DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Medienkompetenz als Herausforderung

Neue Medien und die Veränderung von Kommunikation

Hans Gruber/Christian Harteis/Birgit Hawelka

Dr. Hans Gruber ist Professor für Pädagogik an der Universität Regensburg. Dipl.-Päd. Christian Harteis ist wissenschaftlicher Mitarbeiter, Dipl.-Päd. Birgit Hawelka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Pädagogik der Universität Regensburg.

Die neuen Medien bieten für das Lernen Erwachsener erweiterte Möglichkeiten. Ihre Nutzung erfordert aber eine veränderte Kommunikations- und Lernkultur, deren zentraler Bestandteil Medienkompetenz ist. - Hans Gruber, Christian Harteis und Birgit Hawelka umreißen Voraussetzungen, Umfang und Komponenten von Medienkompetenz als Ziel pädagogischen Handelns, lenken aber auch den Blick auf Probleme des restriktiven und selektiven Zugangs und interindividueller Differenzen bei der Nutzung neuer Medien.

Abstract:
Net based communication is changing business and private life and education and learning of adults as well. Important condition for using new chances by new information and communication technologies for learning processes is media competence. - The authors describe components of media competence as a pedagogical target including technical competence, communicative competence and the competence of coping with the information flood. Problems are restrictions of participation on net based communication, selection by financial reasons or by user-inadequate software, and differences between individuals using new media. Since media competence is necessary not only for learners but also for teachers, there have to be consequences at the levels of teacher training.

Neue Medien durchdringen zunehmend Beruf und Privatleben: Multimedia, WWW oder E-Mail sind für weite Teile der Bevölkerung längst unverzichtbare Bestandteile der Informationsbeschaffung und der täglichen Kommunikation. Laut einer Pressemitteilung des Bayerischen Rundfunks vom 11.10.2000 werden jeden Tag weltweit etwa 10 Milliarden E-Mails verschickt, Schätzungen der Forschungsgesellschaft „International Data Corporation" zufolge wird sich die Anzahl innerhalb der nächsten fünf Jahre auf mehr als 35 Milliarden erhöhen. Unbestritten ist, dass sich diese neuen Kommunikationsformen auf den Bildungssektor auswirken. Da die Angebote der Erwachsenenbildung auf dem Bedürfnis nach Information und Kommunikation aufbauen, sind auch sie von den Neuerungen tangiert.

Neuerungen im Medienbereich - Potenzial für die Erwachsenenbildung

Basis für die Umwälzungen, die mit dem Schlagwort „Informationszeitalter" etikettiert werden, sind technische Neuerungen, deren rasante Verbreitung in den letzten Jahren umfangreiche Änderungen im Informationsverhalten und von Kommunikationsformen nach sich zieht.

Technik

Wenn auch der Begriff „neue Medien" unscharf definiert ist, kann doch als Minimaldefinition festgehalten werden, dass damit die digitale Integration verschiedener Einzelmedien bezeichnet wird, deren Ablauf nicht linear ist, sondern vom Rezipienten interaktiv gesteuert werden kann. Welche Anwendungen damit auch umschrieben werden, stets ist der Computer das zentrale Gerät, das den Zugang zu neuen, multimedialen Präsentationsformen ermöglicht, die z.B. über das Internet Verbreitung finden.


Information

Durch die weltweite Vernetzung steht eine unüberschaubare Fülle an Information (Datenbanken, digitale Bibliotheken, Bildungsangebote usw.) zur Verfügung, auf die jede Person mit Internetzugang überall und jederzeit zugreifen kann. Davon profitieren gerade Bewohner strukturell wenig entwickelter ländlicher Gebiete, denn besonders in kleineren Einrichtungen der Erwachsenenbildung war und ist häufig das traditionelle Präsenz-Bildungsangebot vor Ort auf eine Art von „Grundversorgung" beschränkt. Durch die Erweiterung des Angebotes mittels virtueller Kurse ist eine interessenbasierte, nicht auf lokale Anbieter eingeschränkte Auswahl aus Bildungsangeboten möglich, die zudem modular kombinierbar sind.

Mittels WWW können Informationen nicht nur weltweit abgerufen, sondern auch schnell und grundsätzlich von allen verbreitet werden. Gerade in Hinblick auf politische Erwachsenenbildung bedeutet dies einen Schritt zur Demokratisierung der Meinungsbildung.

Kleine Einrichtungen können durch „lean information" ihr Angebot um mediale Anteile ergänzen, ohne dadurch ihre eigenen personellen wie finanziellen Kapazitäten zu sprengen; größere Einrichtungen können sich eine neue Klientel erschließen.

In Zusammenhang mit neuen Formen des Informationserwerbs wird aktuell die Frage diskutiert, inwiefern die Gefahr besteht, dass eine Wissenskluft aufgebaut wird zwischen denen, die auf netzbasierte Information zugreifen können (vorwiegend junge Männer mit höherem Bildungsabschluss), und denen, die keinen Netzzugang haben. Auf mögliche Unterschiede im Medienzugang kommen wir unten zurück.

Kommunikation

Neue Medien bieten neben dem Zugriff auf Information auch vielfältige, gegenüber traditionellen Medien veränderte Optionen zur Kommunikation. Neben einer durch multimediale Elemente erweiterten asynchronen Kommunikation (z.B. E-Mail) kann als wesentliche Neuerung die Möglichkeit zur ortsunabhängigen, aber dennoch synchronen Kommunikation gesehen werden. Dadurch entstehen neue Lernformen wie das netzbasierte, kooperative Lernen. Die Einrichtung von Chat-Räumen oder Diskussionsforen erlaubt Meinungs- und Erfahrungsaustausch auch über Ländergrenzen hinweg. Besonders für kommunikationsintensive Lernangebote - z.B. für das Sprachenlernen - ist dies von enormer Bedeutung. Aber auch bei anderen Angeboten kann durch diese Möglichkeit des Austausches über den reinen Informationserwerb hinaus das Problem des Motivationsverlustes, wie er durch die Isolation von Lernenden in traditionellen Fernlehrgängen auftreten kann, zum Teil kompensiert werden.

Diese erweiterten Möglichkeiten in der Erwachsenenbildung erfordern jedoch eine veränderte Lernkultur. Dazu sind Kompetenzen notwendig, deren Analyse und Förderung eine pädagogische Aufgabe ist.

Medienkompetenz als Fähigkeit zum verantwortungsvollen Umgang mit Medien

Die Erweiterung der technischen Möglichkeiten mediengestützter Kommunikation erfordert neue Formen der Medienkompetenz (vgl. Schell/Stolzenburg/Theunert 1999). Der Zugang zu einer beträchtlich wachsenden Informationsmenge stellt das Individuum vor die Herausforderung, gewünschte Information zu erkennen und gefundene Information zu bewerten.

Die Auffassung, dass die Hauptaufgabe der Pädagogik angesichts neuer Medien in der wissenschaftlichen Analyse und der Förderung von Medienkompetenz besteht, ist vergleichsweise jung. Lange Zeit überwog die Ansicht, dass (Bewahr-)Pädagogik die Aufgabe hätte, über eine Kontrolle des Medienkonsums vor negativen Einflüssen durch neue Medien zu schützen. Eine positive Aufgabe wurde in der Mediendidaktik gesehen, in der es darum ging, Medien als Unterrichtswerkzeuge zu verstehen und durch ihre Gestaltung zu einer Optimierung von Lehr-Lern-Prozessen zu gelangen. In aktuellen Modellen der Medienkompetenz werden Möglichkeiten der Bildung durch Medien fokussiert. So unterscheidet Baacke (1996) vier Dimensionen von Medienkompetenz: Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung, Mediengestaltung.

Medienkompetenz als Ziel pädagogischen Handelns ist also durch die Fähigkeit zum verantwortungsvollen Umgang mit Medien gekennzeichnet. Diese Fähigkeit umfasst eine Reihe von Kompetenzkomponenten: technische Kompetenz, Kompetenz zur Informationsbewältigung, kommunikative Kompetenz.

Technische Kompetenz

Unter technischer Kompetenz wird einerseits das Vorhandensein deklarativen Wissens über Aufbau und Eigenschaften neuer Medien, verbunden mit sicherem Gebrauch von Fachtermini, andererseits die Verfügbarkeit von Handlungswissen zum Umgang mit neuen Medien, etwa mit den von ihnen gebotenen Explorations- und Navigationsmöglichkeiten, verstanden.

Technische Kompetenz beinhaltet somit die Fähigkeit, Medien zu kennen, sie in Gebrauch nehmen zu können und ihre Bedienung zu beherrschen. Dazu ist es notwendig, die mediale Angebotsvielfalt ebenso zu kennen wie inhaltliche und technische Verflechtungen und über Zugang zu Computernetzen, Internet-Browsern, Suchmaschinen usw. zu verfügen.

Kompetenz zur Informationsbewältigung

Kompetenz zur Informationsbewältigung umfasst alle Strategien zur gezielten, reflektierten Auswahl von Information aus dem großen Angebot und bedeutet daher eine Form von Informations- bzw. Wissensmanagement. Dazu ist Wissen über den Umgang mit Information notwendig; so erfordert etwa die Hypertext-Struktur des Internets neue Lesestrategien, da die Strategie des sequenziellen Lesens hier nicht mehr sinnvoll ist.

Informationsbewältigung impliziert die Fähigkeit zur kritischen Unterscheidung zwischen wichtiger und unwichtiger, zwischen glaubwürdiger und unglaubwürdiger sowie zwischen authentischer und gefälschter Information. Damit enthält die Kompetenz zur Informationsbewältigung zugleich den Umgang mit bzw. die Entwicklung von ethischen Wertmaßstäben, die dann auch auf das Erstellen und Verbreiten von Information anzuwenden sind.

Kommunikative Kompetenz

Die sozialen Interaktionen, die sich bei der Kommunikation mit neuen Medien ergeben, unterscheiden sich in einer Reihe von Merkmalen von direkter, persönlicher Interaktion: Sie sind ausschließlich technisch vermittelt und daher text- und bild-basiert, verzichten aber auf den Kontakt von „Mensch zu Mensch" und damit auf eine Vielzahl nonverbaler Kommunikationsaspekte. (Dies kann Kommunikation sowohl vereinfachen als auch erschweren, so dass neutral von Veränderung gesprochen wird.) Kommunikation kann einerseits unabhängig von Ort und Zeit erfolgen und damit flexibler werden, auf der anderen Seite ist die „Verfügbarkeit" von Kommunikationspartnern unvorhersehbarer als im persönlichen Austausch. Der Verzicht auf eine Vielzahl soziokultureller Kontexte in der Kommunikation (z.B. spielen Alter, Aussehen und Ethnizität eine geringe Rolle) und die Veränderung des Präsentationsformats von Emotionen (etwa über die Verwendung von „Emoticons") sorgen dafür, dass Handlungs-Scripts zur Kommunikation im Netz erlernt werden müssen, um an der Kommunikation teilhaben zu können.

Probleme der Nutzung neuer Medien in der Erwachsenenbildung

Trotz ihres Potenzials ist mit der Implementierung neuer Medien in der Erwachsenenbildung eine Reihe bedeutsamer Probleme verbunden, von denen hier zwei hervorgehoben werden:

Restriktionen

Im Gegensatz zur öffentlichen Aufmerksamkeit für das Lehren und Lernen mit neuen Medien sind die Möglichkeiten der überwiegenden Mehrzahl von Menschen, sich an mediengestützter Kommunikation zu beteiligen, noch nicht befriedigend. Sowohldie Anschaffung entsprechender Hardware als auch die Nutzung der Infrastruktur ist kostspielig (ein zeitlich unbefristeter Internetzugang über kommerzielle Provider kostet derzeit etwa DM 80 monatlich). Solange der Zugang zum Internet mit hohem finanziellen Aufwand verbunden ist, bleiben finanziell Schwächere prinzipiell benachteiligt. Dabei muss kein exakter Betrag als akzeptabler Grenzwert definiert werden, es ist vielmehr eine Frage des Selbstverständnisses einer Bildungseinrichtung, bei der Kommunikation mit ihrer Zielgruppe solche Informationskanäle zu fokussieren, die einer Selektion nach finanziellen Kriterien keinen Vorschub leisten. Weitere Restriktionen können durch eine benutzer-unfreundliche Gestaltung von Software entstehen, die erwachsenen und besonders älteren Computernovizen den Einstieg häufig erschwert.

Es liegt nicht im Allgemeininteresse und im gesellschaftlichen Auftrag der Erwachsenenbildung, dass sich dieser Sektor in einen Kommunikationsbereich verlagert, der eine Polarisierung der Gesellschaft hinsichtlich der Möglichkeiten Einzelner vorantreibt, an öffentlichen Diskursen teilzuhaben.

Interindividuelle Differenzen im Umgang mit neuen Medien

Die Teilnahme an netzbasierten Weiterbildungs- und Kommunikationsplattformen stellt erhöhte motivationale Anforderungen an alle Beteiligten: Die Kommunikation gestaltet sich schwieriger, da erstens die Grounding-Prozesse, also Vorgänge des In-Gang-Kommens von Gruppenkommunikation, einen höheren Aufwand erfordern; zweitens besteht bei einer kooperativen Problembearbeitung durch die räumliche Distanz eine zusätzliche Schwierigkeit in der Koordination der Arbeitsabläufe. Die Möglichkeit, vor dem Hintergrund umfassender Information mit anderen Personen in Kommunikation treten zu können, kann sich also dann schnell als vordergründig erweisen, wenn die damit verbundenen Anforderungen eine zu große Hürde für manche Menschen darstellen.

Dass mit der Teilnahme an netzbasierter Kommunikation Hemmschwellen aufgebaut werden können, weil Diskussionen öffentlich und Argumentations- oder individuelle Entwicklungslinien für eine unbekannte Öffentlichkeit nachvollziehbar werden, stellt einen weiteren Aspekt dar, der in der Bewertung des Potenzials neuer Medien für Weiterbildung kritisch zu bedenken ist.

Pädagogische Konsequenzen für die Gestaltung des Einsatzes neuer Medien

Neue Medien erfordern neue Kompetenzen. Dies gilt in pädagogischen Situationen natürlich nicht nur für die Lernenden. Lehrende spielen eine beträchtliche Rolle in der Gestaltung des Umgangs mit neuen Medien. Ihre eigene Medienkompetenz ist daher ebenso von Interesse wie die der Lernenden; dies ist beispielsweise künftig in der Ausbildung der Dozierenden weitaus stärker zu berücksichtigen als bislang (vgl. Schulz-Zander 1997). Lehrende müssen wissen, wie und wann sie neue Medien in Lehr-Lern-Prozessen einsetzen können, sie müssen Medienwirkungen beurteilen können und für einen gleichberechtigten Zugang zu neuen Medien im Unterricht sorgen. Erst im Zusammenspiel von Lehrenden und Lernenden auf der Grundlage der Förderung der Kompetenz beider können neue Medien ihr Potenzial tatsächlich entfalten.

Literatur

Baacke, D. (1996): Medienkompetenz als Netzwerk. Reichweite und Fokussierung eines Begriffs, der Konjunktur hat. In: Medien praktisch. Zeitschrift für Medienpädagogik, Heft 2, S. 4-10

Schell, F./Stolzenburg, E./Theunert, H. (Hg.) (1999): Medienkompetenz. Grundlagen und pädagogisches Handeln. München: KoPäd Verlag

Schulz-Zander, R. (1997): Medienkompetenz - Anforderungen an schulisches Lernen. In: Deutscher Bundestag (Hg.): Medienkompetenz im Informationszeitalter. Enquête-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft; Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft". Bonn: ZV Zeitungs-Verlag, S. 99-110


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Dezember 2000

Hans Gruber, Christian Harteis, Birgit Hawelka, Medienkompetenz als Herausforderung.
Online im Internet: URL: http://www.diezeitschrift.de/12001/positionen1.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
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