Gerhard
Reutter
Oktober 1998
Lernen für eine eigenständige
Regionalentwicklung – fördernde und hemmende Faktoren
- Die Funktion von Weiterbildungs- und
Beschäftigungseinrichtungen in peripheren Regionen hat sich grundlegend
gewandelt. Weiterbildungsanstrengungen werden nicht mit einem
Erwerbsarbeitsplatz gratifiziert, die Beschäftigung im zweiten Markt stellt
nicht die erhoffte Brücke zum (nur rudimentär existierenden) ersten
Arbeitsmarkt dar.
- Die Mehrzahl der
Beschäftigungsgesellschaften hat dies noch nicht zu ihrem
Selbstverständnis gemacht und demgemäß darauf nicht die Konsequenz
gezogen (oder ziehen können), sich als Akteur eigenständiger regionaler
Entwicklung zu verstehen. Ihr Beitrag zur Regionalentwicklung wird von ihnen
selbst meist nicht als bewußte Chance der Gestaltung wahrgenommen. Sie
verstehen sich eher als ‘bewußtlose’ Ausführer kommunal oder regional
initiierter Projekte.
- Die Gründe für dieses Nichtausschöpfen
der Potentiale sind vielfältig (ständig wechselnde Rahmenbedingungen,
keine Planungssicherheit, stop-and-go-Politik der Arbeitsverwaltung, etc.).
Zwei wesentliche Gründe liegen innerhalb der Regionen bzw. innerhalb der
Einrichtungen.
- Beschäftigungs- und
Weiterbildungseinrichtungn werden auf der politischen Ebene, auf Bundes-,
Landes- und regionaler Ebene noch mehrheitlich als transitorisches Phänomen
behandelt, fließen also nicht in Überlegungen oder strategische Planungen
zur regionalen Strukturentwicklung mit ein. Langfristige Zusammenarbeit mit
den wichtigsten Akteuren der Regionalentwicklung stellt auch dort die
Ausnahme dar, wo von einem dauerhaften zweiten Arbeitsmarkt ausgegangen
werden muß.
- Die Chancen, die sich aus einer Verbindung
von Beschäftigung und Weiterbildung für eine aktive regionalorientierte
Mitgestaltung ergeben können, werden suboptimal genutzt, weil der
Bildungsgedanke vielfach nach wie vor verkürzt als Qualifizierung definiert
wird. Wenn unter Qualifizierung nur die Anhäufung beruflicher
fachlich-funktionaler Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden wird,
erscheint sie tatsächlich angesichts der Arbeitsmarktsituation irrelevant.
- Notwendig ist ein Bildungsverständnis, das
sich an der Trias von Subjekt-Erwerbsarbeit-Gesellschaft orientiert. Erst
ein derartiges Bildungsvertändnis ‘öffnet’ für das Erkennen neuer
Arbeitsfelder.
- Ein Regionenverständnis, das Region
ausschließlich unter wirtschafts-, arbeitsmarkt- und
beschäftigungspolitischen Aspekten faßt, blendet die zentrale Funktion
aus. Region ist auch Lebensort, also sozialer und gesellschaftlicher
Bezugspunkt.
- Notwendig sind verstärkt Projekte, die sich
auf den Erhalt und Ausbau der sozio-kulturellen Infrastruktur der Region
beziehen. Diese Projekte können nicht vordefiniert werden; sie müssen, so
frühzeitig wie möglich, in Kooperation mit den Betroffenen entwickelt
werden.
- Dies setzt bei den Akteuren ein Vertrauen in
die Kompetenzen und Potentiale der Beteiligten voraus und erfordert die
Fähigkeit zur Verantwortungsdelegation.
- Derartige Versuche beinhalten immer auch das
Risiko des Scheiterns. Sie anzugehen, erfordert eine Atmosphäre, in der
Scheitern nicht zum "großen Tabu" (Sennett) erklärt wird.
- Aktive Mitgestaltung in der regionalen
Strukturentwicklung setzt nicht nur ein Selbstbewußtsein voraus und eine
Klarheit über Ziele und Aufgaben der eigenen Einrichtung, sie erfordert
auch die Offenheit zur kooperativen Konkurrenz, d.h. die Fähigkeit, andere
Mitgestalter sowohl als Konkurrenten wie als Kooperanden wahrzunehmen.
- Eine nur auf ideellen Motiven basierende
regionale Kooperation funktioniert nur kurzfristig. Erst wenn der jeweilige
Eigennutzen bzw. der Schaden bei Nichtbeteiligung klar definiret ist, ist
eine tragfähige Basis gegeben.
- Regionale Strukturentwicklung bedarf einer
neutralen, nicht interessengeleiteten Moderation.
- Positive Erfahrungen liegen dort vor, wo die
Vergabe von Fördergeldern zur Regionalentwicklung an die gemeinsame
Erarbeitung regionaler Entwicklungskonzepte gebunden sind.
- Bei der Entwicklung von Projekten der
Regionalentwicklung steht die Idee am Anfang, die Frage der Finanzierung
ganz am Schluß!
- Mitgestaltung bei der regionalen Entwicklung
erfordert Ausdauer, Geduld und Frustrationstoleranz.
Gerhard
Reutter: Lernen für
eine eigenständige Regionalentwicklung – fördernde und hemmende Faktoren.
Online im Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-1999/reutter99_01.htm
Dokument aus dem Internet-Service
des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid