KBE - Projekt „Wege zum selbstorganisierten Lernen..."

Projektlaufzeit: 1.5.1997 - 30.4.1999
Projektstandorte: Freiburg, Hamburg, Köln, Magdeburg, Münster
Projektteilnehmende: Fortbildung auf der Bundesebene: 13; Regionalkurse/-seminare: ca. 60
Wiss. Begleitung: Prof. Dr. Jörg Knoll, Lehrstuhl für Erwachsenenpädagogik, Uni Leipzig
Das Projekt wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF)


Ausgangslage und Zielsetzung des Projekts

Lebenslanges und -begleitendes Lernen ist im Zuge von explosionsartiger Wissensakkumulation und raschem globalem Wandel zu einer Strategie geworden, deren Notwendigkeit ausnahmslos alle Lebensbereiche und potentiellen Zielgruppen umfaßt. Einrichtungen der Erwachsenenbildung (EB), die wie die KBE außerhalb des beruflichen Verwertungszusammenhangs tätig sind, haben hier eine besondere Verantwortung: „Planmäßige Bildungsveranstal-tungen sind jetzt weniger zur Wissenserweiterung notwendig, sondern um die Menschen instandzusetzen, die vielen disparaten Informationen, mit denen sie täglich konfrontiert werden, sinnvoll auswählend, interpretierend, wertend und integrierend zu verarbeiten." (Dohmen)

In der wissenschaftlichen Diskussion hat der Paradigmenwechsel vom Vorratslernen zum lebensbegleitenden Lernen zusammen mit der Motivation, Bereitschaft und Kompetenz Erwachsener, ein Leben lang weiterzulernen, selbstorganisiertes Lernen (SoL) in den Vordergrund des Interesses gerückt. Im Projektzusammenhang wird unter SoL gemeinsames inhaltlich und formal selbstgesteuertes Lernen in Gruppen verstanden, die von ModeratorInnen in ihrer Selbstorganisation angeregt und begleitet werden und nicht sich selbst überlassen bleiben. Die Verantwortung für das „ob, was, wann, wie, mit wem und woraufhin" gelernt wird, geht damit in die Verantwortung der (Lern-)Gruppe über. Die Orientierung auf SoL heißt für die EB, sich neuen Konzepten, Methoden und Veranstaltungsformen zuzuwenden sowie die Rolle des Erwachsenenbildners neu zu formulieren. SoL bedarf - wie neuere Forschungsergebnisse zeigen - der institutionellen Motivation, Begleitung, Anleitung und Weiterentwicklung. Für die Institutionen der allgemeinen EB bedeutet dies, daß ihnen hier eine zentrale Rolle zukommt, welche durch das Konzept der Selbstorganisation nicht reduziert, wohl aber verändert wird. Wird zunächst in bestimmten Feldern der Bildungsarbeit die Selbstorganisation zum leitenden Lern-konzept, so setzt dies entsprechende Umsetzungskonzepte für bestimmte Zielgruppen sowie adäquat fortgebildete ModeratorInnen voraus; der Ansatz des SoL fordert von den ErwachsenenbildnerInnen andere - d.h. erweiterte - Fähigkeiten, als sie bei der reinen Vermittlung bestimmter Inhalte notwendig sind.

Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des KBE-Projekts "Wege zum selbstorganisierten Lernen", Konzepte für die Umsetzung des Ansatzes der Selbstorganisation in Erwachsenenbildungsprozessen zu entwickeln und erproben und eine geeignete Infrastruktur für SoL in Gruppen zu schaffen. Damit verknüpft ist die zentrale Aufgabe, ein Konzept zur Fortbildung von KursleiterInnen zu InitiatorInnen und ModeratorInnen von selbstorganisierten Lernprozessen in der allgemeinen EB zu erstellen, auszutesten, zu evaluieren und abschließend zusammen mit Empfehlungen für die Weiterbildung zu verbreiten.

Zielgruppe des Projektes und damit ProjektteilnehmerInnen sind in der EB erfahrene Seminar- sowie KursleiterInnen, die in verschiedenen Fachbereichen tätig sind. Sie werden derzeit im Rahmen des Projektes zu InitiatorInnen und ModeratorInnen des SoL in Gruppen fortgebildet.

Ein Schwerpunkt des Projektes liegt in der Entwicklung und Weiterentwicklung, Auswahl und Zusammenstellung eines das SoL anregenden und unterstützenden Instrumentariums (SoL-fördernde typische Interventionen und Methoden, Lernquellenpool etc.).

Zusätzlich zu einer Projektdokumentation soll zum Abschluß des Projekts eine Arbeitshilfe erstellt werden. Darüber hinaus gehören zwei ganztägige Fachtagungen zum Projektrahmen.

Das Fortbildungsdesign

Das Projekt vollzieht sich in zwei Phasen und in der zweiten Phase auch auf zwei Ebenen:

1. Phase (Bundesebene):

In der ersten Phase werden die Kurs- und SeminarleiterInnen zu ModeratorInnen fortgebildet: Sie lernen die Prinzipien des selbstorganisierten Lernens (SoL) in Theorie und Praxis sowie deren Vermittlung im Sinne von Initiierung und Begleitung von SoL. Die Fortbildung selbst wird nach den Prinzipien des SoL durchgeführt.

2. Phase: Die zweite Phase des Projektes vollzieht sich auf zwei Ebenen:

Regionalebene
Die am Projekt beteiligten Kurs- und SeminarleiterInnen erhalten die Gelegenheit, jeweils in einem 2er-Team das, was sie in Phase 1 der Fortbildung gelernt haben, in ihre eigene „Unterrichtspraxis", d.h. in Kurse bzw. Seminare mit InteressentInnen in ihren jeweiligen Herkunftsinstitutionen umzusetzen. Die angehenden ModeratorInnen stehen dabei vor der Aufgabe, ihre Kurs- bzw. SeminarteilnehmerInnen den Regeln des SoL entsprechend dabei anzuleiten und zu unterstützen, SoL als Lernform (Methode und Haltung) anzuwenden, d.h. den jeweiligen Lernstoff zunehmend selbständig zu erarbeiten und so selbst zu „Experten" des eigenen Lernens zu werden. Die Themen, die mit der Methode des SoL in den örtlichen Kursen erarbeitet werden, stammen hierbei aus verschiedenen Fachbereichen.
Für die Regionalkurse und -seminare, die in der Praxisphase als Test- und Handlungsfeld für die Arbeit der angehenden Moderatoren/innen dienen, werden unterschiedliche Interessentengruppen, Menschen in Umbruchsituationen, bildungsungewohnte Personen aber auch Multiplikatoren u.a., über die örtlichen Bildungsträger angesprochen. Menschen, die in besonderen Umbruchsituationen in ihrem eigenen Leben stehen, zur Teilnahme an den Seminaren zu motivieren, ist ein Aspekt dabei. Eine weitere Aufgabe besteht darin, für bildungsungewohnte oder -ferne Personengruppen Zugänge zum selbstorganisierten Lernen zu schaffen, die diese Menschen in ihrer Lebenssituation und ihrem Alltags-wissen erreichen.

Bundesebene
Während ihres Einsatzes als ModeratorInnen werden die ProjektteilnehmerInnen weiter methodisch-didaktisch begleitet, d.h. fortgebildet. Ihre Erfahrungen, Fragen und Probleme aus ihren regionalen Kursen resp. Seminaren mit der Anwendung der Prinzipien des SoL fließen in drei „Methodenworkshops" ein, in denen diese aufgearbeitet werden („kollegiale Praxisberatung", ggf. unterstützt durch externe Supervision).
Nach Abschluß der ersten Fortbildungsphase und von zwei Methodenworkshops werden derzeit (Phase 2) in den Projektstandorten folgende Kurse bzw. Seminare (Köln II beginnt Anfang August) durchgeführt:

Fortbildungsprinzipien

Zu den Besonderheiten des Fortbildungsprojekts gehört, daß SoL gleichzeitig „Unterrichts-" Gegenstand und Lern- wie auch „Lehr-"form sowie Grundhaltung in der Beziehung zwischen „Lehrenden" und „Lernenden" ist. Dem Ansatz des SoL entsprechend sind die Teilnehmenden von Beginn an weitgehend selbst für die Gestaltung der Fortbildung verantwortlich und wachsen - learning by doing - zunehmend in die Rolle des Moderators bzw. der Moderatorin hinein. Die Fortbildung ist darauf ausgelegt, daß die Teilnehmenden die Prinzipien des SoL sowie deren Vermittlung im Sinne von Initiierung und Begleitung von SoL aus eigener Anschauung, aus eigenem Erleben lernen.

Das Angebot einer vorstrukturierten Fortbildung zum SoL stellt eine Paradoxie in sich dar (Faßnacht), hier zusätzlich verschärft durch u.a. den rahmenbedingten Zeitdruck.

Vor diesem Hintergrund ist es unerläßlich, daß während der gesamten Fortbildung auf der Ebene der Metakommunikation durch ein Höchstmaß an Transparenz (u.a. der Leitungsrolle) zur Milderung dieser Paradoxie beigetragen wird. Weitere grundlegende Prinzipien des SoL sind seitens der (Beg-) Leitung „konstruktive Widerständigkeit" (Faßnacht) - ein Fördern durch Fordern - gepaart mit empathischer Präsenz sowie fehlerfreundlichem Lernen.

Die Fortbildung erhält - zumindest in Teilen - Modellfunktion für die spätere Gestaltung der regionalen Lernprojekte (Transfer).

(Beg-)Leitung der Fortbildung

Die Fortbildung wird durchgängig durch ein Team von zwei Moderatorinnen begleitet - die externe Referentin, A. Behrenberg (Münster), sowie die Projektkoordinatorin, A. Mörchen.

Zu den Hauptaufgaben der institutionellen „Leitung" - hier: der beiden Moderatorinnen - gehören dem SoL-Ansatz entsprechend u.a.

Von der Devise geleitet „to go with the flow of the group", ist ihre Haltung den Teilnehmenden gegenüber gleichzeitig gekennzeichnet durch ein (Grund-) Vertrauen in das Wissen und die Kompetenzen der einzelnen Gruppenmitglieder wie der Gruppe als solcher („Wir sind sicher, daß Ihr selbst dazu in der Lage seid! Traut Euch!")

Einstieg(shilfen) in das selbstorganisierte Lernen in Gruppen

Bei der Form des selbstorganisierten Lernens werden mit dem Einstieg wichtige Weichenstellungen vorgenommen, welche den weiteren Lernprozeß nachhaltig beeinflussen können. Im Vorfeld gilt es abzuwägen, welche Form des Einstiegs (hier:) in die Fortbildung der Gruppe am ehesten und auch nachhaltigsten das notwendige Umschalten von der (Erwartung einer) Fremdsteuerung zur (Bereitschaft und Motivation zur) Selbststeuerung, vom „traditionellen" zum selbstorganisierten Lernen in Gruppen zu ermöglichen verspricht:

Die Gruppe braucht einerseits ein ausreichendes Maß an Sicherheit, damit sie genügend motiviert ist (und bleibt), Neuland zu betreten und vor der institutionellen „Leitung" und den anderen Teilnehmenden freiwerdende Leitungsfunktionen zu übernehmen. Andererseits benötigt sie eine Form der (Beg-)Leitung, welche sich u.a. auszeichnet durch betonte Zurücknahme und die solchermaßen die Teilnehmenden aus ihrer gewohnten Konsumentenrolle herauslockend in die (Eigen-) Verantwortung für die Steuerung des gemeinsamen Lernens nimmt. Hier bedarf es - das zeigt auch die Praxis in den Regionalkursen des Projekts - stets einer wohlüberlegten Dosierung von SoL: Eine stärkere Strukturierung der Einstiegsphase durch z.B. die Einführung des Instrumentes „Tagungsdesign" und/oder die Moderation des ersten Kurstages durch die (Beg-)Leitung kann hier ggf. eine sinnvolle Anpassung an die Möglichkeiten einer bestimmten Gruppe darstellen.

Mit Blick auf die Zusammensetzung der Zielgruppe (Erwartung eines gehobenen fachlichen und methodischen Kompetenzniveaus) und die Kürze der Fortbildung wählte die „Leitung" in der Fortbildung einen „steilen Einstieg" in das selbstorganisierte Lernen:

Nach der Begrüßung der Teilnehmenden und Klärung der äußeren Rahmenbedingungen (Bekanntgabe der Arbeits- und Essenszeiten etc.) stellten sich die Projektkoordinatorin und die externe Referentin den Teilnehmenden vor und erläuterten ihre Rolle in der Fortbildung - und wie sie diese konzeptkonform zu füllen gedachten. Sie verwiesen sodann kurz auf die Lernmöglichkeiten, die das SoL-Konzept in besonderer Weise bietet sowie auf die mitgebrachten Ressourcen (Arbeitsmaterialien und Lernquellenpool). Statt nun in traditioneller Manier mit der Vorstellung der übrigen Beteiligten fortfahren zu lassen, beschränkte sich die (Beg-)Leitung in der Folge auf die Frage: „Was, denken Sie, benötigen Sie, um eine arbeitsfähige Gruppe zu werden?"

An dieser Stelle war die Einstiegsmoderation der „Leitung" in die erste Fortbildungstagung beendet und die (Rollen-) Funktionen, die in traditionellen Bildungssettings mit der Person des Leiters bzw. der Leiterin verknüpft sind, gingen automatisch auf die Gruppe über. Die Teilnehmenden wurden auf diese Weise zu einem sehr frühen Zeitpunkt dazu gebracht, zu realisieren, daß sich diese Fortbildung deutlich von anderen unterscheidet (Verortung von Verantwortung und Kompetenz u.ä.); gleichzeitig erhielten sie durch die (Beg-) Leitungsintervention einen ersten Impuls, sich - unabhängig von der Leitung - in der ihnen fremden Lernumgebung zurechtzufinden und mit der für sie ungewohnten Lernsituation zu arrangieren.

Von Beginn an auf sich selbst gestellt, auf das eigene Wissen, die eigenen Kompetenzen, zeigte sich die Fortbildungsgruppe in der Folgezeit erstaunlich schnell umschalt-, d.h. lernbereit und -fähig. Es gelang der Gruppe schon bald, sich ohne Vorgaben von außen mit Blick auf das gemeinsame Fortbildungsziel ihrer gemeinsamen Interessen zu versichern und daraufhin den eigenen Lernprozeß zu organisieren (selbständige(s) Sammeln und Entscheiden über Lernziele und -inhalte, Festlegen der Lernschritte, Auswahl geeigneter Methoden und Arbeitsformen, Aufstellen von Gruppennormen und Regeln zur Entscheidungsfindung, Auswertung der Arbeitsergebnisse und Reflexion des Lern-/Gruppenprozesses etc.).2

„Vor dem Erfolg kommt der Schweiß": Die Fortbildungsgruppe mußte einige Male die Erfahrung machen, daß der Weg zum SoL auch mit Frust und Verunsicherung „gepflastert" ist; diese Erfahrung ist jedoch dem o.g. Umschaltprozeß immanent, und die Erkenntnis, daß gerade auch Ratlosigkeit, Fehler oder Krisen in der Zusammenarbeit - wenn ihnen denn in der Gruppe der nötige Raum gewidmet wird - fruchtbar gemacht werden und eine Lerngruppe weiterbringen können, dürfte einen nicht unwesentlichen und sie entlastenden Lerngewinn für die Teilnehmenden darstellen.

Erste Erfahrungen und Erkenntnisse

Kommunizierbarkeit des SoL-Konzeptes

Die Beschreibung des SoL-Ansatzes z.B. in einer Ausschreibung - ggf. angereichert mit der Darstellung eines praktischen Beispiels - kann erfahrungsgemäß nur einen ersten, noch sehr abstrakten Eindruck vermitteln - erst die eigene Teilnahme an einem solchen Projekt erlaubt das Sammeln eigener zusätzlich erhellender Erfahrungswerte.

Überwindung anfänglicher Verunsicherung

In der Fortbildung ist ein gewisses Maß an Verunsicherung bezüglich der Frage „Was dürfen wir in unserer Rolle als angehende SoL-Moderatorinnen - und was nicht?" nur natürlich: Die Teilnehmenden befinden sich in der schwierigen Phase des Umbruchs und der Neuorientierung. In dieser heißt es für sie „raus aus den vertrauten Schemata traditioneller Kursleitung" und u.a. über ein zunehmendes Vertrauen in die (Eigen-) Kompetenz ihrer Kursteilnehmenden für sich selbst eine neue Haltung zu gewinnen. Die Erfahrung, daß die Teilnehmenden in den Regionalkursen sehr wohl in der Lage sind, kompetent zu handeln (so man sie nur läßt), vermag hier viele Zweifel auszuräumen. Dies gilt auch bezüglich der Sorge, aufgrund der eigenen inhaltlichen Zurücknahme ggf. für inkompetent gehalten zu werden: Bei entsprechender Prozeßbegleitung wird diese Haltung im Gegenteil oft belohnt durch zunehmendes Selbstvertrauen, wichtige „Aha-Erlebnisse" oder auch „nur" tolle Einfälle seitens der Teilnehmenden.

„Es geht!!" (Feed-back einer Teilnehmerin)

Stolze Berichte über erste SoL-„Highlights" aus den Regionalkursen ermutigen die Beteiligten, den begonnenen Weg weiterzugehen, zunehmend ein Gespür entwickelnd für die notwendige Balance zwischen Struktur und Prozeß.

Statt eines Schlußwortes hier nun das Zitat einer Teilnehmerin: „Es (SoL) ist eine Haltung, in der ich Menschen begegne. Man muß sich eingestehen: Ihr seid es, die hier bestimmen."

Literatur

G. Dohmen, Konzeption und Konsequenzen des Lebenslangen Lernens..,in: B.Nacke/ G. Dohmen, Lebenslanges Lernen, EB-Buch 7, Würzburg 1996, S. 23 ff.
A. Behrenberg/M. Faßnacht, Selbstorgansiation und die Aufforderung zur freiwilligen Selbstverantwortlichkeit.., in: K. Schattenhofer/W. Weigand (Hrsg.), Die Dynamik der Selbststeuerung, Opladen 1998, S. 185 ff.

Annette Mörchen
Projektkoordinatorin und päd. Mitarbeiterin im KBE-Projekt „Wege zum selbstorganisierten Lernen",
KBE-Bundesgeschäftsstelle
Bonn

Stand: 8/98