Rosemarie Klein die_logo1a.gif (1181 Byte) , Sibylle Peters, Sandra Dengler, März 2000


Aufarbeitung der begrifflich-konzeptionellen Diskussion zum selbstgesteuerten Lernen in der Weiterbildung

Vorbemerkung

Bei diesem Text handelt es sich um die inhaltlich erweiterte Fassung der Studie "Unterstützung selbstgesteuerten Lernens in der Weiterbildung durch neue Medien", die das Büro für berufliche Bildungsplanung (Rosemarie Klein & Partner) im Auftrag des Landesinstituts für Schule und Weiterbildung, Soest, durchgeführt hat. Die Umsetzung der mit der Studie einhergehenden Arbeiten oblag dem Institut für Berufs- und Betriebspädagogik an der Otto von Guericke-Universität zu Magdeburg (Prof. Dr. Sibylle Peters/Sandra Dengler).

1. Fragestellungen

Sechs Leitfragen wurden der Aufarbeitung der begrifflich-konzeptionellen Diskussion zugrunde gelegt:

  1. Zuerst sollte herausgefunden werden, an welche Diskussion die Autoren mit ihrem Konzept des selbstgesteuerten oder selbstorganisierten Lernens anknüpfen, um die Ausgangspunkte der jeweiligen Ausführung festzustellen.
  2. Unterscheiden die Autoren zwischen den Begriffen selbstgesteuertes/selbstorganisiertes/selbstbestimmtes Lernen? Ziel sollte eine begriffliche Klärung der verschiedenen Begriffe sein.
  3. Welche Ziele oder Chancen werden aus verschiedener Perspektive versucht, mit selbstgesteuertem oder selbstorganisiertem Lernen zu erreichen? Die Ziele und Chancen wurden hinsichtlich der Lernenden, der Lehrenden, der Organisationen und der einzelnen Rahmenbedingungen untersucht.
  4. Wie äußern sich die Autoren zu den Anforderungen von selbstgesteuertem oder selbstorganisiertem Lernen an die Organisationen, die Teilnehmer, die Lehrenden und an die Geldgeber?
  5. Zum Begriff und Konzept des selbstgesteuerten oder selbstorganisierten Lernens: Hierbei wurden die Beiträge der Autoren dahingehend untersucht, inwieweit versucht wurde, dieses Konzept didaktisch umzusetzen. Untersuchungsschwerpunkte hierbei waren die Lernenden, die Lehrenden, die Organisationen und die Rahmenbedingungen.
  6. Diskutieren die Autoren das Konzept des selbstgesteuerten oder selbstorganisierten Lernens für bestimmte Zielgruppen? Hier sollte herausgestellt werden, auf welche Zielgruppen selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen insbesondere ausgerichtet ist.

2. Arbeitsverfahren

Zunächst wurde ein Matrixbogen erarbeitet, in dem die sechs eben genannten Leitfragen einzeln aufgeführt wurden. Die Ausarbeitungen der verschiedenen Autoren wurden entsprechend der Leitfragen in die Matrix eingetragen, um die gewünschten Konzeptionen bzw. Positionen authentisch erfassen zu können.

Es sei noch erwähnt, daß die einzelnen Autoren größtenteils an verschiedene Diskussionen anknüpfen. Daher war es nur möglich, die einzelnen Positionen und Konzeptionen der Autoren anhand der sechs genannten Leitfragen zu bearbeiten, um Unübersichtlichkeiten oder gar Verwirrungen zu vermeiden.

3. Ergebnisse

Frage 1: An welche Diskussionen knüpfen die Autoren mit ihrem Konzept des selbstgesteuerten Lernens an?

An folgende Diskussionen knüpfen die Autoren mit ihrem Konzept des selbstgesteuerten oder selbstorganisierten Lernens an:

Frage 2: Unterscheiden die Autoren zwischen den Begriffen selbstgesteuertes/selbstorganisiertes/selbstbestimmtes Lernen?

Zunächst ist anzumerken, daß es oftmals zu Überschneidungen oder Differenzen in der Bestimmung der Begriffe des selbstgesteuerten/ selbstorganisierten/selbstbestimmten Lernens kommt. Trotzdem sind einige prägnante Merkmale in den unterschiedlichen Begriffsbestimmungen zu erkennen.

Lernprozesse werden von Lernern selbst gesteuert (begleitet von Verarbeitungs- und Deutungsprozessen), das Lernen erfolgt durch die Selbstbestimmung des Ortes, der Zeit, der Lernmethoden und -partner. Selbstgesteuertes Lernen findet zwischen Selbst- und Fremdorganisation statt: der Lerner entscheidet sich für fremdorganisierte Lernangebote (vgl. z.B.: Dohmen, Reischmann, Arnold). Das selbstgesteuerte Lernen sei ein intentional gerichteter, zielorientierter aktiver Prozeß, der von der herkömmlichen Lehr-Lern-Situation losgelöst sei, so daß die Lernenden selbständig neue Lernkontexte kreieren können (Ullrich 1997, S.5f). Es geht hier praktisch um ein neues Rollenverständnis der Lernenden und Lehrenden, auf das später noch näher eingegangen wird (vgl.: Frage 4 und 5). Differenzen in der begrifflichen Konzeption sind z.B. bei Dohmen und Mader zu erkennen. Während Dohmen den Begriff des selbstgesteuerten Lernens für umfassender als den des selbstorganisierten Lernens hält, ist es bei Mader der umgekehrte Fall. Dohmen bestimmt den Begriff des selbstorganisierten Lernens folgendermaßen: den Lernenden bleibt bei vorgegebenen Zielen und Inhalten nur die Organisation des Wie [...] überlassenselbstgesteuertes Lernen beziehe sich dagegen auch auf die Entscheidung über Ziele und Themen des eigenen Lernens (Dohmen 1998a, S.66). Mader sieht das selbstgesteuerte Lernen nur als eine Methode an, die, bei vorgegebenen Zielen, zur Lösung von Problemen auf den Wegen zu diesen Zielen beitragen soll, während der Begriff des selbstorganisierten Lernens dahingehend umfassender ist, daß er als Zusammenführen aller für die Lösung eines Problems notwendigen Wissensbestände, Kompetenzen und Materialen verstanden wird (Mader 1997, S. 131).

Wie schon erwähnt, zeigt die Begriffsbestimmung erhebliche Differenzen auf. Bei Dohmen ist der Begriff des selbstorganisierten Lernens nicht so umfassend wie der des selbstgesteuerten Lernens (vgl.: Ausführungen zu selbstgesteuertem Lernen), während Mader die Wertigkeiten der Begriffe genau andersherum bestimmt (vgl.: ebd.). Greif bestimmt den Begriff des selbstorganisierten Lernens allgemeiner und offener als den des selbstbestimmten Lernens. Lernprozesse werden eigenständig strukturiert und geordnet (vgl. hierzu auch Deitering) und der Lerner wählt die Ziele selbst aus. Bei verschiedenen Autoren ließ sich erkennen, daß sie den Begriff des selbstgesteuerten dem des selbstorganisierten Lernens vorziehen (Dohmen, Weber, Reischmann, Ullrich, Arnold, Deitering).

Nur bei einem Autor wird der Begriff des selbstbestimmten Lernens definiert: bei Greif. Der Lernende entscheidet selbstbestimmt, wie und was er lernt. Der Lerner entscheidet z.B. über Lernmittel, -methoden oder -werkzeuge oder über Lernaufgaben und Lernschritte. Allerdings ist die Selbstbestimmung oft eingeschränkt, so z.B. dadurch, daß gewünschte Lernprogramme nicht greifbar oder die Zeit und der Ort nicht wunschgemäß sind.

Frage 3: Welche Ziele/Chancen werden aus verschiedener Perspektive versucht, mit selbstgesteuertem/selbstorganisiertem Lernen zu erreichen?

  • Lernende

Autonomie in der Gestaltung des Bildungsprozesses hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer, Tempo (Weber, Ullrich, Deitering); das Lernen wird losgelöst von herkömmlichen Lehr-Lern-Situationen und damit informell, [...] effektiver und flexibler (Ullrich 1997, S.9). Durch erweiterte, differenziertere und offenere Verhältnisse zur Umwelt dient Lernen zur besseren Verhaltenssicherheit und Orientierung (Dohmen); selbstgesteuertes Lernen birgt Individualisierungschancen (Weber); Lernzielpartizipation und Teilnehmerorientierung sind weitere Chancen (Arnold). Lernkompetenz, soziale Kompetenz, Kommunikations-, Konflikt-, Kritik-, und Problemlösefähigkeit werden gefördert und selbstgesteuertes Lernen führt zu mehr Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen (Deitering).

Lehrende dienen als Ressourcen für die Lernenden und können sich als Moderatoren und Organisatoren von Lernprozessen verstehen, Lehrende sind nach Bedarf verfügbar (Weber).

Durch Marktveränderungen bekommen die Organisationen einen ganzheitlichen Aufgabenzuschnitt, der durch Flexiblität, Produktvielfalt und Qualität gekennzeichnet ist. Mitarbeiter werden als Produktivkräfte verstanden, deren Ressourcen nun verstärkt genutzt werden können und müssen (Arnold).

Vernetzung zwischen planmäßig organisiertem und offenem ad hoc-Lernen und zwischen sozialem und individuellem Lernen findet statt, Austausch und Kooperation mit Partnern, die ähnliche Probleme haben, ist möglich (Dohmen); Spannungsverhältnisse zwischen betrieblichen und gesellschaftlichen Reglementationen und Anforderungen und individuellen Lernbedürfnissen können gelöst werden, Computer ermöglichen z.B. Interaktivität und selbständiges Handeln, soziale Sanktionierungen sind nicht vorhanden (Ullrich).

Frage 4: Welche Anforderungen stellt selbstgesteuertes/selbstorganisiertes Lernen?

Zu den Anforderungen, die selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen stellt, wurden folgende Aussagen gemacht:

Institutionen müssen sich in Richtung offene und flexible Animations- und Dienstleistungszentren weiter entwickeln (Dohmen; Mader), dadurch entstehen offene vielfältige Lernnetzwerke, die verschiedene Lern-Formen, insbesondere die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen fördern (Dohmen; Weber). Institutionen sollen Interaktionen vorbereiten, unterstützen und untersuchen (Reischmann; Ullrich); Bildungsangebote müssen flexibilisiert werden (Ullrich; Greif); für die Vorbereitung von Seminaren muß größerer Aufwand betrieben werden (Wünsche und Probleme der Teilnehmer aufnehmen und verarbeiten) (Greif). O Ein organisationstheoretischer Wandel findet statt: immer wieder neue Abgrenzung des Systems, System ist Teil eines übergeordneten Ganzen, Auseinandersetzung mit relevanten Teilsystemen, Voraussetzungen für Umgang mit komplexen Problemen: ganzheitliches Denken und Handeln (Arnold; systemtheoretische Sichtweise).

Lernende übernehmen selbst Verantwortung für Bildungsprojekte oder -prozesse (Weber; Mader; Ullrich; Greif), dadurch entwickelt sich ein neues Rollenverständnis (Greif); bestimmte Lernmöglichkeiten und bestimmte fremdorganisierte Lernarrangements und -hilfen müssen ausgewählt werden, soziale Kompetenzen wie Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten werden unerläßlich (Dohmen; Ullrich); Lernende müssen lernen, mit sich selbst umgehen zu können (Arnold).

Lehrende müssen sich von Curricula ab- und zu Flexibilität hinwenden (Dohmen); ihr Aufgabenbereich erweitert sich (z.B.: Gestaltung von Lernumgebungen) (Weber); verschiedene Kompetenzen müssen erlangt werden, z.B.: Selbstkompetenz, soziale (u.a.: Kommunikation) und gruppenbezogene Kompetenzen, Handlungskompetenz (Arnold; Deitering); Lehrende müssen selbst selbstgesteuert lernen können (Arnold).

Die öffentliche Finanzierung, die den relevanten Weiterbildungsbedarf schon lange nicht mehr abdecken kann, wird entlastet, da selbstgesteuertes Lernen von den Lernern eigenverantwortlich durchgeführt und auch teilweise selbst von ihnen finanziert wird (Weber); Geldgeber müssen Interaktionen (z.B.: Informations- und Kommunikationstechnologien) finanzieren (Reischmann).

Frage 5: Zum Begriff und Konzept des selbstgesteuerten oder selbstorganisierten Lernens: Wie wurde versucht, dieses Konzept didaktisch umzusetzen?

  • Ebene der Lernenden

Durch offene und vielfältige Lernnetzwerke müssen die Lernenden ihr Lernprozesse selbst steuern, müssen selbst tätig werden (Dohmen; Schäffter); Lernen ist nicht an Institutionen sondern an eine "bildende Umwelt" gebunden, die der Lerner selbst mitgestalten muß (Reischmann; Mader). Lernende stehen im Mittelpunkt, bringen ihre Ansichten, Lernbedürfnisse und Vorstellungen ein, partizipieren bei der Auswahl und der Vorbereitung der Lernaufgaben und -projekte und bearbeiten diese selbständig und eigenverantwortlich, so daß sie immer mehr die Aufgaben des Lehrenden in klassischen Lehr-Lern-Konzepten übernehmen (Greif; Deitering). Vom Mensch als lebendem System wird erwartet, daß er zu strukturdeterminiertem, autopoietischem und selbstreferentiellem Denken und Handeln fähig ist und entsprechend seiner Struktur Informationen aufnimmt, die auch dem Betrieb als lebendem System dienen (Arnold; systemtheoretische Sichtweise).

  • Ebene der Lehrenden

Lehrende haben eine beratende, unterstützende, helfende, vermittelnde und animierende Funktion (Dohmen; Mader; Deitering); Lehrende haben Facilitator-, Supervisor-, Coach- oder Mentorenrolle inne (Reischmann; Greif); stellen Lernquellenpool zusammen, aus dem die Lernenden "schöpfen" können (Greif). Lehrende haben außerdem diagnostische, prognostische, arrangierende und kontaktvermittelnde Aufgaben (Deitering); Lehrende müssen fähig sein, Lernsituationen [...] subjektsensibel und situationsoffen zu Entwickeln bzw. sich entwickeln zu lassen. D.h., sie müssen für "Signale" der Selbstorganisation ihrer Lernenden empfänglich sein... (Arnold 1995, S.54)

Der bildungspolitische, der alltagsgebundene und der paradigmatisch ausgerichtete Diskurs werden auf der Ebene didaktischer Konzepte diskutiert (vgl.: Schäffter); offene Lernorte bzw. -arrangements gewinnen an Bedeutung, so daß institutionalisierte Funktionen entgrenzt werden (Dohmen; Mader). Der Unabhängigkeitsspielraum der Lernenden wird erweitert, was zu Flexibilisierungen hinsichtlich Zeit, Ort, Ziel-, Inhalts- und Lernformenbestimmung und zu Flexibilisierungen hinsichtlich der Lerngruppenbildung führt (Dohmen; Deitering). Lernquellenpools können genutzt werden, um praxisbezogene Lernaufgaben lösen zu können (Greif; Deitering); situatives und handlungsorientiertes Lernen werden erforderlich (Dohmen); die innerbetriebliche Weiterbildung gewinnt durch die flexibleren Lernformen an Bedeutung (Weber). Mehrdimensionale Lehr-Lernarrangements, die komplexe Methoden und den Einsatz von neuen Informations- und Kommunikationstechniken erfordern, und Lernlandschaften, die eine vernetzte Struktur aufweisen und so Lernangebote bieten, aus denen der Lernende autonom auswählen kann, werden als Beispiele ganzheitlicher Lehr-Lern-Arrangements, so wie sie selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen erfordern, für die Organisationen genannt (Ullrich). Die Organisation soll als evolutionäres System verstanden werden, wodurch eine wechselseitige Abhängigkeit von betrieblicher Weiterbildung und betrieblicher Selbstorganisation entsteht (Arnold). Daraus entstehen zwei Folgerungen: a) Organisationslernen: individueller Lernprozeß ist verbunden mit systemischen und Lebensweltbezügen, in denen sich der Einzelne bewegt, b) Ermöglichungsdidaktik: situations- und subjekttheoretisch gesehen werden Selbstorganisation und Identitätsentwicklung gefördert, das unterrichtliche Methodenspektrum wird erweitert und angereichert [vgl.: Arnold: Organisationslernen und Ermöglichungsdidaktik (systemtheoretische Sichtweise) ].

In Bezug auf die Rahmenbedingungen, die bei der didaktischen Umsetzung des Konzepts des selbstgesteuerten oder selbstorganisierten Lernens auftreten, herrscht bei den Autoren weitestgehend ein einheitlicher Konsens. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien sollen die offeneren Lernprozesse unterstützen, Unternehmen können sich in Netzwerken organisieren. Diese Netzwerkorganisation führt zu Detraditionalisierung, Dezentralisierung und Flexibilisierung von betrieblichen Weiterbildungsinstitutionen und -strukturen, Bildungskarrieren werden detraditionalisiert (Dohmen; Weber; Mader; Ullrich; Greif). Schäffter betrachtet den Begriff des selbstorganisierten oder selbstgesteuerten Lernens als eine Art Schlüsselbegriff, der unterschiedlich konnotiert werden kann und dementsprechend unterschiedlich genutzt werden kann und gleichzeitig bietet er die Möglichkeit zur Verschränkung bislang segmentierter, gegenseitig abgeschotteter Diskurse in der Weiterbildung (Schäffter 1998, S.31).

Laut Arnold entwickelt sich durch selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen eine"Lernkultur" [...], die [...] durch den inneren Zustand der beteiligten Systeme, die durchäußere Einflüsse nicht gesteuert, sondern lediglich modelliert werden können, geprägt ist (Arnold 1995, S.51). Die traditionellen Bezugsgrößen der betrieblichen Qualifikationsplanung Individuum und Arbeitsmarkt werden entthront und es kommt zu einer Entreglementierung des Lernens (Arnold).

Frage 6: Diskutieren die Autoren das Konzept des selbstgesteuerten oder selbstorganisierten Lernens für bestimmte Zielgruppen? Für welche?

Eine Zielgruppendiskussion findet nur bei vier von den neun genannten Autoren statt.

Weber vermutet, daß Höherqualifizierte besser in der Lage seien, selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen in der Weiterbildung durchzuführen, da einige von ihm herangezogenen Befunde darauf hindeuten, daß eine wissenschaftliche (und mehrjährige) Ausbildung den selbständigen und initiativen Umgang mit neuen Problemlagen fördert (Weber 1996, S.180). Allerdings macht er die Einschränkung, daß durch die Erosion der Berufsorganisationen, die bis jetzt die Träger der Weiterbildung waren, selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen auch in anderen Bereichen, wie z.B. dem beruflich-fachlichen Arbeitsmarkt, an Bedeutung gewinnt. (Weber)

Arnold diskutiert die Zielgruppenproblematik im Zusammenhang mit selbstgesteuertem oder selbstorganisiertem Lernen im Fernstudium. Hiernach entscheiden sich v.a. solche Lernenden für ein Fernstudium, die über ein hohes Maß an Selbststeuerung, Eigeninitiative und -aktivität verfügen und die Verantwortung für die Gestaltung ihrer Lernprozesse übernehmen können und wollen. Desweiteren erwarten die Lernenden eine Wissensvermittlung, die ihr bisheriges Wissen und ihre Kompetenzen erweitern und ergänzen. (Arnold)

Laut Deitering sind besonders diejenigen Lernenden für selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen geeignet, die über einen hohen Selbststeuerungsgrad verfügen. Der Selbststeuerungsgrad ist abhängig von der Lernkompetenz und der Lernmotivation. (Deitering)

Wenn man nun diese drei Auffassungen über die Zielgruppenproblematik miteinander vergleicht, kommt man zu dem Schluß, daß alle drei Autoren dahingehend argumentieren, daß selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen eher von den Höherqualifizierten angewandt wird als von einer anderen, niedriger qualifizierten Zielgruppe, da selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen hohe Lernmotivation und hohe Eigenverantwortlichkeit für die Lernprozesse voraussetzt. Diese Anforderungen lassen sich am ehesten bei den Höherqualifizierten finden.

Dohmen dagegen führt eine andere Argumentationsweise an. Die Bildungskluft, die auf das organisierte formale Lernen bezogen ist, soll durch selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen überwunden werden. Selbstgesteuertes oder selbstorganisiertes Lernen sei dahingehend von Vorteil, da es das auch den sogenannten "Bildungsschwachen" vertraute informelle Selbstlernen im Lebenszusammenhang anerkennt und als gleichwertigen Zugang zu einem kontinuierlicheren lebenslangen Lernens fördert (Dohmen 1998b, S.70).

6. Abschließende Einschätzung

1.

Auch nach sorgfältigem Studieren der angegebenen Literatur konnte keine einheitliche Definition für die Begriffe des selbstgesteuerten, selbstorganisierten oder selbstbestimmten Lernens herausgefunden werden. Im Gegenteil: man scheint sich in der Fachliteratur einig darüber zu sein, daß es keine einheitliche oder allgemein akzeptierte Definition für die Begriffe selbstgesteuertes/ selbstorganisiertes/ selbstbestimmtes Lernen gibt, da die Begriffe heterogen betrachtet werden (vgl. z.B.: Ullrich; Deitering). So werden auch die Gewichtigkeiten der beiden Begriffe völlig unterschiedlich festgelegt. Weiterhin war festzustellen, daß der Begriff des selbstgesteuerten Lernens oftmals dem des selbstorganisierten Lernens vorgezogen wird (Dohmen; Weber; Reischmann; Ullrich; Arnold; Deitering).

Wichtig wäre es also, die Heterogenität, die in der Begriffsbestimmung des selbstgesteuerten und selbstorganisierten Lernens besteht, zu überwinden. Dazu müßten bestimmte Schwerpunkte entwickelt und festgesetzt werden (vielleicht in Form einer Matrix), die die Begriffsbestimmung erleichtern würden. Der Begriff des selbstbestimmten Lernens scheint von nicht allzu großer Bedeutung zu sein. Zumindest wurde er in der herangezogenen Literatur nur von einem Autor explizit genannt und bestimmt (Greif).

2.

Unzweifelhaft wurde von den Autoren die enorme Bedeutung und Wichtigkeit des selbstgesteuerten oder selbstorganisierten Lernens erkannt und nachhaltig betont. Wir leben in einer Informations- und Wissensgesellschaft, die durch ständige Umbrüche und Veränderungen gekennzeichnet ist. Deshalb ist es von enormer Wichtigkeit, daß die Menschen lernen, diese Veränderungen und Umbrüche zu verarbeiten und dementsprechend darauf zu reagieren. Flexibilität und ein hoher Grad an Eigenverantwortlichkeit für die Gestaltung von Lernprozessen sind die Eigenschaften, die jeder Mensch besitzen müßte. Selbstgesteuertes Lernen soll helfen, sich diese Eigenschaften aneignen zu können. Hierbei können die Lernenden selbst bestimmen, welche Lernangebote sie annehmen und welche nicht. Dabei scheint die Aussage, selbstgesteuertes Lernen sei immer zum Teil selbstorganisiert und zum Teil fremdorganisiert, von großer Bedeutung zu sein, da Lernende selbst über die Nutzung fremdorganisierter Angebote entscheiden können.

Literatur

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Arnold, Rolf/Lehmann, Burkhard: "Selbstgesteuertes Lernen im Fernstudium?" in: Karin Derichs-Kunstmann, Peter Faulstich, Jürgen Wittpoth, Rudolf Tippelt (Hrsg.): Selbstorganisiertes Lernen als Problem der Erwachsenenbildung. Dokumentation der Jahres-tagung 1997 der Kommission Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erzie- hungswissenschaft, Frankfurt am Main 1998, S.89-100 (Arnold 1998)

Deitering, Franz G.: Selbstgesteuertes Lernen. in: Greif, Siegfried/Kurtz, Hans-Jürgen: Handbuch Selbstorganisiertes Lernen, Göttingen 1996, S. 155-160 (Deitering 1996a)

Deitering, Franz G.: Selbstgesteuertes Lernen im Dienstleistungsbereich. in: Greif, Siegfried/Kurtz, Hans-Jürgen: Handbuch Selbstorganisiertes Lernen, Göttingen 1996, S. 337-346 (Deitering 1996b)

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Dohmen, Günther: Das "selbstgesteuerte Lernen" und die Notwendigkeit seiner Förderung. in: Karin Derichs-Kunstmann, Peter Faulstich, Jürgen Wittpoth, Rudolf Tippelt (Hrsg.): Selbstorganisiertes Lernen als Problem der Erwachsenenbildung. Dokumentation der Jahres- tagung 1997 der Kommission Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erzie- hungswissenschaft, Frankfurt am Main 1998, S. 64-69 (Dohmen 1998a)

Dohmen, Günther: Die Unterstützung des selbstgesteuerten Lernens durch die Weiterbil- dungsinstitutionen. in: Karin Derichs-Kunstmann, Peter Faulstich, Jürgen Wittpoth, Rudolf Tippelt (Hrsg.): Selbstorganisiertes Lernen als Problem der Erwachsenenbildung. Dokumentation der Jahrestagung 1997 der Kommission Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, Frankfurt am Main 1998, S. 70-76 (Dohmen 1998b)

Dohmen, G. (Hrsg.): Selbstgesteuertes lebenslanges Lernen? Ergebnisse der Fachtagung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie 1996 im Gustav-Stresemann-Institut, Bonn. Bonn, 1997.

Dohmen, G.: Zur Zukunft der Weiterbildung in Europa. Lebenslanges Lernen für Alle in veränderten Lernumwelten. Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.), Bonn, 1998.

Dohmen, G.: Das selbstgesteuerte Lernen als Ansatzpunkt für einen notwendigen neuen Aufbruch in der Weiterbildung. In: BMBF (Hrsg.): Selbstgesteuertes Lernen. Dokumentation des Kongresses vom 4.-6. 11.1998. Bonn, 1998.

Forneck, Hermann J.: Selbstorganisiertes Lernen und Modernisierungsimperative in der Erwachsenen- und Weiterbildung. In: http://www.erziehung.uni-giessen.de/eb/antrittsvorlesung/text.htm, 27.10.99.

Greif, Siegfried/Kurtz, Hans-Jürgen: Selbstorganisation, Selbstbestimmung und Kultur. in: Greif, Siegfried/Kurtz, Hans-Jürgen: Handbuch Selbstorganisiertes Lernen, Göttingen 1996, S. 19-31 (Greif 1996a)

Greif, Siegfried/Jerusel, Stephan: Lernquellenpool. in: Greif, Siegfried/Kurtz, Hans-Jürgen: Handbuch Selbstorganisiertes Lernen, Göttingen 1996, S. 115-123 (Greif 1996b)

Konzentrierte Aktion Weiterbildung (KAW): Selbstgesteuertes Lernen – Möglichkeiten, Beispiele, Lösungsansätze, Probleme. Bericht der ad-hoc-Arbeitsgruppe der Konzentrierten Aktion Weiterbildung (KAW). Bonn, 1997.

Landtag Nordrhein-Westfalen: Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 2 der Fraktion der SPD. Nordrhein-Westfalen in der Informationsgesellschaft. Perspektiven, Gestaltung und Herausforderungen von Multimedia. Düsseldorf, 1997.

Mader, Wilhelm: Auf der Suche nach der verlorenen Programmatik - Anmerkungen aus der Diskussion. in: Bernhard Nacke, Günther Dohmen (Hg.): Lebenslanges Lernen. Erfahrungen und Anregungen aus Wissenschaft und Praxis. Ergebnisse aus der Fachtagung vom 13. bis 15. Dezember 1995 in Bensberg, Würzburg, 1996, S. 107-114 (Mader 1996)

Mader, Wilhelm: Differentielle Rahmenbedingungen und Forschungsperspektiven für selbstgesteuertes und lebenslanges Lernen. in: Günther Dohmen (Hg.): Selbstgesteuertes lebenslanges Lernen? Ergebnisse der Fachtagung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie vom 6.-7.12.1996 im Gustav-Stresemann-Institut, Bonn, 1997, S. 131-139 (Mader 1997)

Mosdorf, Siegmar: Bausteine für einen Masterplan für Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft. Gutachten. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, 1998.

Reischmann, Jost: Self-directed Learning - die amerikanische Diskussion. in: H. Faulstich-Wieland, E. Nuissl, H.Siebert, J.Weinberg (Hrsg.): Report. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung Juni 1997. Thema: Lebenslanges Lernen - Selbstorganisiert?, Nr. 39, Frankfurt am Main, 1997, S. 125-137 (Reischmann 1997)

Ringshausen, Hagen: Computerunterstütztes Lernen (CuL) – Diskussion didaktischer Anforderungen und betrieblicher Einsatzfelder. Arbeitsberichte des IBBP, Arbeitsbereich Betriebspädagogik, Heft 6, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, 1997.

Schäffter, Ortfried: Münchhausens Zopf als pädagogische Innovation. in: Karin Derichs-Kunstmann, Peter Faulstich, Jürgen Wittpoth, Rudolf Tippelt (Hrsg.): Selbstorganisiertes Lernen als Problem der Erwachsenenbildung. Dokumentation der Jahrestagung 1997 der Kommission Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, Frankfurt am Main 1998, S. 30-34 (Schäffter 1998)

Ullrich, Kornelia: Selbstgesteuertes Lernen in computerunterstützten und betrieblichen Lehr- und Lernarrangements. Arbeitsberichte des IBBP, Arbeitsbereich: Betriebspädagogik, Heft 2, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, 1997. Aufgrund der sehr guten Literaturrecherche wurde dieser interne Arbeitsbericht für diese Studie verwandt.

Weber, Karl: Selbstgesteuertes Lernen. Ein Konzept macht Karriere. in: Grundlagen der Weiterbildung (GdWZ) 7 (1996) 4, S. 178-182 (Weber 1996)

Weitere Literatur zum Thema

Göbel, Elisabeth: Theorie und Gestaltung der Selbstorganisation, Berlin, 1998.

Kemper, Marita & Klein, Rosemarie: Lernberatung. Gestaltung von Lernprozessen in der beruflichen Weiterbildung, Hohengehren, 1998.

Minssen, Heiner: Von der Hierarchie zum Diskurs? Die Zumutungen der Selbstregulation, München und Mehring, 1999.

 

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Rosemarie Klein, Sibylle Peters, Sandra Dengler: Aufarbeitung der begrifflich-konzeptionellen Diskussion zum selbstgesteuerten Lernen in der Weiterbildung. Online im Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2000/klein00_04.htm
Dokument aus dem Internet-Service des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid