DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Frauenbildung zwischen Pflicht und Kür

Zahlen - Thesen - Fragen

Sylvia Kade, Angela Franz-Balsen, Susanne Offenbartl

Sylvia Kade ist Leiterin des Projekts "Selbstorganisiertes Lernen im Alter", Dr. Angela Franz-Balsen ist wissenschaftliche Lektorin, Dr. Susanne Offenbartl ist Leiterin des Projekts "Erwachsenenbildner/innen lernen selbstgesteuert mit innovativen Dokumenten", alle am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) in Frankfurt/M.

Wohin bewegt sich die Weiterbildung von Frauen? Angebot und Nachfrage haben sich einerseits differenziert, andererseits drastisch reduziert. Aber noch immer gilt: Bildung ist Kür für Frauen und Pflicht für Männer. Der Blick ins benachbarte Ausland zeigt, daß dies nicht zwangsläufig so sein muß, und wirft eine Reihe von Fragen auf. - Sylvia Kade, Angela Franz-Balsen und Susanne Offenbartl eröffnen differenzierte Einblicke und stellen entsprechende Fragen.

Abstract:
Major changes in further education for women are described: the number of programmes has been decreasing, the topics and themes diversifying. Statistical data and analyses are presented and a number of questions raised. A comparison between Germany and its neighbouring countries suggests that what seems lamentable from inside appears to be a homemade problem.

 

Weiterbildungsteilnahme von Frauen

Seit 1979 werden mit dem "Berichtssystem Weiterbildung" der Bundesregierung die Veränderungen der Frauenbildungsteilnahme dokumentiert: Die Gesamtteilnahmequote an Weiterbildung unter den 19- bis 65jährigen Frauen hat 1994 mit 40% den bisher höchsten Stand erreicht und glich sich nahezu der männlichen Teilnahmequote (44%) an. Insgesamt nahmen 19,9 Mio. Erwachsene - oder 42% - an Weiterbildung teil (S.12). Doch zeichnen sich deutliche geschlechtsspezifische Präferenzen ab. Während Frauen häufiger an Angeboten der allgemeinen Weiterbildung teilnehmen (28%) als Männer (24%), ist das Verhältnis in der beruflichen Weiterbildung genau umgekehrt: Männer haben einen deutlichen Vorsprung (28%) gegenüber Frauen (19%).

Doch gilt die niedrigere Weiterbildungsbeteiligung der Frauen im berufsbildenden Bereich nicht etwa als Ausdruck eines geringeren Interesses, sondern als Folge der gesellschaftlichen Arbeitsteilung: Nach offizieller Lesart ist sie ein Resultat der geringeren Erwerbsbeteiligung der Frauen, denn nur jede zweite Frau, aber drei von vier Männern sind erwerbstätig. Hinzu kommt, daß ein hoher Anteil der Frauen teilzeitbeschäftigt ist, die Teilnahmequote in Teilzeitstellen aber um ein Drittel (24%) hinter der Quote der Vollzeitbeschäftigten (36%) zurückbleibt. Unter den Vollzeitbeschäftigten dagegen weicht die Weiterbildungsquote der Frauen (35%) kaum noch von der der Männer (36%) ab. Auch der Ost-West-Vergleich bietet Indizien, daß es noch unausgeschöpfte Qualifikationspotentiale unter Frauen gibt. Denn Frauen in den neuen Bundesländern nehmen weit häufiger an beruflicher Weiterbildung teil als Frauen in den alten Bundesländern, obwohl die Erwerbsquote unter ostdeutschen Frauen seit 1991 zurückgegangen ist. Der für Weiterbildung negative Struktureffekt wurde von den ostdeutschen Frauen quasi überkompensiert (zu Ost-West-Unterschieden vergleiche auch das Interview mit Veronica Pahl in diesem Heft).

Auffällig ist, daß die Erwerbstätigkeit von Frauen auch die Teilnahmebereitschaft in der allgemeinen und nicht nur in der beruflichen Weiterbildung stärkt, denn 35% der erwerbstätigen, aber nur 28% der nichterwerbstätigen Frauen besuchen Bildungsangebote der allgemeinen Weiterbildung - dies gilt für ost- wie westdeutsche Frauen, für letztere aber ungleich häufiger. Immerhin 35% der erwerbstätigen Frauen im Westen, aber nur 24% im Osten nehmen an allgemeinen Weiterbildungsangeboten teil. Offenkundig haben viele der vom Arbeitsmarkt verdrängten Frauen resigniert, oder es fehlt ihnen das Geld zur Teilnahme.

Aber ist die Interpretation, daß frauenspezifische Lernmotive vor allem vom Grad der Erwerbsbeteiligung abhängig seien, die einzig mögliche? Sieht die Sachlage nicht anders aus, wenn - wie in diesem Heft - die Frage untersucht wird, was gefördert wird, welche Präferenzen Frauen haben und welche Gelegenheitsstrukturen ihnen dabei entgegenkommen bzw. welche Barrieren heute der Frauenbildungsarbeit entgegenstehen?

Angebote für Frauen und Nachfrage von Frauen am Beispiel der VHS-Statistik und einer Programmanalyse

Einen spezifischeren Blick als das Berichtssystem Weiterbildung auf die Nachfrage von Frauen nach Bildungsangeboten ermöglicht die Volkshochschul-Statistik, die im DIE seit vielen Jahren geführt wird und - wie das Berichtssystem Weiterbildung - Entwicklungen über die Zeit deutlich werden läßt.

Allerdings unterscheidet die Volkshochschul-Statistik erst seit Mitte der 80er Jahre zwischen Männern und Frauen als Teilnehmenden, für eine angeblich teilnehmerorientierte Erwachsenenbildung ist das ein Zeichen ihrer (früheren?) Alltagsvergessenheit und Geschlechtsblindheit.

Die seit rund 10 Jahren gesammelten geschlechtsspezifischen Daten der VHS-Statistik beruhen auf der fast vollständigen Erfassung aller Belegungen einzelner VHS nach Geschlecht (und Alter). Die Zusammenstellung der Geschlechtsverteilung in Kursveranstaltungen nach Stoffgebieten dokumentiert zunächst die Überzahl weiblicher Teilnehmender im gesamten Volkshochschulgeschehen: Die Frauen machen 75% des Publikums aus. Alle Fachgebiete werden zu über 50% von Frauen nachgefragt. Bewertet nach Priorität der Themen, offenbart sich dann in den Zahlen, was auch als Alltagstheorie verbreitet ist: Frauen fragen nichtberuflich orientierte Angebote am meisten nach. Spitzenreiter ist die Gesundheitsbildung (vgl. den Beitrag von Angela Venth in diesem Heft), gefolgt von Weiterbildung im Bereich Hauswirtschaft, von künstlerisch-handwerklichem Gestalten und von Kursen zu Erziehung, Psychologie und Philosophie. Natürlich lernen Frauen auch fremde Sprachen, aber das Nachholen von Schulabschlüssen interessiert sie wenig. Der Geschlechtervergleich spitzt sich anhand dieser groben Daten auf eine Konfrontation Freizeitbildung für Frauen versus Qualifikationsbildung für Männer zu, oder anders ausgedrückt: Bildung ist Kür für Frauen, aber Pflicht für Männer.

Frappierend ist, daß sich wenige Jahre nach der Wende die Daten in den neuen und alten Bundesländern nahezu angeglichen haben, der Unterschied läßt sich mit weniger als 1% beziffern. Frauen haben Mitte der 90er Jahre hier wie dort identische Ansprüche an das VHS-Bildungsangebot - diesen erstaunlichen Befund könnte allein qualitative Forschung erhellen.

Seit es Frauenbildung gibt, werden in der VHS-Statistik die speziellen Kursangebote für Frauen gesondert aufgeführt, sie liegen bei 2,7% des Gesamtangebotes, als indirekter Ausdruck der Nachfrage nach Bildung ausschließlich für Frauen ein bemerkenswert geringer Anteil. Aber er gibt noch keinen Aufschluß über die Art der Angebote. Mit der aussagekräftigeren Methode der Programmanalyse (vgl. Nolda 1998) wurden deshalb im DIE zwei Stichproben durchgeführt (1997 und 1999), die über aktuelle Themen/Inhalte von Veranstaltungen für Frauen und Männer, über deren zahlenmäßiges Verhältnis, über Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern und über erste Anzeichen einer genderorientierten Bildung Auskunft geben sollten (vgl. Kenk 1999). Es wurden in den Programmen von 20 bzw. 16 (1999) größeren Städten aus ganz Deutschland alle Veranstaltungsangebote herausgesucht, die durch Fachbereich, Titel oder Zielgruppendefinition geschlechtsspezifisch ausgewiesen waren: Dieses geschlechtsbezogene Angebot gleich 100% gesetzt, ergibt sich 1997 ein (Miß?)Verhältnis von 96% Angeboten für Frauen gegenüber einem Anteil von 4% für Männer, die wenigen Titel, die als Gender-Bildung (d.h. Frauen und Männer oder das Geschlechterverhältnis werden im Titel erwähnt) kategorisiert werden können, sind eine vernachlässigbare Größe.

Für die Inhalte ergaben sich bei der Auswertung folgende Kategorien, wiedergegeben in der Rangfolge: Frauenthemen, Gesundheit, Beruf/Geld, Kultur/Politik, Migrantinnen, Technik und weit abgeschlagen Männerthemen. Während die Männerthemen sich vornehmlich mit dem Mannsein beschäftigen, ist der Anteil der Frauenthemen, die sich der Frau als Frau widmen oder die gar feministische Töne anschlagen, gering geworden. Immer noch deutlich ist ein Defizit-Ansatz, der vor allem berufsorientierte, aber auch freizeitorientierte Angebote prägt (Beispiel: "Pannenkurs" und "Kreatives Schweißen für Frauen" versus "Kochen und Nähen für Männer"). Aber der steht nicht mehr für sich allein. Sehr viel Selbstbewußtsein und Selbständigkeit wird vermittelt. Die gesellschaftliche Realität des Wegbrechens der abgeleiteten Existenz- und Alterssicherung von Frauen durch Ehemänner spiegelt sich wider in einer Vielzahl neuer Themen der Kategorie Geld/Beruf (Beispiel: "Goldmarie und Crashmarie - Sparbuch und Aktien", "Frauen und Alterssicherung"). Die veränderte gesellschaftliche Realität der neuen Bundesländer geben die dortigen Themen wieder, hier wird manches nachgeholt (Beispiel: "Orientalischer Tanz - Warum nicht auch in Gera?") und vieles im Rückschritt angepaßt ("So trete ich als Frau überzeugend auf").

Als Entwicklungslinien lassen sich beschreiben, daß die Frauendomäne Gesundheitsbildung einen Einbruch erfährt und daß neue Themen das Angebot für Frauen anreichern, die unmittelbar mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenhängen: beispielsweise der Themenkomplex Internet und (noch in geringem Maße) die Agenda 21.

Insgesamt ist ein drastischer Rückgang der Angebote für Frauen im Vergleich 1997/1999 zu beobachten, der durch einige wenige neue Gender-Themen 1999 nicht kompensiert werden kann. Auch wenn beispielsweise äußere Faktoren wie die Gesundheitsreform und schrumpfende Etats eine mögliche Ursache darstellen, die aufgezeigten Trends werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben: Was sagt die Wahl der Frauen über ihre Interessen und Ziele aus? Wer definiert, was wichtig ist und was die Programme prägen soll?

Thesen zur Wirksamkeit und Unwirksamkeit der Frauendiskurse

Parallel zu diesen Entwicklungen bei den Teilnehmerinnen und den Bildungsangeboten hat das Frauenthema generell, aber insbesondere in der Bildungsarbeit an Bedeutung verloren, obwohl Frauen in der Grundbildung keineswegs mehr gegenüber Männern benachteiligt sind, wie nie zuvor im Beruf präsent und auf allen Hierarchiestufen tätig sind, eigene Infrastrukturen und Netzwerke etabliert haben und in allen öffentlichen Arenen vertreten, hörbar und sichtbar sind. Hier sollen nun einige Thesen als Erklärungsmuster für diese Entwicklung vorgestellt werden, um den Horizont zu verdeutlichen, vor dem die Frauenbildung heute agiert:

1. Normalisierungsthese

Die Frauenbewegung hat Wirkung gezeigt, der Geschlechterdiskurs ist in eine Phase der Normalisierung übergegangen, ist damit aber auch um sein Störpotential gebracht. Ausdruck seiner Wirksamkeit ist gerade die Tatsache, daß sich der jüngeren Frauengeneration kaum noch die Frage nach der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern stellt. Die jungen Frauen verfügen heute über einen besseren Bildungsabschluß als die jungen Männer, treten diesen mit mehr Wissen und Selbstbewußtsein gegenüber als die Geschlechtsgenossinnen vorausgegangener Generationen. Sie finden bereits eine funktionierende (Bildungs-)Infrastruktur vor, ein flächendeckendes Netzwerk von Frauengleichstellungs-Büros, Buchläden, Gesundheits- und Kulturzentren, die frauenspezifische Belange vertreten. Von den Älteren wird indessen beklagt: "Sie haben sich arrangiert". Denn die verbliebenen ungleichen Lebens- und Entfaltungschancen im Beruf treffen auch die jüngeren Frauen, aber diese gehen angesichts einer chronifizierten Arbeitsmarktkrise anders damit um. Sie suchen nach individuellen Teillösungen, nach Nischen und Gegenwelten, in denen es sich leben läßt - trotz der eingeschränkten Selbstverwirklichungschancen.

2. Polarisierungsthese

Die wachsende Polarisierung unter den Frauen in "Gewinnerinnen" und "Verliererinnen" wird letztlich als Ausdruck einer strukturellen Normalisierung im Geschlechterkampf gewertet und im Sinne einer Angleichung der Geschlechter interpretiert: Auch Frauen wollen Macht und Erfolg. Unter Männern wie Frauen werden gleiche Lebenschancen unterschiedlich realisiert. Der Einwurf aus den eigenen Reihen blieb deshalb nicht aus: Nachdem die "Vordenkerinnen" die privilegierten Stellen besetzt hätten, nehme auch ihr Engagement in der Frauenbewegung ab. Generell habe die Polarisierung und zunehmende Differenzierung unter Frauen einen Desolidarisierungseffekt zur Folge gehabt. Verhindernd wirke sich auch ihre "Erfolgsangst" aus, die Frauen an dem Griff nach der Macht hindert.

3. Individualisierungsthese

Frauen haben heute mehr Optionsspielräume bei der Lebensgestaltung, weibliche Lebensformen und Lebensentwürfe haben sich pluralisiert, dadurch werden zugleich aber auch gemeinsam geteilte Wertbezüge und gemeinschaftsstiftende Bündnisse und Praxen geschwächt. Der Selbstverwirklichungsdiskurs schlug um in einen folgenreichen Optionszwang, der die Verantwortung für den Lebenserfolg zunehmend der einzelnen Frau aufnötigt und Mißerfolg als persönliches Scheitern interpretiert. Im gleichen Maße, in dem sich der Individualisierungszwang für beide Geschlechter verallgemeinert hat, nimmt auch der normative Erwartungsdruck bei den Frauen selbst zu. Rückzugstendenzen unter Frauen sind ein unverkennbarer Ausdruck eines Überforderungssyndroms, das unter jüngeren wie älteren Frauen grassiert. Es wird zunehmend durch Bildung bearbeitet, wenn Frauen nach Halt und Orientierung suchen.

4. Veralltäglichungsthese

Die Veralltäglichung der Genderdiskurse bzw. der Benachteiligungsrhetorik trägt zu ihrer zunehmenden Bedeutungslosigkeit und schwindenden öffentlichen Aufmerksamkeit bei: Ihr ist die Spitze gekappt durch Gewöhnung und Vereinnahmung - z.B. in den Medien. Doch mit dem Verschwinden des Bewußtseins eines Problems ist dieses selbst keineswegs gelöst. Die resignative Einsicht verstärkt sich unter Frauen, daß sie nach 30 Jahren Engagement im Geschlechterkampf noch immer nicht viel weiter gekommen sind als ihre Mütter. Noch immer erreicht die Mehrheit unter ihnen eine der erworbenen Kompetenz und Qualifikation angemessene Position nicht, die Emanzipation bleibt auf halber Wegstrecke stecken. Mißerfolgserwartungen verstärken sich durch Rückschläge, die Spirale der Demotivierung weitet sich aus, und die Bewegung "tritt auf dem Fleck". Dies zeigt Wirkung auch im Bildungsbereich, der auf Erfolgserlebnisse angewiesen ist: Bildung wozu? ist immer häufiger die Frage, die keine/r beantworten kann.

5. Gegenoffensiven der Männer

Die Ungleichheit unter den Geschlechtern hat sich maskiert: Sie nimmt heute andere Formen und Gestalten an. Die Gegenoffensiven der Männer reproduzieren vielmehr ungleiche Lebenschancen für Frauen auf einer erhöhten Stufenleiter. Männerbünde haben ihren Schulterschluß erneuert durch verfeinerte Gegenstrategien zum Ausschluß der Frauen, z.B. die berüchtigte "Doppelspitze" in der Politik, deren Hürde nur selten von Frauen genommen wird. Schutzrechte für Frauen (Arbeitszeitmodelle) verwandelten sich zunehmend in Ausschlußkriterien, und Förderstrategien ("Quote") wurden zum Bumerang, der gegen Frauen zurückschlägt. Die Ausgrenzung von Frauen vollzieht sich auf dem Arbeitsmarkt subtiler, sie werden aus angestammten Berufsdomänen verdrängt, sobald auf dem verengten Arbeitsmarkt ein Feld auch für Männer attraktiv geworden ist, z.B. im ambulanten Pflegebereich. Und die Ausgrenzung vollzieht sich durch neue Arbeitsorganisations- und Zeitarrangements, durch die Frauen auf befristete Stellen abgedrängt werden und Männern Vollzeitstellen vorbehalten bleiben. Die Flexibilisierung der Arbeit wird eine Domäne der Frauen sein und Bildung das Vehikel, mit dem sie durchgesetzt wird.

Ein Blick über den deutschen Horizont hinaus

Ein kritischer Blick auf die zahlenmäßigen Entwicklungen und auf die kursierenden Erklärungsmuster muß heute erweitert werden um einen Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus. Der europäische Vergleich legt nahe, daß sich die Bildungssituation der Frauen in deutschsprachigen Ländern ähnlich, in Frankreich und Schweden beispielsweise aber ganz anders darstellt (vgl. Schütt/Lewin 1998). Dort haben wesentlich mehr Frauen als Männer die schulischen Voraussetzungen für ein Studium und nutzen diese auch in größerem Maße. Das heißt, daß mehr Frauen als Männer studieren und ihr Studium auch abschließen. Die geschlechtsspezifische Aufteilung der Studienfächer entspricht der in den deutschsprachigen Ländern, allerdings auf einem weit höheren Niveau.

Werden weitere Bildungswege in den Vergleich einbezogen, zeigt sich ein durchaus signifikanter Frauenvorsprung in mehreren Ländern.

Diese punktuellen Vergleiche berufsrelevanter Bildung können sicher nicht auf die gesamte europäische Weiterbildungslandschaft extrapoliert werden. Dennoch ziehen sie die Frage nach sich, wie die oben ausgeführten (deutschen) Thesen vor dem Hintergrund zu werten sind, daß in anderen Ländern offensichtlich eine wesentlich stärkere Beteiligung von Frauen an Bildung zu verzeichnen ist.

Normalisierung

Angesichts der in Europa sehr unterschiedlichen Zahlen stellt sich die Frage: Was ist normal? Sind die hohen Studentinnenzahlen in Schweden überproportional? Sind die relativ gleichen Schulabschlüsse in Deutschland die endlich erreichte Normalität? Und wie sind dann die Zahlen in Frankreich und Großbritannien zu interpretieren? Während die Frauendominanz in Frankreich Tradition hat, ist sie in Großbritannien gerade im Entstehen? An welche Norm nähert sich die Normalisierung an? Statistische Mittelwerte und gleich große Säulen in Grafiken reichen nicht aus zur Operationalisierung gesellschaftlicher Normen.

Polarisierung

Wenn Erfolgsangst und Machtangst die Frauen hindern: Haben Frauen in anderen europäischen Ländern weniger Angst, oder sind die bildungspolitischen Durchsetzungschancen der Frauen bezüglich ihres Macht- und Erfolgswillens größer als in Deutschland? Warum sind die deutschen Frauen homogen verängstigt, so daß sie sich nicht trauen, ihre Bildungschancen wahrzunehmen? Sind die Rahmenbedingungen für Frauen in anderen europäischen Ländern ausdifferenzierter?

Individualisierung

Offenbar reagieren Frauen in anderen europäischen Ländern nicht mit einem Überforderungssyndrom auf den sich dort ebenso ausbreitenden Individualisierungszwang, oder sie finden andere soziale Unterstützungsressourcen vor.

Veralltäglichung

Eventuell sind Gewöhnung und Vereinnahmung in allen europäischen Ländern zu beobachten. Die Frage ist, was dann passiert: Weiterentwicklung, Stagnation oder Roll back? Die Frage "Bildung wozu?" hindert die Frauen jedenfalls nicht, sich weiter zu qualifizieren. Die Studentinnenanteile steigen europaweit.

Gegenoffensiven der Männer

Dieser Mechanismus kann nur greifen, wenn sich unterschiedliche Bildungs- und Handlungsbereiche für Männer und Frauen herausbilden. Ob dies in anderen Ländern der Fall ist, läßt sich aus den vorliegenden Zahlen nicht schließen. Allerdings deutet die Quantität der Beteiligung der Frauen an den "klassischen" Bildungswegen in anderen europäischen Ländern darauf hin, daß diese Gegenoffensive dort Grenzen hat.

Die Thesen zum Verschwinden des Frauenthemas verharren in dem Modell, daß die Frauen in einer Opferrolle sind. Die Frauen in Deutschland werden dargestellt als Opfer patriarchaler Ausgrenzungsstrategien und ihrer eigenen psychischen Dispositionen.

Diese Darstellung wirft wiederum Fragen auf: Welches Bild haben die Frauen selbst von Frauen? Wie sehen die psychischen Dispositionen tatsächlich aus? Empirische Untersuchungen dazu liefen Gefahr, von dem Ballast des Diskurses erstickt zu werden. Im Diskurs über Frauen wiederum haben Modelle mit Opferrollen, haben Defizitansätze eine lange Tradition. Haben die Erklärungsmuster deswegen diesen Unterton? Wie sähe denn die Situation dieser Opfer aus der Perspektive der Lern- und Lebensbedingungen von Frauen in anderen europäischen Ländern aus?

 

Literatur

Deutsches Institut für Erwachsenenbildung: Volkshochschul-Statistik. Arbeitsjahr 1994. Frankfurt/M. 1995

Deutsches Institut für Erwachsenenbildung: Volkshochschul-Statistik. Arbeitsjahr 1997. Frankfurt/M. 1998

Kenk, Martina: "Vom Girlie zur Powerfrau" - Angebote für Frauen in VHS-Programmen, Frühjahr 1999. http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/kenk99_01.htm

Kuwan, Helmut: Berichtssystem Weiterbildung VI. Erste Ergebnisse der Repräsentativbefragung zur Weiterbildungssituation in den alten und neuen Bundesländern. Bonn 1996

Nolda, Sigrid/Pehl, Klaus/Tietgens, Hans: Programmanalysen. Frankfurt/M. 1998

Schütt, Inge/Lewin, Karl (Hrsg.): HIS Bildungswege von Frauen. Vom Abitur bis zum Beruf, Hannover 1998