Theorie vermittelt Praxis, Praxis Theorie
1. Besonderheiten in der Weiterbildung
Ist Weiterbildung, wenn es um die Vermittlung von Theorie und Praxis geht, anders zu sehen als andere Bildungsbereiche oder andere gesellschaftliche Bereiche? Im Grundsatz sicherlich nicht. Wissenschaft als System nachprüfbarer Methoden erfordert eine analytische Distanz zur Praxis. Wissenschaft verfolgt auch ein anderes Interesse als Praxis; sie verfolgt das Interesse, Erkenntnisse über Realität zu sammeln und systematisch zu erklären. Praxis will keine Erkenntnisse sammeln, sondern Realitäten beeinflussen und verändern.
In dieser (idealtypischen) Konstellation unterscheidet sich Weiterbildung nicht von anderen Bereichen. Sie unterscheidet sich jedoch dadurch, daß ihr Praxisfeld verhältnismäßig "undeutlich" ist und an den Rändern in vielfältige andere gesellschaftliche Bereiche übergeht, und dadurch, daß die Wissenschaft von der Erwachsenenbildung (als Teilbereich der Erziehungswissenschaften) vergleichsweise jund und klein und in vielfältiger Weise auf Bezugswissenschaften angewiesen ist. Dabei variieren die Bezugswissenschaften je nach dem, welcher Aspekt von Weiterbildung zur Diskussion steht; in Fragen von Bildung und Lernen ist dies etwa die Psychologie, in Fragen der gesellschaftlichen Funktion von Erwachsenenbildung die Soziologie und Politikwissenschaft, in Fragen der Institutionen der Erwachsenenbildung die Ökonomie, in didaktischen Fragen die einschlägigen Fachwissenschaften (z.B. Sprachwissenschaften, Medizin etc.) und in Fragen der Ziele von Erwachsenenbildung die Philosophie und Gesellschaftstheorie.
Diese Diffusität oder, positiver formuliert, Vielfältigkeit von Praxis und Wissenschaft der Erwachsenenbildung erschwert es, das Zentrum des zu Vermittelnden auszumachen. Von daher fällt im Zusammenhang von Wissenschaft und Praxis der Erwachsenenbildung - verglichen mit anderen Wissenschafts- und Praxisfeldern - ein gewisses Maß an Unverbindlichkeit, Diskontinuität und Modeanfälligkeit auf. Dies wird umso offenkundiger, je mehr die gesellschaftliche Bedeutung von Weiterbildung wächst. Aber auch dabei läßt sich der Blickwinkel akzentuieren: in gewisser Weise reflektiert die Wissenschaft die Flexibilität, Aktualität und zeitgenössische Relevanz ihres Gegenstandes. Der spezifische Zusammenhang von Wissenschaft und Praxis der Weiterbildung zeigt sich auch historisch: die Wissenschaft von der Erwachsenenbildung in Deutschland ist vor etwa dreißg Jahren aus der Praxis hervorgegangen, die ersten Vertreter (hier ist die männliche Form ausreichend) von Forschung und Lehre der Erwachsenenbildung an den Universitäten waren ausgewiesene Praktiker.
Diese "systemische Koinzidenz" von Wissenschaft und Praxis findet ihre Entsprechung in der erwachsenenpädagogischen Arbeit. Erwachsenenbildung ist, von Genese, gesellschaftlichem Auftrag und Selbstverständnis her, auf Aufklärung im Kontext eines humanen Menschenbildes orientiert. Erwachsenenbildung selbst - ob in Wissenschaft oder Praxis - zielt Erkenntnisgewinn zum Zwecke der Mündigkeit an. Es ist diese Zielidentität, welche in der Weiterbildung zunehmend zum Entstehen eines "intermediären Systems" geführt hat, wie dies Ortfried Schäffter in seinem Beitrag schreibt. Das Erkenntnisinteresse von pädagogischen Praktikern geht in der Bildungsarbeit über die Vermittlung des Stoffes weit hinaus. Weiterbildung selbst als alltagsorientierter Forschungsansatz - etwa in bezug auf Technikfolgenabschätzung oder Gesundheitsbildung - ist außerordentlich eng mit sozialorganisierten Formen empirischer Forschungsarbeit verwandt.
Dabei ist es wichtig, noch einmal auf einen Tatbestand aufmerksam zu machen, der insbesondere in den Lernprozeß-Analysen des Heidelberger Bildungsurlaubsprojektes (Kejcz u.a. 1979-1981) herausgearbeitet worden ist: Die Analyse gesellschaftlicher Realität und eigener Probleme erfolgt in Bildungsprozessen weniger über die Rezeption wissenschaftlichen Wissens als über die Reflexion eigener Praxiserfahrungen. Mit anderen Worten: Das alltägliche Instrument empirisch-analytischen Verfahrens ist die Reflexion praktischer Probleme und Erfolge. Dies gilt auch für die pädagogisch Tätigen selbst: In der Arbeit des "Vermittelns", des Kerns pädagogischer Arbeit, liegt der Erkenntnisfortschritt der Praxis. Pädagoginnen und Pädagogen sind Expertinnen und Experten des Vermittelns - und sie verstehen sich auch oft so. Vermittlungsarbeit als spezifische Analyseform, als Analyseform pädagogischer Praxis, öffnet vielfältige Analogien zu Verfahren wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns. Dies erleichtert jedoch nicht die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis, sondern erschwert sie eher.
2. Schismen, Netzwerke, Kontinua
Wie immer, wenn plakativ gesprochen wird (wie bei "Wissenschaft" und "Praxis"), ist dies nur die halbe oder nur eine der Wahrheiten. Wissenschaft ist nicht gleich Wissenschaft, Praxis nicht gleich Praxis. Dabei geht es nicht nur um Interessen, Ziele und Methoden, sondern auch um Strukturen, Institutionen und Personen.
Die Praxis der Erwachsenenbildung wurde (und wird) immer wieder neu darzustellen versucht. Dabei sind vor allem folgende Ansätze zu nennen:
- Der Ansatz nach Inhaltsbereichen, der sich insbesondere am "Schisma" zwischen allgemeiner (kultureller, politischer etc.) und beruflicher Weiterbildung festmacht;
- der Ansatz bei den Adressaten, der insbesondere einen Unterschied zwischen offenen und für alle zugänglicher und geschlossener Weiterbildung macht;
- der Ansatz an Institutionen, der insbesondere zwischen öffentlichen bzw. staatlichen, betrieblichen oder kommerziellen Institutionen unterscheidet;
- der Ansatz bei Zuständigkeiten, der insbesondere zwischen fremd- und selbstorganisierten oder -gesteuerten Lernprozessen unterscheidet.
Dies sind nur die wichtigsten Ansätze, die Praxis der Weiterbildung darzustellen. Geht man hinein in pädagogische Realitäten, beginnen Aspekte unterschiedlicher Berufsbilder pädagogisch Tätiger, unterschiedlicher didaktischer Ansätze, unterschiedlicher Zeit- und Organisationsformen, unterschiedlicher Kombinationen von pädagogischer Arbeit mit der Arbeitswelt und Alltagsexistenz etc. bedeutsam zu werden. Lernen in und mit Medien, Lernen am Arbeitsplatz, Lernen beim Fernunterricht oder Lernen in sozialen Initiativen sind Kategorien, die eng an der pädagogischen Praxis bleiben und deutlich machen, wie breitgefächert das Feld dessen ist, was gemeinhin unter "Erwachsenenbildung" oder "Weiterbildung" gemeint wird.
Natürlich sind in diesem Feld auch die Ziele und Intentionen völlig unterschiedlich. Dies gilt sowohl für die Teilnehmenden als auch für die Weiterbildung offerierenden Institutionen als auch für die Lehrenden. Man kann sagen, daß derzeit das Verständnis dessen, was Weiterbildung ausmacht, ebenso neue Dimensionen erhält wie die gesellschaftliche Bedeutung von Weiterbildung insgesamt. Dabei sind zwei parallele Tendenzen beobachtbar: die eine, getragen vom Interesse der Professionalität und der ökonomischen Sicherung, bemüht sich um eine Eingrenzung des Begriffs der Erwachsenenbildung. Die andere, getragen vom Interesse an Innovation, Zukunftsorientierung und Flexibilität, bemüht sich um eine Entgrenzung von Erwachsenenbildung. Die Wissenschaft von der Erwachsenenbildung (dies nur nebenbei) ist an beiden Tendenzen durchaus beteiligt.
So wenig Praxis gleich Praxis ist, so wenig ist Wissenschaft gleich Wissenschaft oder Forschung gleich Forschung. Damit ist nicht der Gegensatz zwischen quantitativer und qualitativer Forschung gemeint, der ist nachgeordnet und hängt von Ziel und Gegenstand der Forschung ab. Unterschiede in der Forschung sind bereits dann feststellen, wenn es nur um empirische Forschung geht. Sie läßt sich - bezogen auf die Vermittlung von Wissenschaft und Praxis - unterschiedlichen Ansätzen zuordnen:
- Forschung aus Praxisanlässen, die dazu dient, Handlungsprobleme zu lösen - sie hat in der Weiterbildung meist einen engen Bezug zu dem jeweiligen Träger bzw. zur jeweiligen Einrichtung, bei der oder dem der Anlaß zu identifizieren ist.
- Forschung über Praxis, die durch übergeordnete Systemvorstellungen initiiert ist, also über Vorstellungen von Bereichsdefiziten, Innovationsbedarf und Strukturproblemen.
- Forschung zur Entwicklung von Lehrplänen, Methoden, neuen Konzepten, meist zusammen mit Erprobungsphasen, vergleichbar dem Typ empirischer Forschung, wie er in Wirtschaftsunternehmen als zentrale FUE-Abteilung anzutreffen ist.
- Forschung zur Entwicklung wissenschaftlicher Theorie- und Denkmodelle, die im Forschungsprozeß den Praxisbezug vernachlässigt, vom Ziel her aber Wirksamkeit in der Praxis intendiert (und auch oft erreicht).
Deutlich wird, daß sich diese Idealtypen empirischer Forschung, die in jeder sozialwissenschaftlichen Disziplin anzutreffen sind, über den jeweiligen Bezug zum Praxisfeld definieren. Ein wesentliches Paradigma von Forschung (und zugleich analytisches Kriterium zu ihrer Bewertung) ist also ihr Funktionszusammenhang mit der Praxis.
Es ist müßig darauf hinzuweisen, daß sich diese Forschungstypen in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen unterschiedlich ausgestalten, akzentuiert und bewertet werden. Dabei spielen nicht nur verschiedene theoretische Ansätze in der Erwachsenenbildung eine Rolle, sondern solche aus den "Bezugswissenschaften" ebenso wie deren heterogene Methodenvielfalt, die oft unzureichend geprüft in erwachsenenpädagogische Zusammenhänge übernommen wird.
3. Vermitteln und Vermittlung
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß es einer Vermittlung nicht nur zwischen Wissenschaft und Praxis, sondern bezüglich Erwachsenenbildung auch zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen ebenso wie zwischen unterschiedlichen Praxisfeldern bedarf.
Genau hier, im Wort "Bedarf", sind jedoch auch die häufig zu wenig diskutierten Aspekte von Ziel und Problem des Vermittelns enthalten. Vielfach wird darüber gesprochen, welche Probleme beim Vermitteln bestehen und wie sie zu lösen sind. Seltener wird darüber gesprochen, warum "vermitteln" überhaupt notwendig oder sinnvoll ist. Die Banalität "Nichts ist praktischer als eine gute Theorie" ist hier vielfach noch aussagekräftiger als Analysen von Vermittlungsstrukturen, denn sie signalisiert den Kern eines Interesses. Die Frage heißt also: Welches Interesse haben Wissenschaft einerseits und Praxis andererseits daran, miteinander (und untereinander) "vermittelt" zu werden?
Der einfache Grundsatz lautet: Wissenschaft benötigt ihren Gegenstand, Praxis benötigt Erkenntnis. "Nichts ist praktischer als eine gute Theorie" ist das Resümeé eines Vermittlungsprozesses, der von praktischen Problemen ausgehend über wissenschaftlich begründete Erklärungszusammenhänge Erkenntnisse und Lösungen für Veränderungen erbringt. Aber: dieses deduktiv definierte Grundinteresse ist - empirisch gesehen - niemals "rein" und gelegentlich gar nicht anzutreffen. Die Interessen an der Vermittlung von Wissenschaft und Praxis, seit diese institutionell und personell auseinanderdifferenziert sind, sind vielfältiger, widersprüchlicher und schwieriger definierbar.
Aus der Sicht der Praxis sind vor allem folgende Interessen feststellbar:
- Praxis benötigt Legitimation, gelegentlich aus sehr materiellen Gründen. Der Bezug auf eine wissenschaftliche Grundlage, die Öffnung des Praxisfeldes für wissenschaftliche Analysen, der Nachweis gelungener Kooperationen mit Wissenschaft liefern eine solche Legitimation - oder können sie liefern.
- Praxis benötigt Erkenntnisse; dies steht oft im Gegensatz zum Legitimationsbedürfnis und führt - z.B. bei Evaluationsprojekten - zu sehr widersprüchlichen Botschaften an die wissenschaftlich Tätigen. Das vorhandene Erkenntnisinteresse ist aber auch vielfach gebrochen durch ein Dialoginteresse, das von einer Gleichwertigkeit eigener Erkenntnisse mit denen wissenschaftlicher Bearbeitung ausgeht, Gleichwertigkeit im Sinne methodischer Grundlagen.
- Praxis benötigt Rezepte; dies wird von wissenschaftlich Tätigen oft bemängelt und damit abgewertet, daß es die Reflexion behindere und den Erkenntnisfortschritt einenge. Allerdings ist mit dem Interesse an "Rezepten" oft nichts anderes gemeint als das Interesse an praktisch rezipierbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen.
- Praxis hat Interesse an einer Wissenschaft, die praktisch relevante Fragen bearbeitet. Dieses Interesse entsteht meist daraus, daß der Fortgang der Praxis bei Forschungsfragen generiert, selten der Fortgang der Forschung. Gerade für Vorstöße in (pädagogisches) Neuland benötigt die Praxis die Unterstützung der Erziehungswissenschaft. Dies vielfach auch eher in einem legitimatorischen und politischen Sinne als im Sinne des Erkenntniszuwachses.
Auch seitens "der" Wissenschaft (Wissenschaft und Praxis werden hier, ungeachtet der zuvor gemachten Aussagen, als systemische Einheiten verstanden) existiert ein wesentlich differenzierteres Interessenspektrum. Die wichtigsten und sich verschränkenden Interessen sind:
- Wissenschaftliche Arbeit will (und soll) wirksam sein; nur selten sind wissenschaftlich Tätige damit zufrieden, im so häufig bemühten Topos des "Elfenbeinturms" zu agieren. Wissenschaftliches Arbeiten zielt auf gesellschaftliche Wirksamkeit, zielt auf Einfluß und Gestaltungsmöglichkeit.
- Wissenschaftliche Arbeit benötigt Legitimation; sie gewinnt sie dadurch, daß sie in einem definierten gesellschaftlichen Bereich akzeptiert und gefragt ist. Hat sie diese Akzeptanz nicht, kann sie allenfalls das Dasein einer "Orchideen-Wissenschaft" fristen.
- Wissenschaft benötigt Geld; dieses Interesse wird in dem Maße stärker, in dem die wissenschaftliche Arbeit insbesondere an Hochschulen ins Ödland getrieben wird. Privat wie öffentlich finanzierte wissenschaftliche Arbeit setzt gesellschaftliche und damit praktische Relevanz voraus.
- Wissenschaft benötigt Innovation; diese erhält sie - oft ganz im Gegensatz zu ihrem eigenen Selbstverständnis - nicht aus dem wissenschaftlichen Diskurs, sondern aus der Arbeit an und mit praktischen Prozessen. Dazu gehört auch
- Wissenschaft benötigt Fragen; die allerwenigsten Fragen für wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt ergaben sich und ergeben sich aus dem wissenschaftsimmanenten Diskurs. Die wesentlichen Fragen entstehen aus der Praxis, und dies wird auch - je länger je mehr - unter internationalem Konkurrenzdruck forschungspolitisch gut geheißen.
Wenn es um solche differenzierten Interessen gesellschaftlicher Teilsysteme geht, dann bleibt nicht aus, daß andere gesellschaftliche Kräfte gegenüber der Vermittlung von Wissenschaft und Praxis der Weiterbildung ihre Interessen anmelden und realisieren. Peter Faulstich weist in seinem Beitrag zu recht darauf hin, daß die Habermas´sche Diskursethik machttheoretische und institutionenbezogene Leerstellen aufweist. Aus der "Dialektik" von Wissenschaft und Praxis wird damit, so Peter Krug, eine "Trialektik". Die Politik hat ihre durchaus eigenen Interessen am Verhältnis von Wissenschaft und Praxis auch in der Weiterbildung, und nicht nur die Politik, sondern vor allem auch die im privaten Bereich herrschenden Kapital- und Wirtschaftsinteressen. Weiterbildung gehört zu denjenigen gesellschaftlichen Feldern, die in der jüngsten Vergangenheit am intensivsten in marktstrategische Konzeptionen integriert worden sind. Staatliche bzw. öffentliche Interessen daran, daß zwischen Wissenschaft und Praxis der Erwachsenenbildung vermittelt wird, liegen ebenfalls auf unterschiedlichen Ebenen:
- Vermittlungsarbeit leistet einen Beitrag dazu, Wissenschaftsproduktion und Praxisentwicklung der Erwachsenenbildung zu steuern;
- damit verbunden ist auch das Interesse daran, wissenschaftliche Arbeit und praktischen Fortgang zu kontrollieren;
- neuerdings spielt dabei das staatliche und öffentliche Interesse an Innovation eine große Rolle und eine dazu passende
- effektive Mittelallokation, in der die knapper werdenden staatlichen Mittel gezielter für politisch erwünschte Effekte eingesetzt werden;
- Transparenz und politische Legitimation - gerade angesichts der heterogenen und vielfältigen institutionellen Strukturen - sind darüber hinaus allgemeine staatliche und öffentliche Interessen an einer Vermittlung von Wissenschaft und Praxis.
In dieser "Trialektik" geht es vielfach um jene Faktoren geht, die in der Habermas´schen Diskursethik unterbelichtet sind: Macht und Geld. In der Weiterbildung, in der unterschiedlichste Institutionen mit ihren Zusammenschlüssen, unterschiedlichste Einflußkräfte, Finanzquellen sowie Markt- und Machtkämpfe vorhanden sind, steht Vermittlung nicht wertfrei als Diskurs und Transparenz im Raum. Vermittlung ist konfrontiert mit der (angestrebten?) legitimatorischen Dominanz von Wissenschaft und der relativen Macht von Praxis, politischen Steuerungsinteressen und Kämpfen um Marktanteile. Vermittlung erzeugt hier nicht nur Reflexion, sondern hat selbst diesen Kontext zu reflektieren. Darin liegt auch der erste große Problembereich von Vermittlungsarbeit.
4. Strukturfragen des Vermittelns
Die Vermittlung zwischen Wissenschaft und Praxis der Erwachsenenbildung weist konsistente Strukturelemente auf, die in den Beiträgen des vorliegenden REPORT-Schwerpunktthemas aus unterschiedlichen Blickwinkeln genannt werden. Sie zu berücksichtigen und in angemessene Verfahren zu übersetzen, ist der zweite große Problembereich von Vermittlungsarbeit. Zu den wesentlichen Strukturelementen gehören aus meiner Sicht:
- Die Vermittlung wird von Menschen geleistet mit eigenen Erfahrungen, Interessen und Kompetenzen. Es geht nie um das Vermitteln von abstrakten Bereichen, sondern immer um das konkrete Vermitteln unterschiedlicher Wissensgehalte und Kenntnisinteressen zwischen Menschen. Das Medium (Buch, Arbeitsgruppe, Diskussionsforum etc.) spielt dabei nur eine nachgeordnete Rolle. Die "Menschlichkeit" des Vermittlungsprozesses bedeutet auch, daß Aspekte zu berücksichtigen sind, die in der Komplexität menschlicher Kommunikation aufzufinden sind. So geht es etwa darum, welche Rolle die beteiligten Personen jeweils einnehmen, ob sie Inhaber sind von "Laienkompetenz" oder "Expertenwissen" sind (vgl. den Beitrag von B. Blättner), ob sie sich als wissenschaftlich oder praktisch tätig definieren, ob Rolle und Kommunikationsinteresse selbst mitvermittelt sind.
- Vermittlung zwischen Wissenschaft und Praxis ist eine "Zwei-Weg-Kommunikation". Dies ist nicht nur ein normatives Postulat, das sich gegen die Hierarchie von Kommunikation richtet, sondern eine Konstituante des Vermittlungsprozesses zwischen Wissenschaft und Praxis. Wissenschaftliche Kenntnisse bedürfen einer an praktischen Fragen orientierten didaktischen Rekonstruktion, praktische Ergebnisse bedürfen einer diskursiven begrifflichen Explikation. Ohne eine solche wechselseitige Kommunikation kann ein Vermittlungsprozeß nicht gelingen.
- Vermittlungsprozesse bedürfen der Verständlichkeit. Damit ist zunächst das häufig diskutierte Problem angesprochen, daß Wissenschaft auf eine exakte Begrifflichkeit angewiesen ist, die sich innerhalb der Disziplin nicht selten zu einem esoterischen Kommunikationshabitus entwickelt. Neben ungewöhnlichen und ungewöhnlich konnotierten Begriffen führen substantivierte Verben dazu, daß der Sprachfluß ebenso stillsteht wie die Kommunikation. Mit Verständlichkeit ist hier aber auch gemeint, daß die Fragen genannt werden müssen, die beantwortet werden, daß der Inhalt vermittelt werden muß und vor allem auch die Relevanz des Inhaltes und der Tatsache, sich mit diesem zu beschäftigen. Dies gilt für Wissenschaft und Praxis gleichermaßen.
- Die Ungleichzeitigkeit von Wissenschaft und Praxis bedarf der Transformation. Am auffälligsten ist die Ungleichzeitigkeit dann, wenn sich Wissenschaft mit praktischen Fragen und Problemen beschäftigt und das Interesse verfolgt, mit den Ergebnissen seiner Arbeit die Praxis zu verbessern oder zu beeinflussen. Während die wissenschaftliche Arbeit an den einmal ermittelten Fragen und Problemen stattfindet, geht die Praxis voran. Nicht selten treffen die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf ein neugeordnetes Praxisfeld, in dem sie nur noch von begrenztem Nutzen sind. Dies gilt auch für die Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Praxis; vielfach sind die Verfahren, Erkenntnisse in praktische Zusammenhänge einzuspeisen, so langwierig und umständlich, daß sie als wissenschaftliche Erkenntnisse entweder bereits überholt oder aber in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion durch neue Paradigmen ersetzt sind. Vermittlungsprozesse müssen daher die Ungleichzeitigkeiten berücksichtigen, zugleich auch die Moden und Aktualitäten, und teilweise "gegensteuern".
- Vermittlungsprozesse bedürfen der Akzeptanz. Akzeptanz ist etwas anderes als Verständlichkeit oder Aktualität. Akzeptanz bedeutet, daß gegenüber dem Autor und der Botschaft bein Kommunikationsprozeß kein Mißtrauen besteht, das sich auf das Interesse des Gegenübers oder die Intention der Mitteilung richtet. In der Praxis wird eine wissenschaftliche Erkenntnis, die "fremden" (politischen oder ökologischen) Interessen verpflichtet ist, ebenso wenig Gehör finden wie eine Praxis, deren Kommunikation mit der Wissenschaft als bloße Instrumentalisierung wahrgenommen wird. Akzeptanz bedeutet also auch Vertrauen und Verläßlichkeit in die im Kommunikationsprozeß jeweils eingenommene Funktion und die artikulierten Interessen.
- Vermittlungsprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis erfordern Arbeit. Dieser Aspekt ist vor allen Dingen deshalb wichtig, weil oft der Eindruck entsteht, das Vermitteln zweier vorhandener Positionen, Denkweisen, Wissensbestände, Erfahrungen erfolge gewissermaßen von selbst, wenn es nur miteinander bekannt sei. Pädagoginnen und Pädagogen als Fachleute für Vermittlungsprozesse wissen, daß diese Auffassung falsch ist. Oft jedoch wenden sie dieses Wissen nicht auf den Vermittlungsprozeß zwischen Wissenschaft und Praxis an, der ja kein genuin pädagogisches Feld ist. Arbeit bedeutet in diesem Zusammenhang, Wissens- und Erfahrungsbestände zu erkunden, aufzubereiten und in einen strukturierten, auf Interessen abzielenden Kommunikationsprozeß zu überführen. Damit sind - auch ohne Lehrwerke - Verfahren der Reduktion und Rekonstruktion verbunden.
- Vermittlungsprozesse bedürfen der Reflexivität. Mit Reflexivität ist der Bezug auf das Gegenüber und die eigene Rolle gemeint. Hans Tietgens schreibt in seinem Beitrag: "Vermittlung ist am ehesten dann gewährleistet, wenn Forschung sich der Realität unmittelbar stellt und so mit ihr umgeht, daß sie eine Reflexion einschließlich der Selbstreflexion ermöglicht". Reflexion und Selbstreflexion sind insbesondere dort angebracht, wo Vermittlungsprozesse als eigenständige Tätigkeit wahrgenommen werden. Die Selbstreflexion bezieht sich dabei vor allem auf die Frage, mit welchem Ziel vermittelt wird. Oft läßt sich dann feststellen, daß Ziele wie Transparenz, Wissenstransfer, Diskurs genannt werden, andere Ziele aber gemeint sind wie etwa Qualität, Kooperation, Professionalität und Innovation.
Die hier formulierten Strukturelemente von Vermittlungsprozessen lassen sich ergänzen. Sie ergeben, systematisch ausgeführt und analysiert, ein Strukturgitter für professionelles Handeln im "intermediären System" zwischen Wissenschaft und Praxis.
5. Formen des Vermittelns
Wissenschaft und Praxis kommen in den unterschiedlichsten Formen zusammen, geraten in den unterschiedlichsten Zusammenhängen aneinander. Die bekannteste Form, die zugleich hierarchisch die (meist scheinbare) Dominanz der Wissenschaft realisiert, ist diejenige der Praxis als Forschungsfeld. Prinzipien empirisch-analytischer Methoden erzwingen dabei vielfach einen "Objektcharakter" der Praxis, in dem das Postulat der Zwei-Weg-Kommunikation nur durch die gemeinsam festgelegten Forschungsfragen sowie durch die gemeinsam rezipierten und diskutierten Ergebnisse eingelöst werden kann. Es gibt aber auch Forschungsansätze (wie Handlungs- und Entwicklungsforschung), in denen Wissenschaft und Praxis zu gleichen Teilen am Erkenntnisprozeß beteiligt sind und zu gleichen teilen am Ergebnis profitieren.
Darüber hinaus existieren jedoch vielfältige Formen der Vermittlung von Wissenschaft und Praxis, auf die in den Beiträgen dieses Schwerpunktthemas eingegangen wird. Die meisten von ihnen werden vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung praktiziert, seit dieses vor vierzig Jahren (damals als Pädagogische Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-Verbandes) gegründet wurde. Diese jeweils institutionell, personell und finanziell zu realisieren ist der dritte Problembereich von Vermittlungsarbeit. Die wichtigsten dieser Formen sind die folgenden:
(Forschende) Fortbildung
Fortbildung dient traditionell dazu, systematisches und wissenschaftlich begründetes Wissen zu vermitteln. Dabei stoßen Fortbildungsaktivitäten stehs auf einen gewachsenen Erfahrungsbestand der Teilnehmenden, der in den Fortbildungsseminaren gewissermaßen als "Prüfstein" oder "Praxisfilter" verwendet wird. Im DIE wurden in den letzten Jahren diese Beobachtungen und Ansätze weiterentwickelt zu einem Konzept der "forschenden Fortbildung", in dem dieser Zusammenhang offensiv aufgegriffen wird. Der "Praxisfilter" wird nicht als "Blockade" des Lernprozesses, sondern als ein Forschungsfragen und neue Erkenntnisse generierendes Element integriert. Daher werden die Prozeßverläufe dokumentiert und gemeinsam ausgewertet, um kritisches Potential gegenüber wissenschaftlichem Wissen ebenso fruchtbar zu machen wie Reflexionspotentiale zur Erweiterung von Forschungsfragen und Praxisfeldern.
Zertifikate
Zertifikate und die damit verbundenen Abschlußtest sind von jeher ein punktuell statisch gemachter Vermittlungsprozeß von Wissenschaft und Praxis. Die Einordnung der für das Zertifikat zu erbringende Leistung in systematischer Wissensbestände einerseits sowie in Berufspraxis und Lernfelder andererseits, ihrer Anwendung in Lernprozessen und die berufliche Verwertung der Zertifikate ergeben eine operationale und präzise beschreibbare Schnittmenge in der Vermittlung von Wissenschaft und Praxis. Im Beitrag von Albert Raasch wird diesem Zusammenhang am Beispiel der Fremdsprachenzertifikate des DIE nachgegangen.
Rahmenpläne
Rahmenpläne (oder in einer rigideren Form: Curricula) sind Ansätze, um systematische Wissensbestände auf praktische Fragen hin zu ordnen und in einer Art "Modultechnik" für die Verwendung in Lehr-Lernsituationen variabel zu gestalten. Sie ermöglichen im Einsatz Flexibilität und Offenheit gegenüber Fragen der Praxis, in der Vorbereitung und im Entstehen bündeln sie praktische Entwicklungen hin auf verfügbares wissenschaftliches Wissen. Beate Blättner beschreibt diese Form von Vermittlungsprozessen am Beispiel des "Rahmenplan Gesundheitsbildung" der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-Verbandes in Zusammenarbeit mit Landesverbänden der Volkshochschulen; sie verweist aber auch auf Unterschiede zum Rahmenplan Frauenbildung, den das DIE vor drei Jahren vorgelegt hat.
Entwicklungsforschung
Damit ist ein Forschungstyp gemeint, der Ansätze quantitativer und qualitativer empirisch-analytischer Forschung mit praktischen Entwicklungen und Entwicklungsbedarfen verbindet. Die Entwicklungsforschungs-Projekte des DIE geben zahlreiche Beispiele für typische Schwerpunkte und Abläufe solcher Projekte. Fragestellung, Ergebnis und Verlauf werden von Wissenschaft und Praxis gemeinsam definiert, das Projekt selbst wird über Sekundäranalysen in die wissenschaftliche Diskussion eingebunden. Im Verlaufe der Projekte wechseln Kleinforschungen (Befragung von Teilnehmenden, Sekundäranalysen, Beobachtung von Prozessen) mit Erprobungen (von Material und Teilkonzepten) sowie diskursiven Interaktionsformen (Arbeitsgruppen, Expertenrunden etc.) ab. Der verbindende rote Faden dieses mosaikartigen Zuganges ist das gemeinsam festgelegte Ziel des Projektes sowie der konkret beschriebene und erwartete "Output". Vielfach wird festgestellt, daß über den unmittelbaren "Output", das Produkt des Projektes, auch gerade bei dieser Form von Forschungsarbeit ein weitgefächerter "Impact" erkennbar ist, also ein breiter Kranz von weitergehenden Auswirkungen.
Publikationen
Publikationen sind ein traditionsreiches Medium der Vermittlung von Wissenschaft und Praxis, neuerdings auch in elektronischer Form oder über andere Datenträger als das Buch. Sie bieten nicht nur die Möglichkeit, Kompaktwissensbestände zu vermitteln, sondern auch, Materialien und Dokumente aus der Praxis für die Praxis verwendbar zu machen. Das DIE ist - anknüpfend an den entsprechenden Arbeitsschwerpunkt seines institutionellen Vorgängers PAS - in vielfältiger Weise daran beteiligt, Publikationen zur Vermittlung von Wissenschaft und Praxis zu nutzen. Auf die damit verbundenen Aktivitäten und die Probleme, die mit Publikationen im Bereich von erziehungswissenschaftlichen Feldern zusammenhängen, verweist der Beitrag von Sigrid Nolda.
Konferenzen
Ein weiterer wesentlicher Bereich von Vermittlungsarbeit liegt darin, in Konferenzen, Tagungen und Arbeitsgruppen wissenschaftlich und praktisch Tätige zielbezogen und verbindlich zur Zusammenarbeit zu bringen. Das DIE hat gerade damit wesentliche Verdienste in der Erwachsenenbildung errungen. Mit der Implementation neuer Themen in Arbeitsgruppen und Tagungen (z.B. Geschlechterdialog, Preis für Innovation) griff das DIE dabei auch inhaltlich in die Entwicklung der Erwachsenenbildung ein. Die moderierende Rolle des Instituts, das Anstoßen von Reflexion sind dabei Vermittlungsformen, die wesentlich dazu beitragen, daß das genannte Strukturelement "Akzeptanz" eingelöst werden kann.
Service
Eine nicht zu unterschätzenden Anteil am Vermittlungsprozeß von Wissenschaft und Praxis spielen auch Serviceleistungen, das Verfügbarmachen von Grund- und Strukturdaten, die interessen- und zielgerichtet aufbereitet und abgerufen werden können. Das DIE liefert dazu etwa Literaturrecherchen zu einschlägigen Stichwörtern und Fragen, statistische Daten über Volkshochschulen und künftig auch andere Weiterbildungseinrichtungen, gezielte Auswertungen (sekundäranalytisch) zu quantitativ und qualitativ wichtigen Feldern wie etwa Weiterbildungsentwicklungsplanung, Gesetze, Europäische Bildungspolitik.
Beratung
In den letzten Jahren hat das Institut einen pädagogischen Tätigkeitsbereich zu einer eigenständigen Vermittlungsform entwickelt: die Beratung. In der Beratungstätigkeit gegenüber Institutionen und Personen der Erwachsenenbildung werden wissenschaftliche Erkenntnisse - auch aus Bezugswissenschaften - gebündelt und auf die jeweils praktisch interessierenden Fragen zugeschnitten. Andererseits ergeben sich gerade aus der Beratungstätigkeit vielfältige Fragen an neue Forschungsprojekte, eine Revision der universitären Ausbildung von Erwachsenenpädagoginnen und des Aufbaus von erwachsenenpädagogischen Supportstrukturen.
Die Formen der Vermittlung ließen sich ergänzen, sie werden sich in Zukunft - auch mit der Entwicklung von Medien - weiter verändern. Unstrittig ist, daß Vermittlungsarbeit als auch zukünftig immer wichtiger werdende Grundlage einer innovativen Entwicklung in Wissenschaft und Praxis erforderlich ist.
Literatur
- Die Beiträge des vorliegenden Heftes 40 des REPORT
- Gieseke, W./Meueler, E./Nuissl, E. (Hrsg.): Empirische Forschung zur Bildung Erwachsener, Frankfurt/M. 1992
- Keycz, Y./Nuissl, E. u.a.: Das Bildungsurlaubsprogramm, 8 Bände, Heidelberg 1979-1981
- Nuissl, E. (Hrsg.): Jahresbericht DIE 1996, Frankfurt/M. 1997
- Otto, V. (Hrsg.): Weiterbildungsforschung: Anforderungen der Theorie-Praxis der Volkshochschulen, Frankfurt/M. 1988
Ekkehard
Nuissl von Rein: Theorie vermittelt Praxis, Praxis Theorie. Online im
Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-1998/nuissl98_03.htm
Dokument aus dem Internet-Service des
Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid