DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Neue Medien ungenutzt?

Folgen der digitalen Wende für die Organisation von Weiterbildungseinrichtungen

Richard Stang

Ein empirisches Forschungsprojekt des DIE zur Rolle der Neuen Medien bei Organisationsfragen zeigt, dass Einrichtungen die Potenziale der Neuen Medien im Hinblick auf ihre eigene Organisationsform nur eindimensional nutzen. Ein großer Teil der Einrichtungen gibt zwar an, dass sich Neue Medien auf ihre Organisation auswirken, sieht dies aber auf den Bereich der Verwaltung beschränkt. Richard Stang entwickelt aus ersten empirischen Ergebnissen Thesen zu bisher erreichter und künftig wünschenswerter Berücksichtigung Neuer Medien bei Fragen der Organisationsentwicklung.

Gesellschaftliche Veränderungen sind in den letzten Jahren stark geprägt von der zunehmenden Bedeutung der Neuen Medien. Manuel Castells (2001) hat in seinem Buch zur „Netzwerkgesellschaft“ auf die vielfältigen Auswirkungen des Einsatzes der Neuen Medien auf Wirtschaft, Kultur und Individuum hingewiesen. Auch der Weiterbildungsbereich ist davon nicht ausgenommen. Man könnte sogar sagen, dass er in besonderer Weise davon betroffen ist, da die Weiterbildung schon immer eng mit dem gesellschaftlichen Wandel verbunden war (vgl. Olbrich 2001).

Betrachtet man die Ebenen, auf denen die technischen Entwicklungen für die Weiterbildung und besonders für die Einrichtungen relevant sind, wird die Universalität Neuer Medien deutlich. Sie finden Einsatz als

In den letzten Jahren galt die Aufmerksamkeit der Weiterbildung vor allem der Entwicklung medienbezogener Angebotskonzepte (vgl. Stang 2001). Fast vollständig aus dem Blick geriet die Frage, welche organisationalen Auswirkungen der Einsatz der Neuen Medien hat. Diesem „weißen Fleck“ widmete sich das Forschungsprojekt „Mediale Innovationen und deren Auswirkungen auf Weiterbildungsorganisationen“ des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE), dessen erste Ergebnisse nun vorliegen.

Im Zentrum dieses Projekts standen die Fragen nach dem Stand der Dinge des Einsatzes Neuer Medien in Weiterbildungseinrichtungen und nach Faktoren, die dort den Umgang mit den Neuen Medien beeinflussen. Die für die Untersuchung zur Verfügung stehenden Ressourcen machten es notwendig, sich auf einen Trägerbereich zu konzentrieren. Hier wurden die Volkshochschulen als größter Weiterbildungsträger ausgewählt.

Für diesen Zweck wurden quantitative und qualitative Methoden verknüpft: Eine schriftliche Befragung, die sich an alle 998 Volkshochschulen richtete, bildete die Grundlage für die Auswertung, die durch Experten-Interviews in ausgewählten Einrichtungen ergänzt wurde. Durch Methoden-Triangulation wurden beide Ebenen verbunden.

376 Volkshochschulen schickten den mit 53 Fragen sehr umfangreichen Fragebogen zurück. Auf der Basis der ausgewerteten Daten wurden mit Hilfe einer Clusteranalyse fünf Einrichtungen herausgefiltert, die einen besonders offenen Umgang mit den Neuen Medien zeigten. Die Konzentration auf „positive“ Fälle wurde gewählt, um Faktoren herauszuarbeiten, die den Einsatz Neuer Medien in einer Weiterbildungseinrichtung begünstigen. In diesen Einrichtungen wurden jeweils der Leiter[1] und der EDV-Verantwortliche als die für Neue Medien zentralen Akteure mit Hilfe eines Leitfadens interviewt.

An dieser Stelle soll ein kurzer Überblick über zentrale Ergebnisse gegeben werden[2], bevor auf Konsequenzen für die Weiterbildungseinrichtungen eingegangen wird.

Die Ausstattung mit Internetzugängen (93%), Homepage (73%) und Computern für das Personal (97% Verwaltungspersonal; 91% pädagogisches Personal) kann in den Volkshochschulen als sehr gut bezeichnet werden. Auch die Ausstattung mit eigenen Computerräumen (79%) ist in Anbetracht der unterschiedlichen Größe der Einrichtungen hoch. Doch zeigt sich, dass Einrichtungen mit und ohne eigenen Computerräumen sehr stark auf entsprechende Räume in Schulen zurückgegreifen, was sich vor allem dann als problematisch erweist, wenn man an erwachsenenpädagogische Standards für Lernumgebungen denkt. Ein Intranet (59%) findet sich besonders bei Einrichtungen, die über mehrere hauptberufliche pädagogische Mitarbeiter/innen verfügen. Für die Anbindung von Außenstellen sind Intranetlösungen von großer Bedeutung. Fast die Hälfte der Einrichtungen stellt Kursleitenden in der Einrichtung Computer zur Verfügung, damit diese ihre Kurse vorbereiten können. Im Blick auf die Scheinselbstständigkeitsdiskussion wird sich eine solche Einbindung der Kursleitenden nicht intensivieren lassen.

„An der technischen Ausstattung mangelt es nicht.“

 Die Betreuung der technischen Infrastruktur wird in vielen Einrichtungen professionsinadäquat von hauptberuflich pädagogischen Mitarbeiter/innen, Verwaltungskräften und Kursleitenden übernommen. Obwohl in über der Hälfte der Einrichtungen eine professionsadäquate Betreuung durch EDV-Organisatoren oder externe Firmen stattfindet, fehlt es für diesen Bereich an einem Professionsprofil.

Das Programmangebot der Volkshochschulen hinsichtlich Neuer Medien konzentriert sich stark auf den Programmbereich „Arbeit – Beruf“ (vgl. Abbildung 1). Hier zeigt sich ein großer Nachholbedarf im Bereich der Entwicklung medienbezogener Angebote in anderen Programmbereichen. Auch für die Realisierung spezieller mediengestützter Angebotsformen wie Internet-Café, computergestütztes Selbstlernzentrum und Telelearning bietet sich noch ein immenses Entwicklungspotenzial in Volkshochschulen. Drei Viertel der Einrichtungen verfügen hierzu über kein Angebot.

Verteilung der Angebote zu Neuen Medien auf Programmbereiche

Abb. 1: Verteilung der Angebote zu Neuen Medien auf Programmbereiche

Im Bereich der Neuen Medien sind die Volkshochschulen Dienstleister für andere Auftraggeber (60%). Sie kooperieren auf den unterschiedlichsten Ebenen mit verschiedenen Unternehmen und Institutionen. Gleichzeitig wird auf dem Feld der Neuen Medien eine immense Konkurrenz zu anderen Institutionen – vor allem zu privaten Anbietern – gesehen. In den Experteninterviews wird deutlich, dass die Einschätzung der Situation besonders stark von der konkreten lokalen und regionalen Situation abhängt.

Für die Entwicklung der Volkshochschulen spielen die Neuen Medien eine unterschiedliche Rolle. Oft ist es die Nachfrage der Teilnehmenden oder besonderes Engagement der Mitarbeiter/innen, die für einen hohen Stellenwert sorgt. Spielen die Neuen Medien keine besondere Rolle für die Einrichtung, wird dies vor allem mit den hohen Kosten und fehlenden Personalressourcen in Verbindung gebracht. Eine wichtige Rolle wird den Neuen Medien im Bereich der Verwaltung zugeschrieben. Insgesamt lässt sich zwar eine große Aufgeschlossenheit bei den Volkshochschulen gegenüber den Anforderungen der Neuen Medien feststellen. Jedoch schlägt sich dies nicht in einer gezielten organisationalen Strategie nieder.

„Aufgeschlossenheit für Neue Medien schlägt sich nicht in einer organisationalen Strategie nieder.“

Eine strategische Planung im Bezug auf Neue Medien bedarf einer strukturellen Basis in den Einrichtungen. Bisher verlaufen Entscheidungsprozesse informell als Abstimmung zwischen Personen, wobei der Leitung eine besondere Rolle zukommt. Allerdings gibt es kaum die erforderlichen übergreifenden Organisationsstrukturen.

Das Verhältnis des Personals zu den Neuen Medien wird zwar von der Mehrheit (59%) der Befragten für ihre Institution als unproblematisch bezeichnet, doch zeigt sich in den anderen Einrichtungen, dass es genügend Problempotenziale gibt: Mitarbeiter/innen sind oft den Neuen Medien gegenüber grundsätzlich skeptisch und fürchten veränderte Aufgabenprofile und zusätzliche Belastung. Zudem fehlt es an Fortbildung.

Drei Viertel der befragten Einrichtungen haben gezielte Prozesse der Organisationsentwicklung begonnen bzw. abgeschlossen. Bei knapp 60% der Einrichtungen, die Organisationsentwicklungsprozesse in Angriff genommen haben, spielen bzw. spielten die Neuen Medien eine zentrale Rolle. Im Rückblick auf die letzten fünf Jahre werden die Veränderungen durch die Neuen Medien in den Einrichtungen am stärksten bei den Arbeitsabläufen in der Verwaltung gesehen. Entsprechend werden die Veränderungen im Bereich des Angebots oder für die Institution insgesamt als weitaus weniger gravierend eingeschätzt.

„Veränderungen durch die Neuen Medien am stärksten in der Verwaltung“

Neue Medien generieren Veränderungsbedarfe für die Einrichtungen vor allem in den Bereichen „Angebotsentwicklung“, „Personalentwicklung“ und „Entwicklung veränderter didaktisch-methodischer Konzepte“ gesehen. Geringer werden die Veränderungsbedarfe in den Bereichen „Zielgruppenorientierung“, „Organisationsentwicklung“ und „externe Kooperation“ eingeschätzt. In den Bereichen „Gestaltung von neuen Lernarrangements“, „interne Kommunikation“ und „Fachbereichsgliederung“ werden die Veränderungsbedarfe am geringsten bewertet (vgl. Tabelle 1). Diese Einschätzungen machen deutlich, dass besonders bei Aspekten, die die interne Organisationsstruktur berühren, der Veränderungsbedarf im Hinblick auf die Neuen Medien am geringsten eingeschätzt wird.

 
Angebotsentwicklung 4,26
Personalentwicklung/Fortbildun 4,10
Entwicklung veränderter didaktisch-methodischer Konzepte 3,94
Zielgruppenorientierung 3,85
Organisationsentwicklung 3,81
externe Kooperation 3,76
Gestaltung von neuen Lernarrangements 3,58
interne Kommunikation 3,57

Fachbereichsgliederung

2,47

Tabelle 1: Veränderungsbedarfe im Hinblick auf Neue Medien[3]

Andere Eindrücke gewinnt man in den ausgewählten Einrichtungen. Hier zeigt sich, was für einen offenen Umgang mit den Neuen Medien kennzeichnend ist. Neben der Offenheit der Leitung, die Spielräume für Experimente und die Entwicklung neuer Angebote und Verwaltungsstrukturen eröffnet, ist es eine spezifische Organisationskultur, die durch Experimentierfreude und hohe Dienstleistungsorientierung gekennzeichnet ist. In den Experteninterviews hat sich gezeigt, dass die finanziellen und personellen Ressourcen nur bedingt eine Rolle für die Entwicklung im Bereich Neue Medien spielen. Von zwei Einrichtungen mit einem äußerst interessanten Angebotskonzept im Bereich der Neuen Medien ist die eine ehrenamtlich geleitet, die andere verfügt über keine hauptberuflich pädagogischen Mitarbeiter/innen. Dass Fantasie und Ideenreichtum eine zentrale Rolle spielen, zeigt sich auch am Beispiel einer Einrichtung, die der Firma des EDV-Verantwortlichen im Sinne von Public-Privat-Partnership Geschäftsräume zur Verfügung stellt und dadurch permanenten Zugriff auf deren Ressourcen hat, ohne diese rund um die Uhr bezahlen zu müssen. 

„Es braucht Fantasie und Ideenreichtum“

Obwohl auf der einen Seite die Bedeutung der Neuen Medien für die organisationale Struktur der Einrichtungen gesehen wird, gibt es auf der anderen Seite bislang kaum Konzepte für eine medienorientierte Organisationsentwicklung. Auch die organisationsbezogene Erwachsenenbildungsforschung hat diesen Aspekt bislang nur unzureichend in theoretische Konzepte integriert. Mit der vorliegenden Untersuchung soll ein Anfang gemacht werden, dieses Defizit zu bearbeiten. Betrachtet man die Gesamtergebnisse, so lassen sich folgende Handlungskonsequenzen für die Weiterbildungspraxis beschreiben. Notwendig werden:

Die Auflistung dieser Anforderungen macht die Vielzahl der Faktoren deutlich, die für eine medienorientierte Organisationsentwicklung von Bedeutung sind. Wie in der Untersuchung gezeigt werden konnte, sind alle Organisationsebenen vom Einsatz Neuer Medien betroffen. Wie die Einrichtung den Einsatz und Umgang mit den Neuen Medien gestaltet, hängt auch entscheidend von der Organisationskultur ab. Diese wird weniger von finanziellen und personellen Rahmenbedingungen denn von den Menschen in Einrichtungen bestimmt.

Literatur

Castells, M. (2001): Das Informationszeitalter. Teil 1: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Opladen
Olbrich, J. (2001): Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland. Bonn
Stang, R. (2001): Neue Medien und Erwachsenenbildung. In: Stang, R. (Hg.): Lernsoftware in der Erwachsenenbildung. Bielefeld, S. 13-22.


[1] Durch die Auswahl ergab es sich, dass alle Interviewpartner Männer waren.

[2] Die gesamten Untersuchungsergebnisse werden voraussichtlich im Frühjahr 2003 veröffentlicht. Interessenten können sich an den Autor wenden.

[3] Die Antwortmöglichkeiten im Fragebogen waren vorgegeben. Die Größe des Veränderungsbedarfs konnte anhand einer Skala von 1 bis 6 eingeschätzt werden (Skalenwert „1“ = „überhaupt keinen“; Skalenwert „6“ = „besonders großen“).

 


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Dezember 2002

Richard Stang, Neue Medien ungenutzt?. Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/12003/stang.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp