Klaus Meisel die_logo1a.gif (1181 Byte) Juli 1998


Veränderungen der Arbeitsgesellschaft als Gestaltungsaufgabe für die öffentliche Weiterbildung – Überlegungen aus der DIE-Projektwerkstatt

(Bearbeiteter Mitschnitt eines Referats)

Im letzten Jahr hat das DIE zwei größere Fachtagungen zum Thema "Zukunft der Arbeit" durchgeführt. Ein Kolloquium (gemeinsam mit der Heinrich Böll Stiftung) zum Thema "Schöne Fassaden – schwache Fassaden – Zu den Widersprüchen in der beruflichen Bildung" und ein weitere Tagung mit dem einprägsamen Titel "Berufliche Bildung ohne Berufliche Zukunft". Für nicht wenige waren die Titel doch allzu provokativ, weshalb die Tagungen wohl auch sofort ausgebucht waren. Zu lange hat sich die außerbetriebliche berufliche Weiterbildung mit Ihrer Lebenslüge "Mehr Qualifikation sichert die berufliche Weiterbildung oder die Reintegration in die Arbeitswelt" abgefunden. Die "Erfolkshochschule" – so hieß es einmal in einer VHS-Imagekampagne – "sichert Ihren berufliche Aufstieg". Nun ist es natürlich auch nicht so, daß das Gegenteil der Fall wäre.

Ich werde nun nicht die unterschiedlichen theoretischen Begründungszusammenhänge für die wahrnehmbare Problemsitutation wie z. B. die Globalisierung, Technikentwicklung, Strukturwandel und die dominierenden betriebswirtschaftlichen Konzepte, strukturelle Arbeitslosigkeit erläutern. Darauf hinweisen möchte ich aber, daß wir es , wenn wir uns mit der Veränderung der Arbeit beschäftigen, im Kern mit einer – in mehrfacher Hinsicht – paradoxen Situation zu tun haben. Etwas überspitzt ausgedrückt:

"Geht der Gesellschaft die Arbeit aus?" – fragen sich die einen, währenddem die anderen auf die konjunkturelle Entwicklung verweisen und hoffnungsvoll auf die Arbeitsmärkte in den Vereinigten Staaten, Großbritannien oder Neuseeland verweisen. Nein – natürlich geht unserer Gesellschaft nicht die Arbeit aus. Den Menschen scheint aber zunehmend die Vernunft auszugehen, die Realität der Veränderung von Arbeit und die Konsequenzen für die Gesellschaft, sowie das demokratische und soziale Zusammenleben nüchtern zu analysieren, innovative Lösungsmöglichkeiten jenseits ideologischen Engdenkens zu suchen und zu erproben.

Aber: auch hier warne ich sogleich vor einer weiteren Lebenslüge in der Weiterbildung, die jeden gesellschaftlichen Mißstand in erster Linie zu einem Bildungsproblem umdefiniert und nicht selten unter eigenem professionellen Interesse vorgibt, die arbeitsmarktpolitischen Problem schlechthin mit Bildung lösen zu können. Wenn man sich auch oft über den scheinbar professionsbedingten Minderwertigkeitskomplex der Erwachsenenbildner wundern kann, an dieser Stelle käme der Glaubwürdigkeit der Weiterbildung ein klein wenig mehr Understatement zugute. Sie vermag aber wichtige Beiträge zu leisten, sie kann in der Region, in der Kommune einen entscheidenden Entwicklungsfaktor darstellen.

Daß es sich bei den von mir hier vorgetragenen Gedanken nicht um gänzlich neue handelt, läßt sich auch anhand einer Reihe von Projekten, die wir mit Ihnen bzw. anderen VHS gemeinsam in den letzten Jahren durchführten und durchführen, belegen. Da heute allerortens von der zunehmenden Bedeutung des selbstgesteuerten Lernens die Rede ist, verweise ich beispielsweise auf ein 1982 am Institut begonnenen Projekt mit dem Titel "Subjektbezogenes Lernen und Arbeiten". Hinter diesem Projekttitel stand ein einfacher Gedanke. Wenn wir immer weniger über die zukünftigen Qualifikationsanforderungen seitens der Wirtschaft und seitens der Betriebe wissen, dann sollte als Ausgangspunkt von Qualifizierung und Kompetenzentwicklung das subjektive Interesse der Menschen stehen. Im Rahmen der Projektarbeit waren Teilnehmer/Innen an verschiedenen Orten aufgefordert Ihre "Lebensprojekte" zu formulieren, quasi alternative Arbeitsprojekte. Einige der diskutierten und geplanten Projekte endeten in sogenannten Alternativbetrieben. Nachträgliche Wirkungsforschungen kamen dann zu dem Ergebnis, daß es für die Macher solcher Projekte auch unproblematische Möglichkeiten zum Übergang in den ersten Arbeitsmarkt gab.

In den Frauenprojekten Mitte der siebziger Jahre wurden eine Reihe von neuen Ansätzen ausprobiert. Sie erinnern sich wahrscheinlich an die Konzeptentwicklung der sog. "Rückkehr-Lehrgänge nach der Familienpause". Problemorientierte EDV-Anwendungs-Lernkonzepte wurden entwickelt. Lehrgänge wurden in Modulen strukturiert, um besser vorhandene Kompetenzen berücksichtigen zu können. Und: Fachliche Qualifizierung wurde verknüpft mit personaler Bildung.

In der Erklärung zur beruflichen Weiterbildung des DVV von 1986 wurde vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen nicht nur der besondere Stellenwert der beruflichen Bildung für die VHS betont, sondern der Anspruch formuliert, daß die Veränderung von Arbeit und Beruf zu einem übergreifenden Thema in der Erwachsenenbildung zu machen ist.

Das Praxisfeld differenzierte sich indessen sehr pragmatisch aus: einerseits wurden differenzierte EDV-Anwendungs-Kurssysteme entwickelt, andererseits wurde Bildungsarbeit mit Arbeitslosen in institutionelle Hilfskonstruktionen ausgelagert. Gleichwohl gab es immer wieder spannende Experimentier- und Entwicklungsarbeit an VHS.

Das DIE entwickelte in Zusammenarbeit mit einer Reihe von Trägern, darunter natürlich auch Volkshochschulen neue makro- und mikrodidaktische Konzepte für die berufliche Weiterbildung mit benachteiligten Erwachsenen, speziell auch in einem Projekt für ausländische Arbeitnehmer/innen – eines der ersten bundesweiten Projekt, in dem auf die Notwendigkeit von interkulturellem Lernen in der beruflichen Weiterbildung hingewiesen wurde.

Mit der deutschen Einigung wurden kurzfristig die kritischen Reflexionen zur Entwicklung der beruflichen Weiterbildung insbesondere zu beobachtbaren Segmentierungsprozessen (innerbetriebliche Anpassungsqualifizierung mit "harten Qualifizierungsanteilen" einerseits und personenorientierte Ansätze außerbetrieblicher Weiterbildung mit viel Sozialpädagogik andererseits) wegfinanziert. In unserem ersten Begleitprojekt in einer Region in den neuen Bundesländern (Zwickau-Sachsenring) konnten wir schnell die eingeschränkten Wirkungen der traditionellen AFG-Strategien bemerken. Deutlich wurde, das ein Ausrichten der beruflichen Weiterbildung an bundesweit geltenden Rahmenvorgaben nicht mehr in jeder Region griffen. Je mehr über die Globalisierung und deren Folgen nachgedacht wurde, desto mehr war ein Bedeutungszuwachs der regionalen Handlungsebene zu verzeichnen. Die "Euro-Strukturprogramme" eröffneten darüber hinaus neue und zusätzliche Angebotsformen. In den neuen Ländern wurde eine große Hoffnung auf die sog. Beschäftigungsgesellschaften gelegt, in denen Beschäftigung und Qualifizierung verknüpft wurde. An integrierte Weiterbildungsangebote wird die Anforderung formuliert, Brücken zum ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Vor dem Hintergrund des ungebremsten Glaubens an die Wirksamkeit von Weiterbildung und der Tatsache des hohen Images der beruflichen Weiterbildung wurde in diesen Jahren die programmatische Losung vertreten, Weiterbildung sei ein bedeutender ökonomischer Standortfaktor. Den harten Standortfaktoren (wie z. B. Beschaffungs- und Absatzmärkte, öffentliche Infrastruktur, etc.) wurde der weiche Standortfaktor "Weiterbildung" beigestellt. Es ist nicht zu bestreiten, daß Weiterbildung auch aus betrieblicher Sicht ein immer wichtiger Standortfaktor darstellt. Auch in zahlreichen Kommunen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Vielfalt und Erreichbarkeit von Weiterbildung viel für die kommunale und kulturelle Vitalität bringt. Die zu hohen Erwartungen wurden aber enttäuscht. Der in den Regionen z. T. erheblich ausgebaute zweite Arbeitsmarkt fand keine öffentliche Anerkennung. Gerhard Reutter berichtet an anderer Stelle, daß selbst dort, wo die Beschäftigungsgesellschaften die größten Arbeitgeber darstellen (wie z. B. in Teilen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern), diese nur marginal als Element einer Wirtschafts- und Strukturpolitik wahrgenommen wurde. Die Diskussion um den Standortfaktor hat auch eine gewisse Schieflage erzeugt. Schäffter weist darauf hin, daß die Erwachsenenbildung mit der ökonomisierenden Selbstbeschreibung freiwillig ein Stück pädagogischer Legitimation aufgegeben hat. Mit der ökonomischen Terminologie des Standortfaktors besteht darüber hinaus die Gefahr der verkürzenden Wahrnehmung von Weiterbildung, nämlich ihre Reduktion auf berufliche Qualifizierung. Gleichwohl: In einer Reihe von regionalen und kommunalen Projektorten entwickelten sich unter der Beteiligung unserer Partner ausdifferenzierte, miteinander vernetzte Weiterbildungsansätze, die aus unserer Sicht den Anforderungen, die sich aus der Veränderung der Arbeit und der Berufswelt ergibt, noch am ehesten entsprechen.

Für eine so neu orientierte Weiterbildung – um ein zentrales Ergebnis des noch laufenden DIE-Projekts "REGIO" zu nennen – kann es nicht um die Alternativen gehen, entweder "Instrument der Wirtschaftsförderung im Zentrum einer endogenen Stadt- oder Regionalentwicklung und dann ausschließlich eine Funktion im Rahmen der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik zu übernehmen oder "auf die Stärkung individueller Entfaltungsmöglichkeiten in der Tradition der Bildungs- und Kulturpolitik" abzuzielen. Eine gestaltende kommunale Weiterbildungspolitik hat einen umfassenderen Ansatz.

Berücksichtigung finden die praktischen Erfahrungen aus den arbeitsbezogenen Weiterbildungsprojekten der letzten Jahre, wie sie skizziert wurden:

Der folgende Entwurf geht von einem vernetzten Weiterbildungssystem aus, dessen Angebotsstruktur, sich zwischen den Polen betrieblich-berufliche Weiterbildung und Eigentätigkeit bewegt:

Will man über ein solches Spektrum an arbeitsorientierten Bildungsmaßnahmen ist man auf die Kooperation und Kommunikation im Feld angewiesen. Hier besteht eine wichtige Moderationsfunktion. Auf drei wesentliche Erfahrungen aus Projekten des DIE möchte ich dazu verweisen:

  1. Moderation funktioniert nicht mit Monopolanspruch oder zu hohen Eigeninteressen.
  2. Moderation funktioniert nicht, wenn sie auf die Funktionsträgerebene beschränkt ist und die Fachebene außen vor läßt.
  3. Kooperation im regionalen Netzwerk funktioniert nur eingeschränkt mit Interessenvertretungen, oft aber mit Einrichtungen und Einzelbetrieben
  4. Ein Netzwerk braucht ein Ziel und eine geregelte Kooperationsstruktur, die gepflegt werden muß. Zur Festlegung der Ziele gibt es erprobte Methoden. Gerhild Brüning hat in dem gerade am DIE erschienen Buch zum Thema "Innovative Modelle der beruflichen Weiterbildung" in den auf die Erfahrungen mit dem Konzept der Ideenwerkstatt, die in Österreich in 20jähriger Strukturentwicklungsarbeit gemacht wurden, hingewiesen.

In mehrfacher Hinsicht ist eine Forumsfunktion auszubauen: am berühmten "runden Tisch" sind Innovationsideen zu behandeln, und bürgerschaftliches Engagement zu unterstützen.

Der Beratungs- und Informationsarbeit kommt ein wesentlich höherer Stellenwert zu, als das früher der Fall war. Dabei geht es nicht nur um traditionelle Bildungsberatung sondern zunehmen um Lernberatung, die bei neuen Lernarrangements notwendig wird. Dies gilt auch für die Beratung von Organisationen und Selbsthilfegruppen bei ihren Weiterbildungswünschen.

Die Einrichtungen der Erwachsenenbildung übernehmen in einem solchen Rahmenkonzept auch Agenturfunktionen, in dem sie Lernpartner oder Experten vermittelt.

Zukünftig stärker gefragt wird sicher auch die Einrichtungen als Prüfinstanz. Je mehr Qualifikations- und Kompetenzerwerb außerhalb traditionell und sozial-curricular abgesicherter Lernformen passiert, desto mehr Prüfinteressenten wird es geben.

Übernimmt eine Volkshochschule solche kommunale Gestaltungsaufgaben im Rahmen der Kommunalentwicklung, dann wird sie quasi zum "Kompetenzzentrum in der lernenden Stadt". Sie setzt sich damit selbst einem dynamischen Veränderungsprozeß aus.


Klaus Meisel: Veränderungen der Arbeitsgesellschaft als Gestaltungsaufgabe für die öffentliche Weiterbildung – Überlegungen aus der DIE-Projektwerkstatt. Online im Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-1998/meisel98_01.htm
Dokument aus dem Internet-Service des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid