Ekkehard Nuissl Deutsches Institut für Erwachsenenbildung Dezember 2000


Weiterbildung der Zukunft

Beitrag zum DIE-Forum Weiterbildung 2000 "Zukunftsfelder der Weiterbildung"

 

Weiterbildung ist per se ein Zukunftskonzept, sie richtet sich - wie alle Bildung - auf Zukünftiges. Zukunft im Biographischen, Zukunft in der gesellschaftlichen Entwicklung, Zukunft im Fortgang der Geschehnisse. "non scholae, sed vitae discimus" - so hieß früher die Legitimation des Lernkanons an den Schulen, sie gilt inhaltlich auch heute noch, wenngleich die lateinische Hülle altbacken wirkt und nur noch selten verstanden wird. Bildung ist auch dann auf Zukünftiges gerichtet, wenn es um Reflexion und Verarbeitung von Erfahrungen geht, denn daraus soll und kann sich nach vorne gerichtete Handlungsrelevanz entwickeln.

Die Antizipation dessen, was für die Zukunft gelernt werden muss, und dessen, was für zukünftiges Handeln nützlich und bedeutsam sein dürfte, ist ein geläufiges Problem insbesondere in der beruflichen Bildung. Die Verknüpfung von Tätigkeitsfeldern, die sich entwickelt haben, hin zu auch künftig tragfähigen Berufsbildern ist der Klassiker unter den Diskussionen über die Passung von Bildung und Beschäftigung. Die damals eingesetzten Verfahren von Analyse und Prognostik sind übrigens in der Bildung nicht weniger bedeutsam und entwickelt als solche der Evaluation und des Feed-back. Viele Weiterbildungsmethoden (etwa die "Zukunftswerkstatt") enthalten analytisch strukturierte Methoden der Antizipation von Zukünftigen.

Weiterbildung der Zukunft ist aber nicht nur nach Inhalt und Verfahren zukunftsorientiert, sondern soll auch die Zukunft gestaltbar machen. In einer Weiterbildung der Zukunft lernen Menschen, welche Veränderungsprozesse und Bedrohungen, aber auch, welche Chancen und Verbesserungen für sie in der Zukunft liegen. Und sie lernen, solche Möglichkeiten interessengerichtet zu nutzen, die Zukunft selbst nach humanen Interessen zu gestalten. Dies mag ein Idealziel sein, ist jedoch der Sinn, wenn und warum man sich mit Weiterbildung beschäftigt.

Inhaltsfelder

In der Antizipation dessen, was die gesellschaftlichen Veränderungen hervorbringen, sind viele Dinge vorstellbar. Die Gentechnologie wird nicht nur das Gesundheitswesen und die Ernährung verändern, sondern auch die Vorstellung von Leben und Identität. Das absehbare Ende des Verzehrs fossiler Energie erfordert neue Wege von Produktion und Verkehr, Klimaveränderungen betreffen ganze Regionen und das alltägliche Leben der Menschen. Der Rohstoff Wasser wird immer knapper, und der Kampf um ihn wird absehbar dramatischer als heute derjenige um Öl. Das globale Dorf, Datenautobahnen und virtuelle Welten werden, das zeichnet sich heute ab, Denkweise und Wahrnehmungen der Menschen grundlegend beeinflussen.

Es lässt sich kaum ein Parameter des täglichen Lebens denken, der in die Zukunft verlängert konstant gehalten werden kann. Allenfalls lässt sich denken, dass jeweils ein sektoraler Wandel mit einer befristeten Kontinuität in anderen Feldern verbunden ist.

Weiterbildung ist von all diesem betroffen, wirkt auf all dieses ein und steht im Zusammenhang damit. Zukünftiges Denken und Gestalten ist Gegenstand und Ziel von Weiterbildung. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass es kaum einen gesellschaftlichen oder ökonomischen Trend gibt, der nicht zugleich von einem Gegentrend begleitet ist. Staatliche Deregulierung ist konterkariert durch neue Formen von Ordnung, Globalisierung verbunden mit starken Regionalisierungstendenzen, die Dominanz der Weltsprache Englisch erzeugt das Verstärken multilingualer Strukturen. Wir müssen Abschied nehmen von der Vorstellung, Zukunftstrends seien eindimensional. Offenbar gibt es hier ein Verhältnis wie das zwischen Klima und Wetter: Klima als nur langfristige Verschiebung von Rahmenbedingungen, Wetter als kurzschrittig (also in einem Menschenleben) feststellbare Realitäten. Solche eher langfristigen Veränderungen der Rahmenbedingungen, die mit Weiterbildung der Zukunft zusammenhängen, sind vor allem: Kultur der Einheit und Vielfalt, Individualität und Biographie, Medien und virtuelle Welten.

Kultur der Einheit und Vielfalt

Von "Leitkultur" ist seit kurzem die Rede, ein griffiges Wort, das sich - politisch geschickt - in unterschiedlichster Weise verwenden lässt. Es signalisiert ebenso Dominanz wie Toleranz, Integration wie Ausschluss. Das tagespolitische Geschäft hat hier einen Begriff geprägt, der nicht nur die aktuelle Wetterlage, sondern Klimaveränderungen benennt.

Die Globalisierung findet nicht nur im Internet statt, sie ist nicht nur virtuell. Wir beschreiten ein neues Zeitalter der Wanderungen, der Aus- und Einwanderungen, der Zu- und Abwanderungen. Menschen aus armen Regionen der Welt drängen in reichere Regionen - die Triebkraft von Wanderungsbewegungen war alle Zeit ökonomischer Natur. Die Menschen aus reicheren Regionen sind im Zwiespalt; einerseits wollen sie den Reichtum nicht teilen, andererseits können sie ihn nur erhalten, wenn sie Zu- und Einwanderungen ermöglichen. In der politischen Wetterlage führt dies zu moderaten Einwanderungsregeln. Die kulturellen Fragen sind damit noch nicht gelöst. In welcher Weise wird mit den Fremden und dem Fremden umgegangen? Wie hoch soll der Anteil der Integration sein? Inwieweit steht die eigene kulturelle Identität in Frage? Ist Toleranz ein reines gewähren lassen oder der aktive Umgang mit dem Anderen?

Weiterbildung ist hier in besonderer Weise gefragt. Unabhängig davon etwa, mit welchem Ziel über Integration gesprochen und entschieden wird, befasst sich Weiterbildung mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten in kulturellen Prozessen, mit Wahrnehmungen und Deutungen, mit Übergängen und Verbindlichkeiten. Es sind Erwachsene, die ein- und zuwandern, und es sind Erwachsene, mit denen sie es vor ort im Beruf und im Alltag vor allem zu tun haben. Verständigung ist auch, aber nicht nur eine Sache der Sprache. Unterschiedliche Lebens- und Gesellschaftskonzepte wahrnehmen, in ihrem Kontext zu verstehen und zu akzeptieren, dazu beizutragen ist Sache von Weiterbildung.

Aber mehr als dies: Weiterbildung ist nicht "außen vor", sie hat mit der Gesellschaft unterschiedlicher Kulturen selbst zu tun. Die Institutionen der Weiterbildung in Deutschland, die Personen, die dort beschäftigt sind, stehen vor der Frage, wer und was sie selbst sind und wollen. Es kann nicht darum gehen, staatlich oder politisch festgelegte Ziele instrumentell umzusetzen. In den Bildungsprozessen selbst, in den Institutionen der Bildung beginnt ein Prozess, sich der eigenen kulturellen Identität zu vergewissern und Ziele zu definieren, die präziser und differenzierter sind als dies Begriffe wie "Leitkultur" oder "Integration" suggerieren. In der Selbstreflexivität dieser Entwicklung steht Weiterbildung noch erst am Anfang.

Individualismus und Biographie

Die europäischen Kulturen gründen auf einem Konzept menschlicher Individualität; hier unterscheiden sie sich etwa von asiatischen (Kollektiv) und afrikanischen (Familien, Stämme) Kulturen. Auch dies hat seine Ursache hauptsächlich in ökonomischen Bewegungen, die insbesondere seit dem Zeitalter der Aufklärung die individuell disponible Arbeitskraft voraussetzen. Wir können heute sehen, dass sich diese Entwicklung verstärkt in die Zukunft verlängert. Im Privaten wie im Beruflichen verlieren Strukturen, die Individuen fester einbinden, an Kraft. Dies gilt für Familien, Betriebe, Verbände, weltanschauliche Organisationen wie Kirchen und Gewerkschaften. Die individuelle Entscheidung, wozu man gehören mag, wird immer bedeutender. Der Begriff des Milieus beschreibt dies treffend: die Zugehörigkeit erfolgt aufgrund überwiegend individueller Entscheidung, die Verbindung ist locker und symbolisch, die Ausbreitung tendenziell weltweit. Nur auf der Basis individueller Entscheidungen lässt sich auch das ökonomisch begründete Prinzip regionaler und sozialer Mobilität realisieren.

Hier liegt die radikalste Veränderung der Zukunft. Der Beruf, traditionell identitätsstiftende Struktur, verliert seine biographische Kontinuität (wenn nicht sogar seine gesellschaftliche Relevanz). Berufwechsel im Lebenslauf nehmen zu. Vielfach wird heute schon von "Patchwork-Biographien" gesprochen. Von Unternehmern der eigenen Arbeitskraft ist die Rede, die nicht mehr eine lineare Karriere, sondern ein Auf und Ab erleben und gestalten müssen. Das europäische Signal zur "Employability" als Aufgabe von Bildung korrespondiert mit dieser Entwicklung. Dabei geht es nicht nur um berufliches Wissen, sondern um die Kompetenz, Scheitern zu verarbeiten, sich selbst zu organisieren, perspektivisch lernen zu können.

Wir stehen in dieser Entwicklung erst am Anfang. Auch wenn in einigen Ballungsregionen die (schon bisher immer nur männlichen) Normalarbeitsverhältnisse nur noch die Minderheit sind, gibt es doch noch ein breites Feld von Kontinuitäten im Arbeits- und Berufsleben ebenso wie in der Familie. Auch hier sind Gegentrends absehbar: nicht nur Zerfaserungen, auch Verdichtungen von Arbeitstätigkeit und sozialen Strukturen finden statt.

Weiterbildung hat es dabei perspektivisch mit Menschen zu tun, die in einem höheren Maße als früher gebildet sind, sich selbst steuern und organisieren können. Ihre Bedürfnisse nach Bildung verschieben sich. Aber auch die Weiterbildung selbst ist von dieser Entwicklung betroffen. Der Typus der Lehrenden etwa, der selbst Unternehmer der eigenen Arbeitskraft ist, gewinnt an Bedeutung. Institutionelle und weltanschauliche Bindungen der Lehrenden nehmen ab, in einzelnen Sektoren (etwa im psychologischen Bereich) aber auch zu. Wie weit sich Selbstverständnis und Arbeitsweise in der Weiterbildung verschieben, ist noch nicht wirklich ausgelotet.

Medien und virtuelle Welten

Dass die sogenannten "neuen", digitalen und interaktiven Medien derzeit unsere Welt radikal verändern, muss nicht weiter ausgeführt werden. Es ist offenbar und im privaten, beruflichen und alltäglichen Kontext zu erkennen. Auch hier lässt sich sagen: die neuen Medien werden die alten nicht verdrängen oder vollständig ersetzen, sondern diesen wird eine neue Funktion zugewiesen. So haben etwa bereits jetzt handschriftliche Briefe, maschinenschriftliche Schreiben und E-Mails eine jeweils eigenständige, von ihrer Form her definierte Funktion.

Natürlich aber verändern die neuen Medien nicht nur Abläufe und Strukturen, sondern auch Wahrnehmungen und Identitäten. Sie berühren auch in besonderer Weise das Bildungssystem. Wissen als medialer Inhalt, im Übermaß verfügbar und zugänglich, verschiebt die demokratietheoretische Forderung nach Transparenz. Heute gilt nicht mehr: "Wissen ist Macht", sondern: "Macht ist zu wissen, was wichtig ist". Orientierung ist angesagt, die Kompetenz, Dinge zu gewichten und einzuordnen.

Auch dies gilt selbstreflexiv für die Weiterbildung. Was bedeuten Medien und Medienwelten für Bildungsprozesse? Inwieweit beeinflussen sie Bildungsziele und Verfahren? Wie geht Bildung mit dem zunehmenden Bedarf nach Orientierung um? Noch haben die neuen Medien das Bildungsgeschehen nicht wirklich durchgreifend verändert. Aber es zeigt sich in Modellen und Ansätzen, das dies in naher Zukunft geschehen wird.

Methoden der Zukunft

Was ist die Zukunft der Weiterbildung? Wie wird sie sich verändern, wie muss sie sich verändern, um eine "Weiterbildung der Zukunft" zu sein? Es gibt einige Ansätze, Diskurse und Visionen, die das betreffen (vgl. etwa REPORT 41/1998). Von einer grundlegenden Debatte ist die Weiterbildung aber noch entfernt.

Weniger entfernt davon sind formulierte Anforderungen, was Weiterbildung in Zukunft zu leisten habe. So ist etwa das Konzept des lebenslangen Lernens, in dem Weiterbildung eine spezifische, insbesondere berufsqualifizierende Funktion hat, zum politischen Prinzip in Europa geworden. Auch ist die Vorstellung des selbstgesteuerten Lernens zu einem - empirisch noch nicht sehr gehaltvollen - Topos moderner Weiterbildungsgestaltung erhoben worden. Und schließlich ist insgesamt festzustellen, dass heute von lernen, kaum noch von lehren gesprochen wird. Es haben sich also bereits in der Diskussion Parameter verschoben, ohne dass dies auf ein konsistentes Zukunftsmodell zurückgeführt wäre. Tendenzen und Trends lassen sich bezogen auf Methoden, Personen und Institutionen aber feststellen:

Methoden

Methoden der Weiterbildung sind ganz wesentlich davon abhängig, wer die Lernenden sind und was sie wollen. Die Trends zeigen, dass die Menschen generell gebildeter werden (wobei mit der Diskussion zur "social exclusion" diejenige Gruppe gemeint ist, die nicht mithalten kann), dass die Menschen flexibler und mobiler, individueller und selbstgesteuerter werden. Vor allem auch: die Menschen wollen immer weniger Wissen vermittelt bekommen (dies ist medial mittlerweile im Übermaß verfügbar), sondern sie wollen sich orientieren können, bewerten können, Sinn und Ziel erörtern.

Generell lassen sich diese Elemente zusammenfügen zu der Aussicht, dass Methoden der Weiterbildung immer mehr von der Wissensvermittlung abrücken, immer stärker Elemente der Moderation, des Diskurses und der Wertorientierung enthalten. Die Quelle des Wissens in der Weiterbildung - das Wissen der Menschen und der Fundus der Medien - wird methodisch in einer neuartigen Weise zu verbinden sein. Die bereits in den letzten Jahren feststellbare Explosion von Hand- und Lehrbüchern zu erarbeitenden Methoden weist darauf hin, dass dieser Trends bereits Eingang in die Praxis der Weiterbildung gefunden hat.

Personen

Natürlich sind von diesen Entwicklungen die Personen, die sich mit Weiterbildung aktiv beschäftigen, in erster Linie betroffen. Vielfach wird bereits heute vom Verschwinden der Lehrenden aus den Bildungsprozessen gesprochen. Selbstorganisierte Bildungsprozesse und selbstgesteuertes Lernen scheinen die Lehrenden überflüssig zu machen.

Dies ist jedoch nicht richtig. Vielfach wird übersehen, dass Lehre in zunehmendem Maße über Medien entpersönlicht wird, Konserven (wie CD-Roms etc.) und mediale Netze (wie beim Online-lernen) an die Stelle der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden treten. Damit jedoch verschwinden weder die Lehrenden noch das, was sie tun: die Lehre. Eine intentionale Aufbereitung des Stoffs, didaktische Arrangements und interaktive Strukturen sind auch dann Lehre, wenn die Person nicht zu erkennen ist, die dahinter steht und für die Produktion verantwortlich ist. Der Verlust des persönlichen Gegenübers ist eher eine Tendenz der Ent-Demokratisierung. Mediale Produkte erzeugen eine Scheinobjektivität, die als zugerichtete Wirklichkeit nur noch schwer erkennbar ist.

Aber sicherlich verändert sich die Rolle der Lehrenden und das, was ihr professionelles Handeln ausmacht. Lehre selbst verschiebt sich von der Wissensvermittlung hin zur Moderation (wobei dies eine außerordentlich schwierige, didaktisch-intentionales Handeln in besonderem Maße erforderliche Methode ist). Kompetenzen sind erforderlich im medialen Bereich für die Produktion von Lernmedien sowie den Einsatz von Medien in Lehr-Lern-Prozessen, eine Kompetenz, die vielfach nicht vorhanden ist. Kompetenzen sind erforderlich zur materiellen Organisation von Lehre, wie sie bislang nicht erforderlich war. Dabei geht es um Kompetenzen des Managements, um ökonomische Kompetenzen, um solche von Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Und schließlich müssen immer mehr Lehrende - wie die Bevölkerung insgesamt - zu Unternehmern ihre eigene Arbeitskraft werden.

Professionalität und professionelles Handeln bleibt Ziel für die Menschen, die Weiterbildung machen, die Elemente jedoch, in denen sich diese ausdrücken, verändern sich. Entsprechend verändern müssen sich auch Ausbildungsgänge und Fortbildungen.

Institutionen

Auch die Institutionen sind betroffen, wenn es um die Weiterbildung der Zukunft geht. Wir stellen bereits heute fest, dass immer mehr Weiterbildungseinrichtungen entstehen (insbesondere in Ballungsräumen), immer mehr privates Geld in die Weiterbildung fließt und diese finanziert. Der Zuwachs privater Mittel und der relative Bedeutungsverlust öffentlicher Mittel im institutionellen Bereich hat zweierlei Konsequenzen: zum einen folgen die Weiterbildungsinstitutionen immer mehr den Prinzipien unternehmerischer Planung, während der Staat einen immer geringeren Gestaltungseinfluss auf den institutionellen Bereich der Weiterbildung hat. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch perspektivisch zumindest große Bereiche der Weiterbildung (wie etwa Grundbildung) ohne öffentliche Mittel nicht realisiert werden können. Der Markt, in dem sich Institutionen der Weiterbildung bewegen, ist und bleibt von daher ein zweigeteilter: die potentiellen Teilnehmenden (die "Kunden") und diejenigen Instanzen, die öffentliche oder - im Fall von Betrieben - auch private Mittel zur Verfügung stellen.

Diese grundlegende Veränderung betrifft das Verhältnis der Institutionen zueinander. Konkurrenzen wachsen, aber auch Kooperationen. Das eher weltanschaulich begründete Gefüge großer Zusammenschlüsse (gewerkschaftliche, wirtschaftliche, kommunale, konfessionelle Erwachsenenbildung) wird tendenziell einem offeneren System weichen, in dem ökonomisch begründete Konkurrenzen und Kooperationen dominieren. Das abgeschottete Gegenüber beruflicher und allgemeiner Bildung, für die Lernenden ohnehin traditionell wenig griffig, wird in institutionellen Strukturen an Bedeutung verlieren.

Kooperation wird zunehmend Fragen der Zertifikate, der Supportleistungen (Beratung, Information, Fortbildung) und der Entwicklung (Curricula, Medien) betreffen. Es muss und wird sich eine Bewegung der Institutionen ergeben, die die bisher voneinander abgeschotteten Bildungsbereiche (insbesondere sekundärer, terziärer und quartärer Bildungsbereich) miteinander verbindet. Dies nicht nur wegen des Postulats des lebenslangen Lernens, sondern vor allem aus Gründen ökonomischer Rationalität. Bereits heute tendieren Hochschulen und Berufsschulen dazu, sich in einem wachsenden Maße als Weiterbildungsinstitutionen zu verstehen. Und es ist kaum vorstellbar, was im Bereich der Sekundarschulen geschieht, wenn Bildungspolitik ebenso flexibel werden sollte wie das, was sie von den Institutionen der Bildung verlangt.

Wissensgesellschaften

Ohne Frage wird Weiterbildung der Zukunft auch ein Politikbereich der Zukunft sein. So unsäglich wie Begriffe wie "Wissensgesellschaft" und "Informationsgesellschaft" gesellschaftliche Realität auf Platitüden verkürzen, so richtig ist doch die Idee, die dahinter steht. Bildung ist ein Politikbereich der Zukunft, Weiterbildung allemal.

Wir müssen uns jedoch davor hüten, zu glauben, Weiterbildung könne zu einem ähnlich expansiven und ökonomisch interessanten gesellschaftlichen Sektor werden wie die Medien. Auch wenn bildungsökonomische Forschung in den letzten Jahrzehnten deutlich zu kurz gekommen ist, so gibt es doch eine wesentliche Erkenntnis: Bildung ist allgemein von höchster ökonomischer Bedeutung, verspricht speziell jedoch keine besondere Rendite. Wie immer, wenn Interessen nicht konkret und speziell nutzbar sind, werden entsprechende Aktivitäten merkwürdig kraftlos. Auch heute noch ist - trotz besserer Einsicht - Bildung derjenige Bereich, in dem am ehesten gespart wird, wenn es ökonomisch knapp zugeht. Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass in Skandinavien, Groß-Britannien und - mit Einschränkungen - Deutschland in den letzten Jahren mehr staatliches Geld in Bildungspolitik investiert wurde.

Noch ein anderes ist wichtig, wenn es um Wissensgesellschaft geht: welches Wissen soll es sein? Wir haben nicht nur eine Explosion von Wissen, sondern auch eine Explosion der Zugänglichkeit von Wissen. Wissen und Informationen sind kognitive Kategorien, die nur einen kleinen Aspekt des bedeutsamen Zugriffs von Weiterbildung der Zukunft treffen. Es geht darum, welches Wissen wirklich wichtig ist.

"Wichtiges Wissen" setzt nicht nur Auswahl, Orientierung und Entscheidung voraus, sondern auch Kriterien, die etwas mit Sinn zu tun haben. Dirk Axmacher hat bereits vor zehn Jahren darauf hingewiesen, dass Widerstand gegen Bildung vor allem dann erkennbar ist, wenn die Wichtigkeit dessen, was gelernt wird oder werden soll, nicht in die Sinnstruktur der Biographien und gesellschaftlichen Kontexte passt. Widerstand einerseits und Wichtigkeit andererseits sind die Kategorien, um welche die Weiterbildung der Zukunft ringt. Auch Wichtigkeit muss - genau so wie Ökonomie - konkret und speziell sein. Bildung, die nicht konkret und speziell das Humane anspricht, das Humane betrifft, wird Widerstand erzeugen. Wir sind, dies ist tröstlich, bei der Diskussion um die Weiterbildung der Zukunft wieder unmittelbar bei der Frage nach dem humanen Menschenbild.

Literatur

Axmacher, D., Widerstand gegen Bildung, Weinheim 1990

DIE (Hrsg.), Zukunftsfähigkeit durch Weiterbildung in Europa, Frankfurt/M. o.J.

Faulstich, P. u.a., Weiterbildung für die 90er Jahre, Weinheim/München 1992

Faulstich, P./Bayer, M./Krohn, M. (Hrsg.), Zukunftskonzepte der Weiterbildung, Weinheim/München 1998

Groner, A., Distanznahme zu sich selbst ist die wichtigste Bildung, in: DIE-Zs I/2001

Nuissl, E., (Weiter-)Bildungspolitik im nächsten Jahrhundert, in: REPORT 41/1998


Ekkehard Nuissl: Weiterbildung der Zukunft. Beitrag zum DIE-Forum Weiterbildung 2000 "Zukunftsfelder der Weiterbildung". Online im Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2001/dieforum_nuissl_01.htm
Dokument aus dem Internet-Service Texte Online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de