Jürgen Wittpoth, Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), Dezember 2000


Zukunftsfelder der Weiterbildung

Beitrag zum DIE-Forum Weiterbildung 2000 "Zukunftsfelder der Weiterbildung"

 

Es ist kaum sinnvoll zu bezweifeln, dass sich in den Feldern "Neue Medien", "Patchwork-Biographien" und "Interkulturalität" Entwicklungen vollziehen, die Folgen für Subjekte und Gesellschaften haben. Dass auch Weiterbildung davon berührt wird, liegt nahe. Schwierig wird es, wenn man ein wenig genauer fragt: welche Art von Weiterbildung, mit welchen Adressaten und Zielen wird überhaupt betroffen sein; in welchen besonderen Bereichen kann und soll Weiterbildung auf welche Weise (andere) Aktivitäten entfalten?

Nach dem (wenigen), was wir über weiterbildungsrelevante Entwicklungen im Bereich der neuen Medien wissen, käme es zunächst darauf an, das Verhältnis zwischen den uns vertrauten traditionellen Formen von Weiterbildung und dem, was sich im Sinne einer durchaus ‚neuen Kultur' etwa im Internet vollzieht, genauer zu bestimmen. Es liegt für einen relativ langen Zeitraum nahe, dass wir es mit zwei Bereichen zu tun haben, die sich recht wenig berühren. Allein angesichts der Altersstruktur der Teilnehmenden in vielen Feldern institutionalisierter Weiterbildung wird sich ein recht großes Segment (aus guten Gründen) kaum irritieren lassen. Auf der anderen Seite - in den sehr jungen Mediennutzungskulturen - werden sich ‚Weiterbildungs'-Formen entwickeln, für die wir bislang gar keine Vorbilder haben. Schließlich wird es eine Reihe von Schnittstellen und Überlappungen geben, in denen sich die Stärken und Schwächen unterschiedlicher Arten der Informationsbeschaffung und -verarbeitung ergänzen. Der Bedarf an solchen Formen wird sehr groß sein; denn aus der unüberschaubaren Fülle von verfügbaren ‚Daten' müssen ‚Informationen' allererst werden (sie müssen also selektiert und in Relevanzsysteme integriert werden) und zum ‚Wissen' ist dann noch ein weiter Weg. Insofern käme es in einem Zukunftsforum zum Themenbereich ‚Neue Medien' vor allem darauf an, Beobachtungen aus reflektierter Praxis und Ergebnisse empirischer Untersuchungen darüber auszutauschen, wer sich wo und wie auf die ambivalenten neuen technischen Möglichkeiten bezieht. Denn "die Antwort der Weiterbildung" wird es nicht geben!

Auch bei den Patchwork-Biographien müssen wir stärker in Rechnung stellen, dass das Leben nicht an allen Orten und für alle Menschen gleichermaßen stürmisch verläuft. Und selbst diejenigen, die dem ‚flexiblen Menschen' Sennetts einigermaßen entsprechen, tun dies gewissermaßen auf unterschiedlichen Niveaus, mit verschiedenen Konsequenzen - generell wie in Bezug auf Weiterbildung. Es bietet sich an, auf Szenarien zurückzugreifen, wie sie etwa im Zusammenhang der sogenannten ‚Wissensgesellschaft' diskutiert werden. Demnach gibt es einen recht großen Teil hochqualifizierter, international mobiler Menschen (etwa 20%), die ihre Probleme ohne Rückgriff auf die etablierten ‚Hilfesysteme' lösen. Ein etwa eben so großer Teil wird gewissermaßen ‚abgeschrieben', weil er als nicht fähig oder nicht willens angesehen wird, sich den Zumutungen der Wissensgesellschaft zu stellen. Alle anderen scheinen mit den Weiterbildungs- und Beratungsformen, die sie vorfinden, einigermaßen zurecht zu kommen. Insofern wäre die vordringliche Aufgabe auch hier, zu klären, um wen es eigentlich geht, wenn über Formen des Wechsels von Lernen und Arbeiten, über Finanzierung etc. nachgedacht werden soll.

Das Problem der Interkulturalität schließlich begleitet uns schon eine ganze Weile. Praktische und konzeptionelle Bemühungen halten sich in der Weiterbildung dabei eher in engen Grenzen. Angesichts zugespitzter aktueller Probleme, aber ebenso wegen der unabweisbaren Notwendigkeit, die Gesellschaft zu öffnen, gibt es ohne Zweifel Handlungsbedarf. Die Frage ist allerdings: In welche Richtung? Zunächst sind hier die Grenzen der Leistungsmöglichkeit von Weiterbildung immer wieder neu zu bestimmen. Erst im zweiten Schritt kann es dann um realistische Zielsetzungen und geeignete Konzepte gehen.

Wir wissen, dass ‚Fremdheit' nicht in allen Kontexten als gleichermaßen bedrohlich empfunden wird. Es gibt soziale Felder (Sport, Kultur), Anlässe, Milieus, bei und in denen die Herkunft der Akteure keine Rolle spielt, während sie in anderen Zusammenhängen Unbehagen bis Aggressivität auslöst. Die entscheidende Frage ist dann zunächst, von welcher Art eben jene Zusammenhänge sind, in denen ‚das Miteinander' nicht funktioniert. Wesentlich ist nach wie vor, ob Menschen im Blick auf ihre eigene Lebenssituation und -perspektiven Sicherheit, Zuversicht und ein Mindestmaß an Anerkennung erfahren. Ist dies nicht der Fall, wird der Umgang mit (spezifischen Formen von) Fremdheit oftmals prekär. ‚Wissen über andere', ‚Festigung des Bewusstseins der Gleichheit' (das sich ja sofort an den unmittelbaren Erfahrungen der Menschen bricht!) oder gar das ‚Lehren des Miteinander' werden unter solchen Voraussetzungen wenig bewirken können. Aber auch wenn Weiterbildung sich an Menschen wendet, die in einigermaßen ‚gesicherten' Verhältnissen leben, ist die wichtigste zu bearbeitende Frage nicht die (recht abgehobene pädagogische Botschaft), wie sie mit Fremdheit umgehen sollen, sondern die, wie sie damit tatsächlich umgehen. Erst wenn eine (Selbst-) Verständigung darüber hergestellt wird, auf welche Signale wir unter welchen Umständen und aus welchen Gründen irritiert reagieren, sind die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen, solche Reaktionen zu bearbeiten.

Das schwierige Thema des Umgangs mit Fremdem verweist auf eine bedrückende aktuelle Situation, die ich mit dem Ansinnen des DIE verknüpfen will, ‚Zukunftsfelder' zu identifizieren. Bedrückend ist, wie im öffentlichen Raum gegenwärtig mit der ‚deutschen Leitkultur' umgegangen wird. Dies will ich aber lediglich zum Anlass nehmen, auf ein allgemeineres Problem aufmerksam zu machen, das unter Umständen sehr nahe bei dem liegt, was Weiterbildung sich aus guten Gründen zur Aufgabe stellt.

Wir erleben in Deutschland in den letzten Monaten, dass zentrale Zukunftsfragen im öffentlichen Raum auch nicht annähernd adäquat bearbeitet werden können. Dies ist mir an der vergleichsweise schlichten Botschaft der Endlichkeit fossiler Energieträger deutlich geworden. Die Debatte über den Benzinpreis habe ich kurzfristig abwechselnd in der Schweiz und in Deutschland verfolgt. Das Niveau dieser Debatte war in Deutschland nach meiner Wahrnehmung deutlich niedriger als in der Schweiz. Wenn sich nichts ändert, werden wir also kaum in der Lage sein, die grundlegenden Fragen der Energieversorgung und Sicherung von Mobilität befriedigend zu bearbeiten. Um wie viel schwieriger dürfte es angesichts dieser Erfahrung werden, die kompliziertere Auseinandersetzung über ‚deutsche Leitkultur' zu führen.

Vielleicht gibt es Raum, während des Forums diesen besonderen Akzent der Fragen nach ‚Zukunft' und nach den Möglichkeiten einer ‚offenen Gesellschaft' zu diskutieren.


Jürgen Wittpoth: Zukunftsfelder der Weiterbildung. Beitrag zum DIE-Forum Weiterbildung 2000 "Zukunftsfelder der Weiterbildung". Online im Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2001/dieforum_wittpoth_01.htm
Dokument aus dem Internet-Service Texte Online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de