Hans-Joachim Lenz, November 1997


Vortrag auf der Tagung "Eine Zukunft für Frauen und Männer", 12.-14. November 1997. Vollständige Dokumentation der Tagung

Männer und die Geschichte der „Bewegung der Männer"

 

Im folgenden möchte ich das Thema – aus meinem subjektiven Erleben heraus – mit seinen verborgenen allgemeinen Strukturen und Mechanismen dieser Männergesellschaft und den Ansätzen zu einer Veränderung darstellen. Beide Ebenen – die subjektive und die allgemeinere – werden dabei als ineinander verwoben verstanden.

Der heutige Blick zurück auf meine eigene Biographie, meine Kindheitserfahrungen und Lebensmuster lassen größere Zusammenhänge sichtbar werden. Ich benenne dabei manchmal sehr Persönliches, was mir selbst lange Zeit verstellt war: die Not eines kleinen Jungen in der Nachkriegszeit und die überwiegend leidvollen Erinnerungen an die Jahre der Kindheit und Jugendzeit in den 50er und 60er Jahren.

Die Einsamkeit in meiner Kindheit war ein prägendes Erlebnis. Andere Jungen, Männer und Männlichkeit blieben lange Zeit verschlossen und unerreichbar. Die Bedrängnisse als Junge und werdender junger Mann waren enorm. Schon damals merkte ich, daß das Mann-Werden für mich nicht einfach sein würde. Ich spürte immer wieder, daß meine Umwelt mich als Junge oder junger Mann anders haben wollte, als es für mich paßte. In der engen Mutter-Sohn-Diade war ich als Mutters Prinz gleichsam in einem goldenen Käfig eingesperrt, der nicht anwesende Vater überließ mich einer übermächtigen Mutter. Als „uneheliches" Kind war ich ihr ausgeliefert. Was heute beinahe schon normal scheint – die Mutter-Kind-Familie –, war es damals nicht. In der Nachkriegszeit fanden häufiger als heute Stigmatisierungen durch das soziale Umfeld statt: anzügliche Bemerkungen von Nachbarn, in der Schule spitze Bemerkungen von den Lehrern, Demütigungen durch Mitschüler usw. Davon blieben viele Verletzungen zurück. Erst 25 Jahre später begann ich zu verstehen, daß nicht nur ich das „Schicksal" hatte, ohne Vater aufgewachsen zu sein. Viele Väter waren aus dem Krieg nicht zurückgekehrt oder hatten in den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit ihre Kinder im Stich gelassen, sich ihnen entzogen. So auch mein Vater. Ob fehlende oder nur partiell anwesende Väter: Vaterlosigkeit war das Thema einer ganzen Nachkriegsgeneration (vgl. Mitscherlichs „Vaterlose Gesellschaft"). Kurzum: mein Männerbild war lange Zeit ein negatives. Es war bestimmt von den Frauen um mich herum. Immerhin hatte es ja einen wahren Kern: Frauen waren die Menschen, auf die Verlaß war, Männer waren unzuverlässig. Lange Zeit blieben Ängste vor Jungen und erwachsenen Männern zurück.

Erst 30 Jahre später wurde mir klar, daß sich die Verbindung zu meiner Mutter auf einem sehr unebenen Boden bewegte. Auf der einen Seite war ich ihren grenzenlosen Übergriffen im Namen der Liebe auf ihren „Ersatzmann" ausgesetzt, auf der anderen Seite auch gewalttätigen Mißhandlungen.

Lange Zeit beherrschte mich die Opfersicht auf mein Leben und damit verbunden ein defizitäres Selbstbild. Es gab aber auch eine Überlebenskraft. Mein Lebenspotential konnte sich und wurde gefördert durch langjährige unterstützende Begleitung von Freundinnen und Freunden – mehr Frauen als Männer (LehrerInnen, später TherapeutInnen). In meinem Lebens sind auch positive Kräfte angelegt, die mir jedoch erst im nachhinein bewußt wurden und immer noch werden. Anders gesagt: die guten Engel beschützten und leiteten mich.

Der Zeitgeist der 50 und 60er Jahren war sehr wichtig für mich. Der ersten Lösungsversuche aus meinen persönlichen Verstrickungen fielen in die Aufbruchszeit die 68er. Die erstarrte Normalität, das festgelegte Gehäuse der Hörigkeit wurde erschüttert und ließ die Sehnsucht nach einer humaneren Gesellschaft aufkommen, die viele der damals Aufbrechenden miteinander verband. Vorläufer war die aus den USA kommende Underground-Bewegung der 50er und 60er Jahre. Sie schuf mit ihrem neuen Lebensgefühl, das sich in Kleidung, Musik, Filmen und Literatur ausdrückte, auch ein implizites neues Männerbild, das eher durch eine Anti-Haltung als durch einen positiven Lebensentwurf bestimmt war. Die unhinterfragte Werteordnung der Nachkriegszeit sollte umgekehrt werden, indem eine Rebellion auf sexuellem, moralischem und politischem Gebiet stattfand. Auch in Europa versuchten subkulturelle Strömungen ein anderes Männerbild als Gegenbild zum gesellschaftlichen Ideal von Sauberkeit, Ordnung und Arbeitsamkeit zu entwerfen. Diese subkulturellen Strömungen setzten sich weniger rational mit den traditionellen Geschlechterklischees auseinander. Vielmehr schufen sie als lebendigen Protest durch ihre Haltung und Kleidung (bei den Männern waren nun lange Haare und Bärte „in", die Kleidung wurde lässig) ein Gegenbild zu den alten Orientierungen der starren Männlichkeits- und Weiblichkeitsmuster.

Das Anliegen der Underground-Bewegung wurde in Deutschland teilweise in dem kulturrevolutionären Bestreben der Studentenbewegung – der eigentlichen 68er Bewegung – aufgenommen. Die intellektuell-rationale Analyse versuchte, die Überstruktur und den Zusammenhang mit dem Kapitalismus aufzudecken. Die inhumanen kapitalistischen Verhältnisse sollten durch politische Arbeit verändert werden. Geschichte wurde als Befreiungsgeschichte begriffen. Sich lösen aus der Umklammerung des Systems, darin drückte sich die Dialektik von Selbstbefreiung und sozialem Befreiungskampf aus.

Allenfalls in Teilen des antiautoritären Pols der 68er-Bewegung deutete sich eine Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis an. Die Kommunebewegung (deren Motto: „Versuch der Revolutionierung des bürgerlichen Individuums") und die Kinderladen-Bewegung (Motto: „Versuch der Umwälzung der inneren Natur") griffen das traditionelle Verständnis zwischen Mann und Frau zwar an, ohne jedoch eine tiefergreifende Analyse der herrschenden Männerdominanz vorzunehmen. Männer änderten sich in ihrem Männlichkeitsverständnis, wenn überhaupt, nur äußerlich. Für den Großteil der bewegten kritischen Studenten war das Beschäftigen mit dem „subjektiven Faktor" ohnehin als „Psychologisieren" verpönt.

Als Folge der Kritik an den Herrschaftsmechanismen der 68er-Bewegung bildeten sich dann deren Ausläufer, die neuen sozialen Bewegungen heraus:

Die „Spontis" („Revolution ohne Emanzipation ist Konterrevolution") wollten die Dialektik von politischer und persönlicher Emanzipation entfalten. Der Bestseller von damals war Dieter Duhms „Angst im Kapitalismus". Die Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus und seinen Funktionären wurde auf das Subjektive ausgedehnt. Das Subjektive ist politisch! Die Suche nach solidarischen Verbindungen ließ deutlich werden, wie stark in linken politischen Zusammenhängen die zwischenmenschlichen Kontakte entfremdet blieben. Die Angst vor Nähe verhinderte viel. Die Spontis stießen an die Veränderbarkeit der Strukturen des kapitalistischen Systems, was bei vielen zu Desillusionierung führte. Das Konzept einer alternativen Ökonomie kam auf, die die „Entfaltung der Subjekte" (Kraushaar) zum Ziel hatte. Positive Lebensentwürfe und die darin eingeschriebenen Möglichkeiten zur Selbstbefreiung traten in den Mittelpunkt und sollten schon heute (und nicht erst in Zukunft) möglich sein. Die Alternativbewegung machte sich auf den Weg, später dann auch die Anti-Atomkraft-Bewegung. Das Geschlechterverhältnis war noch kein Thema, allenfalls in der beginnenden Frauenbewegung.

Die neue Frauenbewegung hat ebenfalls ihre Quelle in der Studentenbewegung. Mit dem legendären Tomatenwurf der weiblichen Genossinnen auf den männlichen Vorstand des SDS im Juli 1969 (Motto: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!") startete die neuere Frauenbewegung.

Fragen, die ich mir in dieser Zeit stellte, waren: Wie können wir wirklich solidarisch miteinander sein? Wie läßt sich die Entfremdung zwischen den Engagierten verändern? Während sich in den Universitätsstädten die ersten Frauengruppen bildeten, gründete ich zusammen mit Erlanger Soziologie- und Politik-Studienkollegen eine erste Männergruppe. Ein Jahr lang trafen wir uns regelmäßig und orientierten uns dabei an dem heute noch bekannten Buch „Anleitung zum sozialen Lernen" von Schwäbisch-Siems. Geschlechterdemokratie – als Ahnung – lag bereits in der Luft. Wir Männer schauten wohlwollend aus der Ferne den in Bewegung kommenden Frauen zu, wobei die Befreiungshoffnungen an die Frauen delegiert waren. Sie sollten nicht nur sich, sondern uns gleich mitbefreien.

Anfang der siebziger Jahre entstanden im universitären Submilieu die ersten Männergruppen. In ihnen fanden Männer zusammen, die spürten, daß mit ihrem Mannsein irgend etwas nicht stimmte. Die Gruppen agierten eher im privaten und halböffentlichen Bereich als in der Öffentlichkeit. Gesellschaftspolitische Ziele waren nicht beabsichtigt. Die Teilnehmer derartiger Gruppen kamen überwiegend aus dem Umfeld der großstädtischen Universitäten und waren durch die Studentenbewegung „politisiert". Die beginnende Frauenbewegung bewirkte einen Anschub und zugleich auch eine Verunsicherung. 1975 fand in Berlin das erste bundesweite Männergruppen-Treffen statt. Im gleichen Jahr (dem „Jahr der Frau") veranstaltete die Bürgerrechtsorganisation „Humanistische Union" in München einen Kongreß „Emanzipation des Mannes". Ein Jahr später erschien als Pendant zu Alice Schwarzers Frauenkalender ein „erster Kalender für verunsicherte Männer". In der Folge gab es eine Fülle von Männergruppen, Männerfesten, Männerzeitschriften („Mann-o-Mann", „Hermann"), mehreren Ausgaben des Männerkalenders, Artikel über Männlichkeit (zum Beispiel in den „Schwarzen Protokollen"). Im Kursbuch 35/1974 erschien Peter Schneiders Essay „Die Sache mit der ‘Männlichkeit’. Gibt es eine Emanzipation der Männer?". Dieser übrigens noch heute empfehlenswerte Artikel war für das deutsche Publikum der Aufmacher des Männerthemas. Danach folgte mit den Publikationen von Pilgrim, Vinnai oder Theweleit die Ende der achtziger Jahre aufkommende Bücherwelle zur Männerthematik.

In den siebziger Jahren fand die massenmediale Vermarktung der äußerlich sich einander anpassenden Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder in Filmen, der Werbung und der Mode statt. Der durch sie propagierte „Unisex" und die Androgynität der ProtagonistInnen lösten scheinbar die starren Geschlechtszuschreibungen in ihren scharfen Konturierungen auf. Der Softy als neuer Männertypus (und als dessen vielbelächelte Karikatur) wurde „in". Das äußerlich aus den Fugen geratene Männlichkeitsbild änderte sich jedoch im Kern nicht. Das männertypische Lebensmuster von Arbeit, Leistung, Konkurrenz und Karriere wirkt für den Großteil der Männer weiterhin ungebrochen fort.

Auf gesellschaftspolitischer Ebene trat als erste Männerbewegung die sich entfaltende Schwulenbewegung in der Öffentlichkeit auf. Während der Phase der sexuellen Liberalisierung in den sechziger Jahren wurde 1969 der Paragraph 175 entschärft. In vielen deutschen Städten bildeten sich schwule Aktionsgruppen. Ihr Ziel bestand darin, das erzwungene jahrhundertelange Versteckspiel und die daraus resultierende gesellschaftliche Diskriminierung der Homosexuellen zu überwinden und Homosexualität zu entkriminalisieren. Das von der geschundenen Minderheit praktizierte „Outcoming" wurde als individuelle und politische Befreiung gesehen. Im Gegensatz zur französischen Schwulenbewegung erlangte jedoch die deutsche nie die theoretische Klarheit und radikale Sprengkraft, um gesellschaftliche Strukturen in Frage zu stellen (vgl. zum Beispiel Guy de Hocquenham und Foucault). In Deutschland blieb die „Radikalität des homosexuellen Verlangens" (Hoffmüller) überwiegend im Individuellen verhaftet. Nur wenigen Schwulenprojekten gelang es, Aufklärungsarbeit und individuelle Hilfestellung bei der schwulen Identitätsbildung über längere Zeit aufrechtzuerhalten. Überwiegend schreckte „der Aufstand der Perversen" (Praunheim) in ihren narzißtisch verbrämten, bizarren und grellen Auftritten die biedere Öffentlichkeit auf (zum Beispiel mit dem „Homolullu"-Festival).

Zwar besaßen derartige Aktionen einen hohen Unterhaltungswert und eröffneten den Hauptakteuren regelrechte Auftrittsrechte in TV-Talkshows. Das patriarchale System und das herrschende Männerbild wurden jedoch nicht hinterfragt. Ernüchtert wurde mir klar, daß auch schwule Männer zunächst Männer in dieser patriarchalen Gesellschaft sind. Sie sind darin aufgewachsen und zeichnen sich durch all die Widersprüche und Problemlagen aus, in denen Männer stecken.

Viele Hetero-Männern reagierten erschreckt auf dieses gesellschaftliche „Outing". Die „antihomosexuelle" Reaktion diente als Abwehrmöglichkeit gegen männliche Selbstreflexion. Das Hinterfragen der gängigen männlichen Normen wurde (und wird noch immer) mit Schwulsein gleichgesetzt. Der homophobische Projektionsmechanismus wirkt auch heute noch bei vielen Männern (und Frauen). Er gründet auf der generellen Unterdrückung des Weiblichen. Frauenhaß und Homophobie entsprechen sich wie zwei Seiten einer Medaille. Das sexistische Vorurteil gegenüber dem Weiblichen stellt eine wichtige triebstrukturelle Grundlage der herrschenden Definition von Normalität dar. Um die anderen Geschlechtsgenossen überhaupt entdecken zu können, müssen die Hetero-Männer sich von ihrer Homophobie und der Verachtung des Weiblichen erst einmal emanzipieren.

Am Bildungszentrum, der Nürnberger Volkshochschule, begann ich das Männerthema 1975/1976 in die Erwachsenenbildung einzubringen. Über diesen ersten Schritten lag damals ein Hauch des Exotischen und Unerlaubten. Zu dem Gesprächskreis über die „Emanzipation des Mannes" kamen am ersten Abend sechs Teilnehmer im Alter von 30 bis 45 Jahren, die Verständigungsbedarf spürten. Das Thema lag gewissermaßen schon damals „in der Luft". Von Anfang war die Atmosphäre in der Gruppe zwiespältig: auf der einen Seite großes Interesse, auf der anderen Seite Unsicherheit, zu neu und zu angstbesetzt war das Thema. Anfangsfragen waren: Warum bin ich überhaupt hier? Warum sind die anderen da? Wie können wir miteinander umgehen? Wo sind die Grenzen unseres Kontaktes?

Die Gespräche verliefen sehr zäh. Immer wieder stellten sich Peinlichkeiten ein. Im Verlauf des abendlichen Treffs versuchten einzelne, die anderen Teilnehmer „totzureden", sich in den Vordergrund zu spielen; es fanden sich keine Gemeinsamkeiten. Am zweiten Abend blieben zwei Männer ohne Begründung weg. Sie kamen zwar das nächste Mal wieder, dafür fehlte jedoch ein anderer Teilnehmer. Nach vier Abenden saß ich als Gruppenleiter allein da, worauf der Kurs absagt wurde. Die Ängste voreinander (auch bei mir) waren zu groß gewesen.

Einen erneuten Versuch wagte ich 1981/1982 mit dem Angebot „Männer: Liebe, Erotik, Sexualität". Angesprochen fühlten sich zehn Männer, die zwischen 20 und 72 Jahren alt waren, der größte Teil zwischen 20 und 25 Jahren. Die Teilnehmer wollten ihre eigene sexuelle Identität klären. Neben einigen heterosexuellen Männern kamen auch homosexuelle und bisexuelle und sich im „Outcoming" befindliche Männer. Das Angebot fand vier Semester lang regen Zuspruch. Dies lag wohl mit daran, daß es Anfang der achtziger Jahre noch keinerlei Angebote der Beratung und Begleitung für Männer mit männerspezifischen Fragen gab. Auch diesen zweiten Versuch stellte ich wieder ein. Nach zwei Jahren war mir deutlich geworden, daß meine eigene heterosexuelle Orientierung dem Wachstumsprozeß der teilweise homosexuell orientierten Teilnehmer Grenzen setzte und ich sie folglich nicht weiterführend begleiten konnte. Beide Versuche bildeten einen wichtigen Bestand an Vorerfahrungen für das Projekt einer Männerbildungsarbeit von 1988 bis 1995 an der Nürnberger Volkshochschule.

Mitte der achtziger Jahre setzte sich nur eine Minderheit von Hetero-Männer mit den Zwängen des traditionellen Männlichkeitskorsetts auseinander. Die daraus entstandene „Bewegung der Männer" ist nicht eine große gesellschaftspolitische Bewegung, sondern ein Sammelsurium verschiedener Aktivitäten und Bewegungen von Männern mit dem Ziel, Antworten auf die Herausforderungen eines gewandelten Geschlechterverhältnisses zu finden. Analog zu den anderen neuen sozialen Bewegungen zeichnet sich die Männerbewegung durch ihre Vielschichtigkeit, ihre Formenvielfalt, ihre Widersprüchlichkeit und Dynamik zwischen den Polen von Kraft und Schwäche aus. Wie bei anderen sozialen Bewegungen (wie die Friedensbewegung, die Ökologiebewegung) ist damit ihre zweifelsfreie Identifizierung erschwert.

Im öffentlichen Bereich versammelten sich Männer in Projekten, die etwas unbeholfen auch noch „Männerbüro" genannt wurden, ein Indiz für die Schwierigkeit, auch sprachlich der neuen Qualität von Männlichkeit Ausdruck zu verleihen. Die dort engagierten Männer wollten den männerkritischen Diskurs aus der Privatheit herausholen und ihn öffentlich führen. Männerprojekte sollten zu Orten werden, an denen Männer sich auf den Weg ihrer Veränderung, der Suche nach und der Begegnung mit anderen Männern und alternativen politischen Initiativen machen können, da es solche Orte einer alternativen Männerkultur in der Männergesellschaft nicht gibt. Die Sehnsucht nach Orten „wahrhaftiger Brüderlichkeit" scheint groß zu sein.

Die Aufgabe, die sich den Männern stellt, die Veränderung von innen und außen in ein Gleichgewicht zu bringen, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Zielsetzungen der Männerprojekte und damit auch deren Konflikte kreisen immer um die beiden Pole von Politik und Selbsterfahrung. Manche Projekte haben den Anschein des Unpolitischen, andere drängen die persönliche Veränderung in den Hintergrund. Das Dilemma besteht, daß beide Richtungen noch nicht wirklich zusammenkommen. Oftmals verharren sie in gegenseitiger Abwehr.

Ich engagierte mich in meinem fränkischen Umfeld für einen solchen Ort außerhalb der Nürnberger Volkshochschule, da die überwiegend von Männern geleitete Einrichtung Männerbildung nicht unterstützte. Bis zum Schluß meiner Bemühungen an der Volkshochschule blieb die Männerbildung immer nur ein marginalisierter Teil, der von der Abteilungsleiterin für Frauenbildung gegenüber der männlichen Leitung und ihren männlichen Kollegen in harten Kämpfen vertreten werden mußte. Seit fünf Jahren gibt es nun das „Männerforum Nürnberg" außerhalb der etablierten Erwachsenenbildung. Einmal im Monat findet im Rahmen der Arbeit eines Stadtteilzentrums die Begegnung zwischen Männern statt, um über Männlichkeit und ihren notwendigen Wandel zu reden.

 

In den vergangenen Jahren hat sich der Schwerpunkt meiner Arbeit verändert:

Zum einen bin ich über die Auseinandersetzung mit meinen eigenen Gewalterlebnissen in meiner Kindheit offener für die Thematik der Männern zugemuteten Grenzübergriffe von anderen Männern geworden. Weil ich immer öfter in den von mir geleiteten Gruppen und Seminaren mit den entsprechenden Erfahrungen der männlichen Teilnehmer konfrontiert wurde, begann ich vor vier Jahren, mich mit dieser tabuisierten Schattenseite der männlichen Existenz sozialwissenschaftlich auseinanderzusetzen. Über Interviews mit dreizehn Männern konnte ich meinen eigenen Blick auf männliche Opfererfahrungen schärfen. Die erschütternden Ergebnisse sind in meinem Buch „Spirale der Gewalt – Männer als Opfer von Gewalt" zusammengetragen.

Zum anderen öffne ich mich nach Jahren starker Konzentration auf Männer und Männlichkeit in meiner professionellen Bildungsarbeit seit zwei Jahren wieder mehr für das Geschlechterverhältnis. Ich sehe inzwischen klarer die gegenseitige Bedingtheiten und Verwobenheiten von Männlichkeit und Weiblichkeit. Folge ist eine entsprechende Weitung meines Blickes. Daraus ist auch die Idee für diese Tagung entstanden.

Wie schätze ich nach 25jährigem Engagement das Erreichte an Männerveränderung heute ein? Obwohl bislang das patriachal-kapitalistische System als Ganzes nicht grundlegend in Frage steht, gab es bisher in meinem Leben keine Zeit, in der Männlichkeit und deren Veränderung so zum Thema in der Öffentlichkeit, der Bildungsarbeit und der Erwachsenenbildung gemacht wurde, wie es gegenwärtig der Fall ist. Obwohl es immer noch Minderheiten sind, die sich bewegen, waren es noch nie so viele Menschen und speziell auch Männer, die sensibilisiert sind für das Geschlechterthema. An allen Ecken und Enden dieser Republik taucht, in bestimmten mittelschichtorientierten Zusammenhängen wohlgemerkt, das Geschlechterthema und die Notwendigkeit einer Veränderung von Männlichkeit auf. Und dies, obwohl der Zeitgeist momentan eher restaurierend am Althergebrachten festklebt.

Allerdings besteht die Gefahr, daß Männer in Zeiten der knapper werdenden Ressourcen versuchen, traditionelle männliche Positionen auf Kosten von Frauen durchzusetzen und damit die männliche Herrschaftskultur zu restaurieren. Daher ist kritisch mitzureflektieren, daß die sich bewegenden Männer zunächst einmal Männer in dieser patriarchalen Gesellschaft sind, die ein bestimmtes Herrschaftsinteresse haben. In den USA ist seit längerem als Reaktion auf die Frauen- und Schwulenbewegung die starke Verbreitung maskulinistischen Gedankenguts bekannt. Die Revitalisierung traditioneller Männerbilder wird angestrebt. Diese Strömungen gehen von der Unterdrückung der Männer durch die Frauen aus. Im Zentrum ihres Ansatzes steht die Unterstützung von Männern, die an Frauen leiden, insbesondere in Ehescheidungs- und Sorgerechtsangelegenheiten. Neben der Ablehnung der Frauenbewegung gibt es starke Vorbehalte gegenüber der Schwulenbewegung. Anzeichen einer Fundamentalisierung auf der Geschlechterebene finden sich auch in Deutschland. So bieten sich Gruppierungen der „wilden Männer", wie sie nach Robert Blys Bestseller „Eisenhans" in vielen Städten aufkeimen, als Sammelbecken einer unkritischen Aufwertung alter Männerherrlichkeit bis hin zum sexistischen „roll back" an. Diese Entwicklung hin zur Mythologisierung und Biologisierung des Geschlechterverhältnisses halte ich aus der emanzipatorischen Perspektive für sehr gefährlich.

Ein qualitativ anderer Umgang mit Macht ist gefragt. Eine geschlechtssensibilisierte emanzipatorische Männerpolitik gilt es erst noch zu entwickeln.

Außerdem besteht die Gefahr, daß die Autonomiebestrebungen der Männer zur Falle werden. Das Wahrnehmen der Differenz zwischen den Geschlechtern könnte als Emanzipation unter Gleichen (Geschlechtsgenossen) mißverstanden werden. Die rapide Zunahme der Single-Haushalte belegt die Schwierigkeiten bei der Gestaltung des Verhältnisses zum anderen Geschlecht.

Mannsein in seiner gesellschaftspolitischen Dimension zu begreifen bedeutet, eine reflektierte selbstkritische Position geschlechtssensibilisierter Männlichkeit zu entwickeln. Es geht um männlich bewußte demokratische Antworten für die Neugestaltung des Geschlechterverhältnisses.

Wenn Du ein Schiff bauen willst,
so trommele nicht,
um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben,
sondern lehre die Menschen
die Sehnsucht nach dem endlosen Meer.
Antoine de Saint-Exupéry

In diesem Sinne möchte ich meinen Beitrag zu den Chancen einer neuen Solidarität zwischen Männern und Frauen verstanden wissen.


Hans-Joachim Lenz: Männer und die Geschichte der „Bewegung der Männer" – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2000/lenz00_01.htm
Dokument aus dem Internet-Service des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de/esprid