Die Bibliothek in Bærum, Norwegen

Norwegische Bibliotheken sind heutzutage gut ausgerüstet, um Menschen mit verschiedenen Hintergründen und verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden. Die Stadtbibliothek in Bærum hat sich darauf spezialisiert, geistig Behinderten zu helfen, denn laut dem norwegischen Gesetz, sollen alle Bürger der Gesellschaft Zugang zu Bibliotheken aller Art haben. Dies ist leider weder in Norwegen noch in den anderen nordischen Ländern der Fall, aber in Bærum (etwa 100.000 Einwohner und etwa 400 geistig Behinderte) hat man sich dieses zu Herzen genommen und 1992 ein Projekt mit den folgenden Zielen gestartet:

es den geistig Behinderten möglich zu machen, die Hauptbibliothek und/oder sämtliche Filialbibliotheken besuchen zu können,

den Medienbestand entsprechend aufzubauen,

das Bibliothekspersonal auszubilden,

Lesegruppen für junge und erwachsene Menschen aufzubauen

spezielle Programme für geistig behinderte Kinder, die schon in Kindergärten integriert waren zu arrangieren, die sowohl musikalischen als auch literarischen Inhalt hatten.

Auf der Basis der Erfahrungen hat Ellen Kirkaas folgende Kriterien für einen gut organisierten Bibliotheksservice festgehalten:

Die Bibliothek soll leicht zu erreichen sein, auch für rollstuhlgebundene Besucher.

Die Literatur und anderes Material (Hörbücher, Videokassetten, Bilderbücher, Spiele etc.) muss angepasst sein, was mitunter schwierig ist, da das Lesevermögen sehr unterschiedlich ist und die Texte auch für Erwachsene passend sein müssen.

Bücherregale dürfen nicht zu hoch sein und müssen übersichtlich sein.

Schwere Bücher müssen unten eingeordnet werden.

Alphabetisches Ordnen ist nicht notwendig, da geistig Behinderte nicht nach dem Alphabet suchen, sondern nach dem Aussehen eines Buches, Umschlag, Farben, Größe, Bilder…

Einfacher ist es, die Bücher nach Kategorien wie z.B. Haus und Heim, Kochen, Haustiere, Pferde etc. zu ordnen,

Als größtes Problem stellte sich heraus, dass so wenig passende Literatur zu finden ist. Die Ursache hierfür ist ganz einfach: Mit der Produktion dieser Literatur ist kein Gewinn zu machen. Diese Bücher werden nie „Bestseller", aber diese Bücher kann man auch sehr wohl für Einwanderer aus fremden Ländern nutzen, die die neue Sprache noch nicht ausreichend beherrschen, damit sie leicht verständliche Literatur zu lesen bekommen.

Bibliotheken als Informationszentren

Eine Bibliothek gleichzeitig als Informationszentrum anzusehen ist für einen skandinavischen Bibliothekar sehr natürlich. Århus Kommunes Biblioteker in Dänemark ist hier ein sehr gutes Beispiel. Obwohl Ende der 80er- bis Mitte der 90er-Jahre das Budget stark gekürzt wurde, 15 Filialbibliotheken geschlossen werden mussten und das Personal von 361 (1987) auf 288 (1992) Vollzeitstellen gekürzt wurde, hat man die Bibliothek entwickeln statt abwickeln können. Dieses konnte vor allem durch Neuorganisierung der ganzen Bibliothek erreicht werden. Ein wichtiger Punkt dabei war die Überlegung, dass alle Angestellten wissen sollten, welche Arbeitsaufgaben die Kollegen/Kolleginnen hatten, um dadurch den Bibliotheksbesuchern einen besseren Service bieten zu können. Eine Grundeinstellung war dabei: „Für den Kunden spielt es keine Rolle wer ihn bedient, Hauptsache er bekommt, was er haben möchte." 1992 wurde ein neues EDV-System eingeführt, welches soweit möglich selbstinstruierend war. Wenn das Personal gekürzt wird und die Besucheranzahl steigt, muss man eine neue Lösung finden, und die heißt, hier wie in den meisten anderen Bibliotheken aller Art: „Selbstbedienung„. Wenn die Besucher weitgehend einfachere Fragen selber beantworten können, dann kann das Personal den Besuchern helfen, die kompliziertere Fragen haben und eine intensivere Recherche verlangen. Früh waren alle Bibliotheken in der Stadt ans Internet angeschlossen. Man hat sich deutlich um die „Schwächeren" in der Kommune gekümmert und hat versucht, die Suche auf dem Netz so anwenderfreundlich wie möglich zu machen. Da man viele Ausländer und Gastarbeiter in der Kommune hatte, hat man sehr früh damit angefangen, fremdsprachige Zeitungen direkt auf dem Bildschirm zum Lesen zur Verfügung zu stellen, was sehr nachgefragt wurde. Den Einwohnern der Kommune hat man auch geholfen, sich über alle möglichen Fragen des täglichen Lebens, z.B. wo man Arbeit sucht, wo man hingehen kann, um Sozialunterstützung zu bekommen usw., zu informieren. In Århus war dieses Konzept sehr erfolgreich. Die Homepage von Århus findet man unter: http://www.aakb.bib.dk.

In Schweden hat man ähnliche Konzepte getestet. Zum Beispiel in Oskarshamn hat man die Stadtbibliothek vor drei Jahren mit Computern ausgerüstet und versucht, sie als Informationszentrum zu etablieren. In Verbindung mit dem Verkehrsamt wollte man auch Kundeninformation bieten sowie Sozialarbeiter und andere Personen als Berater zur Verfügung stellen. Leider sind diese Ideen nicht ganz erfolgreich gewesen. Auch in anderen schwedischen Kommunen, wo man die Bibliothek als allgemeines Bürgerinformationszentrum entwickeln wollte, ist dies nur bedingt erfolgreich gewesen. Ich glaube, dass dies zum Teil daran liegt, dass in den letzten zehn Jahren auch im Norden große Einsparungen überall im öffentlichen Dienst vorgenommen werden mussten und dadurch sowohl zu wenig Personal als auch zu wenig Mittel für einen solchen Service zur Verfügung standen. Außerdem sollte man, wie ich schon oben erwähnte, vielleicht erst einmal ein wenig genauer überlegen, wozu die Bibliothek eigentlich da sein soll, ehe man zu viele andere Interessenten einlädt. Eine andere Initiative, die allerdings nicht von der Bibliothek ausging, sondern von dem Advokatenverbund in Kalmar, ist dagegen sehr erfolgreich gewesen. Diese Initiative hat dazu geführt, dass einmal die Woche ein Anwalt in der Stadtbibliothek sitzt und sich Fragen von Bürgern anhört. Einfachere Fragen werden sofort und kostenlos beantwortet, bei schwierigeren Fragen bekommt der Kunde erst später eine Antwort, und je nach Schwierigkeitsgrad, muss man dafür bezahlen. Auch die Anwälte hatten in der Rezession unter einer mangelnden Anzahl an Klienten zu leiden, und dieses war eine Möglichkeit, mit Kunden in Berührung zu kommen. Eine Zusammenarbeit also, die sowohl für die Advokaten als auch für die Bibliothek positiv gewertet wurde.

Skandinavien und die EU

Als Schweden und Finnland 1994 Mitglieder der EU wurden, hat dies zu einer Menge neuer Projekte geführt, in denen auch Norwegen und Island teilnehmen können, obwohl sie keine Mitglieder sind. Allerdings haben nur wenige Bibliotheken sich als Koordinatoren für ein EU-Projekt angemeldet. Ein Fernstudienprojekt unter der Leitung der technischen Universität in Göteborg ist DEDICATE, Distance Education Information Courses with Access through nEtworks, zu finden unter der Webadresse: http://educate.lib.chalmers.se/DEDICATE/dedindex.html Auch die Universitätsbibliothek von Linköping und die der technischen Universität in Helsinki sind aus Skandinavien Partner in diesem Projekt.

MUMLIB, Multimedia Methodology in Libraries (Webadresse: http://www.dbc.dk/ english/mumeng.html) wird von Dansk Biblioteks Center koordiniert, hat jedoch keine weiteren skandinavischen Teilnehmer.

Ein anderes Projekt mit skandinavischer Beteiligung aber nicht unter skandinavischer Leitung ist ILIERS, Integrated Library Information Education and Retrieval System (Webadresse: http://www.cordis.lu/libraries/en/projects/iliers.html), bei dem die Stadtbibliothek in Kungsbacka und die Länsbibliotek Halland Partner sind.

CYRANO

Nicht immer müssen Bibliotheksprojekte durch das „Telematics for Libraries Programm„ der EU gehen. CYRANO, Culture Youth Reading Authors Network Opener war ein Projekt, welches zum Teil auf Ergebnissen meiner Doktorarbeit aufbaute, in der ich neben der Aufgabe der Schulbibliothek als Informationszentrum auch auf deren Funktion als leseförderndes Zentrum hinwies. Die drei zentralen Komponenten einer Schulbibliothek sind meiner Meinung nach:

Informative Komponente: man sucht und findet Information und lernt wie man diese Information wertet und verwertet;

Kulturelle Komponente: z.B. Erlebnisse durch Lesen schöner Literatur; und

Soziale Komponente: dass die Schüler in der Bibliothek zusammen sein können.

Ich wollte mich vor allem mit der kulturellen Komponente etwas intensiver beschäftigen und beleuchten, ob man ähnliche Gedanken wie wir in Schweden in anderen Ländern Europas hatte. So entstand ein EU-Projekt im Rahmen des Sokrates Programms (1994-96). Teilnehmer im Projekt waren eine Schule in Milazzo, Italien, zwei Schulen in Österreich und zwei Schulen in Borgholm, Schweden. Es waren die Jahrgänge 4-6. Sowohl Schüler als auch Lehrer arbeiteten eng mit Schriftstellern, Illustratoren und Bibliotheken zusammen, um den Kindern die Freude am Lesen näher zu bringen. Die Schulklassen haben sich gegenseitig besucht, haben mit Schriftstellern korrespondiert (auf Englisch, da die Kinder ja alle eine gemeinsame Fremdsprache haben mussten), haben zusammen ein Theaterstück geschrieben (nach erforderlichem Recherchieren) und dieses schließlich aufgeführt. Der Grundgedanke war, dass man erst einmal lesen können muss, um dann weiter gehen zu können, um nach Informationen zu suchen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Informationen in Printmedien zu finden sind oder ob man sie rund um die Erde über das Internet suchen muss. Wenn man beim Lesenlernen Freude hat, geht man weiter und liest mehr, was uns unsere Schüler immer wieder bestätigten.

6. Verhältnis der Bibliotheken zur Erwachsenenbildung

Lifelong Learning

Schon seit den 70er-Jahren spricht man von „Lifelong Learning" oder „Lebenslangem Lernen". Mitte der 90er-Jahre bekam der Begriff jedoch u.a. durch die Proklamationen der EU zu Wachstum und Beschäftigung und zu Ausbildung teilweise eine neue Bedeutung. Hinzu kam 1996 das europäische Jahr für das lebenslange Lernen. In diesem Jahr wurde auch der Bericht von der von UNESCO bestimmten internationalen Kommission für Ausbildung für das 3. Jahrtausend abgegeben. Im Anfangskapitel schrieb der damalige Vorsitzende der Kommission Jaques Delors u.a., dass das lebenslange Lernen dazu dienen solle, den Menschen in seiner gesamten Persönlichkeit zu formen, Wissen, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie kritisches Vermögen und Bereitschaft zum Handeln zu fördern, damit er eine soziale Rolle im Arbeitsleben und überhaupt in der Gemeinschaft spielen kann.

Inzwischen wird überall von Lifelong Learning gesprochen. Manche Politiker glauben hierdurch Arbeitslosigkeit zu verhindern oder zumindest zu verringern, auf jeden Fall soll dem Bürger nahe gelegt werden, dass er mit der vielen Freizeit, die er durch die neue Technologie bekommt, etwas Sinnvolles anfangen und seine Kompetenzen sowie sein Wissen vergrößern sollte. Ungeheure Summen sind investiert worden, um vor allem Schulen mit der neuen Technik auszurüsten. Dass auch Bibliotheken eine Rolle spielen können und sollen, um Menschen, die nicht mehr in die Schule gehen, beim lebenslangen Lernen zu unterstützen und mit Techniken zu helfen, das scheint den Beschlussfassern selten eingefallen zu sein. Durch die verschiedenen Programme, die eingerichtet worden sind, sind jedenfalls in Schweden die Bibliotheken von einer immer größeren Anzahl von Menschen genutzt worden, ohne dass dementsprechende Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Im Gegenteil: Als in Schweden das s. g. „Kunskapslyft" (ungefähr „Wissenshebung") eingeführt wurde, um Menschen, die nur geringe Schulbildung hatten (d. h. Grundschule, Jahrgänge 1-9), zur Schulbank zu locken, damit sie die Hochschulreife erlangen, bekamen die Bibliotheken fast gar keine Zuschüsse, obwohl die allermeisten Schüler in die Bibliotheken kamen, um dort ihr Referenzmaterial zu holen.

Was ist Lifelong Learning und warum scheint dieser Begriff heutzutage neu zu sein? Lifelong Learning hat es schon immer gegeben, nur hat man die Begriffe „Erziehung" und „Unterricht" mit der heranwachsende Generation, also etwa von Geburt bis etwa 15-20 Jahren, verknüpft. Der Mensch lernt aber sehr viel länger, im optimalen Fall von Geburt an bis er stirbt. Der Lernprozess startet also schon lange vor dem formalen Schulgang und endet nicht mit dem Schulabschluss. Und welche Rolle spielen hier die Bibliotheken? Wissenschaftliche Untersuchungen der Kinderbibliotheken in Erziehung und Unterricht sind dünn gesät, obwohl laut Klasson Bibliotheken sowohl eine kulturelle als auch eine pädagogische und eine soziale Rolle im Leben der Kinder spielen. Es müsste erforscht werden, wie groß diese Funktionen sind. Broady beschrieb schon 1981, dass die Lehrpläne der Schulen neben den ausgesprochenen Bedingungen auch unausgesprochene, verborgene, „Pläne" beinhalten, z.B. dass man still sitzen soll, aufmerksam sein soll, darauf warten soll, bis man an der Reihe ist, dass man mit sinnlosen Dingen beschäftigt wird, dass man sich an die hierarchische Ordnung gewöhnen muss usw. Gibt es in den Bibliotheken ähnliche „verborgene" Bestimmungen und Pläne, d. h. was lernt man neben dem Buchausleihen? Wie wird ein Bibliotheksbesucher für die Zukunft geprägt, wenn er/sie sich an Bestimmungen von Stille und Vorsicht, an das Auftreten der Bibliothekare gewöhnen muss? Wie wird seine Einstellung zum Bibliotheksbesuch oder zum erweiterten Lernen und Wissen durch Lesen davon beeinflusst?

Versuch einer nationalen Strategie für Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen

Anfang März 2000 führte eine Gruppe Bibliothekarinnen zusammen mit Lehrern und Schuldirektoren aus der Sphäre der Erwachsenenbildung in der Nähe von Stockholm einen Workshop durch, um eine nationale schwedische Strategie zur Klärung der Rolle der Bibliotheken und einer entsprechenden Förderung auszuarbeiten. Initiatoren des Workshops waren die Gewerkschaften für Bibliothekare (DIK) und für Lehrer und Rektoren (SLF). Unterstützt wurde die Initiative sowohl vom Unterrichts- als auch vom Kulturministerium. Man hatte eingesehen, dass niemandem gedient ist, wenn die Bibliotheken „vergessen„ werden und sowohl die Studierenden als auch Lehrer und Bibliothekspersonal darunter leiden, wenn zwecks Geldmangels nicht genügend Material für die Studien vorhanden ist.

Ein Paper wurde gemeinsam unter Führung von Peter Almerud geschrieben, und soll demnächst sowohl dem Unterrichts- als auch dem Kulturministerium überreicht werden. In diesem Paper wird u. a. Folgendes erklärt:

„Wir befinden uns in einer Übergangszeit…": Diese ist wahrscheinlich mindestens genauso umfassend, wie damals der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Werturteile verändern sich. Alte Lösungen gelten nicht mehr, heute konzentriert man sich auf Globalisierung, die neue Ökonomie und Informationstechnologie. Die Medienlandschaft verändert sich und die Kenntnis, wie man Informationen findet und bearbeitet, wird immer wichtiger. Dieses führt zu starken Spannungen in der Gesellschaft, Spannungen zwischen dem Globalen und dem Lokalen, zwischen dem Universellen und dem Individuellen, zwischen Tradition und Moderne, zwischen geistig und materiell. Der Übergang von lokaler zu globaler Produktion und von der Industrie- zur Informationsgesellschaft hat auch eine andere Seite. Die Produktion wird immer wissensintensiver, die Informationsdichte wird immer größer, und das Wissen und Können veraltet immer schneller. In dieser Situation braucht der einzelne Mensch Mittel, um sich in der sich immer schneller veränderten Welt zu orientieren und um zu verstehen, was eigentlich passiert. Wenn möglich, soll er auch den Lauf der Entwicklung beeinflussen können. Er muss sich selbst entwickeln können und seine Kompetenz sowohl der Gesellschaft als auch dem Arbeitsleben anpassen können

„Neue Arbeitsformen verlangen gute Bibliotheken…": Viel von dem, was in den vergangenen Jahren über Schulbibliotheken geschrieben worden ist, gilt auch für Bibliotheken in der Erwachsenenbildung. Man hat Erfahrungen aus dem s.g. „Kunskapslyft„ gewonnen. Ziel der Aktion war es, den Menschen eine höhere Kompetenz zu geben, damit sie der Arbeitslosigkeit entrinnen sollten. Wie schon oben erwähnt, waren bei dieser Aktion Bibliotheken überhaupt nicht berücksichtigt. Auch die Erfahrungen, die Gymnasialschul- und Volkshochschulbibliothekare gewonnen haben, sollten beachtet werden. Heutzutage wird der Unterricht, besonders von Erwachsenen anders betrieben als früher. Lehrbücher in den Klassenzimmern sind nicht ausreichend, und manchmal hat man weder Klassenzimmer noch Lehrbücher im Unterricht. Wenn die Bibliothek gut mit Printmedien, Zeitschriften, Computern usw. ausgestattet und ans Internet angeschlossen ist, wird sie ein immer wichtigeres Element der Ausbildung. Deshalb sollen Schüler in der Erwachsenenbildung, ungeachtet von Wohn- oder Studienort oder Art des Unterrichts, Zugang zu Bibliotheken haben, die gut mit verschiedenen, den Studien angepassten Medien (print und elektronisch) ausgerüstet sind. Die Schüler müssen auch Anleitung bekommen, wie man eine Bibliothek benutzt sowie Unterricht im Recherchieren und in der Informationssuche im Internet erhalten. Selbstverständlich muss die Bibliothek mit einer genügenden Anzahl von Leseplätzen ausgerüstet sein. Die Bibliothek in der Erwachsenenbildung funktioniert sowohl als Medienzentrum, als Informationszentrum und als Arbeitsplatz. Sie ist sowohl ein integrierter Teil der Ausbildung und deshalb in der Verantwortung des Bildungsträgers, aber gleichzeitig ein Teil des kommunalen Bibliothekswesens und somit ein Glied des nationalen Bibliotheksnetzes. Genauso wie die Mittel, die den Bibliotheken der Universitäten/Fachhochschulen ein wichtiges Kriterium sind, um die Qualität der Universität/Fachhochschule zu beurteilen, genauso sollten sie ein wichtiges Kriterium sein, um die Qualität der übrigen Erwachsenenbildung zu beurteilen.

„Das Bibliotheksgesetz muss revidiert werden…": Obwohl das schwedische Bibliotheksgesetz erst wenige Jahre alt ist, hat man schon jetzt gesehen, dass es unzureichend ist und revidiert und ergänzt werden muss. Die Bibliotheksfunktionen für Erwachsenenbildung müssen hineingeschrieben werden, sowie eine gemeinsame übergreifende Beschreibung für alle Arten der Erwachsenenbildung, die mit staatlichen Mitteln betrieben werden, z.B. Volkshochschulen, komvux (=kommunale Erwachsenenausbildung), AMS (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen), Studienverbände usw. Auch diese sollen in die Bibliotheksfunktion eingegliedert werden.

„Einheitliche Struktur…": Bibliotheksfragen und Fragen der Erwachsenenbildung werden heute von einer ganzen Reihe verschiedener Behörden behandelt. Wir brauchen eine einheitliche Struktur, eine mit koordinierenden und ratgebenden Aufgaben für sowohl Unterrichts- als auch Bibliotheksbedürfnisse. Diese Behörde oder dieser „Erwachsenenbildungsrat„ sollte seine Basis in dem Erwachsenenbildungssystem haben aber auch Repräsentanten des Bibliothekswesens integrieren. Die Schulpläne der Kommunen (laut Gesetz müssen alle Kommunen offizielle, von den Politikern angenommene Schulpläne haben) und die regionalen Entwicklungspläne sollten sowohl die konkrete Erwachsenenbildung und das lebenslange Lernen als auch die Bibliotheksfunktion beachten. Politiker und andere Entscheider sollten geschult werden, wie man eine Bibliothek benutzt und welche Rolle sie in aller Art von Unterricht und Ausbildung spielen kann. Seminare, wo sich Unterrichts-, Kultur- und Freizeitpolitiker mit Angestellten des Unterrichts- und Bibliothekswesen treffen und gemeinsam über Erwachsenenbildung, das lebenslange Lernen und die Rollen, die die Bibliotheken hierbei spielen können, diskutieren, müssen angeordnet werden. Dieser „Rat„ könnte auch eine unterstützende Funktion haben, wenn man z.B. Fragen hat wie: „Woran soll man denken, wenn man neue Gebäude plant?„ – „Wie teilt man am besten die Arbeitsaufgaben auf, wenn die Mittel nicht ausreichen, um jemanden neu anzustellen?„ – „Was soll man bedenken, wenn man einen Vertrag zwischen Schule und Bibliothek schließen will?„ – „Wie schreibt man ein Angebot?„ usw. Es ist auch wichtig, dass sowohl gute als auch schlechte Beispiele vermittelt und beleuchtet werden.

„Zusammenarbeit zwischen Bibliotheken…": Zusammenarbeit ist besonders für kleine Kommunen (über die Hälfte der 288 Kommunen in Schweden haben weniger als 15.000 Einwohner) wichtig. Der Medienbestand einer Kommune, egal ob er in einer Schule, in einer Volksbibliothek, in einer Lehrmittelzentrale oder in einer Universitäts-/Fachhochschulbibliothek steht, soll als ein einziger gemeinsamer Bestand angesehen werden. Mit einem nationalen Gesamtkatalog wird das bald sehr viel einfacher werden, obwohl viele Kommunen schon heute gemeinsame „Kommunalkataloge„ haben. In dem schwedischen Bibliotheksgesetz steht ausdrücklich, dass die verschiedenen Bibliothekstypen zusammenarbeiten sollen. Leider gibt es jedoch noch eine ganze Reihe besonders wissenschaftlicher Bibliotheken, die ihr Material nur ungern der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Eine Initiative, um dieses zu ändern, ist z.B. SYDBIB. Die südschwedischen Universitäts-/Fachhochschulbibliotheken zusammen mit den „Läns„-bibliotheken dieser Region treffen sich, um gemeinsame Policy-Dokumente für Fernleihe, Behandlung der Fernstudenten u. dergl. mehr, auszuarbeiten. Wir werden diesen Sommer damit beginnen, erst einmal die Bedürfnisse von Erwachsenen zu untersuchen.

„Die Bibliothek im Unterricht…": Jede Ausbildung soll einen Arbeitsplan haben, der die Bibliotheksfunktion beinhaltet. Auch gemeinsame Fortbildung für Ausbildungsträger, Lehrer und Bibliothekare ist notwendig. Als Konsequenz der neuen Arbeitsweise im Unterricht muss selbstverständlich jede Ausbildung Zugang zu Bibliothekaren haben, die außerdem pädagogisch geschult sein müssen, um sowohl Lehrern als auch Schülern bei der Informationssuche und beim Strukturieren des Suchens behilflich sein zu können. Also muss der Bibliothekar ein Mitglied der Arbeitsgruppe an der Schule sein, Lehrer und Bibliothekare müssen zusammenarbeiten, gemeinsam planen und deshalb auch mehr über die Rollen der anderen Berufsgruppe lernen. Die Bibliotheksfunktion und die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Bibliothekaren zu entwickeln bedeutet auch eine Weiterentwicklung der Pädagogik im Unterrichtsbereich.

„Offenheit ist wichtig…": Bibliotheken für Erwachsenenbildung sollen, genau wie eigentlich alle Bibliotheken, zentral gelegen sein und sowohl tagsüber als auch abends offen haben. Kompetente Bibliothekare sollen immer zur Stelle sein. Dies ist vielerorts sehr verschieden. Die Bibliothek soll gleichzeitig das IT-Zentrum der Erwachsenenbildung sein. Das bedeutet, dass der ganze Medienbestand inkl. Lehrbüchern als Datei vorliegen muss, dass Computer mit Internetanschluss, Suchmöglichkeiten und Möglichkeiten zum Schreiben sowie CD-ROMs, Computerprogramme und ständig IT-kompetentes Personal vorhanden sind. Der Computer soll als ein pädagogisches Werkzeug gesehen werden.

„Ausbildung von Lehrern und Bibliothekaren…": Wie schon oben erwähnt wird an den Lehrerhochschulen und Universitäten den zukünftigen Lehrern nach wie vor meist nur gezeigt, wie sie selbst ihre eigenen Informationen (meist eigene Kursliteratur) suchen können, aber nicht, wie sie die Bibliothek im Unterricht als Werkzeug einsetzen könnten. Auch an den Universitäten, die Bibliothekare ausbilden (seit 1996 Mag. Phil. in Bibliotheks- und Informationswissenschaft), lernen die angehenden Bibliothekare sehr wenig über die Pädagogik, die für Schulbibliotheken wichtig ist. Lehrer brauchen also mehr Kenntnisse in Informationssuchen und Bibliothekare brauchen mehr Pädagogik und gemeinsam müssen sie darauf aufmerksam gemacht werden, welche Rolle die Bibliothek in der Ausbildung spielt und spielen kann. Die Ausbildungsstätten sollen auch gemeinsame Fortbildungskurse für schon ausgebildete Lehrer und Bibliothekare anordnen, an denen auch Schul- und Bibliotheksdirektoren obligatorisch teilnehmen sollten. In Schweden gibt es den s.g. Digitalen Salon (Den Digitala Salongen, DDS), der einen Webplatz hat für alle diejenigen, die die Schule in eine Richtung entwickeln wollen, in der die Schulbibliothek ihren natürlichen Platz im Unterricht hat. Hier findet man u.a. auch Information über Projekte, Berichte verschiedener Art, Medien, Schulbibliotheken, Lehrerausbildung, Internetlinks und eine elektronische Konferenz über die Bibliothek im Unterricht. Diese Konferenz ist offen für alle (Webadresse: http:// www.dds.se/biu/).

Distance Learning - Fernausbildung

Traditionell wird (laut skandinavischem Wortgebrauch) Fernausbildung damit definiert, dass es ein Lern- und Lehrprozess ist, der zeitlich und räumlich von dem Unterrichtsmoment getrennt ist. Dies kann nach altem Brauch durch Korrespondenzstudien geschehen, wie es schon Anfang des 20. Jahrhunderts in Skandinavien geschah. Studierende konnten mit Lehrern Briefe wechseln, indem sie Aufgaben bekamen, sie lösten und den Lehrern schickten, diese korrigiert und mit Bemerkungen versehen zurück bekamen. Mehrere der schwedischen sozialdemokratischen Minister Anfang und Mitte des vorigen Jahrhunderts hatten hier die einzige Möglichkeit, sich schulmäßig weiterzubilden. Heutzutage geht das natürlich über das Netz wesentlich einfacher, wo das unten genannte DERAL-projekt zeigen soll, wie die Bibliotheken hierbei behilflich sein können.

Distance Learning wird auch manchmal als Flexibel Learning oder sogar Lifelong Learning bezeichnet, was eine Definition etwas verwirrend macht. Vielleicht sollte man unterscheiden, ob man „lernen„ oder „lehren„ meint:

Lifelong Learning/Lebenslanges Lernen = all jenes Lernen, woran man sein Leben lang teilnimmt, egal ob es formell oder informell geschieht,

Flexible Learning/Flexibles Lernen – Flexible Ausbildung = Lernen und Lehren, unabhängig von Zeit und Raum. Ein jeder kann teilnehmen ohne an Zeit oder Raum gebunden zu sein. So sind viele Internetkurse aufgebaut, auch wenn sie mit Hilfe von E-mail interaktiv sind,

Distance Learning/Fernausbildung-Fernkurse = Distributionsform, die Art wie die Kurse angeboten werden und wie sie die Studierenden unterstützen, damit sie das Pensum schaffen.

Hierzu kommen noch folgende Begriffe, die momentan intensiv in Skandinavien diskutiert werden:

Fernausbildungspädagogik: die besondere Pädagogik, die von Lehrer/Tutor (gegebenenfalls einem Bibliothekar) verlangt wird, um den Studierenden durch das Labyrinth der elektronischen Datenbanken zu leiten.

Fernausbildungsmethodik: die besonderen Strategien und Strukturen, die den Ausbilder und den Studierenden unterstützen, um die gewünschten Ziele zu erreichen.

Lehr-/Lernzentrum: der physische Platz, wo der Studierende sich befindet, um an flexibler Ausbildung teilzunehmen. In vielen Ortschaften in Skandinavien baut man heutzutage separate Lernzentren auf, d.h. man rüstet einen Raum auf, versieht ihn mit einer Anzahl von Computern und nennt diesen Platz Lehr-/Lernzentrum, ohne dabei zu beachten, dass Technik alleine noch längst nicht garantiert, dass jemand wirklich etwas lernt. Man braucht sowohl pädagogische als auch technische Hilfe und ergänzendes Referenz- und anderes Material, warum also nicht die schon vorhandenen Bibliotheken nutzen? Siehe auch z.B. NITUS, http://www.nitus.se, die sich zumindest zum Teil in Bibliotheken als Lehr-/Lernzentren niederlassen.

IKT (Informations- und Kommunikationstechnik) – ein relativ neuer Begriff, um sich etwas von dem rein technischen Informationstechnik (IT) zu distanzieren und auf die Möglichkeit der Kommunikation hinzuweisen. Kommunikation ist bei allem Lehren notwendig, egal ob es mündlich oder schriftlich, brieflich oder elektronisch geschieht.

Fast jede Universität und Fachhochschule in Skandinavien bietet heutzutage verschiedene Fernausbildungskurse an; manche direkt am Campus, andere via Internet bis in das entlegendste Dorf im äußersten Norden. Wie wurden hier die Bibliotheken beachtet?

DERAL – Distance Education in Rural Areas via Libraries

DERAL ist ein "Telematics for Libraries" Projekt im 4. Rahmenprogramm der EU. Es gehört zum DG XIII in Luxemburg. Es startete im Mai 1998 und es wird voraussichtlich im Dezember 2000 beendet .

DERAL möchte den Zugang zu Fernkursen im World-Wide-Web eröffnen und möchte Volksbibliotheken dazu ermutigen, zunehmend ihren Teil an der Informationsübertragung sowie an der Wissens- und Bildungsvermittlung für solche Benutzer zu übernehmen, für die die Teilnahme an "normalen" Studiengängen problematisch ist. Damit richtet sich DERAL vor allem an jene Personen, die im ländlichen Gebiet leben oder die arbeitslos sind oder an ältere oder behinderte Personen oder Ausländer, die normale Universitäten, Hochschulen oder andere weiterführende Ausbildungen nicht besuchen können. Besonders für Frauen in abgelegenen Gegenden kann dies eine reelle Chance sein, sich weiterzubilden, denn viele Untersuchungen haben gezeigt, dass gerade Frauen in solchen Gegenden eine durchschnittlich niedrigere Schulbildung haben als Männer. Die EU hat Interesse daran, dass beide Geschlechter die gleichen Bildungs- und Studienmöglichkeiten in der neuen Informationsgesellschaft haben. Bei der Umsetzung dieser Interessen könnten die Öffentlichen Bibliotheken eine sehr aktive Rolle spielen. Das bedeutet aber auch, dass die Bibliothekare für die neue Rolle als Instrukteur oder Ausbilder ausgebildet und dass die Bibliotheken mit unterstützendem Material für die verschiedenen Kurse nebst all der Technik ausgerüstet werden müssen. Welche Art Ausbildung Bibliothekare brauchen werden und wie die Volks- oder Öffentlichen Bibliotheken der Zukunft aussehen müssen, ist auch ein Untersuchungsobjekt des Projekts. Wenn die Volksbibliotheken diese Chance der Informationsgesellschaft nicht wahrnehmen, werden sich sehr schnell andere Interessenten etablieren und ihre Dienste anbieten. Die Volksbibliotheken bieten ihre Dienste kostenlos oder zumindest sehr preiswert an, denn sie sind ja steuersubventioniert, und daher kann es sich jeder Bürger leisten, an solchen Fernkursen teilzunehmen. Ob die anderen Informationsanbieter oder Computerexperten ebenso preiswert sein werden, ist äußerst fraglich. Wenn aber Informationen und Weiterbildung soviel Geld kosten, dass sie sich nicht jeder leisten kann, könnte das den Weg in eine geteilte Gesellschaft bedeuten. Doch wie passt das in eine Gesellschaft, in der wir wollen, dass jeder an dem demokratischen Prozess teilnehmen soll? Was bedeutet das für die Zukunft, wenn nicht alle die Möglichkeit haben, sich gut zu informieren? Das sind Fragen mit der sich die EU z. Zt. sehr beschäftigt.

Für das Bibliothekspersonal sollen also Richtlinien ausgearbeitet, sowie zusätzlich eine Art "Werkzeugset" entwickelt werden, das auf der Internet-Technologie basiert und den Bibliotheken erlaubt, als Vermittler zwischen den Fernkursanbietern und deren Teilnehmern zu agieren. Wenn es möglich ist, wird angestrebt, den Bildungsgrad in ländlichen Gebieten zu verbessern, und im Zuge dessen die Teilnehmer darin zu unterstützen, dass sie in ihren Wohnorten bleiben und dort arbeiten können.

An dem Projekt sind folgende Institutionen beteiligt: Kalmar Läns Bibliotek (Schweden, Koordinator), Büchereiverband Österreichs (Österreich), Ayuntamiento de Huesca, Biblioteca Publica Digital (Spanien), University of Ulster (Nordirland/UK) und Dublin Public Libraries (Republik Irland).

Durch die verschiedenen Projektpartner ist eine gute Mischung von Öffentlichen Bibliotheken für die praktischen Untersuchungen, von Büchereivereinigungen für Bibliothekarausbildungen und von Universitätswissen für das Kursusangebot gesichert. Jedoch sollen nicht nur Universitätskurse angeboten werden, sondern selbstverständlich auch Grundkurse von anderen Kursusanbietern, von denen es in Skandinavien eine ganze Menge gibt. Als Beispiel sollen hier nur folgende genannt werden: einige Gewerkschaften; die sog. Studienverbände, die Kurse von Handarbeiten über Sprachen bis zur Computerschulung anbieten; Volkshochschulen; Vereine für Arbeitslose usw.

Folgende Fragen wollen wir versuchen zu beantworten:

Welche Rollen können die Öffentlichen Bibliotheken und deren Personal bei den neuen technischen Möglichkeiten in der Volksbildung spielen? Welche Zusatzausbildungen braucht das Personal?

Wie benutzt man auch die traditionellen Medien der Bibliothek dabei am besten als Unterstützung?

Was muss man sonst noch bedenken? Z.B. Aussehen der Lokalitäten, Ökonomie, Technik, Copyright usw.

Für die Untersuchungen im Projekt sind eine Anzahl sog. "Workpackages" bestimmt. Das erste Paket beschreibt die jetzige Lage in den fünf Ländern ("State of the Art"). Im zweiten Paket untersuchten wir die Wünsche unserer Besucher durch Benutzerumfragen, die ausgewertet wurden, im dritten Paket wurde ein Katalog der Kurse die heute schon übers Netz angeboten werden zusammengestellt, mit direkten "Links" zu den jeweiligen Kursen. Dieses Gateway liegt nun in englischer Fassung vor und somit ist der Zugang zu den Selbstlernangeboten über Internet gegeben. Die Ergebnisse der Benutzerumfragungen wurden für die Selbstlernangebote auf dieser Webseite herangezogen. Diese Gateway wurde hauptsächlich von der Universität Ulster durchgeführt. Jedes Land musste jedoch im eigenen Land das Netz absuchen, um zu sehen, wo es was gibt, auf welchem Niveau die angebotenen Kurse sind und welchen Schwierigkeitsgrad sie haben. Im 4. Paket zeigen wir einen technischen Prototyp und das 5. Paket ist dann eine Demonstrationsphase, um auszuprobieren, wie das Kursusangebot aussehen kann und wie es in der Bibliothek gehandhabt wird. Damit die Kollegen/Kolleginnen miteinander verschiedene Fragen oder Probleme diskutieren können ist auch eine Diskussionsplattform (Discussion board) eingerichtet worden. Hier können Botschaften an ein allgemeines Forum gerichtet werden oder können durch persönliche E-Mail-Adressen auch „unter vier Augen„ Fragen gestellt werden. Dieses offene Diskussionsforum gibt auch gewöhnlichen Besuchern Gelegenheit, Wünsche und Anregungen an die Bibliotheken im Allgemeinen, oder ihre eigene Bibliothek im Besonderen, zu richten. Copyright, Sicherheits- und Kostenfragen werden im 6. Paket beleuchtet, auch wenn EBLIDA für Copyright zuständig ist. Wenn ein Kursus etwas kostet, und gerade Universitätskurse sind selten gratis, wer bezahlt ihn? Die Gemeinde? Der Arbeitgeber? Der Einzelne? Die Bibliothek? Ein "Training Modul" für Bibliotheksbenutzer und Bibliothekare ist im 7. Workpackage von dem Büchereiverband Österreichs bereitgestellt. Es soll auch in Englisch und Spanisch übersetzt werden, jedoch nicht ins Schwedische, da wir einen ähnlichen Kursus durch DDS schon im Internet haben. Im 8. Paket werden wir versuchen, etwas mehr in die Zukunft zu schauen und wollen Videokonferenzen ausprobieren. Die letzten beiden Workpackages, 9 und 10, gehen durch das ganze Projekt und haben mit Koordination, Projektleitung und Auswertung zu tun.

Ziel des DERAL-Projektes ist es, Nutzen aus der neuen Technologie sowie aus einer der weit verbreitetsten Institutionen in Europa, der Volksbibliotheken, als Informationsvermittler und Instrument der Fernausbildung, in ländlichen Gebieten in Zusammenarbeit mit Universitäten, Fachhochschulen oder anderen Bildungseinrichtungen zu ziehen.

Für die Zukunft vieler ländlicher Gebiete ist es von großer Bedeutung, Menschen in kaum besiedelten Gebieten derartige Möglichkeiten anbieten zu können. Im Zuge dessen wird dieses Projekt zugleich die Bedeutung der Volksbibliotheken und des Bibliothekspersonals in der zukünftigen Informationsgesellschaft betonen (Web-adresse: http://deral.infc.ulst.ac.uk).

7. Zukunft

Skandinavische Bibliotheken und Bibliotheksangestellte stehen oft im Vordergrund, wenn es darum geht, die freie Informationsvermittlung zu stärken und für die Zukunft zu garantieren. So war es die finnische EU-Parlamentarierin und Bibliothekarin, Mirja Ryynänen, die 1998 das „Greenpaper on the Role of Libraries in the Modern World„ aus eigener Initiative für die Europäische Kommission geschrieben hat. Leider ist es noch nicht von der Kommission behandelt und verabschiedet worden. Zu finden ist es unter der Webadresse: http://www.publiclibraries.fi/ publications/report.htm.

Auch nicht verwunderlich, dass gerade die nordischen Länder darauf bedacht sind, dass die strengen Regeln des Urheberrechts und des Copyrights gemildert werden sollen, damit die Bibliotheken weiterhin die Möglichkeit haben, im demokratischen Sinn der Bevölkerung freie Meinungsäußerung und freien Informationszugang zu garantieren.

Informationen haben eine zentrale Bedeutung für die moderne Gesellschaft. Die Fachleute der Informationsvermittlung werden eine immer wichtigere Berufsgruppe. Mit den neuen Ausbildungsgängen für Bibliothekare in Bibliotheks- und Informationswissenschaft werden sie als solche Fachleute ausgebildet. Wir müssen nur weiterhin aufpassen, dass unser Wissen und Können immer auf der Höhe der Zeit bleibt. Das setzt vor allem mehr Fortbildung voraus, damit das Bibliothekspersonal sich möglichst schnell und umfassend die neuen Möglichkeiten aneignen kann. Wir haben die große Chance, unser Profil zu schärfen und unser Können den Kunden und den politisch Verantwortlichen zu zeigen. Obwohl unsere Bibliotheksdienste viel genutzt werden und allgemein ein hohes Ansehen genießen, sind deren Inhalte und Voraussetzungen oft nicht wirklich bekannt. Dies muss geändert werden, sonst werden andere Akteure unsere Aufgaben übernehmen.

Welche Fragen werden wohl in Zukunft im Vordergrund stehen? Es gibt da kleine und größere Probleme die gelöst werden müssen, damit wir weiterhin unsere Dienstleistungen zufriedenstellend ausrichten können. Wir können kaum damit rechnen, dass wir mehr Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, es sei denn für Computer mit noch schnelleren Programmen und zusätzlichen Möglichkeiten. Also müssen wir weiterhin die Organisation derart entwickeln, dass jeder die richtige Sache zum richtigen Zeitpunkt ausführt, und als Leiter/in muss man bedenken, ob das Personal sowohl die richtigen Sachen macht als auch die Sachen richtig macht. Vielleicht sollten einige der Angestellten Arbeitsaufgaben tauschen?

Um effektiver arbeiten zu können sind nationale Gesamtkataloge höchste Priorität. Wenn ein Fernstudent in eine Bibliothek kommt, ist es ihm/ihr egal, ob sich das gesuchte in einer Volks- oder in einer wissenschaftlichen Bibliothek befindet. Die Hauptsache ist, dass er/sie das Gewünschte erhält.

Die ökonomische Situation bringt noch andere Konsequenzen laut Sahlin. Wir müssen untersuchen, wie die Kernaufgaben der Bibliothek aussehen. Rationalisierung und Erhöhung der Produktion können einige der ökonomischen Probleme lösen, aber wir müssen auch unsere Aufgaben genau im Blick haben. Wir können heutzutage neue Informationsdienste anbieten, aber dann müssen wir andere Angebote einstellen. Die Bibliotheken können wirklich nicht alles machen. Mancher Kunde meint, dass „alles in einer guten Bibliothek wichtig ist„, aber wenn das Geld fehlt, ist es notwendig, sich auf die Kernaufgaben zu konzentrieren und Prioritäten zu setzen. Laut Sahlin muss jede Bibliothek selbst ihre Kernaufgaben definieren und bestimmen, er möchte da keine Richtlinien geben ,außer, dass man alle seine Arbeitsschritte analysiert und dann bestimmt, welche Aufgaben zu den Kernaufgaben gehören. An meiner Bibliothek, der Universitätsbibliothek in Växjö, meinen wir, dass die Benutzerausbildung (d. h. die Ausbildung der Forscher und Studenten, damit sie weitgehend ihr eigenes Recherchieren selbständig ausführen können), der Service für die Fernstudenten (weil die Växjöer Universität zum nationalen „Distanskonsortium„ gehört zusammen mit den Universitäten in Lund, Umeå, Uppsala und Linköping, nebst der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm) und das System mit den Kontaktbibliothekaren zu den Institutionen, Kernaufgaben sind. Zum Analysieren sind wir allerdings leider noch nicht gekommen. Vielleicht ist es auch so, dass mir selbst die Aufgabe nahe am Herzen liegt, dass jeder, egal ob Mann oder Frau, reich oder arm, alt oder jung, mit oder ohne Studientradition, nah an oder weit entfernt von einer Ausbildungsinstitution, die Möglichkeit haben soll, an Fernausbildung und lebenslangem Lernen teilnehmen zu können. Und das kann man meiner Ansicht nach nicht, wenn nicht die nächstgelegene Bibliothek gut ausgerüstet ist, d.h. mit ausgebildetem Personal, mit genügend aktuellen Medien und heutzutage auch mit ans Internet angeschlossenen Computern und genügend Platz, um das alles nutzen zu können.

 

Literatur

Almerud, P. Folkbiblioteksmanifestets idéer möter vardagen: modellbiblioteket Ljusdal. In: DIK-forum 25 (1997) H. 12, S. 4-5

Aurén, B., Ginman, M., & Vakkari, P. En jämförande studie av folkbiblioteken i Norden. Förstudie. Åbo, 1991

Biblioteket lyfter kunskapen. Text: Peter Almerud. Herausgeber: DIK-förbundet, 2000

Bibliotekslag. Svensk Författningssamling 1996:1596

Broady, D. Den dolda läroplanen. Stockholm, 1981

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Autorin

Dr. Brigitte Kühne
Högsby-Århult
S-579 93 Grönskåra
Schweden
Tel: +46-481 701 82 (Tel Arbeit: +46-470 708 618),
e-mail: Brigitte.Kuhne@bib.vxu.se

 

CV: Seit 1.10.1999 Leiterin der Universitätsbibliothek in Växjö, 1994-99 Leiterin der Länsbibliothek in Kalmar, zwischendurch (Herbst und Wintersemester 97-98) als „associated professor„ an der Universität in Lund im Bereich Bibliotheks- und Informationswissenschaft, 1986-1994 Leiterin der Schulbibliothekszentrale in Kalmar. Davor mehrere Anstellungen als Bibliotheks- und Kulturleiterin in kleineren Ortschaften. 1993 Doktorarbeit in Pädagogik über die Integration der Schulbibliotheken im Unterricht an den Grundschulen.