DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Klaus Bednarz„Da hingucken, wo andere nicht hingucken - Widersprüche offen legen!"

Gespräch mit Klaus Bednarz

Dr. Klaus Bednarz ist seit 1983 Leiter der Redaktion und Moderator des ARD-Fernsehmagazins „MONITOR" des Westdeutschen Rundfunks Köln. Zuvor war er unter anderem Korrespondent des Deutschen Fernsehens in Warschau und Moskau. Für seine durch das Aufzeigen von Widersprüchen und durch Polarisierung im besten Sinne aufklärerische Berichterstattung und das Aufgreifen gesellschaftspolitisch brisanter Themen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Adolf-Grimme-Preis, den Deutschen Kritikerpreis und den Umwelt-Medienpreis. - Das DIE-Gespräch mit Klaus Bednarz (K.B.) über polarisierende Aufklärung und Information führten Herbert Bohn und Rüdiger Preißer (DIE).

 

DIE: Herr Bednarz, Ihre Sendung „MONITOR" steht in der Tradition der Aufklärung: Sie verdecken nicht Widersprüche, sondern legen sie offen. Fehlt es Ihrer Ansicht nach in der öffentlichen Diskussion an einer solchen polarisierenden Aufklärung?

K.B.: Es ist nicht unser Ziel zu polarisieren, wir sind uns aber dessen bewusst, dass wir in vielen Fällen zwangsläufig polarisieren. Wir sehen darin nichts Negatives - im Gegenteil: Erst in dem Moment, wo polarisiert wird, ist die Chance da, dass auch Widersprüche, die existieren, offengelegt und Gegenstand des öffentlichen Diskurses werden. Insofern ist der Effekt der Polarisierung unserer aufklärerischen Arbeit ein Begleiteffekt, den wir, wenn er für den Diskurs produktiv ist, auch begrüßen.

DIE: Es gibt andere Meinungen in der Öffentlichkeit, auch in den Medien, die davon abraten: Man solle doch die Widersprüche nicht so deutlich herausarbeiten. Man solle stärker harmonisieren, denn wir hätten schon genügend negative Nachrichten. Wie sehen Sie das?

K.B.: Das ist Quatsch. Wir haben ohnehin sehr viel mehr Nachrichten, die eigentlich keine Nachrichten sind, sondern allenfalls geschickte PR oder Propaganda. Untersuchungen deutscher Universitäten besagen, dass 70% aller Nachrichten, die ein Bürger täglich konsumiert, direkt oder indirekt aus den Pressestellen, aus den PR-Abteilungen der politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Kräfte kommen. Nicht einmal 10% sind echte eigenredigierte Nachrichten. Insofern haben wir eher ein Defizit an aufklärerischen Nachrichten als einen Überschuss. Dieses Harmonisierungsgerede, das letztlich nur dazu führt, dass die Probleme, die ja tatsächlich existieren, verkleistert oder unter den Teppich gekehrt werden sollen, das machen wir nicht mit.

DIE: Aber glauben Sie, dass Sie die Bevölkerung damit gut erreichen? Es wird doch gesagt: Die wollen das nicht, die wollen Feierabend haben, in Ruhe gelassen werden, sie wollen eher was Nettes, sie wollen sich entspannen ...

K.B.: Es gibt inzwischen - gerade in den elektronischen Medien - für jedes Bedürfnis ein Angebot. Ich muss aber dafür sorgen, dass diese Angebote auch in ihrer Breite erhalten bleiben. Wenn ich mir die Tendenz der elektronischen Medien anschaue, dann habe ich das Gefühl, dass etwa das Angebot an Hintergrundinformation, an Möglichkeiten der originären Informationssuche und -findung geringer und die Angebote an Unterhaltung jeglicher Art und Unart immer größer werden. Der Zuschauer ist mündig, der Zuschauer sucht sich das, was er gerne sehen oder hören möchte, selbst aus. Aber zumindest als öffentlich-rechtliche Anstalt habe ich die verdammte Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass ich meinem öffentlich-rechtlichen Auftrag gerecht werde, der da nämlich heißt - vom Gesetzgeber so gewollt: Bildung, Information und Unterhaltung.

DIE: Aber kürzlich sind drei „MONITOR"-Sendungen hintereinander zu Gunsten von Fußballübertragungen ausgefallen, oder?

K.B.: Das hat die ARD inzwischen - wie ich gehört habe - selber als einen unglücklichen Zustand empfunden. Ich bin optimistisch, dass man in diesem Jahr sorgsamer mit diesem Problem umgehen wird.

Gerechter Ausgleich von Interessen ist in unserer Gesellschaft gefährdet.

DIE: Kürzlich war in der ZEIT in einem Artikel über soziale Ungleichheiten zu lesen, man müsste eigentlich wieder stärker die Widersprüche, die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft thematisieren und nicht zudecken, wie das vor allem auch Politiker betreiben. Wie sehen Sie das?

K.B.: Dies deckt sich mit der Überzeugung unserer Redaktion. Dass es natürlich auseinander gehende Interessen gibt, dass die verschiedenen Interessengruppen sehr unterschiedliche Machtbefugnisse haben, ist klar. Und da muss dafür gesorgt werden, dass es einen möglichst gerechten Ausgleich gibt. Diesen gerechten Ausgleich sehe ich in unserer Gesellschaft in immer stärkerem Maße in Gefahr. Auch in dem Maße, in dem etwa die Gewerkschaften bei allem Reformbedarf in der Versuchung sind, bestimmte soziale Grundforderungen zu vernachlässigen. Ich meine schon, dass man die Widersprüche, die es in der Gesellschaft gibt, sehr viel stärker deutlich machen muss. Aber ich muss die Widersprüche erst einmal benennen. Dazu gehört eine offene Diskussion: zunächst einmal ein Aufzeigen der Widersprüche und dann ein Diskurs darüber.

DIE: Aber beschämen Sie damit nicht die weniger Privilegierten, indem Sie offen aussprechen, in welch unterprivilegierter Situation sie leben?

K.B.: Ich finde, unter dem Schlagwort „Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer" haben diejenigen allen Grund, sich zu schämen, die immer stärker einem Sozialdarwinismus das Wort reden und vergessen, was eigentlich diese Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg einmal ausgezeichnet hat, nämlich der Versuch, ein Höchstmaß an sozialer Gerechtigkeit, an Solidarität, an Chancengleichheit zu erreichen. Dieses alles sind Werte, die offensichtlich in weiten Kreisen der privilegierten Klasse heute negativ besetzt sind. Und da bin ich schon sehr entschieden dafür, dass das auch benannt wird. Dass diejenigen, die nicht diese Privilegien und diese Machtbefugnisse haben, sich dessen bewusst werden, dass sie auch eigene, berechtigte Interessen haben und darauf sehen müssen: Wo sind die politischen Kräfte, mit denen wir unsere Interessen durchsetzen können?

DIE: Wenn man Nicht-Privilegierte über ihre soziale Situation aufklärt, zieht man zwangläufig den Schleier ihrer Illusionen, ihrer Selbstillusionen weg, und das - so wird verschiedentlich behauptet - ist vielleicht gar nicht so positiv. Wie sehen Sie das?

K.B.: Ich glaube eher an einen anderen Aspekt: Nämlich dass wir in dem Moment, wenn wir Menschen in bestimmten Situationen zeigen, sehr vielen anderen, die in der gleichen Situation sind, die Information vermitteln, dass sie nicht alleine sind. Und dass man aus dieser Erkenntnis heraus die Chance sieht, ein sehr viel größeres Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln, auch ein Gefühl für die Notwendigkeit, gemeinsame Interessen gemeinsam zu vertreten. Die Menschen, die in unserem Medium bereit sind, sich vor einer Kamera zu zeigen, wissen, dass sie sich damit Millionen von Menschen zeigen. Das geschieht ja in vollem Bewusstsein. Insofern setzen wir da schon auf die Selbstbestimmtheit derer, die bereit sind, uns ihre Situation zu zeigen, und glauben, dass es für die Übrigen eher einen positiven Effekt hat, weil man nämlich erkennt, dass man mit seinen Problemen nicht alleine dasteht.

Mobilität ist nicht das Allheilmittel.

DIE: Es gibt in der öffentlichen Diskussion um Bildung und Weiterbildung die Position: Die weniger Privilegierten sind an ihrem Schicksal zum Teil selber schuld, denn sie unternehmen zu wenig, handeln nicht eigenverantwortlich. Stimmt das so?

K.B.: Das ist sicher zum Teil so. Die Menschen sind nicht alle gleich. Manche haben ein größeres Energiepotenzial, andere ein geringeres. Das muss ich akzeptieren. Aber das heißt nicht, dass ich nicht zumindest versuche, über ihre Situation
aufzuklären und so Impulse für eine Veränderung oder Verbesserung zu geben.

DIE: In Bezug auf die Arbeitslosen, könnte man da auch sagen: Auf der einen Seite Erwerbslosigkeit, und auf der anderen Seite gibt es genügend offene Stellen?

K.B.: Das ist eine andere Geschichte. Ich beklage die Immobilität im Osten wie im Westen. Es ist für mich nur schwer verständlich, dass Leute sagen: Nein. Auf der anderen Seite muss ich mir überlegen, dass - wenn es nur Chancen für Mobilität in einer Richtung gibt - es zu einer Verödung ganzer Regionen kommen kann. Das heißt, Mobilität ist natürlich auch nicht das Allheilmittel.

DIE: Im Bildungsbereich wird in diesem Zusammenhang über„Selbststeuerungsfähigkeit", „selbstgesteuertes Lernen", „lebenslanges Lernen" diskutiert. Stichwort „Chancengleichheit": Sehen Sie eine Hauptaufgabe von Sendungen wie „MONITOR" auch darin, durch Information und polarisierende Aufklärung die Eigenverantwortlichkeit der Zuschauer für ihre Bildung zu stärken, oder müssten noch stärkere Anregungen und Angebote gegeben werden?

K.B.: Abgesehen von der Schulpflicht, halte ich jede Art von Bildungspflicht für zweifelhaft. Aber es müsste gelten, dass Bildungsangebote für diejenigen da sind, die ihrer bedürfen beziehungsweise die sie haben möchten. Ich kann nicht zwangsweise einen bestimmten Teil der Gesellschaft verpflichten, daran teilzunehmen. Aber ich habe die gesellschaftliche Pflicht, Angebote zu machen. Und dann liegt es in der Eigenverantwortlichkeit jedes Einzelnen, ob die Angebote wahrgenommen werden oder nicht.

DIE: Werden Angebote, die Sie produzieren, von Menschen wahrgenommen, die sie am nötigsten hätten?

K.B.: Es ist eigentlich so, dass die aufklärenden Programme zu großen Teilen von sogenannten Multiplikatoren gesehen werden, also von denen, die ohnehin schon einen erheblichen Bildungsstand und einen entsprechenden Aufklärungsgrad erreicht haben. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch viele gibt, die sich nicht auf diesem Level befinden und die trotzdem vom Informationsangebot Gebrauch machen. Aber es ist sicher ein Problem, dass man in vielen Fällen Leute als Zuschauer hat, die man gar nicht mehr „katholisch" machen muss.

DIE: Sie haben schon eine lange Erfahrung mit der Sendung „MONITOR" und überblicken auch die Vorläufersendungen. Hat sich da im Laufe der Zeit in Bezug auf diesen Aspekt etwas verändert? Gab es Konjunkturen für den Erreichungsgrad von Menschen?

K.B.: Es gibt Konjunkturen von Themen und auch von Sendeformen. „ZAK" hatte mal eine Konjunktur, aber das sind Moden. Das ist auch sicher nicht der Anspruch, den langfristige Bildungsarbeit hat. Diese modischen Erscheinungen gibt es in allen Bereichen. Wir haben uns ganz bewusst von all dem ferngehalten. Und das hat sich ausgezahlt, es hat sich auch in Zuschauerzahlen niedergeschlagen.

DIE: Hören Sie zuweilen auch den Vorwurf, der im Bildungsbereich zuweilen erhoben wird: Mit Aufklärung können Sie heutzutage bestimmte Ziele und Zielgruppen nicht mehr erreichen, Sie müssen ganz andere Formen und Methoden verwenden?

K.B.: Sicher. Auch bei Lessing sind es nicht unbedingt die Bauern, die zahlreich ins Theater gehen. Damit muss ich leben. Es gibt natürlich auch in unserem Medium Überlegungen: Manche Zuschauer erreiche ich eher in spielerischen Formen, Unterhaltungssendungen, transportiere bestimmte politische, parteipolitische oder wahltaktische Dinge viel besser, wenn ich Gitarre spiele oder singe. Das ist sicher richtig. Wir haben uns im überschaubaren Bereich unseres Magazins dafür entschieden, ohne jeden modischen Schnickschnack, ohne Zeitgeistmätzchen zu versuchen, Informationen und Aufklärung sachnah und sachgerecht zu präsentieren.

DIE: Hinter dem Vorwurf steckt doch die Annahme, dass es ein Generationenproblem wäre, aufklärerische Inhalte an den Mann oder die Frau zu bringen: Ein Teil der jungen Generation brächte gar nicht die Voraussetzungen mit, aufklärerische Informationen Ihres Magazins aufzunehmen und zu verarbeiten.

K.B.: Darüber hat schon Platon geklagt. Das ist keine neue Situation. Ich würde es auch nicht pauschalisieren. Es ist eine andere Generation, die ihre eigenen Werte und ihren eigenen Beurteilungskanon hat. Es gibt aber viele junge Leute, die sehr, sehr ernsthaft über soziale und politische Fragen diskutieren. Und mit 40 Jahren gehen sie auch nicht mehr alle in die Disco. Also ich sehe das relativ gelassen.

Die soziale Polarisierung zwischen Ost- und Westdeutschland ist nicht überall gewachsen.

DIE: Sie sind sehr weit in den Osten gekommen, haben in der Sowjetunion Sibirien, den Baikalsee bereist, Sie haben über Polen, die Ostseeländer berichtet. Wenn wir jetzt auf Deutschland-Ost und Deutschland-West zu sprechen kommen: Entspricht die soziale und kulturelle Polarisierung im Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen einer allgemein zu beobachtenden Polarisierung in unserer Gesellschaft, oder hat diese „Kluft" zwischen Ost- und Westdeutschen noch eine besondere Qualität?

K.B.: Wenn ich auf die Wiedervereinigung zurückblicke, dann ist die soziale, politische und gesellschaftliche Polarisierung gar nicht in allen Bereichen gewachsen. Das allgemeine soziale Niveau ist heute in Ostdeutschland in jedem Fall höher als zu DDR-Zeiten. Sicher ist die allgemeine Arbeitslosigkeit, die Jugendarbeitslosigkeit ein ganz großes Problem. Aber es gibt auch eine ganze Reihe von Untersuchungen, wie z. B. zu der Frage der Radikalisierung, die darauf hinweisen, dass diese
sich durch die soziale Komponente allein nicht erklären lässt. Insofern bin ich da sehr skeptisch gegenüber all diesen oft vorschnellen Erklärungsmodellen. In manchen Bereichen ist die damals als selbstverständlich empfundene Polarisierung zwischen Ost und West sogar erheblich abgebaut.

DIE: Gibt es jenseits der Ebene der Erwerbstätigkeit und der sozialen Sicherungssysteme noch viel tiefer gehende Polaritäten zwischen Ost- und Westdeutschen, die man jetzt noch viel zu wenig überblickt?

K.B.: Das ist der andere Punkt, nämlich dass die Menschen im Westen wie im Osten nicht damit gerechnet haben, wie tief die Prägungen der Systeme noch sitzen. Und ich frage mich auch oft, wenn ich den jungen Leuten im Osten begegne, warum sich auch heute noch an manchen Universitäten Ost-Studenten psychologisch anders verhalten als West-Studenten. Und sogar solche, die zur Zeit der Wende selbst erst 10 oder 11 Jahre alt waren. Das heißt doch, dass offensichtlich die Prägungen durch die Systeme sehr viel nachhaltiger und längerfristiger wirken, als wir uns das vorgestellt haben.

Aufklärung allein hilft nichts ohne Befriedigung minimaler Grundbedürfnisse.

DIE: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Entwicklung, wonach die Jugend in hohem Maße aus Ostdeutschland abwandert, was zur Vergreisung ganzer Gebiete führt? Wird die Integration sozusagen auf Westboden geschaffen?

K.B.: Das ist eine ganz schlimme Entwicklung. Ich finde auch, dass da eine Menge versäumt worden ist. Aufklärung allein hilft da aber nicht. Ich muss zunächst einmal zusehen, dass ich attraktive Produktionsstätten schaffe. Ich kann mit der besten Aufklärung nichts erreichen, solange ich nicht minimale Grundbedürfnisse befriedige: Das Grundbedürfnis nach Arbeit, das Grundrecht auf Arbeit, da hat es anzusetzen. Dass man den Menschen eine Perspektive für ihr Leben gibt. Aber wenn ich als Jugendlicher in manchen Gebieten Ostdeutschlands aufwachse, dann glaube ich, habe ich es sicher schwer, eine Perspektive zu sehen. Jedenfalls in der Umgebung, in der ich aufgewachsen bin. Ich muss dafür sorgen, dass es für diese Menschen Lebensperspektiven gibt. Das, finde ich, ist der erste Schritt, der gemacht werden muss. Es nützt mir nichts, ein großes Bildungsangebot zu machen, wenn nicht die Erfüllung der elementaren, existenziellen Grundbedürfnisse gewährleistet ist.

DIE: Abgesehen von der materiellen Basis: Kann es sein, dass die Bevölkerung in Ostdeutschland sich zu wenig verstanden fühlt vom Westen? Was kann Aufklärung da tun?

K.B.: Ich bin da sehr gespalten. Ich bin ja selbst noch in der DDR groß geworden. Ich kann auf der einen Seite sehr gut verstehen, dass sich viele Ostdeutsche missverstanden und verletzend behandelt fühlen. Auf der anderen Seite habe ich kein Problem damit, deutlich zu sagen, dass es in vielen Fällen eher eine bequeme Weinerlichkeit gibt. Ich glaube, dass es sich manche Leute zu einfach machen und grundsätzlich jammern. In der deutschen Geschichte herrschte zum Beispiel immer das Vorurteil: Die Polen sind arbeitsscheu und können nicht organisieren, sind chaotisch, faul. Fahren Sie doch heute mal an der Oder entlang, einmal am rechten Ufer und einmal am linken Ufer. Sie werden feststellen, dass sich das, was Sie früher einmal als Klischee gehabt haben, in der Praxis genau umkehrt. Da haben Sie die blühende Landschaft auf der rechten, der polnischen Seite. Da haben Sie die polnischen Menschen, die agil, einfallsreich, arbeitsam sind, die was auf die Beine stellen. Und was haben Sie in vielen Dörfern auf der westlichen Seite der Oder? Da muss ich sagen, wenn Leute Möglichkeiten haben und - aus welchen Gründen auch immer - nichts daraus machen, dann muss ich ihnen zwar das Recht zugestehen auf Selbstbestimmung, aber muss sie nicht allzu ernst nehmen, wenn sie jammern. Eine ganz andere Geschichte ist, wenn eine alleinerziehende Mutter, möglicherweise mit mehreren Kindern - egal ob Ost oder West -, in einer objektiv unterprivilegierten Situation ist. Sie hat jedes Recht, sich zu beklagen und ihre Klage öffentlich zu machen.

DIE: Zurück zum Thema Aufklärung: Ist polarisierende Aufklärung, Aufzeigen von Widersprüchen, Polarisierung, wie Sie Ihr Magazin „Monitor" betreibt, für Sie auch eine Aufgabe von Bildung?

K.B.: Ich bin, was Aufklärung angeht, nicht so sehr am Bildungsgedanken interessiert. Das, was wir hier machen, steht unter dem Motto: Da hinzugucken, wo vielleicht andere nicht hingucken oder zu verhindern versuchen, dass hingeguckt wird. Sich einzusetzen für diejenigen, die sonst im öffentlichen Konzert entweder überhaupt keine Stimme haben oder es schwer haben, sich Gehör zu verschaffen. Das ist vielleicht ein anderer Bildungsbegriff als der Begriff, den Sie im Auge haben. Uns geht es in erster Linie nicht um Weiterbildung im klassischen Sinne. Dann wäre es ähnlich wie Schulfernsehen. Für uns ist das Entscheidende nicht das Adverb polarisierend, sondern der einfache klassische Begriff der Aufklärung: zeigen, was sich hinter manchen Dingen verbirgt, das sagen, was woanders nicht gesagt wird, als Korrektiv zu den Mächtigen in Staat, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Eine ganz klare Antikriegshaltung.

DIE: Können Sie Makro-Themen nennen, die Sie in Ihrer Redaktion mit dieser Grundhaltung über die Jahre hinweg ausgesucht und bearbeitet haben?

K.B.: Das ist natürlich auch eine Frage des jeweiligen Zeitraums. Wir hatten etwa in den Anfangsjahren des Magazins, und dann im Zusammenhang mit der Studentenbewegung 1968, eine sehr starke Fixierung auf gesellschaftliche Probleme, auch auf Themen, die sich mit der Rolle der Frau beschäftigen - die Diskussion um den Paragraphen 218 und Ähnliches. Wir hatten dann eine Phase, in der die Aufmerksamkeit stark auf Fragen der Ökologie gerichtet war. Das kann man oft an bestimmten einzelnen Ereignissen festmachen, zum Beispiel etwa Tschernobyl - einem Signal. Was mir auffällt, ist auch -
und das ist uns eigentlich erst im Nachhinein deutlich geworden: die Grundhaltung, die die MONITOR-Redaktion hatte in allen Fragen, die Krieg und Frieden betreffen. Wir würden heute unsere Antikriegssendung aus den ersten Golfkriegstagen noch genau so machen, wie wir sie damals gemacht haben. Und wir waren so ziemlich die Einzigen in den öffentlich-rechtlichen Medien, die im Jugoslawien-Krieg der NATO von Anfang an eine ganz klare Antikriegshaltung eingenommen haben. Egal in welcher personellen Zusammensetzung diese Redaktion war - sie hatte in dieser Hinsicht eine bestimmte politische Grundhaltung, auch gegen den Mainstream. Auch gegen den Mainstream in der eigenen Institution.

DIE: Wäre auch die Polarisierung zwischen den Generationen für Sie ein solches Makro-Thema?

K.B.: Das Generationenproblem steht für uns als Thema nicht im Vordergrund, zum einen, weil wir in unserer Redaktion selbst kein Generationenproblem haben. Und wir stellen fest, dass sich auch mit den Widersprüchen zwischen den Generationen ganz konstruktiv arbeiten lässt. Zweitens ist es schwierig, dieses abstrakte Problem in unserem Medium bildlich umzusetzen. Es ist nun mal so: Das statistische Durchschnittsalter der öffentlich-rechtlichen Zuschauer ist beim ZDF 58 Jahre und bei der ARD 56 Jahre. Das ist natürlich für uns ein ständiges Problem, für das wir noch kein Mittel gefunden haben, es zu ändern. Und bei einer so klaren generationsmäßigen Differenziertheit der Zuschauerschicht uns nun ausgerechnet mit dem Generationskonflikt zu beschäftigen ist insofern nicht sehr verlockend, als wir primär ohnehin nur die eine Generation als Zuschauer erreichen. Natürlich: Die Lebensentwürfe und ideologischen Befindlichkeiten, alles, was sich an klassischen Politikfeldern festmachen lässt, das ist schon auch ein Thema für uns, unabhängig davon, welche Generation es betrifft. Ein anderes Problem jedoch, das wir in unserer Redaktion ganz hautnah erleben, ist, dass es immer weniger Persönlichkeiten gibt, die man als moralische Orientierungshilfe ansehen könnte: Also die Lücken, die ein Heinrich Böll, ein Heinrich Alberts, ein Eugen Kogon, Walter Dirks und andere hinterlassen haben, diese Lücken sind bis heute nicht gefüllt. Da muss man sich fragen: Woran liegt das?

DIE: Hat das für Sie mit der schwindenden Legitimität von Persönlichkeiten im öffentlichen Raum zu tun?

K.B.: Aber sicher. Das hat genau etwas mit dem zu tun, was Ihr Thema ist: Das Unter-den-Teppich-Kehren von Widersprüchen, von Gegensätzen. Schauen Sie sich doch unsere politische Elite an. Sie können sie doch im Prinzip mit wenigen Ausnahmen austauschen. Ob Sie dieser Partei angehören oder einer anderen, würde in der Sache kaum einen großen Unterschied machen. Das hat damit zu tun, dass die Widersprüche nicht mehr thematisiert und öffentlich ausgetragen werden.


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
April 2001

Klaus Bednarz, Da hingucken, wo andere nicht hingucken - Widersprüche offen legen!
Online im Internet:URL: http://www.diezeitschrift.de/22001/gespraech.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp