Dieter Kirchhöfer, Universität Potsdam, Mai 1999


Regionale Lernkulturen als Entwicklungsressource

Die Unsicherheiten gegenwärtiger regionaler Bildungsdiskussionen
Die Hoffnung auf die endogenen Potentiale der Regionen
Regionale Lernkulturen
Die Veränderungen von regionalen Lernkulturen – ein neuer Typ regionaler Lernkultur
Regionale Lernkulturen und lernfördernde Strukturen
Literatur

Die Unsicherheiten gegenwärtiger regionaler Bildungsdiskussionen

Regionale Weiterbildungsdiskussion sind auch in der Vergangenheit geführt worden, und doch scheint es, daß sie nicht mehr aus der Sicherheit der 80er Jahre führbar sind, daß ein unmittelbarer Zusammenhang von Qualifikation und Produktivität, von regionalem Qualifikationspotential und Industrieansiedlung, von Investititon in das Humankapital und ökonomischer Verwertung bestünde. Rücksichtsloses ökonomisches Wettbewerbsdenken und ein sich "unaufhaltsam"gebärdender Kältestrom der Globalisierung lassen die neuerlichen Versuche "Region", "Regionalisierung" oder gar "regionale Lernkulturen" als hilflose Versuche erscheinen, in einem "sozialen Niemandsland" dauerhafte Lebensorte zu erzeugen. Wir müssen uns fragen – unabhängig wie die Antwort darauf ausfällt – ob wir nicht einem einer Utopie des 20.Jahrhunderts nachlaufen und ist nicht auch die von mir oft gebrauchte Formel, daß die Regionalisierung nur eine dialektische Entsprechung sei, eine Selbsttäuschung?

Die Diskussionen – wie sie z.B. auf der Bildungskonferenz der Bertelsmannstiftung vor wenigen Tagen in Berlin geführt wurden - geben keine eindeutigen Antworten.

Am Ende der 90er Jahre dürfte sichtbar geworden sein, daß weder eine zentrale staatliche Interventionspolitik noch die Selbstheilungskräfte des Marktes eine gleichmäßige Entwicklung der Regionen gewährleisten werden (Birkhölzer 1994, S.5).

Die Hoffnung auf die endogenen Potentiale der Regionen

In dieser Situation der unsicheren Orientierungen findet ein Konzept durchgängig Anerkennung, das auf die bestmögliche Nutzung und Entwicklung der endogenen Potentiale einer Region mit dem Ziel orientiert, die Regionen als selbsttragende Wirtschafts- und Lebensräume zu gestalten, die innerhalb eines größeren geopolitischen Gebildes ausdifferenzierte arbeitsteilige Funktionen besetzen/wahrnehmen und in einer Vielfalt von sich ergänzenden, verflechtende Arbeits- und Lernfeldern (der Erwerbs-, Bürger-, Eigenarbeit) für alle Bürger ein offenes Lebens- und Identifikationsangebot darstellen.

Es sei nur angedeutet, daß es durchaus auch andere regionale Entwicklungsmodelle gibt, wie z.B. die Vorstellung von einer autarken Region, die in lokalen oder regionalen Ökonomien alle wesentlichen Reproduktionsprozesse selbst leistet und naturalwirtschaftlich organisierte Austausch- und Zirkulationsprozesse organisiert (Birkhölzer 1994) oder von der retartierenden Region, den Regionen in Wartestellung, die auf eine künftige Entwicklungschance warten und ihre Aufgabe daran sehen, sich für künftige Entwicklungen offen zu halten(wie z.B. die Grenzregionen im Osten Deutschlands).

In dem oben angedeuteten Sinne wurden im Rahmen der durch den Veranstalter der Konferenz bewirkten regionalen Entwicklungsarbeit (im Programm Lernen im sozialen Umfeld) Projekte in Modellregionen initiiert, die Arbeits- und Lernfelder gestalten helfen sollten, auf den Aufbau stabiler Strukturen zielten und damit eigenständige Regionalentwicklung befördern sollten.

Dabei gibt es in der Regionalisierungsdebatte Übereinstimmung darüber, daß die Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit einer Region durch die Lernfähigkeit der in ihr wirkenden Akteure bestimmt und diese Lernfähigkeit wesentlich durch Weiterbildung getragen wird. Aber auch diese Diskussionen zur Lernfähigkeit in Regionen – auf individueller, organisationaler oder auch regionaler Ebene(die lernende Region?) - stehen wieder unter dem Druck ökonomischer Standortperspektiven. Die konzeptionellen Vorstellungen und institutionellen Entwürfen (Regionalkonferenzen, Regionalbüros, regionale Arbeitskreise, regionale Lenkungsausschüsse, regionale Entwicklungskonzepte und ihre Fortschreibung) folgen übereinstimmend u.a. solchen ökonomischen Verwertungsorientierungen, die zudem durch die Arbeitsgesetzgebung gestützt werden (Reutter,G. 1995):

Auch dort, wo ein integrativer Gesamtansatz angestrebt wurde, bei dem wirtschaftliche, soziale und kulturelle Maßnahmen verknüpft wurden und Weiterbildung aus der ausschließlich bildungspolitischen Diskussion heraustrat, war eine Reduzierung der Weiterbildung auf Qualifikation unübersehbar.

Wir kehren im weiteren die Frage um: Wir fragen nicht nur, was soll Weiterbildung für die Arbeitsplatzsicherung und eine regionale Ökonomie leisten, sondern welche Leistungen (z.B. Strukturen, Institutionen, Netze) müssen Regionen bringen, damit die Persönlichkeitsentwicklung aller Bewohner – und damit auch ihre Bildung – möglich wird, die zur Voraussetzung ihrer Identitätsfindung und ihres sozialen Eingebundenseins werden kann. Die Bildung der Bewohner ist in einer solchen Konzeption nicht das Mittel, sondern das Ziel regionalen Bemühens, wobei auf einen Bildungsbegriff insistiert wird, der auf den souveränen, entscheidungsbereiten und -fähigen Bürger orientiert.

Regionale Lernkulturen

In der Öffentlichkeit scheint diese Sichtweise gegenwärtig mit der Vorstellung regionaler Lernkulturen eine Entsprechung zu finden. Der Begriff ist in seiner Vagheit schillernd, aber vielleicht gerade deshalb für eine erste Verständigung geeignet. Ich gebrauche ihn im umgangssprachlichen Sinne für einer Gesamtheit der geistigen Aneignungs- und Austauschprozesse einer Gemeinschaft fassen (die Art und Weise, wie die Subjekte einer Region ihr Lernen vollziehen). Lernkulturen sind in diesem Sinne in die Regionen nicht nur hineinzutragen, sondern sie sind vorhanden, sie werden durch Menschen geschaffen und hervorgebracht und sie wirken zugleich als Bedingung für die Individuen. Sie prägen sich in mehr oder weniger gemeinsamen Erfahrungs- und Handlungszusammenhängen in Abhängigkeit von der Arbeitsteilung und Arbeitskultur aus, sie entstehen in den Beziehungen zu den Eigentumsverhältnissen, den Wohn- und Freizeitverhältnissen und der damit verbundenen Eigenarbeit, sie erfassen die Partizipations- (politischen)Kultur und Bürgerarbeit, die Organisationsstrukturen und selbstverständlich die Bildungsverhältnisse (B.-bedürfnisse, -struktur, -institutionen, -niveau).

Sie finden ihren Ausdruck u.a. in

  • der Kommunikation der regionalen Medien mit der regionalen Umwelt (Servicedienste, Marktanzeigen, Arbeitsmarkt, Plattformen)
  • der Kommunikation/Interaktion der Bildungsinstitutionen untereinander und mit den nichtinstitutionellen/privaten Bereichen
  • den Formen der kommunalen formalen Kommunikation (Sprechstunden, Programme, Beratungsdienste, Serviceleistungen der Ämter, Amtsblätter)
  • den Szenen der kulturellen Einrichtungen (Freundeskreise, Besucherringe)
  • der Öffentlichkeit der informellen kulturellen Szene (Treffs)
  • der Intensität und Wirksamkeit der Alltagskultur (Friedhofspflege, Straßenreinigung, Kleingartenanlagen, Balkonschmuck, Vorgärten, Denkmalpflege, Müllanlagen,-entsorgung) – die Art ihrer Verbreitung, Durchsetzung
  • den Regeln der sozialen Kontrolle der Alltagskultur
  • den Ritualen und Formen der konfessionellen Einrichtungen
  • der Ausstrahlung der Vereinslandschaft (die Angebote, die Regelmäßigkeit der Treffs, der soziale Kontext und die daraus resultierenden informellen sozialen Netzen)
  • Sie finden sich in Wertorientierungen, in Mentalitäten und Traditionen (das "Klima"). Regionale Lernkulturen gehen insofern über die Systeme der Bildungsinstitutionen und darin eingeschlossen die der Weiterbildung hinaus. Lernkulturen erzeugen implizite Handlungsordnungen des Lernens, welche die Wirksamkeit von Bildungsinstitutionen und die Intensität von indiviuellen Lenprozessen überhaupt erst ermöglichen. Die Lernkultur eröffnet dem Individuum die Lernchancen und der individuellen Biographie die Möglichkeit, Identität zu erwerben oder zu behaupten. Sie sind der kulturelle Kontext erfahrbaren Zusammenlebens, in welchem sich die Identität entwickeln kann.

    Bildungsarbeit einer Region kann an diesen objektiv vorhandenen Lernkulturen nicht vorbei, sie trifft auf Erwartungshaltungen, auf Ansprüche, auf Aversionen, die in einer solchen Lernkultur wachsen und sie hat auch die Chance, eine solche Lernkultur langfristig zu beeinflussen.

    Die Nordberliner Region (Hennigsdorf-Velten) – hat z.B. seit Beginn d.Jh. eine traditionelle industrielle Lernkultur (der AEG) entwickelt und über die Wende hinaus bewahrt. Diese Lernkultur ist durch solche Elemente charakterisiert wie ein

    In der Folge ist eine Lernkultur entstanden, die auf enge betriebsgebundene Qualifikationsbedürfnisse orientiert, technisch –instrumentell ausgerichtet ist und daraus auch die Bewertungskriterien von Bildung entnimmt, in diesem Bereich initiativreich agiert, organisierte und gemeinschaftlich vollzogene Bildungsaktivitäten bevorzugt und ein allgemeineren Bildungsverständnis zurückhaltend gegenübersteht.

    Die Veränderungen von regionalen Lernkulturen – ein neuer Typ regionaler Lernkultur

    In den von uns analysierten ostdeutschen Regionalprojekten fanden sich in den letzten Jahren die bekannten Veränderungen der institutionellen Strukturenregionaler Lernkulturen:

    Die Veränderung der Bedingungen ging mit der qualitativen Veränderung der Anforderungen an das Lernen der Akteure einher:

    Diese Anforderungen bedingten eine intellektuelle Kultur in den Regionen, die weit über eine administrative Ausführungsintelligenz hinausging. In einem längeren zählebigen Prozeß – Lernkulturen weisen ein bestimmtes Beharrungsvermögen auf - scheint sich ein neuer Typus regionaler Lernkulturen auszuprägen, der durch folgende Merkmale charakterisiert sein könnte:

    1. die Lernprozesse orientieren sich in zunehmenden Maße auf Bildung und Bildungsfähigkeit der Akteure (stabile und zugleich dynamische Handlungsfähigkeit der Individuen), die sich von einer unmittelbar gegebenen ökonomischen Qualifikationsüberlegung lösen/lösen müssen
    2. es dominieren im Kompetenzerwerb informelle Lernprozesse, die durch die Individuen weitgehend selbstbestimmt und selbstinitiiert ausgelöst werden, bewußt vollzogen, aber nicht mehr institutionell geführt werden;
    3. damit verbunden ergänzen sich die existierenden Lehr- und Vermittlungsprozesse bzw. -formen durch selbstorganisierte Lernprozesse und verändern die Formen des Lehrens
    4. das Lernen in den Regionen löst sich aus der alleinigen Repräsentanz durch (Weiterbildungas)Bildungspolitik – die Politikfelder entgrenzen sich unter der Perspektive des regionalen Lernens
    5. die regionalen Lernkultur als Teil der gegenwärtigen und künftigen Gestaltung der Region ordnen sich in überregionale Entwicklungskonzepte und Qualitätssicherungsstandards ein.

    Regionale Lernkulturen und lernfördernde Strukturen

    Im folgenden sollen die Veränderungen in den regionalen Lernkulturen unter zwei Perspektiven reflektiert werden, die sich auch an den Inhalten der Arbeitsgruppen orientieren und in denen möglicherweise Eckpunkte eines neuen strategischen Weiterbildungskonzeptes angelegt sind, das sich der Alternative von staatlicher Trägerschaft versus Markt entzieht:

    1. Die Lernkulturen erfahren aus der Entwicklung und Aufwertung von Lernfeldern außerhalb der Erwerbstätigkeit eine Bereicherung und Umstrukturierung (das Projekt Lernen i.s.U.):

    Beschluss des Europäischen Rates über die Beobachtung des Zugangs zu beruflicher Weiterbildung: "Teilnahme an beruflicher Weiterbildung und am Erwerb von Kompetenzen aus allen Ebenen (-K.), einschließlich der nationalen, regionalen, sektoralen und betrieblichen Ebene sowie der Teilnahme von besonderen Zielgruppen":

    Club of Rome:Die Weiterbildungsangebote während der Erwerbsphase sind auszuweiten, da die immer schnellerem Technologiezyklenm eine konstante lebensbegleitende Bildung notwendig machen. Allerdings spielt sich dies nicht nur auf einer betrieblichen Ebene, sondern und insbesondere auf einer außerbetrieblichen Ebene (-K.) ab, weshalb vorhandene Bildungseinrichtungen auf ihre Funktionalität hin in diesen Bereichen zu überprüfen und gegebenfalls anzupassen sind."

    Eine solche Erweiterung und Bereicherung der Lernkulturen aus den Lernfeldern außerhalb des betrieblichen Lernens erwächst aus der Tatsache

    1. daß regionale Lernkulturen aus den Arbeitskulturen sowohl der betrieblich-beruflichen Arbeit wie auch aus den Arbeitstätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit resultieren. Lernkulturen integrieren Arbeitskulturen verschiedener Art und erfahren gerade aus dieser Verflechtung in der Triade Erwerbsarbeit – Bürgerarbeit - Eigenarbeit mögliche Anreicherung.
    2. daß aus den Lernfeldern a.d.Erw.tätigkeit ein Innovationsschub für potentielle oder aktuelle Erwerbstätigkeiten erwächst. Aus ökologischen, sozialen, erzieherischen oder kulturellen Tätigkeiten im sozialen Umfeld gehen vielfach Tätigkeiten in den zweiten und ersten Arbeitsmarkt über und erzeugen eine Dynamik der regionalen Lernkulturen (die Lernkulturen werden lebendiger);
      In die Lernkulturen gehen z.B. Lernprozesse ein, z.B. im Rahmen der Bürgerarbeit, die bisher als Lernprozesse und als Kompetenztransfer ausgeschlossen schienen (Beraten, Trösten, Schlichten). In den Lernkulturen werden aber auch die einzelnen Sektoren der (privaten) Eigenarbeit (z.B. materielle Rekonstruktion, sozialpflegerische Arbeiten, kommunikative Dienstleistungen, Bildungs- und Erziehungsarbeit) öffentlich und werden unter der Sicht ihrer Lernmöglichkeit und –notwendigkeit auf- und umgewertet.
    3. daß aus den Lernfeldern des sozialen Umfeldes vor allem die Kompetenz resultiert, Veränderungen bewußt handelnd bewältigen zu können und dazu eigene Lernprozesse zu organisieren (die Fähigkeit zur Selbstorganisation). Der oft beschworene Kompetenztransfer von einer Tätigkeitssphäre in die andere ist vor allem ein Transfer der Fähigkeit zur Selbstorganisation, die nicht nur als Schlüsselqualifikation, sondern als grundlegende Persönlichkeitsbildung fungiert.

    Es ist aber auch feststellbar, daß

    Daraus ergibt sich z.B. die Situation, daß Individuen, die auf die Arbeitsfelder im sozialen Umfeld verwiesen sind, einerseits keinen Zugang mehr zur organisierten Weiterbildung haben, andererseits sie ihre tatsächlich vollzogene Weiterbildung nicht gefördert und/oder anerkannt erhalten. Dahinter verbirgt sich das Dilemma, daß das Lernen außerhalb der Erwerbsarbeit gerade dort neu bewertet werden soll, wo jene weitgehend abhanden gekommen ist. Arbeiten und Lernen in Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit erwachsen nicht aus Sinnstiftung, Identitätsfindung und Individualitätsentfaltung heraus, sondern aus materieller Not. Die Bewohner der abgewerteten Regionen lernen um eines sehr unmittelbaren Zweckes willen, der gegebenfalls nur darin bestehen kann, die Zeit bis zur Rente zu verkürzen. Der Bildungsinahlt wird unter dieser Sicht zweitrangig. Insofern könnte sich in manchen ostdeutschen Regionen die ursprüngliche Absicht des Projektes "Lernen im sozialen Umfeld" umkehren: Nicht ein neuer kompetenzträchtiger Arbeits- und Lerntyp wird gefördert, sondern eine alte Arbeitsvorstellung wird rudimentär konserviert und die Hoffnung genährt, daß sich die alte Form der andauernden Erwerbstätigkeit – und sei es nur auf einem geringeren Kompetenzniveau - wieder einstellt. Es könnte sein, daß sich der Weg – so notwendig und zweckmäßig er jetzt zu sein scheint - aus der Erwerbs(arbeits)losigkeit in eine neue Form der Arbeit (Bürger- oder Eigenarbeit, freiwillige oder ehrenamtliche Arbeit – wie auch die Bezeichnungen sein mögen) schwerer gestaltet als der Weg von der Erwerbsarbeit zu anderen Formen der Arbeit (Priller,Zimmer,Anheier).

    2. Die Lernkulturen erfahren aus der Tatsache der Vernetzung der verschiedenen individuellen und kollektiven Akteure (Individuen, Organisationen, Institutionen, Betriebe und Administration) einen Zuwachs an Lernressourcen:

    Regionale Lernkulturen sind insofern vor allem durch ihre Netzstrukturen charakterisierbar und schließen sowohl formelle wie auch informelle, organisationale und informationelle Strukturen ein: Ihre Effizienz erfahren sie vor allem aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Lernprozesse und –formen. Dabei scheint viel dafür zu sprechen, daß der Netzwerkgedanke viel weiter als ein Organisationsprinzip greift und auf ein verändertes strategisches Weiterbildungskonzept verweist. Könnte mit den Netzwerken nicht der Gedanke intermediärer Organisationen gefaßt werden, die in Aktions/Arbeits- und Lernfeldern agieren , in denen weder dezentrale Unternehmerentscheidungen noch hierarchisch gesteuerte staatliche Vorgaben erfolgreich sein können. Ist es nicht naheliegend, daß sich durch Netzwerke im vorstaatlichen Raum Formen öffentlicher Entscheidungsfindung und Planung installieren, welche die Diskussion unterschiedlicher Interessen zulassen, und in denen wenigstens im regionalen Rahmen gemeinsam Prioritäten definiert werden, die dann auch gemeinsam trotz Interessendivergenzen durchgesetzt werden. Staatliche und private Handlungsformen könnten in einer neuen Art von konstruktiver tätiger und zugleich kritischer Öffentlichkeit – demokratischer Kultur - zusammenfließen. Weiterbildung im Sinne vernetzter Bildungs- und Lernangebote (Herzog: die regionalen Bildungsallianzen?) könnte geradezu ein Beispielfeld für die Grenzen und Leistung einer solchen öffentlichen Netzwerksteuerung darstellen (vgl. Faulstich 1998).

    Enthält nicht der Netzwerkgedanke auch den Wunsch und das Streben nach sozialem Eingebundensein., nach stabilen sozialen Beziehungen, die neben Wettbewerb auch Solidarität einschließen? Wird nicht möglichweise über die Region und die regionalen Netzwerke der Gedanke der Gemeinschaft und der Verantwortung in und für die Gemeinschaft wieder möglich und bedeutsam, die auch die Arbeitslosen einschließt? Ich lasse dabei nicht außer acht, daß viele der Netzwerke aus der existentiellen Not der Betroffenen entstehen und sich mit der Lösung ihrer Probleme auch die Bindungen wieder auflösen?

    Eine solche weite Auffassung des Inhaltes regionaler Netze schließt ein:

    1. Die Einbeziehung aller Entscheidungsträger der Region, eine solche öffentliche Sphäre muß Interessen und Macht verbinden. Als strategisch bedeutsame sektorale Elemente solcher Netze werden von Akteuren in den regionalen Modellprojekten angegeben: (Wer soll in solche Netze einbezogen werden?- nach Rangplätzen geordnet)

    mit größerem Abstand

    Auf die Frage nach den gewünschten Qualitäts- und Effizienzmerkmalen von Netzen werden – wiederum in der Rangfolge – genannt (Was versprechen Sie sich von solchen Netzen?)

    2. Die Vernetzungen – um zu funktionieren – müssen für neue Partner offen sein, einen Wechsel der Partner zulassen und alle Hierarchisierungen vermeiden ; wobei die vielfachen neuen Institutionalisierungsformen in den Netzen (Bürgerbüros, Bürgerämter, Serviceeinrichtungen, Kontaktstellen, Runde Tische) auch Legitimierungs- und Begründungszwänge und eine Tendenz zur Verselbständigung der Netzwerke erzeugen, die einer Lernförderung sogar entgegensteht.

    3. Die regionalen Netzwerke müssen über die Regionen auch hinausreichen und sich überegionale Netze einbinden bzw. selbst welche schaffen.

    4. Die Partizipation der Akteure nicht nur an den umsetzenden Aktionen, sondern an den Ideenfindungen. Was nützt eine Leitidee einer Region, z.B. im Rahmen lokaler Agendien z.N. eine "beschäftigungssichernde Region, eine gesunde Stadt, ein lebensfähiger Stadtteil), wenn sie nicht wahrgenommen wird oder nur als vorgegeben erlebt wird.

    5. Die Berücksichtigung informeller Netze in den Regionen und informeller Momente in den Netzen selbst. Es ist unübersehbar, daß das Miteinanderkönnen und das Charisma/die Kompetenz der Führungskräfte/Bezugspersonen für die Effizienz von Netze unverzichtbar sind. Insofern zeigten alle Erfahrungen, daß allein die formale Vernetzung noch keine lernfördernde Struktur darstellt.

    6. Trotz ausgeprägtem Emanzipations- und Subsidaritätsdenkens scheint die Herausbildung der regionalen Lernkulturen auf ein zentrales regionales Bildungsmanagment nicht verzichten zu können, das auch verläßliche Entscheidungsstrukturen beinhaltet und die Durchführung einmal getroffener Entscheidungen gewährleistet. Regionalberater, regionale Servicedienste, Regionalausschüsse und -konferenzen geraten gelegentlich in die Gefahr, sich auf eine unverbindliche Kommunikation zu beschränken und das Zusammenkommen schon als Erfolg zu werten. In den verschiedenen regionalen Entwicklungsmodellen von LisU –in Anlehnung an die "Councils of Voluntary Services" - werden gegenwärtig z.B. regionale Agenturen favorisiert, die zum einen zwischen denen vermitteln, die Arbeit anbieten und denen die Arbeit benötigen(aber nicht bezahlen können),(vergleichsweise die Schweizer Benewohl-Modelle oder der Akademische Hilfsdienst deutscher Färbung). Zum anderen gehen die Agenturen aber über die Vermittlung hinaus:

    Es bleibt eine Vielzahl von Fragen:

    Literatur

    Birkhölzer, K. (1994): Local Works for Local Needs – Strategien ökonomnischer Selbsthilfe in Krisenregionen. In: Lokale Ökonomie. Beschäftigungs- und Strukturpolitik in Krisenregionen. Ein internationales Symposium. Berliner Debatte

    Faulstich, P. (1998): Netzwerke zur Kompetenzentwicklung. In:Beruflicheund politische Bildung. Keine Synthese, aber Kompetenzentwicklung. Werkstattbericht 16. Haus Neuland. Bielefeld S. 23-38

    Franzky, G./Wölfing, S. (1997): Lernförderliche Strukturen und gesellschaftliches Engagement in einer ländlichen Region. In: Quem – report. Heft 51, S. 9-53

    Maretzke, St./Irmen, E. (1999): Die ostdeutschen Regionen im Wandel. In: Aus Politik und Zeitgeschichte.Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. B5/99 S. 3-14

    Priller, E./Zimmer, A./Anheier, H. (1999): Der Dritte Sektor in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. B9/99

    Reutter, G. (1995): Marktorientierung – Regionalorientierung. In: Nuissl, E.(Hrsg.): Standortfaktor Weiterbildung. Klinhardt. Bad Heilbrunn. S. 182-194

    Reutter, G. (1998): Berufliche Weiterbildung im Umbruch – was begründet die neuen Anforderungen an das Lehrpersonal? In: Klein, R./Reutter, G.(Hrsg.): Lehren ohne Zukunft? Baltmannsweiler. S.18-38


    Dieter Kirchhöfer: Regionale Lernkulturen als Entwicklungsressource. Online im Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-1999/kirchhoefer99_01.htm
    Dokument aus dem Internet-Service des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid