Heinrich Dieckmann, Studiengemeinschaft Darmstadt, Dezember 2000


Lernen mit Neuen Medien

Statement zum DIE-Forum Weiterbildung 2000 "Zukunftsfelder der Weiterbildung"

 

Angesicht der globalen und folgenreichen Veränderungen unserer Zeit ist eine Gesellschaft, die Lernen als eine zentrale Investition in die Zukunft begreift, nicht nur eine wohlfeile Forderung von Politikern und Pädagogen, sondern allgemein akzeptierte Notwendigkeit.

Die Frage nach der Bildung, der Weiterbildung von morgen stellt sich dabei angesichts einer umfassenden und tiefgreifenden Technologisierung aller Gesellschaftsbereiche ganz anders als früher, besonders unter den Bedingungen multimedialer Weiterbildungskonzepte - sofern es solche denn wirklich schon gibt. Neue Medien werden dabei allenthalben als Schlüssel für die Zukunft angepriesen, ihr Einsatz als Allheilmittel zur Rettung aus einer verfahrenen Bildungssituation gesehen. Ganz falsch ist das nicht, sind doch die neuen Kommunikationstechnologien geradezu überfallartig in den Mittelpunkt des allgemeinen Bewusstseins gerückt. Sie sind nicht mehr ein "bloßes Ornament" am Rande des Wirtschafts- und auch des Weiterbildungsprozesses, sondern werden selbst zunehmend zur zentralen Produktivkraft.

Eng mit der Entdeckung der Ressource Kommunikation zusammen hängt die Neuentdeckung der Ressource Wissen. Wissen selbst wird zum Rohstoff, zur Ware, prinzipiell überall verfügbar und anwendbar, verkauf - und kaufbar. Für die Weiterbildung eröffnet sich damit das Spannungsfeld einer weltoffenen Lernkultur in allen Bereichen, grenzüberschreitend, generationenübergreifend, alle Möglichkeiten einer individuellen Entfaltung in sich tragend auf der eine Seite und des häufig noch bewertungskriterienlosen Ausgesetztseins der Propaganda für Multimedia der großen Softwarekonzerne und CBT-Anbietern auf der anderen Seite.

Die aktuellen Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelt brauchen dabei den ganzen Menschen. Dafür stehen Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen. Sie brauchen nicht den Bediener von Lernmaschinen, den "CBT/WBT-Autisten". Nicht umsonst wird in der beruflichen Aus- und Weiterbildung die Forderung nach Handlungsorientierung als zentralem Lernziel immer drängender, werden die eigentlich alten ganzheitlichen Ansätze des Lernens immer dringlicher als Umzusetzende gefordert.

Dazu möchte ich etwas provokativ folgende These formulieren:

In der Aus- und Weiterbildung sind wir noch weit davon entfernt, die positiven Möglichkeiten, die uns die neuen Medien ohne Zweifel einräumen, in diesem Sinne zukunftsorientiert zum Wohle aller einzusetzen.

  1. Die Forderung "Schulen ans Netz", "Volkshochschulen ans Netz", "Weiterbildungsanbieter ans Netz" ist sicherlich zu begrüßen und unbedingt notwendig. Bald sind wir alle am Netz - und was dann?
  2. Beim Lernen steht uns eine Technologie zur Verfügung, die ihren "didaktischen Meister" erst noch sucht.
  3. Der Mythos des "Nürnberger Trichters" feiert in der Fiktion, man brauche nur möglichst "bunte" CBTs seinen Mitarbeitern oder lernwilligen Interessierten online anzubieten und alle Weiterbildungsprobleme seien ohne große Kosten gelöst, fröhliche Urstände.
  4. Die Einführung neuer Medien als solche ist noch keine Innovation im Bildungswesen. Wir müssen davon wegkommen, Bildung, Weiterbildung, Erwachsenenbildung unter dem Primat Technologie zu diskutieren. Im Focus muss wieder die Didaktik und Methodik, müssen wieder die Bildungsinhalte und die daraus abgeleiteten je bestmöglichen Medien stehen.
  5. Die noch häufig geübte Praxis der Übertragung traditioneller Bildungskonzepte auf neue Techniken, das "Lehrbuch auf CD" wird dem neuen Medium und seinen Möglichkeiten nicht gerecht, verschlechtert nur die Lerneffektivität, bedeutet sogar in Teilen einen gravierenden didaktischen Rückschritt.
  6. Entscheidend für Lernfortschritt ist ein multimediales Lernkonzept, das Lehrbuch, CD, WBT, Video, Applicationsharing, gecoachte Videokonferenzen, Präsenzseminar u.a. so didaktisch-methodisch sinnvoll vernetzt, das es den jeweiligen Bildungsbedürfnissen - quasi on demand - gerecht wird und die unterschiedlichen Lernertypen adäquat anspricht.
  7. Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten - richtig eingesetzt - eröffnen dabei eine bedürfnisgenaue, individualisierte Lernerunterstützung in den unterschiedlichsten Lernzusammenhängen von der Hilfe bei Verständnisschwierigkeiten des Einzellerners bis hin zu tutoriell begleiteten Projekten. Dieses erfordert allerdings ein verändertes Lehrerrollen- oder Dozentenrollenverständnis.
  8. Nur so differenziert designte multimediale Lernumgebungen tragen zur Lösung der entsprechenden Bildungsanliegen bei.
  9. Das "wie" im Umgang mit neuen Medien, der souveräne Einsatz in je auf die Bedürfnisse und Situationen angepassten möglichst handlungsorientierten Lernarrangements hat Gegenstand zukünftiger Bildungstheorie, -planung, und -praxis zu sein.

Dem modernen Fernunterricht und den ihn auszeichnenden Formen der Bildung kommen dabei zunehmende Bedeutung zu, ist doch der Einsatz von Medien dieser Form des Lehrens und Lernens konstitutiv. Neue Medien wurden dort schon immer sehr schnell integriert, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen uns dadurch allerdings auch die Vermittlung ganz neuer Bildungsinhalte. Der hier mögliche Vorsprung eines Fernunterrichtes, der sich als Designer zielgruppengerechter handlungsorientierter Lehr-/Lernarrangements versteht wird, z.B. bei der Einführung der neuen Meister- und Technikerausbildung, aktuell sichtbar.

"Autonomes Lernen" ist Resultat und Reaktion der gesellschaftlichen Entwicklung, die sich im Focus von Individualisierung und Technologisierung beschreiben lässt. Genau in diesem Feld hat die Erwachsenenbildung auch die neuen Chancen und Möglichkeiten auszuloten und jeweils neuer Realisierung zuzuführen.


Heinrich Dieckmann: Lernen mit neuen Medien. Statement zum DIE-Forum Weiterbildung 2000 "Zukunftsfelder der Weiterbildung". Online im Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2001/dieforum_dieckmann_01.htm
Dokument aus dem Internet-Service Texte Online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de