Matilde Grünhage-Monetti/Christine Schumann Angesichts der aktuellen Debatte um das Zuwanderungsgesetz in Deutschland ist die Frage, wie Migrantinnen und Migranten eine Zweitsprache - in diesem Fall Deutsch - erlernen können und sollen, von großer Bedeutung. Das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) in Frankfurt am Main erforscht diesen Themenbereich schon seit vielen Jahren. Im Rahmen des diesjährigen "Europäischen Jahr der Sprachen" ist das DIE mit Tagungen und europafinanzierten Forschungsprojekten an der Schnittstelle von "Sprache und Migration" aktiv. Damit leistet das Leibniz-Institut für Erwachsenenbildung einen wichtigen Beitrag in der aktuellen fachlichen und politischen Diskussion, wie die Sprachförderung für Migrant/innen neu geregelt werden kann.

Fremdsprachen sind im beruflichen Kontext sehr wichtig. Darüber besteht in ganz Europa Einigkeit. Was allerdings nicht gesehen wird, ist die Notwendigkeit den Erwerb einer Zweitsprache am und für den Arbeitsplatz zu fördern. In allen europäischen Ländern arbeiten und leben Menschen, deren erste Sprache nicht die der Mehrheitsgesellschaft ist. Zum Beispiel Russen in den baltischen Ländern, Marokkaner in Spanien, ausländische Arbeitnehmer/innen in Deutschland und überall: Flüchtlinge aus allen Krisengebieten der Erde. Diese Menschen beherrschen oftmals die notwendige Zweitsprache nicht ausreichend und haben deshalb zunehmend weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Folgen einer eingeschränkten kommunikativen Kompetenz sind also gerade im Hinblick auf die berufliche und soziale Integration von Migranten besonders gravierend. Und an dieser Schnittstelle von Migration, Sprache und Integration setzen die verschiedenen Aktivitäten des DIE an. „Sprache als Instrument von Macht und Partizipation“ war das Thema einer Tagung, zu der das DIE gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Arnoldshain, dem Frankfurter Amt für Multikulturelle Angelegenheiten und der Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE) im März 2001 eingeladen hatte. Damit wurde eine erfolgreiche Zusammenarbeit zum Thema „Integration und Partizipation in der Migrationsgesellschaft“ fortgesetzt. Ziel der diesjährigen Veranstaltung war nicht, Mehrsprachigkeit und Sprachenlernen zu verherrlichen, sondern sich kritisch mit der gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutung von Sprache(n) im Einwanderungsland Deutschland auseinander zu setzen. „Mehr Sprachen oder Mehrheitssprache?“ Gemeinsam mit dem Sprachverband Deutsch e.V. und dem Büro der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen arbeitet das DIE im Projekt „Mehr Sprachen oder Mehrheitssprache“ zum Thema Deutsch als Zweitsprache. Zentrales Anliegen des von der EU-Kommission von Juli bis Dezember 2001 geförderten Projekts ist ein gemeinsamer Aktionstag am 26. September 2001. Bundesweit sind an diesem Tag alle Weiterbildungsanbieter dazu aufgerufen, ihre Deutschkurse aus den Unterrichtszimmern in den öffentlichen Raum zu verlegen. Ergänzend dazu werden Zuschauer/innen mit Hilfe eines Fragebogens zu ihren Meinungen und Erfahrungen zur Mehrsprachigkeit befragt. Zum Abschluss des Projekts – und des „Europäischen Jahr der Sprachen“ wird am 4. Dezember 2001 in Berlin ein großes Symposium stattfinden, bei dem Politiker/innen und Fachleute aus dem In- und Ausland über die für die Sprachförderung relevanten Aspekte der neuen Konzepte der Zuwanderungspolitik diskutieren. Eine Rückschau des Aktionstages und die Ergebnisse der Umfrage werden das Symposium abrunden. Nähere Informationen zum Aktionstag und zum Symposium finden sich im Internet unter www.sprachentag.de . Ziel des vom DIE koordinierten Projekt ist es, die deutsche Mehrheitsgesellschaft für die Sprachsituation der Zuwander/innen und deren Mehrsprachigkeitspotenzial zu sensibilisieren und die Migrant/innen über die Vielfalt der Deutschlernangebote zu informieren. Gleichzeitig soll das Berufsbild „Lehrkraft in der Erwachsenenbildung“ stärker in den Blickpunkt rücken. „Setting up partnerships against social exclusion at the workplace“ Das Fördern und Fordern der kommunikativen Kompetenz am Arbeitsplatz für In- und Ausländer/innen ist Aufgabe und Ziel eines zweiten DIE-Projekts, das von der Europäischen Union finanziert wird. „Setting up partnerships against social exclusion at the workplace“, kurz SEP, heißt das transnationale Kooperationsprojekt mit dem „Work Basic Skills Network“ der Universität Lancaster und der italienischen Frauenorganisation „ORLANDO“. Im Rahmen des EU-Programms „Preparatory Measures against Discrimination and Social Exclusion“ wurde es vom General Directorate for Employment and Social Affairs gegen Diskriminierungen und zur Umsetzung des Artikels 13 des Amsterdamer Vertrags ausgerufen. Die Veränderungen der Arbeitsinhalte und der Arbeitsorganisation verlangen von den Beschäftigten auf allen Ebenen kommunikative Kompetenzen, die früher nicht notwendig, manchmal sogar nicht erwünscht waren. Forschung und Erfahrungen zeigen dies unmissverständlich. Kommunizieren am Arbeitsplatz bedeutet heute für Teilqualifizierte, z.B. bei einer Teambesprechung Dissens konstruktiv zu äußern, eine Fehlermeldung „fehlerfrei“ zu verfassen, die Pflegedokumentation lesen und schreiben zu können. Dass viele Ausländer/innen diesen Anforderungen nicht gewachsen sind, wird von der Öffentlichkeit zu Genüge hervorgehoben. Inwieweit auch Inländer/innen dazu nicht in der Lage sind, wird dagegen nicht thematisiert. Jüngste Erkenntnisse aus Großbritannien, die Ergebnisse der OECD-Studie zur Grundbildung in den europäischen Ländern und vereinzelte direkte Erfahrungen geben Anlass zur Vermutung, dass in Deutschland das Problem nicht existiert – weil das Bewusstsein fehlt, dass es ein Problem geben könnte. Nicht zuletzt deshalb ist ein Perspektivenwechsel notwendig: Weg von einem Defizitansatz, der die Verantwortung allein auf die Betroffenen legt, hin zur Kompetenzentwicklung, bei der alle Akteure (Wirtschaft, öffentliche Hand, Gewerkschaften, Erwachsenenbildung, Betroffene sowie ihre Selbsthilfeorganisationen und Kolleg/innen) gemeinsame Lösungen suchen und realisieren. Hauptaufgabe des vom DIE koordinierten Projekts ist es, eben solche Partnerschaften zu initiieren, zu begleiten und Empfehlungen für weitere Gründungen zu erarbeiten. Europäisches Netzwerk: "Second language at the Workplace – Language needs of Migrant and Ethnic Workers" Erfahrungsaustausch, Überblick über den Stand der Dinge und ein Raster, wie das lehrende und planende Personal im Sprachenbereich „professionalisiert“ werden kann – das sind Aufgaben und Ziele des vom DIE initiierten und koordinierten Europäischen Experten-Netzwerks ODYSSEUS: Second language at the Workplace – Language needs of Migrant and Ethnic Workers. Finanziert wird es vom Europa-Rat und von der Europäischen Kommission, angesiedelt ist es beim European Centre of Modern Languages (ECML) des Europarats in Graz (Österreich). Wie dringlich die berufliche und soziale Integration von Zuwander/innen in den europäischen Ländern – und die damit unmittelbar verbundene Problematik des Zweitsprachenerwerbs – ist, das zeigte der erste Erfahrungsaustausch von ODYSSEUS, an dem Repräsentanten aus über 20 Ländern teilnehmen. Bei ihrem zweiten Treffen im September 2001 werden die Expertinnen aus verschiedenen europäischen Ländern weiter ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zur Förderung von Zweit- und Fremdsprachen in Arbeitskontexten austauschen. Berücksichtigt werden dabei alle Ebenen, die fachliche und die organisatorische sowie die „politische” und strategische Ebene. Über den Austausch hinaus wird das Europäische Netzwerk ODYSSEUS einen Überblick über den „Stand der Dinge“ in der (Zweit)Sprachförderung am und für den Arbeitplatz in den beteiligten Ländern erarbeiten und ein Raster für die Professionalisierung von lehrendem und planendem Personal entwickeln. Information Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, Hansaallee 150, 60320 Frankfurt/M., Matilde Grünhage Monetti, Fon 069/95626-137, Fax 069/95626-174, E-Mail grünhage-monetti@die-frankfurt.de Das DIE gehört mit 77 anderen außeruniversitären Forschungseinrichtungen zur Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. (WGL). Das Spektrum der Leibniz-Institute ist breit und reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften und Museen mit angeschlossener Forschungsabteilung. Die Institute arbeiten nachfrageorientiert und interdisziplinär. Sie sind von überregionaler Bedeutung, betreiben Vorhaben im gesamtstaatlichen Interesse und werden deshalb von Bund und Ländern gemeinsam gefördert. Näheres unter: http://www.wgl.de

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