Christiane Heibach, Oktober 2001


Vortrag am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung, 15.11.2000

 

Vom Nutzen und Nachteil der Medientheorien für die Erwachsenenbildung

 

Einleitung

Medientheorien - das besagt schon das Wort - sind Theorien über Medien. Dies mag banal klingen, doch dahinter verbirgt sich ein ganzes Feld von Problemen und divergenten Ansätzen. Dies beginnt bei der Definition von "Medien", die jede Theorie in unterschiedlicher Weise vornimmt und die sich - logischerweise - auf den jeweiligen Fokus der Theorien erstreckt und ihre Struktur und Perspektive festlegt. Es gibt keine einheitliche Medientheorie, dies muss vorangeschickt werden. Grob gegliedert werden können die verschiedenen Perspektiven nach ihrer jeweiligen Fokussierung in

- Untersuchung der spezifischen Medienstruktur (materieller/ontologischer Aspekt)

- Wirkungen der Medien auf Denk- und Wahrnehmungsstrukturen (epistemologischer Aspekt)

- Funktionieren der Medien/des Mediensystems (funktionaler Aspekt)

Hier wird schon deutlich, dass die Trennung in diese drei Aspekte nur eine heuristische sein kann, die die wissenschaftliche Analyse erleichtert, de facto aber alle drei Bereiche einander beeinflussen. Auf dieser Basis lassen sich auch die verschiedenen Ansätze der Medientheorien einordnen. Dabei kommt allerdings erschwerend hinzu, dass Medien zwangsläufig ein transdisziplinäres Thema sind: Insbesondere im Bereich der elektronischen Medien spielen die Technikentwicklung, Mathematik und Physik eine nicht zu vernachlässigende Rolle; in bezug auf die Veränderungen des Denkens und der Wahrnehmungsgewohnheiten haben wir es sowohl mit geisteswissenschaftlichen Ansätzen als auch mit Psychologie, Neurophysiologie und Biologie zu tun, während die Veränderungen der Gesellschaftsstruktur in die Bereiche der Soziologie und Kommunikationswissenschaft hineinreichen.

Dies mag deutlicher werden, wenn ich nun im folgenden einige Medientheorien näher vorstellen werde. Dabei habe ich mich allerdings - mit einer Ausnahme - auf die allgemeinen Theorien beschränkt; Theorien über einzelne Medien berücksichtige ich nicht. Meine Wahl fiel auf Konzepte, die v.a. auf den derzeitigen Umbruch anwendbar sind, der - so stellt es sich uns zumindest momentan dar - einen gravierenden Einschnitt für alle drei oben genannten Aspekte bedeutet. Die Gutenberg-Galaxis, die uns über 500 Jahre lang geprägt hat, wird - so wird zumindest nicht selten behauptet - abgelöst von der Turing-Galaxis. Möglicherweise steht am Ende der momentan ablaufenden komplexen Medienumbrüche die Ablösung des Buches als Leitmedium durch den Computer und die elektronischen Netzwerke. Wenn dies so sein sollte, dann bedeutet dies natürlich auch einschneidende Veränderungen für unser Lernverhalten und unseren Umgang mit Wissen bzw. Wissenserwerb. Wenn das Medium, das seit mindestens 200 Jahren die Hauptquelle des Lernens war, nun durch eines abgelöst wird, das nicht nur Schrift, sondern auch Bild, Animation und Film einzusetzen erlaubt, ganz zu schweigen von neuen Möglichkeiten der Darstellung durch Programmierung, dann müssen wir sowohl unser Wahrnehmungsverhalten als auch unsere Darstellungsformen umstellen und den Erfordernissen der Medien anpassen.


Die Medientheorien

Die Medientheorien, auf die ich mich heute beziehen möchte, beschäftigen sich alle mit diesen Veränderungen. Ich möchte mich zunächst mit der technischen Seite auseinandersetzen und auf die Anfänge der mathematischen Informationstheorie und der Kybernetik eingehen, die die Computerentwicklung wesentlich beeinflusst haben und denen eine spezifische Auffassung von der Struktur der Medien zugrunde liegt. Ihr eng verbunden sind die biologische Theorie des Konstruktivismus und deren sozialwissenschaftliche Ausformung, die Systemtheorie. Schließlich gehe ich über zu Philosophien geisteswissenschaftlicher Provenienz und behandle zum Abschluss den "Vater" der Medienwissenschaften, Marshall McLuhan, sowie Vilém Flusser, der v.a. in den 80er Jahren im deutschsprachigen Raum die Mediendiskussion nicht unwesentlich prägte.

Zunächst aber zum funktionellen Medienbegriff, der gleichzeitig entscheidend für die Entwicklung des Computers war:

 

Mathematische Informationstheorie und Kybernetik

Die Ergebnisse der mathematischen Informationstheorie bildeten die Grundlage, auf der die heutige Datenübertragungstechnik aufbaut. Befasst sie sich in erster Linie mit den technischen Bedingungen der Übertragung, so liegt ihr doch ein ganz spezifisches Medien- und Kommunikationsmodell zugrunde, das zum Teil heute noch als gültig betrachtet wird. Medien sind im Sinne von Claude Shannon Mittel zur Nachrichtenübertragung, wobei davon ausgegangen wird, dass Signale von einem Sender über einen Kanal zu einem Empfänger gelangen. Da dabei jedoch Störungen auftreten können, die die Signale verfälschen - das sogenannte "Rauschen" -, lag Shannons Fokus Ende der vierziger Jahre vor allem auf Möglichkeiten störungsfreier Nachrichtenübertragung. Im Zuge seiner Überlegungen kam er zum Ergebnis, dass die Nachrichtenübertragung entscheidend von der Kanalkapazität abhängt - eine Einsicht, die wir heute tagtäglich beim Umgang mit dem Internet leidvoll erfahren. Da jede Leitung, egal aus welchem Material, immer nur eine begrenzte Menge an Signalen übertragen kann, muss eine möglichst ökonomische Codierungsform gefunden werden. Shannon entschied sich für die Anwendung der Booleschen Algebra, die nur mit den Symbolen 0 und 1 arbeitet. D.h. jede Nachricht kann - völlig unabhängig von ihrem Inhalt und ihrer Gestalt - in Nullen und Einsen übersetzt werden, in dieser Form übertragen und empfangen werden. Dabei wird sie durch einen "Quellkodierer" in Signale bzw. Impulse umgesetzt, dann gesendet und vom sog. Kanaldekodierer in den entsprechenden Schritten entschlüsselt, so dass sie sich dem Empfänger wieder in ihrer ursprünglichen Form präsentiert. Das Prinzip des Digitalen war mit dieser Theorie geboren.

Wichtig ist hier v.a. eines: Information in der mathematischen Informationstheorie ist völlig abgekoppelt von jeder semantischen Bedeutung. Der Inhalt einer übertragenen Nachricht spielt dabei keinerlei Rolle. Kommunikation ist technisch gesehen der rein physikalische Vorgang der Nachrichtenübertragung von einer Nachrichtenquelle über einen Nachrichtenkanal zum Nachrichtenziel, das Medium ist die physische "Realität" des jeweiligen Kanals - eine Erkenntnis, die später Anregung für geisteswissenschaftliche, materiell-technologisch ausgerichtete Medientheorien gibt, dessen bekanntester Vertreter Friedrich Kittler ist. Doch ich erwähnte die mathematische Informationstheorie aus anderen Gründen: Sie bildete eine der Grundlagen für eine Theorieentwicklung in den 50er Jahren, die unter dem Begriff der "Kybernetik" bekannt wurde. Die Kybernetik vereinte Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen: Physiker (Norbert Wiener), Biologen (Humberto Maturana) Wirtschaftswissenschaftler (Oskar Morgenstern - Begründer der Spieltheorie) und Anthropologen (Margeret Mead, Gregory Bateson) fanden sich zu interdisziplinären Kommunikationsforen zusammen, die die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse diskutierten. Sie gingen dabei von einer grundlegenden Prämisse aus: nämlich der prinzipiellen Ähnlichkeit des Funktionierens komplexer Maschinen (des Computers) und des menschlichen Gehirns. Shannons Nachrichtenübertragungsmodell wurde dabei die Grundlage für Erklärungsversuche der Nachrichtenübertragung im Menschen; sprich: für die Befehle des Nervensystems an die Organe. Grundlage für diese Übertragung war die Entdeckung, daß Nachrichten im Gehirn mittels Neuronen übertragen werden, die sich elektrisch entladen – damit schien die Berechtigung gegeben, den digitale Code von 0 und 1, an und aus, Entladung oder Nicht-Entladung, auch auf die Kommunikation des Körpers zu übertragen. Dieser Prozess der Nachrichtenübertragung im Körper des Menschen wird noch durch ein wichtiges Element erweitert: durch den Rückkopplungsprozess. Dieser findet statt, wenn die Nachricht vom Gehirn an die Organe gesendet wurde und das Organ quasi das Gelingen der angeordneten Operation signalisiert. Falls ein Fehler eintritt, wird dies ebenfalls gemeldet, so dass das Gehirn den Prozess korrigieren kann. Die Rückkopplung dient also wesentlich zur Fehlerkorrektur und führt zur Weiterentwicklung des Systems – ein Prinzip, das in der künstlichen Intelligenz-Forschung für die Entwicklung selbstlernender Programme fruchtbar gemacht wurde. Sie ist zentral für die Selbstorganisation dynamischer Systeme, da aus ihr auch völlig neue interne Strukturen entstehen können, ein Prozess, der als "Emergenz" bezeichnet wird.

Im Computer geschieht dieser Vorgang durch nicht-lineare Rückkopplung; es entsteht also kein Kreislauf, in dem Informationen immer wieder repliziert werden, sondern aus nicht-linear ermittelten Koeffizienten werden neue Koordinaten abgeleitet, die die Zukunftsstrategie festlegen (allerdings nicht deren Ergebnis) - dies ist das Prinzip, nachdem Software arbeitet. Sie determiniert keine Resultate, da die Daten sich immer unterscheiden, aber sie legt die Prozesse fest.

In der Kybernetik geht es also in erster Linie um die Klärung der Bedingungen, unter denen Nachrichtenübertragung möglich ist, sei sie technologisch oder biologisch bedingt. Damit wird das Augenmerk auf die Struktur des Prozesses gerichtet und die einzelnen Medien ihrer Funktionsweise nach untersucht (Botenstoffe, Kanäle etc.).

Obwohl die Kybernetik mittlerweile an Bedeutung verloren hat, ist einer ihrer Begriffe heute geradezu ein Paradigma in vielen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen geworden: der Begriff des "Systems". Laut der Biologen Maturana und Varela ist ein Lebewesen wie der Mensch ein autopoietisches, selbstorganisiertes System. Autopoietisch bedeutet, dass das einzige Produkt der (biologischen) Organisation des Systems es selbst ist. Selbstorganisierte Systeme sind operativ abgeschlossen, d.h. ihre Funktionen werden zwar durch die Umwelt beeinflusst, nie aber determiniert. Dass Menschen als selbstorganisierte Systeme gesehen werden (und dasselbe auch von ihren komplexen Maschinen gesagt wird), hat extreme Auswirkungen auf die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Umwelt. Es werden hier Trennungen vorgenommen, die von der biologischen Richtung des Konstruktivismus deutlich ausformuliert und von Niklas Luhman auch auf die Beschreibung sozialer Systeme angewandt wurden. Demnach bewegt sich der Mensch in operationaler Unabhängigkeit von seiner Umwelt und kann diese nur unter den Bedingungen seines eigenen Organismus wahrnehmen. Seine Wahrnehmung ist somit durch die Notwendigkeit der Selbsterhaltung bestimmt; die Umwelt in ihrer vollen Komplexität ist für den Menschen nicht zu erkennen (Luhmann nennt dies "Komplexitätsreduktion").

 

Konstruktivismus

Daran schließt sich das erkenntnistheoretische Theorem an, dass der Mensch sich niemals außerhalb seiner eigenen Wahrnehmung bewegen kann, in seinen eigenen biologischen und kulturell vermittelten Wahrnehmungskategorien also "gefangen" ist. Zwar kann der Prozess der Wahrnehmung wiederum beobachtet werden ("Beobachtung zweiter Ordnung") usw. – ein infiniter Kreislauf -, aber es bleiben dabei immer "blinde Flecken", d.h. Phänomene, die der Mensch als Beobachter aufgrund seines Status’ als selbst in seinem Wahrnehmungssystem Gefangener nicht erkennen kann. Damit begründet die Systemtheorie gleichzeitig die Allgemeingültigkeit ihres Paradigmas: Wenn sich der Mensch als selbstorganisiertes System wahrnimmt, so muss er auch seine Umwelt als ein komplexes Gefüge von selbstorganisierten Systemen klassifizieren; denn er kann nur das erkennen, was ihm seine eigene Organisationsstruktur vorgibt. Daraus ergibt sich wie von selbst, dass alle Organisationskomplexe der Gesellschaft wie Systeme funktionieren, so auch das Mediensystem und das Kommunikationssystem (die bei Luhmann streng voneinander getrennt werden). Ich möchte hier jedoch nicht auf Luhmann eingehen, dessen Medientheorie sich v.a. mit dem Funktionieren der Massenmedien befasst, sondern auf S.J. Schmidt, der den Systembegriff etwas weniger rigide anwendet und die biologischen Wurzeln des Konstruktivismus stärker betont.

Medien sind bei Schmidt Instrumente, die zwischen dem Menschen als kognitivem System und der Kommunikation als sozialem Phänomen vermitteln. Er versteht darunter in erster Linie die elektronischen Medien, aber auch die Zeichensysteme, mit denen kommuniziert wird. Der Mensch als kognitives System einerseits und die Kommunikation andererseits sind jeweils geschlossene, selbstorganisierte Systeme, die aber miteinander durch die Medien "strukturell gekoppelt" sind. Kommunikation als vom Menschen getrenntes System zu sehen, fällt schwer (und ist auch m.E. nicht konsequent durchzuhalten) – die Grundlage dafür aber bildet die Auffassung des Konstruktivismus von Sprache (als Basis jeder Kommunikation) als "sozial vermitteltes und kontrolliertes Instrument der Verhaltenskoordinierung". Abseits jeder semantischen Bedeutungstheorien wird hier Sprache als rein soziales Phänomen geschildert, das dazu dient, kulturell gewachsene Verhaltensmaßregeln zu vermitteln. Der Mensch selbst konstruiert also seine Realität einerseits aus den biologischen Kognitionsmechanismen, andererseits aus sozial vermittelten Wirklichkeitsmodellen. Diese Realitätsmodelle, die Schmidt als Teil des "kollektiven Wissens" einer Kultur ansieht, werden heute in nicht unbedeutendem Maße über die Medien gebildet und vermittelt. Medien an sich aber haben keine eigene Bedeutung. Allerdings sind sie eine Ursache dafür, dass die Kontingenz unserer Wirklichkeitsbilder uns heute alltäglich vor Augen geführt wird; und zwar einerseits durch die vielen unterschiedlichen Perspektiven, mit denen ein Ereignis betrachtet werden kann, andererseits durch die Selbstthematisierung der Medien: Indem sie das Drehen von Spiel- oder Dokumentarfilmen z.B. zum Thema für eine Sendung machen, vermitteln sie den Menschen gleichzeitig auch das Bewusstsein, dass Medienrealitäten auch nur "gemacht" sind.

Schmidts konstruktivistischer Ansatz ist empirisch angelegt – ein großer Teil seiner Untersuchungen zu Medien befasst sich mit der Medienwirkung bzw. ihren Mechanismen der Wirklichkeitskonstruktion. So kommt auch er zu dem Schluss, dass die Medienentwicklung der Gegenwart unsere Wahrnehmungskategorien fundamental beeinflussen wird. Die Möglichkeit, virtuelle Realitäten zu erzeugen, könnte die grundlegenden Unterscheidungen von wahr/falsch, real/irreal, auf denen die menschliche Realitätsbildung beruht, massiv in Frage stellen. Im Rekurs auf die Systemtheorie Luhmanns, die auf der fundamentalen Unterscheidung von Innenwelt (wahrnehmendes System) und Außenwelt (Umwelt) beruht, sieht er aber die Aufrechterhaltung der Differenz von "real" und "irreal" als existentielle Bedingung für das Weiterbestehen des autopoietischen Systems Mensch.

 

Marshall McLuhan

Im zweiten Teil dieses Überblicks kommen wir nun zu einer ganz anderen, sehr viel spekulativeren und visionäreren Annäherung an die Medien. Der Kanadier Marshall McLuhan kann als eine Art "Vater" der Medienwissenschaften bezeichnet werden und stellte in den 60er und 70er Jahren eine Kultfigur dar, dessen Schriften weit über den akademischen Bereich hinaus rezipiert wurden. Aufgrund seines sehr essayistischen Stils und seiner großen Popularität wurde er aber von der akademischen Welt als Theoretiker niemals wirklich ernst genommen, heute wird er allerdings im Rahmen der theoretischen Mediendiskussion immer wieder zitiert (wenn auch nie wirklich ernsthaft analysiert), und sein Medienverständnis bestimmt immer noch die gegenwärtige philosophische Mediendiskussion.

McLuhan war einer der ersten, der sein Augenmerk - abseits von der technologischen Entwicklung der Medien, wie sie aus der Mathematik und Physik hervorging - auf die Medien selbst richtete, nicht auf ihre Inhalte. So ist auch sein Schlagwort "Das Medium ist die Botschaft" eines der heute am häufigsten zitierten. Mit diesem Satz umriss er schon seine Ausgangsposition und seinen Bezugsrahmen: Nicht die Inhalte, die mit den Medien übermittelt werden, sind interessant, sondern das Medium selbst: "Denn die 'Botschaft' eines jeden Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabes, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt." Es gilt sowohl die Veränderungen, die zur Entstehung neuer Medien führen, als auch die Entwicklungen, die aufgrund neuer Medien in der Gesellschaft stattfinden, zu analysieren. Dabei geht McLuhan von einem sehr weiten Medienbegriff aus: Medien sind zunächst Erweiterungen menschlicher Fähigkeiten - das Rad ist eine Erweiterung des Fußes, die Kleidung eine Erweiterung der Haut, etc. Dies bedeutet, dass alle technologischen Errungenschaften des Menschen zu Medien erklärt und auf ihre spezifische Struktur (ontologisch) und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen (epistemologisch) hin untersucht werden. Diesen anthropologischen Medienbegriff, der - im Gegensatz zur Systemtheorie - dazu führt, dass es keine Trennung zwischen Mensch und Umwelt geben kann, setzt McLuhan nicht für eine soziologische Analyse, sondern für eine epistemologische Kritik ein. Ausgangspunkt ist dabei die Medienwirkung (entsprechend seinem Diktum "Das Medium ist die Botschaft"), die er im Hinblick auf ihren Einfluss auf das Wahrnehmungssystem der Menschen analysiert. Den technischen Kommunikationsmedien, zu denen auch die Schrift gehört, kommt dabei ein besonderer Status zu: Da sie eine Erweiterung der sinnlichen Fähigkeiten des Menschen sind, haben sie besonders starken Einfluss auf die Kognitionsmechanismen. Dieser Ansatz führt zu einer fundamentalen Kritik am Primat der phonetischen Schrift in der westlichen Welt. Das Alphabet und später der Buchdruck führte nach seiner Theorie dazu, dass bei der Wahrnehmung v.a. der visuelle Sinn angesprochen wurde, während alle anderen Sinne nur noch marginal gefordert wurden. Diese Einseitigkeit führte das menschliche Denken in die bis heute noch weitgehend akzeptierten Kategorien von Kausalität und Linearität sowie einer gewissen Uniformität, der alles Nicht-Einzuordnende zum Opfer fällt. Aus dieser Denkstruktur entwickelte sich konsequenterweise auch ein gewisser Individualismus, da sich der Mensch durch die Schrift und die damit verbundene Abstraktion von seiner Umwelt entfremdet und auf sich selbst zurückgeworfen wird. McLuhan setzt dagegen die präliteralen Kulturen, die seiner Meinung nach in einer magisch-rituellen Bilderwelt leben, in der alle Sinne gleichermaßen beansprucht werden und die sich somit ein homöostatisches Wahrnehmungsverhalten bewahrt haben. Diese Kulturen leben im Einklang mit ihrer Umwelt, ohne sich durch das Abstraktum der Schrift von dieser zu entfremden - d.h. ihre Umweltwahrnehmung ist ganzheitlich, ihre Gesellschaftsstruktur kollektiv. McLuhan zieht hier also eine direkte Linie von der optischen Struktur der Schrift zur Denk- und Sozialstruktur unserer Kultur.

Die audio-visuellen Medien, deren Entwicklung seit der Erfindung des Photoapparats Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Gang genommen hat, stellen nach McLuhan nun das verlorene Wahrnehmungsgleichgewicht der literalen Kulturen nun wieder her, indem sie den Einsatz aller Sinne erfordern. McLuhan sieht sie als Erweiterung des Zentralnervensystems. Auf dieser Basis baut auch seine Unterscheidung zwischen heißen und kalten Medien auf: Heiße Medien sind solche, die sehr detailreich sind, nur einen Sinn des Menschen ansprechen und damit wenig eigene Aktivität fordern. Dazu gehört in erster Linie die Schrift. Kalte Medien dagegen fordern das Zusammenspiel der Sinne für ihre Wahrnehmung und eine hohe Partizipation und Aktivität bei ihrer Rezeption. McLuhan sieht dies – heute würde man darüber allerdings den Kopf schütteln – in erster Linie durch das damals noch relativ junge Medium des Fernsehens garantiert. Die Kombination von Bild und Ton und v.a. – so McLuhan – die Zusammensetzung des Fernsehbildes aus Millionen von Punkten erfordert einen hohen Einsatz der Sinne, um sinnvoll rezipieren zu können. Zwar liegt dieser Einschätzung des Fernsehens eine Fehlinterpretation McLuhans zugrunde (der Mensch setzt die Punkte des Fernsehbildes nicht zusammen, sondern aufgrund der Trägheit des Auges nehmen wir das Bild als vollständig wahr), aber die Grundstruktur seines Medienverständnisses wird daran besonders deutlich: Es geht ihm um den kognitiven Ansatz der Wiederherstellung des Gleichgewichts der Sinne durch die Anforderungen, die die Medien an die menschliche Wahrnehmung stellen.

McLuhans Medientheorie ist fundamental kritisch: einerseits gegenüber der Schriftkultur, die seiner Meinung nach zur Sinnesdeprivation und zur Störung des kognitiven Gleichgewichts geführt hat, andererseits gegenüber der verfehlten Mediennutzung der Gegenwart. Da die audio-visuellen Medien direkt das Nervensystem und alle Sinne gleichermaßen ansprechen, ist der Mensch, der den Umgang mit dem auditiven Sinn verlernt hat, zunächst völlig überfordert – das Resultat ist eine völlige Lähmung durch die Bilder- und Tonfluten. Doch diese "Ontologie der Sinne" reicht noch tiefer. Es geht vor allem um eine Kritik der Denkstrukturen, die sich Jahrhunderte lang herausgebildet haben: das logisch-kausale Denken, das Uniformierung, Individualisierung und die Dissoziierung von Mensch und Welt zur Folge hatte, wird dem ganzheitlichen Denken der Synästhesie, das kollektiv ausgerichtet ist und Einheit mit der Umwelt schafft, gegenübergestellt. Der bewusste Umgang mit den audio-visuellen Medien, mit dem Zusammenspiel der Sinne könnte - und dies offenbart eine zutiefst ethische Ebene von McLuhans Denken - eine Rückkehr zu einer vernetzten, synästhetischen Kultur ermöglichen. Dieser Harmoniegedanke steht einerseits in der romantischen Tradition, andererseits hat er auch christliche Ursprünge in der thomistischen Philosophie.


Vilém Flusser

Vilém Flussers Ansatz ähnelt dem McLuhans, indem er sich ebenfalls den Medien von ihrer strukturellen Seite nähert. Flusser setzt einen ähnlich weiten Medienbegriff an wie McLuhan, definiert ihn aber anders: Während bei McLuhan die Epistemologie im Mittelpunkt steht, konzentriert sich Flusser auf die Kommunikation; allerdings aus einer anderen Perspektive als der soziologischen. Die Kommunikation ist für ihn eine existentielle Kategorie: Sie ist das Mittel, das uns vergessen lässt, dass wir uns in einer Welt befinden, die letztlich keine Bedeutung hat. Jedes neue Kommunikationsmedium entsteht aus der Erkenntnis darüber, dass die bisherigen Kommunikationsmittel diese Funktion der Sinngebung nicht mehr erfüllen können, da der Mensch ihre Kontingenz durchschaut hat. Die Welt an sich ist bedeutungslos, der Mensch kann ihr nur Sinn durch den Dialog, in dem neue Informationen geschaffen werden, verleihen. Flussers Kommunikationsbegriff hat zwei Seiten: eine „materielle" und eine Ethische. Die materielle wird durch die dialogische Funktion der griechischen Kultur repräsentiert, in der es – so seine These – darum ging, im Gespräch Politik zu machen und damit der Wahrheit näher zu kommen. Dabei spielten naturgemäß die Inhalte sowie die Erzeugung neuer Informationen eine große Rolle. Die zweite Seite der Kommunikation knüpft explizit an die jüdisch-christliche Tradition an und definiert Dialog als Verantwortung für den anderen. Indem man sich mit der Stimme jemandem anderen zuwendet, erfährt man sich als "ich" und den anderen als "Du"; man übernimmt gleichzeitig Verantwortung für ihn. Dabei liegt das Augenmerk auf de Tätigkeit, der Gegenstand des Gesprächs rückt in den Hintergrund.

Auf dieser Basis unterscheidet Flusser zwischen dialogischen und diskursiven Medien. Erstere sind zweikanalige Medien, die das wechselseitige Senden und Empfangen von Botschaften erlauben, letztere sind in ihrer Struktur einkanalig und auf das Senden beschränkt. Die solchermaßen kategorisierten Massenmedien unterliegen bei Flusser einer starken Kritik: Ähnlich wie McLuhan schätzt er das gegenwärtige Mediensystem als totalitär ein, da es den Menschen entmündigt habe. Es ist nach seiner Diagnose ein selbstorganisiertes System, das sich selbst und die in ihm zirkulierenden Informationen immer wieder nur repliziert – der Mensch als Individuum hat auf diesen Kreislauf keinerlei Einfluss mehr, er ist nur noch ein Rädchen im Getriebe. Medien in der heute existierenden Form sind alles andere als kommunikativ, denn Kommunikation ist durch Dialog definiert – der bei den Sender-orientierten modernen Medien absolut nicht stattfindet (auch wenn Hörerumfragen im Radio, Talkshows im Fernsehen dies ständig suggerieren wollen). Die dialogische Kommunikation kann nach Flusser nur in der dezentralisierten Netzstruktur umgesetzt werden, in der jeder Beteiligte zum Zentrum der Kommunikation wird. Mit den neuen elektronischen Medien sind uns nun die technischen Möglichkeiten gegeben, einerseits die Informationserzeugung im Dialog zu erhöhen, andererseits durch Vernetzung der Gesellschaft in einem telematischen, computervermittelten Netzwerk für jeden anderen Menschen Verantwortung zu übernehmen.

Flussers Philosophie zielt eindeutig auf den Computer als Hoffnungsträger ab. Damit erhofft er sich gleichzeitig die Emergenz neuer sprachunabhängiger Kommunikationsformen. Er charakterisiert den Computer als Medium der Oberfläche, das neue bedeutungsvermittelnde Zeichensysteme hervorbringt und die Schrift in den Hintergrund drängt bzw. sogar ganz zum Verschwinden bringen kann. Damit wird das Paradigma der Kausalität, Rationalität und Individualität durch ein vernetztes kollektives Bewusstein ersetzt. Diese Gesellschaft trägt wie bei McLuhan ethische Züge – sie besteht aus Hinwendung zum anderen im Dialog und aus der Vereinigung aller menschlichen Kräfte zur kreativen und kollektiven Informationserzeugung, die das Überleben des Menschen sichert.

 

Zusammenfassung

Alle Theorien, die ich hier nur relativ kurz schildern konnte, haben letztlich eines gemeinsam: das Bewusstsein für die gestalterische Funktion der Medien. Sie konzentrieren sich nicht auf - wie auch immer geartete - Informationen und Inhalte, die transportiert werden, sondern gehen davon aus, dass die Struktur eines Mediums die eigentliche Botschaft ist. Bei der mathematischen Informationstheorie und der Kybernetik wird dies vielleicht deutlicher, da diese sich explizit auf die Funktionsweise von Medien konzentrieren. Dasselbe passiert im "sozialen Konstruktivismus" Schmidts, der die Medien als Subsystem des Gesellschaftssystems in ihrer Beziehung zum Menschen untersucht - die Funktionsweise also aus ihrer sozialen Situierung heraus bestimmt.

 

McLuhan und Flusser gehen dagegen über die Funktion der Medien weit hinaus: McLuhan liefert sowohl eine ontologische wie auch eine epistemologische Bestimmung der Medien. Ontologisch sind sie als Erweiterungen menschlicher Fähigkeiten ausgewiesen und daher in ihrer spezifischen Struktur zu betrachten, epistemologisch müssen sie in ihrer Wirkung auf die gesellschaftliche Ordnung und die psychischen Wahrnehmungsstrukturen beobachtet werden. Flusser dagegen bestimmt die Meiden ontologisch im Hinblick auf ihren kommunikativen Aufbau und führt diese Perspektive über in eine epistemologisch-soziale Analyse der Medienwirkung in bezug auf das Kommunikationsverhalten und die Gesellschaftsstruktur als Resultat der Mediennutzung. McLuhan und Flusser begnügen sich dabei beide nicht mit einer Analyse des Status quo, sondern verfolgen mit ihren Theorien die nahezu aufklärerische Forderung nach Erkennen und Handeln: Die aktuelle Medienentwicklung muss analysiert werden, damit daraus Konsequenzen für die zukünftige Gestaltung der Gesellschaft gezogen werden können. Sie führen uns damit vor Augen, dass die Beschäftigung mit Medien einen eminent ethischen Kern besitzt.

Wir haben es hier also mit sehr divergenten Perspektiven auf die Medien zu tun und Sie werden sich das ein oder andere Mal gefragt haben - insbesondere vielleicht bei den spekulativen Philosophien von McLuhan und Flusser - welchen Nutzen wir daraus für die Lebenspraxis im allgemeinen und die Pädagogik der Erwachsenenbildung im speziellen ziehen können.

 

Ziele der Erwachsenenbildung

Mein Ausgangspunkt war die These, dass wir uns derzeit in einer Umbruchssituation befinden, in der die digitalen Medien unsere Gesellschaftsstruktur, aber auch unser Wahrnehmungs- und Kommunikationsverhalten entscheidend verändern. Für die Bildung heißt dies dreierlei:

Einerseits muss man sich die Frage stellen, welche Probleme für diejenigen entstehen, die heute lehren, andererseits ist zu überlegen, in welcher Form Computer und Internet sinnvoll für die Bildung eingesetzt werden können. Zum Dritten ist verstärkt zu fragen, was heutzutage noch unter "Bildung" zu verstehen ist, welches "Wissen" (so man von diesem Wort noch sprechen kann) vermittelt werden soll.

In einem Lehrbuch über Didaktik habe ich folgende Definition des Wortes gefunden: "Didaktik ist prinzipiell die Vermittlung zwischen der Sachlogik des Inhalts und der Psychologik des/der Lernenden. Zur Sachlogik gehört eine Kenntnis der Strukturen und Zusammenhänge der Thematik, zur Psychologik die Berücksichtigung der Lern- und Motivationsstrukturen der Adressat/innen".

Die Medien kommen hier nicht vor, stehen aber m.E. ganz deutlich hinter dem ersten Teil der Definition, der die Frage nach den Arten der Vermittlung impliziert. Dies ist immer wieder auch thematisiert worden - im Zuge der Frage nach dem Einsatz neuer Medien in der Bildung. Doch der Blick auf die Medientheorien hat m.E. deutlich gemacht, dass die Medien auch einen gewaltigen Einfluss auf die jeweiligen Motivations- und Lernstrukturen haben - ein Punkt, der direkt zur ersten von mir oben gestellten Frage nach den aktuellen Problemen der Lehrenden führt.

Dabei geht es hier erst einmal wohl darum - ganz im Sinne von Flusser und McLuhan - die Sensibilität für Probleme zu schärfen. Eines der Hauptprobleme könnte darin bestehen, dass die Lehrenden "wahrnehmungstechnisch" anders sozialisiert wurden als die heute heranwachsenden Generationen. Wie vor allem McLuhan sehr pointiert formuliert hat, verlangt die Buchkultur ein anderes Rezeptionsverhalten als die Kultur der audio-visuellen Medien. Wer mit Fernsehen, Video und Computer sozialisiert wird, dem wird es vermutlich - und dies bestätigen z.T. auch empirische Untersuchungen – schwer fallen, sich über längere Zeit hinweg auf das intensive Studium eines Textes einzulassen. Was für uns noch selbstverständlich ist, bedeutet für viele Jugendliche eine enorme Anstrengung und Umstellung. Insofern stehen v.a. Lehrer vor dem Problem, dass sie Schülern den Umgang mit einem für sie selbstverständlichen Medium erst einmal beibringen müssen. Andererseits aber haben Schüler meist ein ganz anders gelagertes Wissen über die neuen Medien und gehen mit diesen viel vertrauter um als die älteren Generationen es gewohnt sind. Dieser - überspitzt formuliert - epistemologische Graben zwischen Buch- und Computerkultur könnte fatal werden, wenn die Sensibilität für die unterschiedlichen Wahrnehmungsformen bei Lehrern nicht geschult wird. So gibt es derzeit ein Programm zur Lehrerfortbildung in Sachsen, das genau auf diese Problematik abzielt. Dies schließt auch mit ein, dass Lehrer akzeptieren müssen, dass sie in dieser Hinsicht von ihren Schülern lernen können. Hier wäre also ein Aufbrechen der Autoritätsstrukturen vonnöten, das nur durch die Bereitschaft zur Kommunikation mit den Schülern erreicht werden kann - und als Voraussetzung das Eingeständnis erfordert, dass Wissen einerseits wandelbar, andererseits heute schon sehr unterschiedliche Schwerpunkte entwickeln kann und von verschiedenen Perspektiven aus betrachtet werden muss. Dieses Bewusstsein vom "Wissen" als einem sozial konstruierten Gegenstand bringt die Theorie des Konstruktivismus deutlich zum Ausdruck. An diesem - zugegebenermaßen eher spezielleren - Fall der Lehrerausbildung zeigt sich aber, dass diese Grundsätze für diejenigen, die z.B. Lehrer fortbilden, noch einmal potenziert gelten. Sie müssen das Bewusstsein über die unterschiedlichen Wahrnehmungsformen und die Perspektivität des Wissens schon ausgebildet haben, um es weitergeben zu können. In solchen Fällen kann eine Beschäftigung mit Medientheorien durchaus fruchtbar sein - interessanterweise ist es von allen hier vorgestellten Modellen auch v.a. der Konstruktivismus, der den nachhaltigsten Einfluss auf die Theorien der Erwachsenenbildung ausgeübt hat; aber auch McLuhan und Flusser haben in bezug auf kognitive Strukturen und die Rolle des Dialogs einiges zu dieser Problematik beizutragen.

Der zweite, schon angeklungene Fragenkomplex wäre in diesem Zusammenhang die Untersuchung der Lernstrukturen einerseits, der Motivationslage der Lernenden andererseits. Diese führt weiter zur Behandlung des Themas, inwiefern es sinnvoll ist, neue Medien für das Lernen einzusetzen. Das Schlagwort vom "selbstorganisierten Lernen" deutet schon darauf hin, dass eine Tendenz in die Richtung geht, Lernmaterialien zum Selbststudium zur Verfügung zu stellen; sie rekurriert dabei auf das systemtheoretische Modell der Autopoiesis. Motivation und Lernstrukturen stehen dabei in ganz wesentlichem Zusammenhang mit dem ersten Teil der Didaktikdefinition: der Strukturierung und der Art der Vermittlung von Lernmaterial. Welche Medien hier nun eingesetzt werden sollen, kann eigentlich nur in ständiger Rückkopplung zur Frage geklärt werden, was einzelne Medien leisten können und welche Ziele mit dem Lernmaterial erreicht werden sollen. Hier scheint es nützlich, sich die Struktur der einzelnen Medien vor Augen zu führen und ihre Stärken und Schwächen zu sondieren. Einerseits können die Erkenntnisse der technologisch orientierten Medientheorien dabei hilfreich sein, die Grenzen der Leistungsfähigkeit eines Medium abzuschätzen, andererseits sind hier wieder Konstruktivismus sowie v.a. die McLuhansche Sinnestheorie relevant. Medien sprechen unterschiedliche Sinne an, die wiederum das Material unterschiedlich verarbeiten, und vor diesem Hintergrund sollte gut überlegt werden, was in welcher Präsentationsform sinnvoll ist. Der Computer hat den großen Vorteil, mehrere Medien in sich vereinen zu können; dennoch ist es z.B. sicher nicht sinnvoll, intensives Studium theoretischer Texte am Bildschirm zu betreiben. Andererseits stellen die digitale Medien enormen Spielraum bei der Gestaltung und Dynamisierung von Grafiken oder dem Einsatz neuer Visualisierungstechniken zur Verfügung; ebenso können Ton- oder Filmmaterialien präsentiert werden oder große Textkorpora mühelos nach bestimmten Kriterien durchsucht werden. Dabei wird die Art der Strukturierung eines Themas (wie es im ersten Teil der Didaktik-Definiton heißt) zwangsläufig von den Leistungen des Mediums bestimmt. Ein multimedial aufbereiteter Hypertext zur Literatur des 18. Jahrhunderts funktioniert völlig anders als ein Buch über dasselbe Thema. Man nimmt allein schon modularer wahr, weil man die Auswahl zwischen verschiedenen Medienangeboten hat und zumindest unter verschiedenen Perspektiven wählen kann. Es stellt sich dann automatisch die Frage, wie viel Freiheit man dem Lernenden bei der Zusammenstellung seiner Schwerpunkte zur Verfügung stellt. Die enorme Speicherkapazität einer CD-ROM stellt sehr viel mehr Material zur Verfügung als in einem Buch jemals möglich wäre. Die Strukturierung und die Navigationsübersichtlichkeit spielen daher eine große Rolle und müssen sich einerseits an den Möglichkeiten des Mediums, andererseits aber auch an den kognitiven Gewohnheiten des Lernenden orientieren. Wir stehen erst am Anfang dieser Reflexionen und gutes multimediales Lehr- und Lernmaterial ist noch Mangelware. Vermutlich wird es gerade bei solchen Produkten, die in den meisten Fällen auf das Selbststudium ausgerichtet sein werden, sinnvoll sein, eine möglichst einfache Struktur mit großem Handlungsspielraum für die Lernenden zur Verfügung zu stellen - allein aufgrund der Tatsache, dass eine CD-ROM nicht, wie ein Lehrer, auf die sehr unterschiedlichen Stärken und Schwächen von Lernenden individuell eingehen kann. Pädagogische Hypertextsysteme, wie sie z.T. unter enormem Entwicklungsaufwand betrieben werden und darauf aufbauen, die einzelnen Stufen des Lernens festlegen, so dass die Benutzer erst zu einer "höheren" Stufe kommen, wenn sie bestimmtes Material vorher absolviert haben, halte ich - unter Berücksichtigung der Erkenntnisse des Konstruktivismus - für nicht sehr geeignet, um individuellen Bedürfnissen zu entsprechen.

Man muss also davon ausgehen, dass Lernen am Computer letztlich anderen Gesetzen folgt als z.B. ein Seminar. Dem Lernenden wird ein größeres Maß ein Eigenverantwortlichkeit abgefordert; es liegt in seiner Hand, welche der Angebote er wahrnimmt. Durch das Organisationsprinzip des Hypertextes kann ihm ebenfalls die Möglichkeit gegeben werden, bestimmte Materialien nach seinen Präferenzen miteinander zu verknüpfen bzw. Eingriffe in die vorgegebene Struktur zu machen und damit sein individuelles "pädagogisches" Programm zu erstellen.

Doch CD-ROMs haben - im Gegensatz zum Internet - den Nachteil, dass sie keine Kommunikationsplattform bieten. Zwar können Übungen absolviert und automatisch ausgewertet werden; ebenso bestimmten Ergebnissen entsprechende Auswertungen zugeordnet werden, aber gerade dieser Teil des multimedialen Lernens läuft dann Gefahr, allzu stark schematisiert zu werden. Ideal wäre daher m.E. eine Kombination aus Lernen und Kommunikation, die über bestimmte Plattformen im Internet laufen könnte: Erfahrungsaustausch der Lernenden, die Möglichkeit, Fragen zu stellen und zu diskutieren (auch als Anregung zur Selbstreflexion durch Rückkopplungsmöglichkeiten) - und - im Zuge der Erkenntnis über die Relativität des Wissens - die Möglichkeit, ergänzende und aktualisierte Materialien zu finden, selber zur Verfügung zu stellen oder, z.B. über kooperative Arbeitsplattformen, gemeinsam zu erarbeiten. Dies wäre eine Konsequenz aus Flussers kommunikativer Perspektive: Trotz der enormen Möglichkeiten des Computers kann Lernen nicht völlig von der kommunikativen Situation abgekoppelt werden - Selbstwahrnehmung kann am besten anhand von Fremdwahrnehmung überprüft werden und Kommunikation führt meist zu neuen Anregungen und fördert eigene oder kooperative Produktion. Es muss also die Möglichkeit zur Kommunikation gegeben sein; auch wenn diese nicht mit Lehrenden erfolgt, sondern mit anderen Lernenden. Das Internet als dialogisches Medium könnte unter diesem Aspekt eine ideale Plattform dafür darstellen. Deutlich wird aber gleichzeitig, dass unter diesen Bedingungen "Wissen" niemals ein statischer Begriff sein kann; bei der Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien muss immer auch die Möglichkeit der Ergänzung, Erweiterung und Aktualisierung mit einbezogen werden. Dass dies wiederum von den Lernenden selber geleistet werden kann, wäre ein weiterer Aspekt der höheren Selbstverantwortlichkeit, die solche Lernformen fördern können, und es unterstreicht gleichzeitig die Flexibilität der Rollen: Lehrende können dadurch von Lernenden lernen - d. h. die Flexibilität und der Perspektivenreichtum, der im Wort "Wissen" impliziert ist, bricht gleichzeitig die soziale Rollenverteilung auf.

 

Fazit

Zum Abschluss möchte ich noch einmal zur Didaktikdefinition zurückkehren:

"Didaktik ist prinzipiell die Vermittlung zwischen der Sachlogik des Inhalts und der Psychologik des/der Lernenden. Zur Sachlogik gehört eine Kenntnis der Strukturen und Zusammenhänge der Thematik, zur Psychologik die Berücksichtigung der Lern- und Motivationsstrukturen der Adressat/innen."

Ich glaube, die Konsequenzen, die wir nun ziehen müssen, sind folgende:

Die Strukturierung einer Thematik ist ein Prozess, nichts von vornherein gegebenes. In welcher Art eine Thematik präsentiert wird, hängt wesentlich von dem Medium ab, das eingesetzt werden soll. In diesem Sinne gilt auch hier McLuhans Satz "Das Medium ist die Botschaft".

Es gibt kein feststehendes "Wissen", das vermittelt werden kann, Wissen ist ebenfalls ein sich ständig wandelnder Prozess. Horst Siebert definiert in diesem Sinne das Wort "Bildung" konstruktivistisch als "Auseinandersetzung des Menschen mit sich und seiner Umwelt mit dem Ziel kompetenten und verantwortlichen Handelns. Bildung als Überprüfung und Erweiterung von Wirklichkeitskonstruktionen ist mehr als Vermittlung und Aneignung von Wissen und Qualifikationen, Bildung ist auch Selbstaufklärung und kann dadurch eine therapeutische Wirkung haben". Bildung als Kreuzungspunkt von sozialem Handeln und kritischer Überprüfung von Wissen und Anregung zur Selbstreflexion sollte damit verstärkt bei der Erstellung von Lernmaterial berücksichtigt werden - und dazu gehört m.E. ein relativ großer Freiheitsspielraum für den Lernenden, aber auch und ganz wesentlich die Möglichkeit zur Kommunikation. Das Internet kann meines Erachtens - aufgrund seiner dialogischen Struktur - für die Diskussion unter Lernenden sehr gut eingesetzt werden, fördert also selbstorganisiertes soziales Lernen und kooperatives Arbeiten; für eine - wie auch immer geartete - Anleitung durch Lehrende jedoch scheint es mir nur eingeschränkt geeignet. Face-to-face-Gespräche sind hier immer noch die reichste und synästhetischste Art der Kommunikation und bieten ganz andere Rückkopplungs- und Selbstreflexionsmöglichkeiten. Multimedialität und technologische Interaktivität ersetzen also keinesfalls persönliche Gespräche - diese Erkenntnis legen alle hier behandelten Medientheorien gerade deswegen nahe, weil sie sich nicht auf die Inhalte, sondern auf die spezifischen Strukturen der Medien beziehen. Ideal wäre demnach eine daran orientierte Kombination verschiedener Lern- und Kommunikationssituationen. Welche Medien dann wofür eingesetzt werden, bedarf dann wiederum einer kritischen Beobachtung des Wahrnehmungsverhaltens und der Anforderung der einzelnen Medien an die psychischen Dispositionen, McLuhan würde sagen, an die Sinne.

Es gibt also gerade in bezug auf den Einsatz von Medien soziale, psychisch-kognitive und strukturelle Aspekte, die berücksichtigt werden müssen, eine Tatsache, die gleichzeitig die Interdisziplinarität dieses Unterfangens deutlich macht. Man mag im einzelnen vieles gegen die hier vorgestellten Medientheorien einzuwenden haben, aber sie geben gerade in ihrer Unterschiedlichkeit der Perspektiven Aufschluss darüber, worauf im Umgang mit den Medien zu achten ist. Gleichzeitig machen sie deutlich, dass hier Anforderungen eminent ethischen Inhalts gestellt werden, bei denen es einerseits darum geht, eine Brücke zwischen den kognitiven Strukturen der Buch- und der Computerkultur zu bauen, andererseits Selbstverantwortung Kommunikation und Kooperation zu verstärken. Die Zeiten sind der Universaltheorien sind definitiv vorbei, und ich hoffe gezeigt zu haben, dass der Graben zwischen Theorie (oder besser: Theorien) und Praxis nicht so tief ist, wie er häufig dargestellt wird. Allerdings: Ihn zu überwinden und die Konsequenzen aus den Theorien für die Praxis zu ziehen, dieser Prozess nun liegt wiederum in unserer eigenen individuellen Verantwortung.

 


Christiane Heibach, Vom Nutzen und Nachteil der Medientheorien für Die Erwachsenenbildung, Vortrag am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung am 15.11.2000. Online im Internet – URL: http://www.die-frankfurt.de/esprid/dokumente/doc-2001/heibach01_01.htm Dokument aus dem Internet-Service Texte Online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung e. V. – http://www.die-frankfurt.de