DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

"Gleichstellung statt Frauen-Trimm-Dich"

Gespräch mit Veronika Pahl

Veronika Pahl ist Leiterin der Abteilung 2: Allgemeine Bildung, Berufliche Bildung im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). - Das DIE-Gespräch mit Veronika Pahl (V.P.) über Frauen und Weiterbildung sowie Eckpunkte einer neuen Gleichstellungspolitik führten Susanne Offenbartl und Herbert Bohn (DIE).

DIE: Frau Pahl, wie erklären Sie sich die Tatsache, daß das Thema Frauen kein Thema mehr ist in der Weiterbildung?

V.P.: Ich glaube, es gibt drei Gründe dafür. Zum einen haben viele jüngere Frauen offenbar den Eindruck, daß das Thema Frauen und Bildung etwas altmodisch geworden ist. Ich habe gerade in der politischen Bildung bei den 20-30jährigen den Eindruck gewonnen, daß sie das erstens nicht mehr thematisiert haben wollen, weil ihre Gleichberechtigung schon erreicht sehen, und weil sie nicht mehr als eine besondere Zielgruppe angesprochen werden wollen, sondern sagen: Wir haben inzwischen soviel an Selbstbewußtsein erlangt, daß wir selbst zupacken können. Ein zweiter Punkt kann natürlich auch sein, daß man durch die höhere Arbeitslosigkeit sich sehr viel stärker mit sehr an die eigene Existenz gehenden Fragen befaßt und sich nicht mehr den "Luxus" von solchen weichen Themen wie "Frauen und Weiterbildung" leistet. Und drittens liegen offenbar bestimmte Themen auch immer nur für eine gewisse Zeit im Trend und stehen dann, aus welchen Gründen auch immer, auf einmal nicht mehr auf der Hitliste oben. Ich möchte nicht behaupten, daß dahinter etwa eine Strategie - von wem auch immer - liegt und auch nicht von einem bewußten Herausdrängen dieses Themas aus der politischen, allgemeinen, beruflichen Weiterbildung die Rede sein kann. Sondern es gibt offenbar ein Bündel von Gründen, die eben auch ein bißchen etwas mit Mode zu tun haben.

DIE: Immerhin ist es aber auffällig, daß der Zeitpunkt, ab dem die Thematik praktisch verschwindet, sich ziemlich exakt festmachen läßt, nämlich die Zeit nach der Wende, also nach 1990. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

V.P.: Ich könnte jetzt nur spekulieren. Wenn ich mir die Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit ansehe, wer in den neuen Bundesländern in Qualifizierungsmaßnahmen war, dann waren das zu 70, 80, 90% Frauen, und keineswegs in solchen Qualifizierungsmaßnahmen, die lediglich frauentypische Berufsfelder betreffen, sondern das ging quer durch das gesamte Berufsspektrum. Insofern haben gerade in den neuen Ländern offenbar die Frauen erkannt, daß sie aus dem Strukturwandel heraus sich über Weiterbildung eine neue Chance eröffnen können.

DIE: Daß das Thema einfach nicht mehr modern ist, heißt das, daß das Verschwinden eigentlich nichts damit zu tun hat, wie die Förderpraxis und wie die Teilnehmerinnen aussehen?

V.P.: Richtig. Jedenfalls in den neuen Bundesländern kann man eindeutig nachweisen, daß sich in allen Maßnahmen zu einem deutlich überwiegenden Prozentsatz Frauen befanden.

DIE: Dennoch nehmen, auf das ganze Bundesgebiet gerechnet, mehr Männer an qualifizierenden Maßnahmen teil. D.h. es gibt da einen relativ großen Ost-West-Unterschied.

V.P.: Nein, es gab diesen Ost-West-Unterschied. Und ich glaube auch nicht, daß die Beobachtung über alle Bereiche richtig ist, weil es ja auch völlig falsch wäre, nun sämtliche Weiterbildungsbereiche in einen Topf zu werfen Wenn ich mir den Berufsbildungsbericht ansehe, da sind im Bereich der Industrie- und Handelskammern bei den Weiterbildungsprüfungen 46% der Teilnehmenden Frauen, in den kaufmännischen Berufen 60%, bei den industriell-technischen sind es es nur knapp 10%, aber das ist natürlich auch zu erklären durch das vorher gewählte Berufsspektrum in der Erstausbildung. Betrachte ich die Zahlen der Begabtenförderung Berufliche Bildung unseres Hauses, dann sind 44 % der Stipendiaten Frauen, während wir bei den Absolventen der entsprechenden Ausbildungen 43% Frauen haben. Also zwar nur ein leichter Überhang, aber immerhin nutzen Frauen zu einem Prozentpunkt häufiger die Chance, die Begabtenförderung berufliche Bildung zu nutzen. Halte ich mir die Statistik der Förderung nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz vor Augen, gebe ich Ihnen allerdings recht: Nach unserer Untersuchung fördern wir nur 15% Frauen. Das hat aber wiederum auch etwas damit zu tun, daß diese Aufstiegsfortbildung sich überwiegend im Handwerksbereich abspielt. Und dort sind eben auch aufgrund der vorher gewählten Berufe weniger Frauen anzutreffen.

Ich will an diesen Zahlen nur deutlich machen, daß Diskriminierung und pure Willkür, die mancher dahinter sieht, meines Erachtens nicht vorhanden ist. Man muß sich ansehen, in welchen Berufsbereichen Frauen ursprünglich ausgebildet sind, und wie sie dann die Weiterbildungsmöglichkeiten nutzen. Und dort, wo sie vorher stark vertreten sind, nehmen sie auch zügig an Weiterbildungsmaßnahmen teil und schließen diese auch mit Prüfung ab. Insofern plädiere ich für einen sehr differenzierten Blick auf diese Szene.

DIE: Uns ist aufgefallen, daß das Stichwort Frauenbildung in dem Statement von Bundesministerin Bulmahn zu "Positionen zur Weiterbildung" in der DIE Zeitschrift I/99 nicht dezidiert auftaucht. Das kann natürlich unterschiedliche Gründe haben. Hätten Sie eine Erklärung dafür?

"Über die Zeit der Appelle sind wir hinaus"

V.P.: Die Tatsache, daß die Ministerin das BMBF-Referat "Frauen in Bildung und Forschung" nun auch noch mit einem neuen finanziellen Titel ausgestattet hat, macht deutlich, daß die Ministerin auf Frauenförderung in allen Bildungs- und Forschungsbereichen, also nicht nur in der Weiterbildung, sehr großen Wert legt. Dann muß man nicht zählen, wie häufig in jedem Artikel Frauen vorkommen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das, wenn das ständig nur als Floskel oder Präambel verwendet wird, auch tatsächlich den Frauen dient. Unsere Strategie ist es, viel eher zu fragen: Wo gibt es konkrete Ansatzpunkte? Und wenn wir Probleme feststellen, wollen wir diese ganz gezielt aufgreifen. Denn ich glaube, daß wir über die Zeit hinaus sind, in der man immer mit irgendwelchen allgemeinen Bemerkungen - "und jetzt werden auch Frauen gefördert"- weiterkommt. Zum Beispiel hat das genannte Referat einen Prüfauftrag, doch mal genauer herauszufinden, ob es etwa im Weiterbildungsbereich durch die Gestaltung von ganz konkreten Weiterbildungsmaßnahmen Hemmnisse dafür gibt, daß sich Frauen beteiligen, ob es etwa an der Kinderbetreuung liegt, ob es an dem Vollzeitangebot liegt oder ob man noch viel stärker berufsbegleitende Angebote unterbreiten sollte. Das scheint mir ein vielversprechenderer Weg zu sein, denn über diese Zeit der Appelle sind wir meines Erachtens hinaus.

DIE: Dieser neue Bereich soll also eher übergreifend arbeiten und dafür sorgen, daß die Belange von Frauen in den anderen Referaten und Arbeitsbereichen stärker berücksichtigt werden?

V.P.: Genau, es ist ganz stark eine Querschnittsaufgabe geworden. Das findet seinen Niederschlag einmal in der eigenen finanziellen Ausstattung, zum anderen in der Zuordnung zu der zentralen Steuerungsabteilung in diesem Hause, und schließlich sind sogar im Haushaltsplan des BMBF in jedem Kapitel die Belange von Frauen erwähnt worden. Aber eben immer ganz direkt so, daß jedes Referat, jede Abteilung aufgefordert ist, wirklich an den konkreten Fällen zu überprüfen, ob da etwa Hemmnisse vorhanden sind, die dann überwunden werden müssen. Ein Beispiel: In der Arbeitsgruppe Aus- und Weiterbildung im Rahmen des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, die Frau Ministerin Bulmahn leitet, ist in dem Teil "Entwicklung neuer Berufe" aufgegriffen, bei der Entwicklung neuer Berufe, Kampagnen in Richtung junge Frauen und Berufsberatung zu gestalten, damit auch gerade neue moderne Berufe, die noch nicht ein bestimmtes Frauen- oder Männer-Image haben, auch bei Frauen bekannt werden. Und so ähnlich könnte man das natürlich in der Weiterbildung auch machen. Wir hatten z.B. gehofft, daß die neuen Berufe in der Informationstechnologie stärker von Frauen genutzt werden würden, weil wir glaubten, daß das eben so ein unbesetztes und noch nicht stigmatisiertes "Blaumann-Feld" sei. Da haben wir allerdings noch eine relativ geringe Frauenbeteiligung festgestellt. Da müssen wir also Werbung machen.

DIE: Kann man also nach dem Regierungswechsel von einer dezidiert neuen Weiterbildungspolitik in Hinsicht auf Frauenförderung sprechen?

V.P.: Ich nenne es eher Gleichstellungspolitik. Ich glaube, daß es sehr wichtig ist, daß wir deutlich machen, etwa durch die Zuordnung dieses Referates bei der zentralen Abteilung, die finanzielle Ausstattung, durch den Auftrag an alle Referate, bei Förderprogrammen, bei Forschungsprogrammen immer diese Frage der Gleichstellung im Auge behalten und signalisieren: Die Gleichstellungspolitik ist im BMBF ein wichtiges Anliegen und Querschnittsaufgabe in allen unseren Feldern.

DIE: Sehen Sie ein verändertes Frauenbild hinter der Gleichstellungspolitik des Ministeriums oder nach wie vor dieses defizitäre Bild - die Frauen müssen noch zusätzliche Kenntnisse erwerben, um genau das zu erreichen, was die Männer schon können?

V.P.: Ich kann diese Frage nur zurückweisen, denn wenn Sie bei der Ministerin dieses Hauses anfangen, dann würden Sie nicht sagen, daß sie Ministerin geworden ist, weil sie ganz viele Frauenfördermaßnahmen durchlaufen mußte. Ich will damit sagen, durch diese Leitung, durch die Personen, die hier im Hause handeln, man völlig ausschließen kann, daß hier noch irgend jemand an ein Defizitmodell glaubt, das etwa in den Frauen selber läge. Wir sehen natürlich, daß Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen noch Schwierigkeiten haben. Das ist aber sicherlich kaum darauf zurückzuführen, daß Frauen noch Bildungsmängel oder Selbstbehauptungsmängel - das vielleicht noch eher - aufweisen. Aber daß da Maßnahmen im Sinne von Frauen-trimm-dich nötig wären, das hielte ich für völlig verfehlt, das muß ich strikt zurückweisen.

DIE: Welches alternative Frauenbild steckt dann hinter dieser Art von Frauenförderungspolitik?

V.P.: Frauen Mut zu machen, gleiche Chancen zu nutzen oder überhaupt Chancen sich zu erkämpfen, wenn sie denn noch nicht gleich sind. Und natürlich auch ein Frauenbild, das sich nicht mehr daran mißt: Ich will so werden wie ein Mann, sondern sagt: Das was ich biete, ist ein Wert an sich.

DIE: Können Sie aus der Praxis bestimmte Fallstricke oder Fallen beschreiben, an denen eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern in der Weiterbildung scheitert?

V.P.: Richtige Fallen sind das nicht, das sind ganz praktische Hemmnisse. Wenn Sie daran denken, daß Frauen immer noch die Kinderbetreuung zugewiesen wird und wir relativ wenig Teilzeitangebote haben für Weiterbildung tagsüber, die sich den unterschiedlichen Zeitwünschen anpassen. Wir haben relativ wenig Weiterbildungsangebote mit unentgeltlichen Kinderbetreuungsmaßnahmen. Wir haben immer noch die Schwierigkeit, daß Weiterbildungseinrichtungen in sogenannten A-Lagen in den Innenstädten sind, aber Frauen dann, weil man dort ja nicht wohnt, weitere Wege zu überwinden haben. Ich will mit einem solchen kleinen Beispiel sagen: Es sind aus meiner Perspektive oft nicht die ideologischen Hemmnisse, sondern es sind konkrete Schwierigkeiten, die im täglichen Arbeitsablauf zu überwinden sind, oder aber die doch noch auf der gesellschaftlichen Aufgabenteilung beruhen. Die hat dann aber nicht der Weiterbildungsträger allein zu verantworten. Vielmehr folgt die Zuweisung der Familienarbeit in manchem Haushalt alten Mustern.

"Konkrete Hemmnisse überwinden"

DIE: Gehört zu diesen Hemmnissen auch die Zeitstruktur von Angeboten?

V.P.: Sicherlich. Entweder sind das Angebote am Abend oder es sind Ganztagsangebote, die oft nicht von Frauen besucht werden können, obwohl ich eben auch anerkennen muß, daß die Weiterbildungswelt schon etwas bunter geworden ist, daß es auch schon paßgenaue Angebote gibt. Aber das müßte im Grunde noch sehr viel stärker aufgegriffen werden. Es gibt sehr interessante Fernstudienangebote, die dann letztlich nicht mehr nur mit Schriftstücken arbeiten, sondern natürlich auch im Internet angeboten werden. Oder aber wo man, wenn man in der Stadt zum Einkaufen geht, etwa in eine Einrichtung gehen kann, wo man durch den Besuch einer Ausstellung, durch die Nutzung eines Internet-Cafés sich auch weiterbilden kann. Insofern muß man natürlich auch den Weiterbildungsbegriff etwas weiter fassen und nicht nur auf Institutionen und Maßnahmen beschränkt sehen.

DIE: Sehen SIe in den momentanen Entwicklungen des Weiterbildungsmarktes mit neuen Technologien auch neue Chancen, neue Möglichkeiten? Wird das auch spezifisch für Frauen gefördert? Gerade die technische Schiene ist ja auch männlich besetzt.

V.P.: Wir haben hier ein Projekt "Frauen geben Technik neue Impulse", dort werden eine ganze Reihe von Einrichtungen, aber vor allen Dingen von Dialogen gefördert, um Frauen Fragen der Bildung, Weiterbildung, Forschung, auch gerade in technischen Bereichen näher zu bringen. Zum anderen fördern wir Weiterbildungangebote, die eben nicht nur klassische Angebote sind, in denen man sich selber in eine Einrichtung begibt. Wir haben jetzt gerade einen Schwerpunkt eingerichtet: "Neue Medien in der Bildung", das wird sich natürlich auch an die Weiterbildung richten, und wir werden dort Konzepte fördern, die sicherstellen, daß nicht Material entwickelt wird, das man sich dann irgendwo abholt, sondern daß Einrichtungen, Entwickler von neuen Medien und die Nutzer zusammenkommen, um sozusagen Netzwerke zu entwickeln. Diese Angebote sollen tatsächlich dann auch im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer entwickelt werden - und das ist mein Stichwort: im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer. Es lohnt sich natürlich nicht, wenn wir hochkomplizierte technische Möglichkeiten anbieten, die dann aber zum Beispiel in den Wohnungen nicht vorhanden sind.

DIE: Aber es gibt demnächst Internet-Zugang über die Mikrowelle. Der Prototyp wurde schon auf der Cebit vorgestellt.

V.P.: Wobei wir natürlich auch bei solchen Kombinationen immer wieder darauf achten müssen: Wir dürfen nicht die klassische Arbeitsteilung noch weiter vorantreiben, indem wir sagen: Wir müssen dann nur die Weiterbildung an den Herd bringen. Frauen bekommen so plötzlich eine Bringschuld für kontinuierliche Weiterbildung. Nein: die Gesellschaft muß diese Angebote machen, und nicht nur in die Küche hinein. Und das ist für mich letztendlich auch der gesellschaftliche Aspekt: dafür Sorge zu tragen, daß mit dieser Weiterbildung etwas erreicht werden soll, also: Beteiligung am gesellschaftlichen Leben, Beteiligung an Beschäftigung, Weiterbildung ist ja nicht nur l'art pour l'art.

DIE: Noch zum Punkt Bringschuld: Gerade die neuen Kommunikationstechnologien führen dazu, daß man sagt, jede und jeder hat alle Möglichkeiten, und wer sie nicht nutzt, ist selbst schuld. Diese Individualisierung, die Zuweisung der Verantwortung ganz ans Individuum, stellt sich dieses Problem Ihrer Ansicht nach für Frauen noch einmal anders dar als für Männer?

V.P.: Im Prinzip nicht, weil meines Erachtens heute die Anforderungen an die Individuen, sich ständig weiterzubilden, schon sehr hoch sind. Auch wenn wir an Konzepten des lebenslangen Lernens arbeiten, müssen wir natürlich immer wieder betrachten, was fordern wir damit auch dem Individuum ab. Wenn wir aber sehen, daß eben in vielen Fällen Frauen immer noch die Kinderbetreuung übernehmen, daß sie die Familienarbeit leisten, daß sie die Älteren in der Familie pflegen, dann stellt sich natürlich das Problem letztlich doppelt, weil sie eben auch weiterhin höhere Belastungen haben. Insofern würde ich sagen: Dann, wenn Frauen und Männer die gleichen biographischen Bedingungen haben, haben Frauen keine größere Belastung als Männer, Weiterbildungangebote zu nutzen. Wenn aber die biographische Konstellation eine ungünstigere ist, dann schlägt das natürlich auch in diesem Fall auf die Frauen zurück.

DIE: Nochmal zu den neuen Technologien und geschlechtsspezifischen Unterschieden: Es gibt doch schon länger eine Diskussion darüber, daß Frauen einen anderen Zugang zu Computern haben, und damit auch zu den neuen Kommunikationstechnologien. Wie paßt das mit Ihrer Politiklinie zusammen, die Belange von Frauen nicht isoliert, sondern in allen Bereichen zu berücksichtigen?

V.P.: Gerade im Technikbereich haben sich offenbar Ansätze bewährt, in denen nicht koedukativ Weiterbildung betrieben wurde. Das muß man sicher immer dort verstärken, wo tatsächlich auch bewiesen ist, daß das eine Hilfe bringt. Erstaunlicherweise ist es wohl offenbar doch so, daß sich, wenn für zwei Schüler ein Computer da ist, die Mädchen beiseite schubsen lassen. In solchen Fällen würde ich dafür plädieren, daß man dann Frauen besondere Angebote unterbreitet, aber ich halte sie dann wirklich immer für intermediäre Angebote, damit da nicht möglicherweise ein Sonderweg entsteht.

DIE: Immer weniger Männer erleben die sogenannte berufliche Normalbiographie, auch die männlichen Erwerbsbiographien gleichen sich denen von vielen Frauen an. Wie berücksichtigt man die Erkenntnisse aus diesen weiblichen Patchworkbiographien? Gibt es Beispiele, innovative Modelle von Weiterbildungsangeboten und Modulen, in denen auch neue Zeit oder Ortsmodelle ausprobiert werden?

V.P.: Modellhaft aufgegriffen wurde das im Rahmen des großen Projekts "Kompetenzentwicklung" mit den zwei Unterprojekten "Lernen in der Region" und "Lernen im sozialen Umfeld". Das findet beides in den neuen Bundesländern statt, in den Regionen, in denen mit einer Qualifizierungsmaßnahme nicht automatisch ein Wiedereinstieg in die Beschäftigung eröffnet worden wäre, nicht etwa weil die Qualifizierung nicht paßgenau war, sondern weil keine Arbeitsplätze vor Ort da sind. Das sind aus unserer Sicht, zumindest auf der Modellversuchsebene, bisher erfolgversprechende Maßnahmen, in denen einerseits eine soziale Stabilisierung für Personen erreicht werden kann, wenn sie lange erwerbslos waren, aber zugleich natürlich auch gesellschaftlich unglaublich wichtige Aufgaben geleistet werden, die bisher in der Region nicht abgedeckt waren. Wir haben noch einen weiteren Ansatz, der findet allerdings in der Arbeit statt. Den nennen wir "Kompetenzentwicklung in der Arbeit": Wir haben Unternehmen begleitet, die durch neue Arbeitsarrangements zur Weiterbildung ihrer Beschäftigten beitragen wollen, die Arbeit so organisieren, daß dabei auch gleichzeitig ein Lernerfolg stattfindet. Zur Frage, wie man Zeiten zur Weiterbildung besser nutzt, habe ich schon einige Möglichkeiten erwähnt: im Fernstudium oder mit Hilfe neuer Technologien studieren, oder durch private Initiativen, indem Leute Zirkel bilden, oder chatten im Internet mit Leuten in Australien oder in den USA. Das sind natürlich auch Formen der Weiterbildung, die genutzt werden.

DIE: Besteht nicht genau durch die Verzahnung von Weiterbildung und Arbeit wieder eine Gefahr, Frauen aus Weiterbildung strukturell auszuschließen, weil die Beteiligung an Erwerbsarbeit niedriger ist als bei den Männern, und weil auch die Arbeitsfelder der Frauen andere sind, so daß dann eine Selektion stattfindet: Die einen können sich weiterbilden, aber Frauen, die vielleicht eine andere Tätigkeit haben mit weniger Perspektiven, können dies nicht?

V.P.: "Lernen in der Region" oder "Lernen im sozialen Umfeld" bieten Frauen eine große Chance , weil gerade im sozialen Umfeld Frauen relativ stark vertreten sind. Eher könnten Sie mir vorwerfen: Ist das nicht etwas, das die klassische Arbeitsteilung perpetuiert? Aber ich glaube, Frauen haben in ihren Lebensumwelten immer bewiesen, daß sie bereit sind, Verantwortung für das soziale Umfeld zu übernehmen, ob es darum geht, das Kinderfest zu organisieren im Sportverein oder zum Elternsprechabend zu gehen oder dafür zu sorgen, daß in der Straße irgend etwas organisiert wird. Insofern glaube ich, daß das gerade wiederum näher an den Frauen ist. Was die Kompetenzentwicklung im Betrieb angeht, müssen wir das beobachten. Wir haben natürlich gesehen, daß bisher die betrieblichen Weiterbildungsangebote sich stärker an diejenigen in den höheren Stufen wenden, in denen bisher noch immer weniger Frauen vertreten sind. Wenn dieses Konzept "Kompetenzentwicklung" eher dort lernförderliche Arbeitsbedingungen schafft, aber auf den unteren Ebenen es so beläßt, dann wäre das eine Gefahr. Nach den bisherigen Beobachtungen können wir dazu noch nichts sagen, denn in den 30 Betrieben, in denen diese Projekte stattfanden, waren die Umstrukturierungen auf allen Ebenen, so daß dort nicht etwa eine Verzerrung zu Ungunsten der Frauen festzustellen ist. Aber die Möglichkeit bestünde durchaus.

DIE: Sehen Sie große Unterschiede zwischen qualifizierender Weiterbildung von Frauen in den neuen und in den alten Bundesländern?

V.P.: Der gravierende Unterschied zwischen den neuen und den alten Ländern in der Weiterbildung ist natürlich genau der, der uns umtreibt seit zehn Jahren: Es sind nicht genügend Arbeitsplätze in den neuen Ländern vorhanden. Das bedeutet, daß in den neuen Bundesländern Frauen sehr häufig schon mehrere berufliche Weiterbildungsmaßnahmen durchlaufen haben, immer in der Hoffnung, einen Arbeitsplatz damit zu gewinnen. Und prozentual hat sich diese Hoffnung weniger erfüllt als in den alten Bundesländern. In der Weiterbildungsmotivation und -beteiligung ist überhaupt kein Unterschied, aber in der anschließenden Chance liegt leider der Unterschied. Ich habe noch nie gehört, daß Frauen in den neuen Bundesländern deswegen aber weniger motiviert wären, Weiterbildung zu betreiben. Nur, sie resignieren hinsichtlich der Arbeitsplatzversorgung, das schlägt natürlich direkt zurück.

"Ein neues Klima für Bildung schaffen"

DIE: Eine abschließende Frage: Haben Sie persönlich eine Vision, wie eine Weiterbildungspolitik mit dem Ziel Geschlechtergerechtigkeit aussehen könnte?

V.P.: Eine Weiterbildungspolitik, die sich an alle wendet, müßte meines Erachtens ansetzen an den Bedürfnissen der Teilnehmenden. Das bedeutet, daß wir sehr stark wieder in die Region, vor Ort gehen und Erfahrungen sammeln müssen, welche Wünsche tatsächlich Menschen haben, um Fortbildung, um Weiterbildung zu erhalten. Ich hielte es für sehr gefährlich, wenn man nur mit einem verstärkten Einsatz von Mitteln die Bürgerinnen und Bürger mit Weiterbildungsangeboten beglücken wollte und dann feststellte, sie wollen es gar nicht nutzen, und dann sagt, wir haben euch doch ein Angebot gemacht, und ihr seid selbst schuld. Ich glaube vielmehr, daß es wichtig ist, ein neues Klima zu schaffen für Bildung, das beinhaltet, daß Bildung Anstrengung ist, aber daß Bildung auch Spaß macht und Weiterbildung auch Lust verschaffen kann, weil man klüger wird, weil man die Welt stärker durchschaut, weil man sich in diesen Komplexen besser orientieren kann. Und vielleicht, weil man auch lernt, Konflikte eher auszuhalten. Insofern ist meine Vision von Weiterbildung sehr stark an das Individuum gerichtet.