Rosemarie Klein die_logo1a.gif (1181 Byte) , Sibylle Peters, Sandra Dengler, März 2000


Thesenpapier zur bildungs- und medienpolitischen Diskussion der Thematik des selbstgesteuerten/selbstorganisierten Lernens

Vorbemerkung

Bei diesem Text handelt es sich um die inhaltlich erweiterte Fassung der Studie "Unterstützung selbstgesteuerten Lernens in der Weiterbildung durch neue Medien", die das Büro für berufliche Bildungsplanung (Rosemarie Klein & Partner) im Auftrag des Landesinstituts für Schule und Weiterbildung, Soest, durchgeführt hat. Die Umsetzung der mit der Studie einhergehenden Arbeiten oblag dem Institut für Berufs- und Betriebspädagogik an der Otto von Guericke-Universität zu Magdeburg (Prof. Dr. Sibylle Peters/Sandra Dengler).

1. Einführung

Zur Aufarbeitung der bildungs- und medienpolitischen Diskussion des Themas "Unterstützung selbstgesteuerten Lernens in der Weiterbildung durch neue Medien" werden insbesondere die Ergebnisse des Gutachtens "Das lebenslange Lernen" und "Tagungsberichte selbst gesteuertes lebenslanges Lernen" der Konzentrierten Aktion Weiterbildung des Gustav-Stresemann-Instituts, der Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung "Zur Zukunft der Weiterbildung in Europa", Ergebnisse der Bundestagsenquete-Kommission zur "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft", die Dokumentation "Bausteine für einen Masterplan für Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie die große Anfrage der SPD in NRW zum Thema "Nordrhein-Westfalen in der Informationsgesellschaft. Perspektiven, Gestaltung und Herausforderungen von Multimedia" berücksichtigt.

Allen oben genannten Berichten zum Thema ist ein zentraler Aspekt gemein: Beim Strukturwandel in Richtung Informationsgesellschaft ist in Deutschland bisher noch ein großes Entwicklungsdefizit festzustellen, obwohl doch hinreichend bekannt ist, daß die Bedeutung der Informationsverarbeitung in Produktion, Dienstleistung, Politik und Verwaltung in naher und fernerer Zukunft weiter zunehmen wird. Zur Nutzung der Chancen und Potentiale und zur Bewältigung der Risiken, die die Informationsgesellschaft birgt, sind weitreichende und grundlegende Maßnahmen von Bund und Ländern kurzfristig erforderlich, um die kulturellen, (bildungs-)politischen, rechtlichen und ökonomischen Bedingungen für die Gestaltung der Informationsgesellschaft zu schaffen.

Der Strukturwandel in Richtung Informationsgesellschaft macht – und dies ist die Kernaussage aller Berichte zum Thema – grundlegende Reformen im Bildungs- und Ausbildungssystem erforderlich. Zwei zentrale Begriffe tauchen in diesem Zusammenhang immer wieder auf: Medienkompetenz und Lebenslanges Lernen. Immer wichtiger wird im Kontext dieser Aspekte auch die Fähigkeit, sich Kenntnisse und Wissen selbstverantwortlich anzueignen. Einig sind sich die Experten auch über die Gefahr, die der Informationsgesellschaft inhärent ist – eine Teilung der Gesellschaft in "information rich and information poor". Zur Senkung dieses Risikos ist es erforderlich, Medienkompetenz als zentrales Bildungsziel zu etablieren, eine neue Bildungspartnerschaft zwischen Staat und Privaten zu entwickeln, eine multimediale Bildungsoffensive inhaltlich zu gestalten und eine Weiterbildungsinfrastruktur für lebenslanges Lernen zu schaffen.

Zur folgenden Diskussion der genannten Schwerpunkte werden die grundlegenden Aussagen der verschiedenen Institutionen zur Thematik der Bildungs- und Medienpolitik thesenartig zusammengefaßt.

2. Medienkompetenz – der Schlüssel zur Informationsgesellschaft

Nicht nur zur zukünftigen Schaffung von Chancengleichheit und Vermeidung von Formen der Ausgrenzung ist die Entwicklung von Medienkompetenz aller Gesellschaftsmitglieder notwendig, sondern ebenfalls zum wirtschaftlichen Wachstum und der Förderung von Beschäftigung, bzw. Erhaltung und Entwicklung von Beschäftigungsfähigkeit ("employability") im Zuge des Übergangs von der Industrie- zur Informationsgesellschaft.

Dem Bildungsbereich kommt dabei eine doppelte Bedeutung zu. Einerseits unterliegt er permanent den allgemeinen Trends von Globalisierung und Differenzierung, auf die mit Strukturreformen reagiert werden muss, welche Flexibilität und Innovation fördern, zum anderen ist die Entwicklung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenz der Menschen der entscheidende Faktor dafür, ob technologisches Wissen, bzw. Daten zu verwertbaren Informationen und Wissen werden. Nur die Verknüpfung von Investitionen in Technik mit Investitionen in das Humankapital ermöglichen in Zukunft wirtschaftliche und gesellschaftliche "Erträge".

In engem Zusammenhang mit der bildungspolitischen Prämisse der Medienkompetenz steht jedoch weitaus mehr – die grundlegende Weiterentwicklung der Bildungsziele und der Lehr- und Lernmethoden. Medienkompetenz als solche bedeutet, Medien zu handhaben, sich in der Medienwelt zurechtzufinden, Medieninhalte aufzunehmen und zu bearbeiten und gestalterisch in den Medienprozess einzugreifen, einschließlich des kritischen Umgangs mit Medien.

Diese Kompetenz ist im privaten wie beruflichen Alltag verbunden mit der Herausbildung von Fähigkeiten, wie die zur Orientierung, zum Selbstmanagement, Kooperations- und Konfliktfähigkeit – kurz soziale Kompetenz.

Die neuen Medien bieten eine Vielzahl von (neuen) Möglichkeiten der Gestaltung von Lehr/Lernprozessen und Gestaltung der Arbeits- und Lebenswelt. Zeitliche, örtliche und inhaltliche Flexibilisierung von Aus- und Weiterbildung einschließlich neuer Lehr/Lernformen und -methoden, zudem auch neue Möglichkeiten der Verknüpfung bisher voneinander getrennter Aus- und Fortbildungsbereiche.

Die Prämissen für die Bildung ändern sich auf dem Weg in die Informationsgesellschaft entscheidend: Weg von institutionalisierter Wissensvermittlung zu Befähigung und zur Öffnung der Aus- und Weiterbildung für institutionsübergreifende Lernformen. Dabei muß Medienkompetenz eingebettet werden in eine umfassendere Lernkompetenz, d.h. das menschliche Lernen muß mit seinen verschiedenen Formen, Lernorten, Medien und Bedeutungen im Zusammenhang erfasst werden.

Die neuen Medien müssen dabei im Gesamtzusammenhang sinnvollen menschlichen Lernens in ganzheitlichen Lernumwelten und sozialen Beziehungen gesehen und genutzt werden, d.h. es muß einen wechselseitigen Beeinflussungsprozess zwischen menschlichem Lernen und den individuellen Erfordernissen und neuen Technologien geben. Ein neues Verständnis des menschlichen Lernens und seiner künftigen Entwicklung ist dabei auch eine Herausforderung für die weitere Entwicklung dieser Technologien.

Neue computerunterstützte Lernmöglichkeiten bieten bei Nutzung in oben beschriebenem Sinne:

Die Entwicklung und Förderung der Kompetenz zum Aufsuchen, Auswählen, Verarbeiten, Werten und Einordnen jeweils relevanter Informationen und der Fähigkeit zur Umsetzung des in der Form erarbeiteten Wissens in wirksames Handeln und verständiges Handeln wird zum entscheidenden Bildungsziel und impliziert gleichzeitig Veränderungen hinsichtlich der Rolle und des Handlungsspektrums der Akteure (Lernende und Lehrende), methodischer und didaktischer Konzepte und persönlichen und gesellschaftlichen Anforderungen an das Bildungssystem. Um die Chancen und Potentiale von mediengestützen und mediengeleiteten Lernformen optimal gesellschaftlich und individuell zu nutzen, muß die Bildung als eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Gestaltungsfelder wieder mehr ins Zentrum der öffentlichen Debatte rücken.

Zur Beseitigung des Defizits Deutschlands auf dem Weg in die Informationsgesellschaft ist auch der Staat stärker gefordert. Er muß eine Weiterbildungsinfrastruktur schaffen, die die Entwicklung von Medienkompetenz fördert. Dazu gehören die Schaffung von Rahmenbedingungen für kostengünstige Anschaffung von Hard- und Software in Bildungsinstitutionen, die Lockerung gesetzlicher Restriktionen, wie beispielsweise die Pflicht zur Versteuerung eines vom Arbeitgeber geschenkten PC`s für Angestellte als geldwerte Leistung.

Die politischen Rahmenbedingungen müssen sicherstellen, daß allen Bürgern der Zugang zu neuen Medien offensteht, Beamte und öffentliche Verwaltungen müssen ans Netz, Datenschutz, Datensicherheit und Verfolgung von Computerkriminalität müssen gewährleistet sein.

Ein bekanntes, bereits in der Umsetzung befindliches Beispiel ist die bundesweite Initiative "Schulen ans Netz", die in erster Linie dazu dient, Kinder und Jugendliche frühzeitig mit den Anforderungen der Informationsgesellschaft vertraut zu machen und entsprechende Kompetenzen zu entwickeln.

3. Das lebenslange Lernen als Rahmen für selbstgesteuertes Lernen mit neuen Medien

Die aktuellen Umstrukturierungen in Wirtschaft, Politik, Technik und Arbeitswelt machen Lebenslanges Lernen lebensnotwendig. Lernen ist eine allgemeine Lebensfunktion. Ihre Bedeutung nimmt in dem Maße zu, in dem Lebens-, Arbeits- und Mediensituationen komplexer, unbeständiger und undurchschaubarer werden. Bisherige Lernformen sind den Anforderungen des Wandels nicht mehr gewachsen. Lebenslanges Lernen wird besonders in der Informationsgesellschaft in Form eines ständigen Informationserschließungs- und Informationsverarbeitungsprozesses relevant. Dieser Prozess muss vom Individuum selbst gesteuert, bestimmt und organisiert werden, um für sein Fortkommen jeweils relevante Informationen selektieren und nutzen zu können.

Dies erfordert zusätzliche kognitive wie soziale Kompetenzen, um den Herausforderungen des Wandels gewachsen zu sein. Es sind Tendenzen, wie

Diese Tendenzen machen erforderlich, daß alle Gesellschaftsmitglieder dazu motiviert und befähigt werden, mehr als bisher aus eigener Initiative, selbstbestimmt und eigenverantwortlich sowie situativ zu lernen, d.h. Ihre Lernprozesse zunehmend nach eigenen Bedürfnissen und Möglichkeiten selbst zu steuern.

Dadurch kommt es zu einem lerngeschichtlichen Paradigmenwechsel, dem die Bildungspolitik und –ökonomie gerecht werden muß.

Es findet eine Akzentverschiebung statt:

Die ideale Lernumwelt für lebenslanges Lernen ist eine moderne Lerngesellschaft, in der vielfältige Lernanregungen, Lernmöglichkeiten und Lernhilfen an den verschiedensten Lernorten synergetisch zusammenwirken.

Neue Medien eröffnen neue Lernformen, die das selbstgesteuerte, lebenslange Lernen erleichtern. Die neuen softwaretechnischen Möglichkeiten könnten es gestatten, dass die Lernenden sich weniger als Objekt der Lehre als vielmehr als Subjekt im Prozess ihres selbstgesteuerten Lernens begreifen können.

Die Entwicklung von neuen Lernangeboten bedarf jedoch des Zusammenspiels von pädagogischen, didaktischen und technischen, sowie bildungspolitischen Komponenten. Schulen, Hochschulen, berufliche Aus- und Weiterbildung müssen bei der Entwicklung einer Weiterbildungsinfrastruktur für lebenslanges Lernen und bei der Nutzung neuer Medien für neue Formen selbstgesteuerten Lernens mit Fördermitteln sowie der Schaffung von dezentralen Strukturen unterstützt werden.

Beispielsweise sollen in Deutschland in Anlehnung an das britische Projekt einer "University for Industry" Bund und Länder kooperativ auf die Gründung einer nationalen Bildungseinrichtung in Form einer "public-private-partnership" hinwirken, die die Aufgabe hat, Erwachsenen am Arbeitsplatz, zu Hause oder in lokalen Bildungszentren Lernmöglichkeiten – insbesondere im Bereich der IuK-Technologien zu eröffnen.

Die Öffnung für neue Lernformen zur Förderung selbstgesteuerten Lernens macht aber auch erforderlich, sich mit den Grenzen und Risiken, die der Paradigmenwechsel birgt, auseinanderzusetzen, bzw. diese transparent zu machen und zu minimieren.

Das Hauptproblem in der Praxis des selbstgesteuerten lebenslangen Lernens, insbesondere mit neuen Medien besteht bezüglich der Zugriffs- bzw. Nutzungsmöglichkeit für alle Mitglieder unserer "lernenden Gesellschaft". Es gilt zu verhindern, daß die Aneignung von Wissen, bzw. selbstgesteuertes Lernen mit neuen Medien allgemein zum Privileg der "Besserverdienenden" wird. Zur Bewältigung dieses Problems ist staatliche Unterstützung ebenso gefordert wie private Initiative. Bereits in den Schulen müssen Möglichkeiten geschaffen werden, neue Lernformen, die das "lebenslange Lernen" lernen fördern, nutzen zu können.

Ein weiteres zentrales Problem, dass sich mit der Öffnung des Bildungssystems für neue Lernformen stellt, ist das des zukünftigen Verhältnisses von Selbststeuerung und Fremdsteuerung, der zukünftigen Rolle der Lehrenden und der Reichweite des Begriffes "Autonomes Lernen".

Von vollständiger Autonomie kann auch beim selbstgesteuerten Lernen mit neuen Medien nicht ausgegangen werden, da Lernen und letztlich Bildung immer im sozialen Kontext entsteht. Es muß also auch innerhalb der neuen Lernformen und –methoden der Kontakt zwischen dem Lernenden und dem Lehrenden gegeben sein, denn auch die neue Qualität des mediengestützten selbstgesteuerten Lernens muß der "alten" pädagogischen Erkenntnis folgen, dass Lernen immer ein sozialer Prozess ist. Bei der Entwicklung neuer pädagogischer Konzepte muß berücksichtigt werden, daß auch der autonom Lernende sozialer Kontakte bedarf. Bisher ist jedoch noch offen, wie die damit verbunden Kosten finanziert werden sollen und stellen damit eine weitere bildungspolitische Herausforderung dar.

Auch die Rolle der Lehrenden unterliegt den Wandlungstendenzen. Ihre pädagogischen Kompetenzen müssen stärker dahingehend ausgebildet und eingesetzt werden, dass ihre Funktion im Bildungsprozess zukünftig mehr die eines Beraters, Moderators, Anregers, Gesprächspartners oder Coachs sein wird. Dieses wiederum erfordert enorme Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrende innerhalb und auch außerhalb von Bildungsinstitutionen.

4. Fazit

Die genannten Thesen zeigen, dass lebenslanges selbstgesteuertes Lernen nicht isoliert gesehen und nicht verabsolutiert werden darf. Vielmehr ist es eine Form der Ergänzung und der Unterstützung, insbesondere in Form der Nutzung neuer Medien. An erster Stelle sollte immer die Befähigung des Menschen stehen, diese neuen Formen sinnvoll zu nutzen und damit der Entwicklung automatisch Vorschub zu leisten.

Der Begriff "selbstgesteuertes Lernen" könnte also einen realistischen Mittelweg zwischen einem völlig autonomen Lernen und einem engen Geführt- und Eingepaßtwerden in vorgegebenen Lernarrangements sein.

Änderungs- und entwicklungsbedürftig sind die Rahmenbedingungen zur Entfaltung und Gestaltung solch neuer Qualität des Lernens und der Bildung und zum Austesten neuer Konzepte mediengestützter Lernarrangements.

Es muss in Zukunft bildungspolitisch darum gehen, eine neue fruchtbare komplementäre Beziehung und Balance zwischen planmäßig organisierten Lehr-Lernsystemen und einem offeneren selbstgesteuerten Lernen, das unmittelbarer auf die akuten Anforderungen der Lebens- und Arbeitswelt und auf die modernen Netzwerke einer sich herausbildenden Lerngesellschaft bezogen ist, zu entwickeln.

 

Kontakt

bbbklein@cityweb.de
bbb Büro für berufliche Bildungsplanung
Penningskamp 12a
44263 Dortmund
fon: 0231-423380
fax: 0231-4271114


Rosemarie Klein, Sibylle Peters, Sandra Dengler: Thesenpapier zur bildungs- und medienpolitischen Diskussion der Thematik des selbst gesteuerten/ selbstorganisierten Lernens. Online im Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2000/klein00_03.htm
Dokument aus dem Internet-Service des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid