Rosemarie Klein die_logo1a.gif (1181 Byte) November 1999


Vom Lehrenden zum Lernbegleiter – Erfahrungen aus der Bildungsarbeit mit Weiterbildnern und Weiterbildnerinnen

Vortrag auf dem QUEM-Workshop: Unterstützung der Weiterbildung von Weiterbildnern am 17. Juni 1999 in Berlin

Ich darf anknüpfen an dem Papier ‘Weiterbildner 2000 plus’ (näheres hierzu: Dr. Ingeborg Boots QUEM, Storkower Str. 158, 10402 Berlin), das ich mit Interesse und freudiger innerer Zustimmung gelesen habe. An einem Punkt bin ich allerdings ins Grübeln gekommen und zwar bei der Beschreibung der Voraussetzungen und Kompetenzen, die der ‘Weiterbildner 2000 plus’ mitbringen sollte. Ich fürchte, so attraktiv wird unser Berufsfeld auch in Zukunft nicht sein, daß sich nur noch hochqualifizierte, lebenserfahrene, kommunikative, mit nahezu therapeutischem Gespür Ausgestattete in diesem Feld tummeln. Und wir dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht übersehen, daß das aktuell diskutierte Anforderungsbündel an die gewandelten Anforderungen an WeiterbildnerInnen auch deshalb zur Zumutung werden kann und von vielen auch so empfunden wird, als die Arbeitsverhältnisse von WeiterbildnerInnen vielfach instabil sind (Honoarverträge, Zeitverträge), der mit dem Einarbeiten in die neuen Strukturen verbundene Zeitaufwand kaum adäquat bezahlt wird und noch immer die Debatte um selbstgesteurtes und selbstorganisiertes Lernen in ihrer Entgrenzungstendez der Furcht Nahrung gibt, mit einer derartigen Orientierung an der Auflösung der eigenen Profession mitzuwirken.

Veränderte Anforderungen aus der Sicht der Betroffenen

Ich will vor diesem Hintergrund einsteigen mit den Erfahrungen, die wir in der Fortbildungsarbeit mit ErwachsenenbildnerInnen, vornehmlich in der beruflichen Bildung, in den letzten Jahren gemacht haben, also mit Menschen, die in ihrer Qualifikation, in ihrer Kompetenz, in ihrer Persönlichkeit aufs Ganze gesehen die ganze Vielfalt des Menschlichen repräsentieren. Wenn ich in diesem Zusammenhang etwas über veränderte Anforderungen an Funktion und Rolle sage, versuche ich, dies nicht nur aus der Perspektive der ‘Objektiven’ zu tun, sondern aus der Perspektive der Betroffenen. Das macht m.E. in unserem Kontext hier und heute und auch in Ergänzung zu dem Papier ‘Weiterbildner 2000 plus’ und den Ausführungen von Herrn Schäffter Sinn und soll zudem implizit bereits den Apell beinhalten, bei Unterstützungsangeboten für WeiterbildnerInnen an deren Sichtweisen, Deutungen, Hoffnungen, Ängsten und Interessen anzuknüpfen.

Grobunterscheidung zwischen Weiterbildnerinnen-Anforderungen

Angesichts der schillernden Vielfalt von WeiterbildnerInnen, die im Feld der Erwachsenenbildung tätig sind, was sich ja in den vielfältigen Berufsbezeichnungen Lehrende, Ausbildende, Kursleitende, DozentInnen, TrainerInnen, InitiatorInnen usf. Niederschlägt, will ich in zunächst zwei Richtungen unterscheiden:

Zum einen diejenigen, die mit TN arbeiten, die in Erwerbsarbeit sind und zum anderen diejenigen, die in Angeboten für Arbeitslose/Langzeitarbeitslose bzw. WiedereinsteigerInnen arbeiten. Auf die zweite Gruppe werde ich mich konzentrieren.

Gruppe 1

Die Erfahrungen der ersten Gruppe will ich knapp in 5 Thesen zusammenfassen. Wie stellen sich die Anforderungen aus Sicht der Weiterbildner dar:

  1. Dominant ist das Interesse an unmittelbar beruflich verwertbarem Wissen im engen Sinne des fachlich-funktionalen Wissens. Das enspricht dem Rollenverständnis der WeiterbildnerInnen, auch wenn in diesem Feld immer wieder die Schere zwischen fachdidaktisch aufbereiteten, partiell veralteten Inhalten und aktuellen Erfordernissen der Arbeitswelt klafft.
  2. Die TN wollen in möglichst kurzer Zeit möglichst effektiv und effizient lernen, d.h. in ihrer Perspektive nur das, was ihnen beruflich relevant erscheint. Bildung als Befähigung zur Selbstverwirklichung, wie es im UNESCO-Papier anklingt, ist nicht das, was sie anstreben.
  3. Eine Auseinandersetzung mit Fragen der sozialen und personalenKompetenzen erscheint den TN in diesen Angeboten nicht angemessen, auch wenn sie zustimmen, daß berufliche Handlungskompetenz zunehmend diese Kompetenz verlangt. WeiterbildnerInnen haben in diesem Kontext die Aufgabe, nicht nur zu begründen, warum die Förderung und Forderung personaler und sozialer Kompetenzen Gegenstand des Bildungsangebots sein muß, sie sind gefordert, mit inhaltlicher und methodischer Phantasie zu überzeugen (z.B. Stellenanzeigenanalyse, Veränderungen auf Arbeitsmarkt erarbeiten lassen usf.)
  4. Das erworbene Wissen soll zertifizierbar sein und damit den invividuellen Verkaufswert erhöhen.
  5. Meine letzte These erscheint im Hinblick auf den Effektivitätsgedanken im ersten Moment vielleicht widersprüchlich, aber: Die TN erwarten zunehmend edutainment, also Abwechslung in den Methoden, eigenaktive Anteile, Variation der Präsentationsformen usw. In der Sprache der Weiterbildner gesprochen: Die TN erwarten zunehmend von uns die Dienstleistung, unterhalten zu werden.

Soweit in aller Kürze - und damit die Wirklichkeit unzulässig verkürzt - zu den Erfahrungen der ersten Gruppe bzw. ihre Wahrnehmung zu veränderten Anforderungen an ihre Profession.

Leitthese für die Entwicklung von Unterstützungsstrukturen für WeiterbildnerInnen

Mit diesen Thesen will ich zugleich eine Leitthese hinsichtlich der Unterstützungsstrukturen für Weiterbildner deutlich machen: Die veränderten Anforderungen an die eigene Profession, an das Aufgaben- und Kompetenzspektrum, ergeben sich aus Sicht der Weiterbildner in erster Linie aus der Wahrnehmung der Erwartungen der Teilnehmenden. Wir als BildungsplanerInnen und Tätige in der Wissenschaft und Forschung gehen in der Regel von anderen Perspektiven aus, nämlich gesellschaftliche, arbeits- und beschäftigungsmarktliche Perspektiven zum Ausgangspunkt zu machen. Wenn wir nun aber sagen, wir erwarten vom Weiterbildner 2000 plus, daß er Lernende für die Ziele und Inhalte auf der Basis von Lerninteressen für zuständig erklärt, dann muß für uns im Hinblick auf Unterstützungsstrukuren und Lernangebote für WeiterbildnerInnen auch deren Wahrnehmungen, Sichtweisen, Interessen und Perspektiven zum Ausgangspunkt gemacht werden.

Gruppe 2:

Bei der zweiten Gruppe von WeiterbildnerInnen, also denjenigen, die mit Arbeitslosen, Langzeitarbeitslosen und BerufsrückkehreInnen arbeiten, will ich Ihnen zum Einstieg eine Methode vorstellen, mit der wir in Fortbildungen in das Thema einsteigen.

Veränderungen in den Anforderungen an das Kompetenzspektrum von Lehrenden
(Übung austeilen und ca 5 Minuten für die Eigenarbeit lassen)
Wir arbeiten mit dieser und ähnlichen Methoden seit einigen Jahren und machen zwischenzeitlich auch immer wieder einmal eine Querauswertung. Dazu nun ein paar Ergebnisse:

  1. Anforderungen, die abnehmen/abgenommen haben, werden selten benannt. Das berufliche Anforderungsprofil scheint sich im Laufe der Berufsjahre immer mehr auszuweiten. Erst in der Auseinandersetzung mit der Gruppe und dem Einzelnen gelingt es, evtl. abnehmende Anforderungen herauszuarbeiten (Fachautorität sein, Wissen referieren, permanent präsent sein). Im Bewußtsein - und das zeigt sich in der Fortbildungs- und Beratungsarbeit durchgehend - bleibt jedoch, daß die WeiterbildnerIn in einem Feld aktiv ist, in dem es ihm/ihr nicht vergönnt ist, auf dem Ruhekissen gesicherter beruflicher Erfahrung und damit verbundener Handlungsroutine sich zufrieden auszuruhen. Der subjektive Eindruck, angesichts der Fülle und Flexibilität (des ständigen Wechsels - Lehrer-Moderator,Coach,Lernberater) der Anforderungen und Erwartungen zu wenig zu wissen und zu können, scheint Teil der Berufsidentität zu sein. Auf dem Weg vom Lehrenden zum Lernberater und Lernbegleiter muß dieser ‘inneren Krise’ Raum gegeben werden. (Beispiel Schulze-Kahleys TBH: Vorbereitung von Selbst- und Fremdeinschätzungsbögen, Maßnahmereflexionsbögen, Selbstlernmaterial blieb ihm nicht genug Zeit, permanent präsent zu sein. Erst über die beratend begleitete Reflexion und konnte er für sich erarbeiten, daß er mit seiner neuen Didaktik-Methodik loslassen kann und nicht permanent in den Lerngruppen anwesend sein muß. Im weiteren zeigte sich, daß die kognitive Erkenntnis nicht ausreichte, um das ‘schlechte Gewissen’, mal nicht da zu sein, gleich zum Schweigen zu bringen).
  2. Dieser subjektive Eindruck der Überforderung verstärkt sich durch neue Organisationskonzepte in Weiterbildungseinrichtungen, die
  1. häufig eine Verantwortungsdelegation nach unten beinhalten (von der low-trust zur high-trust-relation)
  2. im Zuge der Qualitätssicherungsdebatte permanente Evaluierung vorsehen, die nicht ganz zurecht als permanente Kontrolle wahrgenommen wird und
  3. mit der Einführung von Kosten-Leistungsrechnungen die Arbeit in Produkte zu zerlegen und damit ungewollt Reflexionszeiten zu ‘unnötig teuren Zeiten’ werden lassen (Reflexionszeiten, Austausch mit Kollegen u.ä. sind nicht als harte Produkte beschreibbar - werden partiell in die Freizeit verlagert)
  1. Als gleichbleibende Anforderung werden die Bereiche beschrieben, die zum traditionellen Handwerkszeug des Weiterbildners gehören

also Bereiche, die sich i.w. auf den Vermittlungsprozeß konzentrieren

  1. Als zunehmende Anforderungen und nicht selten als Überforderungen werden die Felder genannt,
  1. die auf eine Individualisierung der Lernprozesse abzielen (Lernprozesse beobachten und begleiten, Beratungsgespräche führen, Reflexion von Lernen anbieten und fördern, Fördern der Selbsteinschätzung). Es sind nicht nur äußere Rahmenbedingungen wie Gruppengröße, zunehmende Heterogenität u.ä., die diese Anforderungen für viele als Zumutungen erscheinen lassen. Ein Sich-Einlassen auf individuelle TN-Bedürfnisse und Lernvoraussetzungen bedeutet auch ein Verlassen der Sicherheit bietenden Rolle des Lehrenden, bedeutet auch - zunächst in den Augen der Lehrenden - ein höheres Maß an Verantwortung für die einzelnen TN zu übernehmen, wenn es bspw. um Beratung oder Förderung der Selbsteinschätzung geht. Die Delegation der Verantwortung für den Lernerfolg auf den Lernenden, wie sie in der Folge der Konstruktivismusdebatte allenthalben postuliert wird ("Erwachsene sind lernfähig, aber unbelehrbar"), wird hier insoweit gebrochen, als bspw. im Prozeß der individualisierten Beratung Rat gegeben wird, empfohlen wird, ohne die Sicherheit der Angemessenheit der Empfehlung.
  2. Als zunehmende Anforderung gelten die Aspekte, die auf eine Partizipation, auf Mitsprache und Mitgestaltung der TN abzielen (Transparenz, Rückmeldung), also die Bereiche, in denen der Wandel vom Lehrenden zum Lernberater sich am deutlichsten manifestiert, weil es hier nicht nur um die Abgabe von Verantwortung für den eigenen Lernprozess auf der Ebene von Interessen, Zielen, Erfolgskontrolle geht, sondern um deren Einlösung durch eine Mitsprache bei Gestaltungsaspekten von Lernen, also um methodische, organisatorische (und curriculare) Verantwortungsteilung. Wenn TN zu aktiven Mitgestaltern werden - und damit werden sie möglicherweise auch zu Korrektoren meiner Vorstellungen von Unterricht und Unterweisung - dann greifen sie in die pädagogischen Kernkompetenzen ein, die Basis meiner beruflichen Identität sind. Sie entscheiden gelegentlich gegen meine wohlüberlegten, erfahrungsbegründeten, didaktisch-methodisch abgesicherten Vorgehensweisen ("der Knecht erhebt sich über den Herrn"). Damit ist eine der zentralen Herausforderungen angesprochen: Die Aufgabe der Sicherheit ohne Garantie der Sicherheit im Neuen. Die Zugewinne, die sich aus der Rolle des Lernberaters einstellen können, werden erst im Laufe des Prozesses - in der Regel mit Rückschlägen verbunden - deutlich. Hier zeigt sich in der Praxis eine zentrale Aufgabe hinsichtlich der Unterstützung der Lehrenden auf dem Weg zur Lernberatung.

Eine weitere Anforderung die im Zusammenhang mit der Individualisierung von Lernen zunimmt, betrifft die WeiterbildnerInnen in der Bildungsarbeit mit Arbeitslosen insbesondere. Zunehmend berichten Lehrende und Beratende aus diesem Feld, daß die TN Aspekte ihrer spezifischen Lebensssituatin und des Umgangs mit dieser Situation in die Bildungsmaßnahmen einbringen. WeiterbildnerINnen sind in gefragt, funktional-fachliche Lerninhalte um Aspekte zur Lebensorientierung zu erweitern. Das ist Ausdruck einer veränderten Erwartung dieser TN an Bildungsmaßnahmen und die dort Tätigen. Ihre Motivation, ihre Lerninteressen sind - nehmen wir das Feld der beruflichen Weiterbildung - auf eine Reintegration auf den Arbeitsmarkt alleine nicht aufrechtzuerhalten, sie fordern Lebensorientierung ein. D.h., sie fordern übergreifende Kompetenzentwicklung ein, bei der Fragen einer Vorbereitung auf Brüche in den Erwerbsbiographien und eines Arrangements im Umgang mit diskontinuierlichen Berufslebensverläufen zu zentralen Überlebensfragen werden. (Ich brauche in dieser Runde nicht zu betonen, daß wir es hier mit einer veränderten TN-Erwartung zu tun haben, die nicht nur diejenigen zum Ausdruck bringen, die zu den schwerstvermittelbaren LZA gehören.) In der Fortbildungsarbeit mit WeiterbildnerInnen hat sich übrigens im Kontext dieser Anforderung die Auseinandersetzung mit dem Ansatz von LISU und die Beschreibung der Tätigkeiten der Initiatoren als wertvolle Unterstützung erwiesen, da im Westen noch immer die Tendenz besteht, sinnstiftende Lebensorientierungen für Zeiten des Ausgegliedert-Seins aus der Erwerbsarbeit als Gegenstand von Weiterbildung zu tabuisieren. Dort, wo es uns oder den LISU-Referenten gelungen ist, WeiterbildnerInnen von der Sinnhaftigkeit des LISU-Gedankens zu überzeugen, beobachten wir spannende Prozesse der Erweiterung des Aufgabenverständnisses von beruflichen WeiterbildnerInnen.

Über welche Kompetenzen verfügt eine Lernberaterin aus der Sicht der Teilnehmenden?

Wechseln Sie nochmal mit mir die Perspektive und gehen zu der Frage, was die BildungsteilnehmerInnen von ihrer Lernbegleitung erwarten. Wir haben im Zusammenhang mit einem Frauenbildungskonzept, das nach Prinzipien von Lernberatung durchgeführt wurde, die Teilnehmerinnen gegen Ende der Maßnahme befragt, was aus ihrer Sicht ihre Lernberaterinnen auszeichnet. Aus den Bildern, die wir bekommen haben, konnten wir folgende Kompetenzanforderungen ableiten:

Empathie der BeraterInnen, d.h. Einfühlungsvermögen in die Annäherungen des Individuums an Lernen, in individuelle Lerninteressen und Lernziele. Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln und mit den Augen der Lernenden zu schauen

Sachkompetenz in Sachen Lernen, d.h. ein fundiertes Wissen um unterschiedliche Lernwege und Lernformen und die Fähigkeiten der Bereitstellung eines Lern-Lehrarragements, in dem unterschiedliche Lernniveaus individuell begleitet werden.

Ergebnistoleranz, d.h. die Einsicht in die Notwendigkeit, daß der Lernanlauß und - bedingt - auch das Lernergebnis im wesentlichen Angelegenheit des lernenden Individuums ist.

Über die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen konnten wir unser Bild von den ‘Beratungserwartungen an Lernbegleitung’ schärfen. Beratung im Lernen begriffen die Teilnehmerinnen als den argumentativen Austausch um das Lernen, der in der Vogelperspektive stattfindet, der die Reflexion des Lerners über seine Lernziele, Lernwege beratend begleitet und stützt. Hervorgehoben haben die Frauen positiv, wenn sie selbst als diejenigen akzeptiert wurden, die Ausgangsfrage und Ziel der Beratung bestimmt haben, wenn ihnen Beratung nicht aufgedrängt wurde. "Das Lernberatungsgespräch hat mir geholfen, mein Lernen zu optimieren und beweglicher zu werden, wie ich lernen kann."

Wie reagieren DozentInnen auf die neuen Anforderungen?

Meine bisherigen Beobachtungen und Erfahrungen in der beratenden Begleitung und Fortbildung von WeiterbildnerInnen auf dem Weg zur Umsetzung einer Lernberatungskonzeption lassen eine erste, noch zwangsläufig grobe Typenbildung zu, was ihren Umgang mit den neuen Anforderungen an ihre Funktion und Rolle betrifft:

Der interessiert-engagierte Typus, der die Anforderungen als Chance begreift, seine andragogischen Prinzipien endlich realisieren und weiterentwickeln zu können und sich von seinem Selbstverständnis her deutlich vom ‘Schullehrer und Dozenten’ abgrenzt. Die Verfaßtheit von Schule war für ihn nicht selten Antrieb, in die berufliche Erwachsenenbildung zu wechseln. In seiner Interaktion mit den TeilnehmerInnen macht er altes und neues Lernverständnis und -verhalten immer wieder explizit. Wissensvorsprung und das Verfügen über ‘die Macht der Mittel’ hat er als Sicherheitsgeber für seine Rolle längst abgelegt. Die Wissensvermittlung ist nicht mehr der Gewißheitsträger in seinem professionellen Selbstverständnis und nicht leitend für sein Verhalten. Er eröffnet seinen TeilnehmerInnen ein hohes Maß an Selbstverantwortung für ihren Lernprozeß, begleitet nach dem Motto "soviel Unterstützung wie nötig, so wenig wie möglich" und kämpft innerhalb seiner Tätigkeit für die Herstellung bzw. Verbesserung infrastruktureller Voraussetzungen für eine Individualisierung und Flexibilisierung des Lern-/Lehrsettings.

Der skeptisch-neugierige Typus, der die Lernenden in ein Wechselbad der Gefühle versetzt, indem er einerseits das Innovative dieser Konzeption bekennt und seine damit verbundenen positiven Erwartungen formuliert, gleichzeitig aber mit seiner Skepsis nicht hinterm Berg hält. Für ihn ist mit dieser Orientierung die Balance zwischen Kontinuität und Innovation in seinem Professionsverständnis verlorengegangen. Neue Lerntechnologien (Lernsoftware, CBTs) wird er niemals ungeprüft in seinen Verantwortungsbereich aufnehmen, solange sie nicht erwachsenen- und fachdidaktischen Standards entsprechen. Erst bei entsprechenden Erfolgserlebnissen (Prüfungserfolge, Außenanerkennung) wird er sich vollständig mit den neuen Rollenanforderungen identifizieren.

Der skeptisch-ängstliche Typus, der sich innerhalb des Teams der neuen Entwicklung nicht verschließen mag, sich aber innerhalb der Konzeption nicht verorten kann. Sein Verhaftetsein in das traditionelle Rollenverständnis, oft über lange Jahre praktiziert, läßt ihn die neue Konzeption aus Loyalität zum Arbeitgeber äußerlich akzeptieren, eine innere Bereitschaft stellt sich damit nicht her. Seine Skepsis äußert sich in zahlreichen Appellen an die Lernerinnen, seine Kompetenz zu nutzen und in Anspruch zu nehmen Er wird nicht zum Moderator und Begleiter von Lernprozessen, sonder zum teacher-on demand. Dieser Typus zeichnet sich auch aus dadurch, daß er sich vorschnell den Widerständen, die durch Rahmenbedingungen des Trägers oder der Kammern unterordnet bzw. sie als Schutzmechanismen begreift.

Der skeptisch-ablehnende Typus, der seine Ablehnung der Konzeption mit moralischen oder Effizienz-Kategorien untermauert und es durch implizite Drohungen schafft, das traditionelle Lehr-Lern-Setting durchzuhalten. Er läßt sich auch durch Teamappelle oder Leitungsvorgaben nicht dazu bewegen, sich auf Neues einzulassen; insbesondere dann nicht, wenn er ein Fach repräsentiert, bei dem ein Austausch des Lehrpersonals aufgrund der Arbeitsmarktlage nur schwer zu realisieren ist.

Die aktuellen Tendenzen der Funktions- und Rollenumorientierung stellen für DozentInnen also Herausforderung einerseits, nicht selten aber auch Überforderung dar. Die konsequente Umsetzung des ‘Lernberater-Berufsbildes’ basiert ja nicht nur auf dem Ernstnehmen und didaktisch-methodischen Einlösen dessen, was Hans Tietgens als Grundhaltung, es in der Erwachsenenbildung mit mündigen BürgerInnen zu tun zu haben, formuliert hat. Die darin implizierte Umorientierung zum ‘Dienstleister’, die zunehmend notwendig werdende Fähigkeit des kompetenten Umgangs mit den Möglichkeiten neuer Lernmedien, der notwendig werdende interdisziplinäre Blick, die Orientierung auf die Förderung weicher Kompetenzen, auf Identitätslernen usf. geht einher mit einem Abschiednehmen von Vertrautem: Von der Fachkompetenz als erster und zentraler Kompetenz, von der Alleinverantwortlichkeit für den Lehr-/Lernprozeß, von der Politik der geschlossenen Tür. Sie verlangt darüber hinaus die Abgabe von Professionsmacht und Neudefinition von Professionsverantwortung: Erstere impliziert die gewagte Haltung, sich im Lern-/Lehrprozeß als zweite Instanz sehen zu können; letztere bindet die Mitverantwortung der Lernenden ein und verweist auf neue Grundhaltungen wie: Lernende haben Stärken und Potentiale, die es für das Lernen und seine untersütztenden Gestaltung zu erschließen gilt; Lernen kann nicht von außen entwickelt, wohl aber angestoßen und gefördert werden; Lerninteressen werden zu Ausgangspunkten für didaktische Entscheidungen; Lernprozeß und Lernergebnis sind gleichermaßen bedeutsam usf.

Zum Schluß

Lassen Sie mich abschließen mit einem Gedanken, der im Blick auf die Entwicklung von Unterstützungsstrukturen für WeiterbildnerInnen auf dem Weg zu LernberaterInnen in der bisherigen Diskussion vernachlässigt wird. Typisierungen eines Berufsbildes ‘Lernbegleiter, Lernberater’ reichen nicht aus, wenn es darum geht, den Rollenwechsel in der Praxis zu vollziehen. Auch wird es m.E: nie ‘den Lernberater, Lernbegleiter’ geben. Der Lernbegleiter und damit auch der Rollenwechsel zum Lernbegleiter steht immer im Zusammenhang mit einer pädagogischen Konzeption einer Bildungseinrichtung, mit deren leitenden Zielen, deren Selbstverständnis und nicht zuletzt mit deren Bereitschaft zu einer neuen Lernkultur.

Der Rollenwechsel vom Lehrenden zum Lernbegleiter vollzieht sich desto eher als er eingebunden ist in einen Erprobungs- und Implementierungsprozeß einer Lernberatungskonzeption. Und dieser Weg - das bestätigen unsere Praxiserfahrungen - ist für alle Beteiligten, für Lernende, Lehrende und Bildungsträger, mit Veränderungen von gewohnten Verhaltensweisen, Wahrnehmungsmustern und Arbeitsstrukturen verbunden. Auf jeder Ebene braucht es ‘EnergieträgerInnen’, die dem Prozeß offen begegnen, die initiieren, nach vorne zielen, ihre Denkansätze und Überlegungen mit den Intentionen der Lernberatung verknüpfen und weiterentwickeln. Wie bei jeder Konzeptionsumsetzung spielt auf dem Weg vom Vorhaben zum lebendigen Handeln der personale Faktor eine tragende Rolle. Die Umsetzung der Lernberatungskonzeption setzt bei den Lehrenden die Fähigkeit der Selbstreflexion und der Selbstdistanzierung voraus, erfordert nicht zuletzt ein Abschiednehmen von Vertrautem. Sie verlangt die Abgabe von Professionsmacht und eine Neudefinition von Professionsverantwortung. Dieses Anforderungsbündel wird dort leicht zur Zumutung, wo die Arbeitsverhältnisse von Lehrenden in der beruflichen Erwachsenenbildung instabil sind (Zeitverträge, Honorarbasis) und wo der mit dem Einarbeiten in die neuen Strukturen verbundene Zeitaufwand kaum adäquat honoriert wird. Die erforderlichen Veränderungen im Funktions- und Rollenverständnis können nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Fortbildung und kontinuierliche Prozeßberatung sind notwendige Voraussetzungen, die Konzeption mit Leben zu erfüllen. Wie weit dies gelingen kann, bleibt angesichts immer bescheidener werdender Fortbildungsetats der Einrichtungen der beruflichen Weiterbildung eine offene Frage. Aber nicht nur das: Gefordert ist auch die Bildungseinrichtung mit ihrer Gesamtorganisation; durch das Etablieren regelmäßiger Foren des Austauschs steht die Gesamtorganisation vor der Aufgabe, den Prozeß der Implementierung von Lernberatung im Sinne einer pädagogischen Organisationsentwicklung zu begleiten, um als lernende Organisation die Konzeption zu befördern, ihre je spezifischen Formen und Wege der Umsetzung zu entwickeln und nicht strukturell zu behindern.


Rosemarie Klein: Vom Lehrenden zum Lernbegleiter - Erfahrungen aus der Bildungsarbeit mit Weiterbildnern und Weiterbildnerinnen. Online im Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-1999/klein99_02.htm
Dokument aus dem Internet-Service des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid