Dr. Jens Friebe, Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, Bonn

Abschlussvortrag „Interkulturelle Altenpflege in der Weiterbildung"

Der Titel unserer Veranstaltung „Interkulturelle Altenpflege - von der Theorie zur Praxis" sollte aufzeigen, dass wir einerseits den Diskurs mit den WissenschaftlerInnen und andererseits den Austausch mit der Altenpflege- und der pflegepädagogischen Praxis suchen. Die besondere Zielsetzung des Projektes [iku:] „Interkulturelle Fortbildungen für das Personal in der Altenpflege" des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung ist die interkulturelle Öffnung der Aus- Fort- und Weiterbildungen. Dahinter verbirgt sich die Überzeugung, dass die gesellschaftliche Entwicklung in der BRD zu immer mehr Vielfalt führt und erhebliche interkulturelle Fortbildungsbedarfe in den Arbeits- und Berufsfeldern existieren. Waldemar Schmidt von der Forschungsgesellschaft für Gerontologie Dortmund hat heute morgen am Beispiel des Kreises Unna aufgezeigt, dass durch die gewandelte Struktur der älteren Bevölkerung zukünftig andere und neue Versorgungsangebote notwendig werden. Unser Auftraggeber, das Bundesministeriums für Bildung und Forschung, fördert daher die Entwicklung und Erprobung entsprechender Konzepte der interkulturellen Qualifizierung.

Von der Theorie zur Praxis meint, wir möchten etwas „herüberbringen", was der wörtlichen Übersetzung von Transfer entspräche, doch ist das Gelingen von vielen Faktoren abhängig: Es gibt keine Universalmethode, die nur inhaltlich gefüllt werden müsste und dann die Praxis erreichte. Bildungsinhalte müssten vielmehr stimmig sein und dem Stand der Wissenschaft entsprechen, sie müssten durch Menschen verstanden und interpretiert und schließlich in Handlungen umgesetzt werden. Ob dies sofort passiert oder erst in Zukunft ist dabei unsicher. Ist der Transfer von Theorie und Bildung positiv, so werden Situationen durch das Gelernte besser bewältigt. Doch der Transfer des Gelernten kann auch negative Folgen haben, so dass Bewältigung gehemmt oder nur einseitig Interessen durchgesetzt werden.

Werden z.B. alle Menschen mit türkischen Migrationshintergrund zu Muslimen erklärt, vergessend, dass es auch eine bedeutende christlich orthodoxe Minorität in der Türkei gibt oder wird Sensibilität in der Pflegebeziehung mit Handlungsunfähigkeit verwechselt, so ist der Transfer nicht gelungen oder falsch eingesetzt.

Schon bei diesen Überlegungen kommen wir in die Schwierigkeit die Maßstäbe für den gelungenen Transfer zu hinterfragen, denn sie hängen davon ab, was wir für „Normalität" halten und was uns „abweichend" erscheint. Der Zusammenhang von gesellschaftspolitischer Entwicklung und Pädagogik ist offensichtlich komplex. Ingrid Kollak hat in ihrem Aufsatz „Schlechte Zeiten für eine kultursensible Pflegepädagogik?", der unter dem Eindruck des 11. September entstanden ist, diesen Zusammenhang deutlich gemacht.

Der Transfer – von der Theorie zu Praxis – ist mehr als eine didaktische Frage, obgleich unbestritten ist, das durch überlegte Didaktik die Umsetzungsmöglichkeiten des Gelernten steigen. Häufig werden dabei zwei methodische Pole unterschieden:

Die Erwachsenen- und Weiterbildung sowie die interkulturelle Bildung neigen dem zweiten Pol stärker zu, obwohl vermutlich hier Anspruch und Wirklichkeit stark auseinander klaffen und die Umfeldbedingungen das Verhalten stark prägen.

Die Rahmenbedingungen in der Weiterbildung sind offen und heterogen. Sie sind weniger durch Behörden geregelt, haben häufig wenig hauptamtliches Personal und unterliegen stärker als staatliche Schulen marktwirtschaftlichen Faktoren. Weiterbildung und Pflegebildung sind hier durchaus vergleichbar: Vielfältige Formen – allerdings ohne ausreichende Transparenz!

In der Weiterbildung fehlt der Erziehungsbegriff - oder er ist nicht sichtbar -, denn man sollte vom mündigen Lernenden ausgehen. Gleichberechtigung im Lernprozess und symmetrische Kommunikation werden gern mit dem Begriff „demokratische Lernkultur" (W. Giesecke) bezeichnet. Die Lernumgebung ist dabei so zu gestalten, dass aktiv-konstruktive selbstgesteuerte Lernprozesse möglich werden. Lernen in ausgewählten Situationen führt dann zum kontinuierlichen Hineinwachsen in die Anforderungen der Profession – Lernen wird zur Enkulturation (vgl. die Ansätze zum situierten Lernen). Diese Wortwahl ist für unser Thema „interkulturelle Qualifizierung" beruhigend, zeigt sie doch die Relevanz des Faktors „Kultur" in der Weiterbildung und gleich zeitig verunsichernd, denn was ist eigentlich mit „Kultur" in dem Begriff „Lernkultur" gemeint?

Charlotte Uzarewicz hat gezeigt, dass der Kulturbegriff in der Interaktion häufig mit Zuschreibungen und Ausgrenzungen verbunden ist (‚wir Deutsche’ und ‚die Muslime’). Er setzt also Grenzen, die es zu überschreiten gilt.

Vergleichbare Probleme stellen sich grundsätzlich in der interkulturellen Pädagogik: Bestimmte landeskundliche Informationen lassen sich vermutlich auch mit Hilfe des „Nürnberger Trichters" vermitteln, wenn auch nicht sehr nachhaltig. Aber das Wissen über Lebensweisen und Vorstellungen der Menschen unterliegt bestimmten Deutungsmustern, die unreflektiert zu Zuschreibungen (Ethnisierungen) führen. Da der Kulturbegriff stets dynamisch verwandt werden muss, kann er nicht von der Deutung der interpretierenden Person getrennt werden. Daher ist Lernen hier personenbezogen. Im interkulturellen Lernprozess geht es daher darum, die eigenen Wahrnehmungen, Wertvorstellungen und situationsgebundenen Perspektiven in der Begegnung mit dem Fremden zu verstehen.

Es helfen uns drei Ebenen im Umgang mit unseren Deutungen (vgl. W. Giesecke in Sieger, Pflegepädagogik 2001):

Die Kenntnis unserer Deutungsmuster ist die Voraussetzung für die Übertragung von Verhaltensmustern Anderer auf die eigene Situation – und nichts anderes erklärt einen großen Teil des Entstehens von Innovationen

Georg Elwert verweist in diesem Zusammenhang gerne auf den Fußballtrainer, der mit übertragenden Strategien aus dem Eishockey erfolgreich wird.

Ziel der pädagogischen Bemühungen ist, die sogenannte Interkulturelle Kompetenz. Dieser Begriff ist zwar schwierig, da er sich nicht genau definierten lässt und die Diskussion um Pflegekompetenz und Schlüsselkompetenz nicht einfacher macht. Möglicherweise muss sich diese Kompetenz in der Begegnung mit anderen Menschen immer wieder neu konstituieren und erreicht abhängig von der Person und der Situation jeweils eine andere Qualität.

Dies ist meine persönliche Erfahrungen mit der interkulturellen Kompetenz, von der ich eigentlich denke, ich verfüge ein wenig darüber. Doch in bestimmten Situation versagt mir meine Emphatie und ich werde befangen und mein Verhalten wird durch Vorurteile gesteuert.

Dennoch soll der Begriff nicht der Beliebigkeit Preis gegeben werden. Die von Monika Habermann dargestellten Punkte zur interkulturellen Kompetenz in der Pflege sind elementar. Und sie weist zu Recht darauf hin, dass, entsprechend eingesetzt, alle Mitarbeiter in Altenhilfeeinrichtungen vom Interkulturellen Management profitieren.

Was bedeutet dies nun für die Praxis von interkultureller Altenpflege und Weiterbildung?

Zunächst einmal wollen wir erreichen, dass die Themen kulturelle Vielfalt, Migration, unterschiedliche Vorstellungen von sozialen Gruppen über Altern, Gesundheit und Pflege Inhalt aller Pflegebildungen werden. In der Altenpflegeausbildung wäre die Verabschiedung des Bundesaltenpflegegesetzes hilfreich, denn in seinen Anlagen werden erstmalig „ethniespezifische und interkulturelle Aspekte" als Unterrichtsthemen benannt. Allerdings scheint es mir nicht sinnvoll, in der Ausbildung ein eigenes Unterrichtsfach „inter- oder transkulturelle Pflege" einzuführen, sondern es wäre besser die Thematik fächerübergreifend einzubinden.

Im Weiterbildungsbereich führt die interkulturelle Perspektive zu neuen Erkenntnissen in der Pädagogik, im Management oder in der Gerontopsychiatrie etc.. Diese sind überall dort hilfreich, wo Differenz zu überbrücken sind. Die interkulturelle Öffnung von Bildungsinstituten und Altenpflegeeinrichtungen unterstützt somit eine offene Haltung für die Lebensvorstellungen des anderen Menschen, ob nun mit oder ohne Migrationshintergrund. Daher benötigen wir auch keine speziell auf Ausländer bezogene Pflege. Die Pädagogik hat vom Übergang von der Ausländer- zur interkulturellen Pädagogik mehr als ein Jahrzehnt gebraucht, das muss in der Pflege nicht nachgeholt werden. Interkulturelle und transkulturelle Altenpflege ist im Kern Qualitätssicherung der Pflegebeziehung. Dies gilt es öffentlich klar zu stellen und dazu hat die heutige Tagung einen Beitrag geleistet.

Das Projekt [iku:] will mit seinen Programmen einen Impuls zur interkulturellen Öffnung der Aus- Fort- und Weiterbildung in der Altenpflege setzten. Wir setzten dabei auf Prozesse der Multiplikation und möchten Sie daher an der Entwicklung und Erprobung unserer Fortbildungen beteiligen. Die ersten Ergebnisse unserer Projektarbeit haben wir heute für Sie ausgelegt und die Beiträge dieser Fachtagung werden wir demnächst im Internet (www.die-bonn.de) für Sie bereit halten. Wir wollen diesen Weg weiter verfolgen und laden Sie heute schon recht herzlich zu unserer Abschlusstagung des Projektes [iku:] ein, die im nächsten Jahr im September (09.2003 bitte vormerken) statt finden wird.

Vielen Dank für ihr Kommen und eine gute Heimfahrt!