DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung

Bildung durch Wissenschaft

Schlaglichter einer Auseinandersetzung um die Beziehung zwischen Wissenschaften und ihren Öffentlichkeiten

Ulrike Felt

Dr. Ulrike Felt ist Professorin am Institut für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung an der Unversität Wien.

In welcher Beziehung stehen die Wissenschaften und ihre Öffentlichkeiten? Welche Bedeutung kommt wissenschaftlicher Bildung in der Wissensgesellschaft zu? - Ulrike Felt setzt sich provokativ mit diesen Fragen auseinander und plädiert für eine „Bildung durch Wissenschaft".

Abstract
The author diagnoses a widening gap between scientific and general public: as political and social estimation of science rises, it vanishes from daily life and is taken into well-funded but not very well-known institutions and thus hidden from the view of the public. At the same time, ever-rising numbers of people are confronted with the results of scientific research in their daily lives and thus in a way in intimate contact with science, but at the same time unable to understand its workings, which produces insecurity. Thirdly, while to a naive view science is perceived to be the solution of all problems, an increase in information about science leads to a more realistic, which in this respect means less optimistical, view of its power. Thus, while on the one hand science plays an increasingly important role, the general public is surprisingly indifferent. The author argues in favour of a new culture of scientific education, distinguishing between a mere „diffusion of science" and the anchoring of scientific discussion in the public: the latter requiring more effort than just the presenting of information, but promising to take science back into the public realm and thus socialising it.

Die Klage über ein mangelndes Verständnis der Öffentlichkeit von bzw. für Wissenschaft ist im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte schon fast alltäglich geworden. Hervorgehoben werden dabei von sehr unterschiedlichen Seiten die teils ablehnenden und als irrational abqualifizierten Haltungen „der Öffentlichkeit" gegenüber spezifischen wissenschaftlich-technischen Innovationen, aber auch das zu geringe allgemeine Interesse an Wissenschaft. Einerseits werden diese Befunde etwa am Rückgang der Studierenden in naturwissenschaftlichen Kernfächern festgemacht, andererseits versucht man den „Mangel an Verständnis von/für Wissenschaft" etwa mit Hilfe sogenannter Eurobarometeruntersuchungen zu belegen, die, einem großen Trivial Pursuit gleich, die Champions im Wettbewerb um den höchsten wissenschaftlichen „Bildungsgrad" ermitteln. Wir leben ja schließlich in einer Wissensgesellschaft, und daher scheint es legitim, von denen, die daran teilhaben wollen bzw. in ihr leben, zu erwarten, dass sie sich mit Wissenschaft näher auseinandersetzen oder zumindest Interesse daran bekunden. Mittlerweile werden diese Ideen nicht nur in kleineren Kreisen diskutiert, sondern in politische Programme gegossen, und man versucht auf diesem Weg die Voraussetzungen für eine Verwissenschaftlichung und Technologisierung der Gesellschaft zu optimieren.

Wirft man einen differenzierteren Blick auf die Situation, so wird die Komplexität der hier auftretenden Konstellationen deutlich sichtbar. Zum einen bleibt weitgehend unausgesprochen, was denn das eigentliche Ziel der konzipierten oder noch zu konzipierenden wissenschaftlichen „Bildungsinitiativen" ist. Der Begriff „Öffentlichkeit", der dabei bemüht wird, bleibt hochgradig unspezifisch: Handelt es sich nun um bestimmte Zielgruppen, deren Verhalten man ändern will (etwa das Interesse der Schüler/innen an naturwissenschaftlichen Studien), soll hier öffentliche Meinungsbildung im weiteren Sinne betrieben werden (also PR für Wissenschaft), oder geht es tatsächlich um eine verstärkte Auseinandersetzung mit Erwartungen und Einschätzungen der Bürger/innen in Bezug auf wissenschaftlich-technische Entwicklungen? Selbst der Begriff „Wissenschaft" ist über die verschiedenen Sprach- und Kulturkreise hinweg nicht eindeutig definiert und sicherlich weder formal noch in seinen inhaltlichen Nuancierungen dem englischen Begriff „Science" gleichzusetzen. Man könnte sich auch fragen, in welcher der Auslegungen wohl das Wort „verstehen" hier zum Einsatz gelangt: Ist es im Sinne eines rationalen Erfassens, des Begreifens von wissenschaftlichen Zusammenhängen gemeint, oder wird hier eigentlich eher Verständnis, Nachsicht für Wissenschaft eingefordert? Und schließlich ist auch der allgegenwärtige Begriff „Wissensgesellschaft" in seiner Vielschichtigkeit mannigfaltigen Bedeutungszuweisungen ausgesetzt.

Aber gerade wegen dieser weitläufigen Interpretationsspielräume, die die Diskussion um das neue Verhältnis zwischen den Wissenschaften und ihren Öffentlichkeiten charakterisieren, ist es eine Herausforderung, die grundlegenden Linien der Auseinandersetzung nachzuzeichnen und Überlegungen für potenzielle neue Herangehensweisen anzustellen.

1. Wissensgesellschaft und ihre Unübersichtlichkeiten

Wissensgesellschaften werden im Folgenden als solche definiert, in denen Wissen und Wissensstrukturen einen zentraleren Stellenwert für Gesellschaftsentwicklungen einnehmen als bisher. Nico Stehr hat dabei die Position des wissenschaftlichen Wissens klar auf den Punkt gebracht: „Als kulturelles Ensemble ist das wissenschaftliche Wissen nicht nur Dechiffrierung der Welt und besseres Weltverständnis, sondern Modell für die Welt" (Stehr 1994, S. 41). Dies bedeutet, dass sich sozialer Wandel insbesondere an Fortschritten auf den Gebieten des wissenschaftlichen Wissens orientiert.

Wissenschaft und Technik kommen hier in zweierlei Weise zum Zug. Einerseits sind sie bevorzugte Lieferanten für neue Formen des Handelns und verdrängen dabei andere Wahrnehmungs- und Handlungsmuster. Andererseits werden wissenschaftlich-technische Erkenntnisse dazu eingesetzt, bestehende traditionelle Handlungsformen und konventionelle Anschauungen zu festigen und durch ihre wissenschaftliche Begründung quasi unhinterfragbar zu machen. Wissenschaftliches Wissen dient somit sowohl der Systemkonservierung als auch der Veränderung.

Es ist sicherlich aber ebenso zentral, festzuhalten, dass entgegen den Hoffnungen der frühen 1990er Jahre das Konzept der Wissensgesellschaft keineswegs nur mehr als positiv belegt anzusehen ist. Denn statt der erwarteten Dominanz von wissenschaftlich-technischer Rationalität im gesellschaftlichen Raum, welche dann quasi automatisch zu Prosperität und sozialer Sicherheit führen würde, sehen wir uns vielmehr einer von vielfältigen Unsicherheiten geprägten Welt gegenüber.

Die Position gegenüber Wissenschaft und Technik wird damit grundlegend ambivalent. Sie schaffen Kontexte und es resultieren aus ihnen Kräfte, die in der Folge Entscheidungsoptionen einengen, Risiken generieren sowie existierende Ungleichheiten und Machtrelationen verfestigen. Gleichzeitig aber vervielfältigen und intensivieren sie die Optionen des Widerstandes gegen die von ihnen ausgelösten Entwicklungen.

Während Wissenschaft also eine dominante Position in dieser Gesellschaftsform hält, scheint aber gleichzeitig eine ausschließliche Orientierung am Wissenschaftssystem immer schwieriger zu werden. Wie Helga Nowotny und Koautoren festgestellt haben, bewegt sich auch das Wissenschaftssystem selbst durch stürmische Zeiten des grundlegenden Wandels (vgl. Nowotny u. a. 2001). In einer durch Reformen und Restrukturierungen geprägten Wissenschaftslandschaft beginnt die Wissensproduktion an immer vielfältigeren Orten stattzufinden, in sich wandelnden Akteurskonstellationen und einem Set an ausgeweiteten Kriterien folgend. Immer öfter muss sich dieses so produzierte Wissen schon im Entstehungszusammenhang mit zukünftigen Anwendungspotenzialen auseinander setzen, es muss sich rechtfertigen und seinen Platz erkämpfen. Dadurch entsteht einerseits eine stärkere Öffnung der Wissenschaft hin zur Gesellschaft, aber andererseits verliert Wissenschaft durch eben dieses Phänomen auch die unhinterfragbare Autorität, die sie lange innehatte.

Als Konsequenz daraus können wir auch keineswegs mehr von einander diametral gegenüberstehenden Gruppen ausgehen, wobei die einen Erkenntnisse in der und für die Wissensgesellschaft erzeugen und die anderen Konsumenten dessen sind. Diese Ebenen vermischen sich mehr denn je. Damit stellt sich die Frage, wer nun legitim im Namen der Rationalität sprechen darf und wie sich neue Formen von Expertise einen Platz in den Arenen gesellschaftlicher Entscheidungen erkämpfen. Das Leben in der Wissensgesellschaft hat somit Auswirkung auf der Ebene der individuellen Betroffenheiten, auf die Art und Weise, wie Politik gestaltet wird, aber vor allem auch auf die Strukturen der Wissensproduktion und -vermittlung.

Es bleibt nun die Frage, welche Bedeutung wissenschaftlicher Bildung in dieser neuen Gesellschaftskonstellation zukommt. Was haben die oben gemachten Diagnosen für Auswirkungen auf die Interaktionen zwischen Wissenschaft und verschiedenen Öffentlichkeiten? Wieviel Wissenschaft sollten die Bürger dieser Wissensgesellschaften verstehen? Und diese Frage ist umso brisanter, wenn man konstatiert, dass wir ja eigentlich von Wissensgesellschaften sprechen und nicht so sehr von Wissenschaftsgesellschaften.

2. Begegnungen und ihre Paradoxien

Betrachtet man die Interaktionen zwischen Wissenschaften und ihren Öffentlichkeiten über die letzten Jahrzehnte, so sind diese von einer ganzen Reihe unauflösbar scheinender Paradoxien gekennzeichnet.

Zum ersten könnte man sagen, dass der Erfolg von Wissenschaft - im Sinne einer Ausweitung des gesellschaftlichen Einflusses - gleichzeitig auch zu einer Bedrohung für sie geworden ist. Während also Wissenschaft durch die Schaffung institutioneller Freiräume immer „erfolgreicher" und effizienter wurde, koppelte sie sich gleichzeitig verstärkt von der Gesellschaft ab. Wissenschaftliche Wissensproduktion liegt heute quasi völlig außerhalb des öffentlichen Blickfeldes und gehört keineswegs zum persönlichen Erfahrungshorizont der meisten Menschen. Dadurch wächst das beiderseitige Bedürfnis nach Kommunikation über dieses Wissen und die Art und Weise seiner Produktion, und vor allem wird schnell klar, dass man Verfahrensweisen implementieren muss, die der Wissenschaft Glaubwürdigkeit und damit gesellschaftliche Unterstützung sichern.

Damit eng verknüpft ist das zweite Paradoxon. Wir sind in den letzten Jahrzehnten Zeugen einer Verfeinerung der technischen Möglichkeiten sowie einer Multiplikation der Orte, an denen uns Wissenschaft und Technik begegnen, geworden. Wissenschaft und Technik sind so eng mit unserer Gesellschaftsentwicklung verwoben, dass wir sie nicht mehr herauslösen können. Es ist gewissermaßen ein nahtloses Gewebe entstanden. Trotzdem scheint dieses Mehr an Bildern, an Informationen, an Zugriffsmöglichkeiten ganz und gar nicht zu einem Gefühl der Vertrautheit auf Seiten der Öffentlichkeit zu führen. Ganz im Gegenteil: Gerade durch die Tatsache, dass wir von Wissenschaft und Technik quasi umgeben sind, sie stetig benutzen, ohne ihre Funktionszusammenhänge zu verstehen, uns ihr aber nicht wirklich entziehen können, entsteht eine verstärkt ambivalente Beziehung, die jederzeit in Ablehnung umschlagen kann.

Und hier tut sich auch gleich das dritte Paradoxon auf. Einerseits ist Wissenschaft alltäglich und allgegenwärtig geworden und hat damit gewissermaßen eine unanfechtbare Position in vielen Bereichen erworben, gleichzeitig besteht ein Teil der wissenschaftlichen Autorität ja gerade in ihrer Abgrenzung von dieser Alltäglichkeit. Die Erwartungen an Wissenschaft wurden damit aber ins fast Unerfüllbare hinaufgeschraubt, und sie wurde zu der Lösungsinstanz schlechthin hinaufgespielt. Durch die Alltäglichkeit wurden aber erst neue Unsicherheiten deutlich, die paradoxerweise mit dem Wachstum wissenschaftlichen Wissens einhergehen. Erst dieses Mehr an Wissen hat es uns ermöglicht, diese Nebenfolgen der gesellschaftlichen Modernisierung wahrzunehmen. Daher können wir den Unsicherheiten nicht einfach entgegenwirken, sie nicht etwa durch Verbreitung von Wissen beseitigen, sondern müssen vielmehr mit ihnen andere Strategien des Umgehens - sowohl individuell als auch kollektiv - entwickeln. Da sie erst durch Wissen erzeugt wurden, sind sie durch ein Mehr an Information nicht einfach behebbar.

3. Public Understanding of Science and Humanities: zwischen Ideal und Realität

Man steht nun vor dem Dilemma, einerseits die Notwendigkeit einer verbesserten gesellschaftlichen Integration von und Auseinandersetzung mit Wissenschaft zu sehen, aber andererseits auch die Schwierigkeiten und Grenzen bei deren Umsetzung zu erkennen. Da es in diesem Bereich hochgradige Ungleichzeitigkeiten in den Entwicklungen gibt und dadurch sehr unterschiedliche Erfahrungshorizonte vorliegen, ist ein naheliegender Versuch, Modelle aus anderen nationalen Kontexten zu übernehmen. In Europa hat hier insbesondere Großbritannien mit seinen „Public Understanding of Science"-Initiativen, welche Mitte der 1980er Jahren starteten, eine gewisse Vorbildrolle übernommen.

Dabei wird aber häufig übersehen, dass zwar Wissenschaft zunehmend auf einer internationalen Handlungsebene agiert, es aber bei der Kommunikation von Wissenschaft in breitere Öffentlichkeiten viel mehr darum geht, Wissenschaft für diese spezifischen Bereiche anschlussfähig zu gestalten. Im Zentrum steht also weniger eine tatsächliche Verbreitung von abfragbarem wissenschaftlichen Wissen und Erkenntnissen als vielmehr die Fähigkeit, Einschätzungen vorzunehmen, diesem angebotenen Wissen Sinn zuzuweisen, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse in vorhandene Wissensstrukturen einzuordnen und die Verbindung zwischen wissenschaftlich-technischen Entwicklungen und sozialen, ökonomischen und politischen Veränderungen herstellen zu können. Auch wenn in den verschiedenen Ländern Maßnahmen und Programme lanciert werden, die durchaus sehr große Ähnlichkeiten in ihren rhetorischen Elementen aufweisen, so stellt sich bei näherer Betrachtung durchaus heraus, dass bei erfolgreichen Initiativen die interne, spezifisch lokal abgestimmte Ausgestaltung die zentrale Rolle spielt. Die Herausforderung besteht also nicht darin, funktionierende Modelle aus einem Kontext in einen anderen zu transferieren, sondern die lokalen Gegebenheiten und Unterschiede bis hin zur existierenden Kommunikations- und Konfliktkultur so zu erfassen, dass Kommunikation und Auseinandersetzung tatsächlich stattfinden können.1

Dieser Kopplung von lokaler und globaler Ebene kommt auch dadurch immer mehr Bedeutung zu, dass die zunehmend ausgeprägte globale Dimension mancher wissenschaftlich-technischer Entwicklungen (z. B. Umweltprobleme), insbesondere auf der lokalen Umsetzungs- und Handlungsebene, völlig neue Spannungsverhältnisse erzeugt, die ihrerseits innovative Antwortstrategien einfordern.

Daher gilt es, einige grundlegende Klärungen vorzunehmen. Geht es bei den Maßnahmen zu „Public Understanding of Science", oder „Raising Awareness of Science and Technology" und Ähnlichem um eine grundlegende Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit anderen Positionen und anderem Wissen, oder geht es eher um die Ausweitung eines Monopolanspruches von Wissenschaft in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern? Welches sind die politischen Paradigmen, die dahinter stehen? Dies spielt im Sinne eines demokratiepolitischen Anspruches natürlich auch eine zentrale Rolle. Wenn das Ziel nicht nur darin besteht, bestimmte wissenschaftliche Erklärungsmodelle einfach durchzusetzen, dann kommt der Auseinandersetzung mit verschiedenen Vertreter/innen der Gesellschaft bereits auf der Ebene der Problemdefinition eine neue Rolle zu und verschiedene Formen von Wissen und Erklärungsmodellen müssen hier mit einbezogen werden.

Die Realität der gesetzten Aktionen konfrontiert uns allerdings mit einer Reihe von Fragen, die ich hier nur anreißen
kann. Zum einen sind die meisten Initiativen nach wie vor eher auf einem Diffusionsmodell von Wissenschaft aufgebaut, in dem Wissenschaft erklärt und alle anderen zuhören. Das bedeutet, dass trotz neuer Konzepte, pädagogischer Aufbereitung, multimedialer Verkleidung und farbenprächtiger Faszination das Monopol von Wissenschaft auf Wissen und Welterklärung ungebrochen bleibt. Auch wenn man die neuen Formen der Präsentation von Wissenschaft durchaus schätzen kann und sollte, so stellt dieser Zugang keineswegs eine ernst zu nehmende Lösungsoption für die komplexe gesellschaftspolitische Aufgabenstellung dar. Öffentlichkeit wird in diesen Konstellationen eher in der Rolle des Konsumenten gesehen, der dann ähnlich wie im Supermarkt - je nach Unterhaltungswert - sich für oder gegen ein Produkt entscheiden kann.

Es wird also darum gehen, Orte zu schaffen, an denen Wissenschaft und verschiedene Öffentlichkeiten tatsächlich miteinander in Interaktion treten können. Dies wird in einigen Ländern bereits seit geraumer Zeit praktiziert (z. B. Consensuskonferenzen, Citizen Conferences), aber es wird dadurch auch deutlich, wie aufwändig eine symmetrische Beziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit sein kann.

4. Ein Plädoyer für „Bildung durch Wissenschaft" und für eine „gebildete Wissenschaft"

Aus meinen letzten Anmerkungen könnte man durchaus ein Plädoyer für „Bildung durch Wissenschaft" herauslesen. Wir kämen dabei sehr in die Nähe der in Frankreich in diesem Bereich geführten Diskussion, die ja eine kulturelle Verankerung von Wissenschaft („mise-en-culture de la science") ins Zentrum setzt. Der Bildungsbegriff scheint deshalb sinnvoll, weil nicht eine Optimierung der Verteilung von Information angestrebt wird, sondern - ganz im Gegensatz - wissenschaftlich-technische Entwicklungen in ihren komplexen Zusammenhängen erfasst werden sollen, um auf diesem Weg Entscheidungs- und Gestaltungsoptionen für Individuen und Kollektive zu eröffnen. Im Zentrum dieses Bildungsprozesses steht also nicht die Vermittlung abfragbarer Informationselemente, sondern es geht vielmehr darum, Möglichkeiten der Aushandlung zwischen wissenschaftlichen Wissens- und Erkenntniszusammenhängen und persönlichen (oder kollektiven) Wissens- und Erfahrungskontexten zu schaffen.

Zahlreiche Studien haben darauf verwiesen, dass Menschen Fähigkeiten entwickeln, sich hochgradig differenziert mit Wissenschaft und Technik auseinander zu setzen und sie in ihren Grundprämissen zu begreifen, wenn für sie der Sinn und die Notwendigkeit gegeben sind (vgl. Wynne 1994). Eine Konsequenz daraus wäre, dass wir nicht von einem natürlichen Interesse für Wissenschaft ausgehen können, sondern dass dieses sich erst durch eine kulturelle Integration in einem ausreichenden Maße entwickeln kann. Aber es bedeutet auch, dass populärwissenschaftliches Wissen nie einfach übernommen, sondern immer neu interpretiert und in bestehende Wissenskontexte eingebettet wird. Im öffentlichen Raum herrscht daher immer Konkurrenz zwischen verschiedenen „Modellen der Welt".
Aber auch wenn wir dies alles mit in Betracht ziehen und in unsere Modelle der Interaktion zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit einbauen, so ist es aus meiner Sicht noch nicht ausreichend. Es bedarf einer gleichzeitig stattfindenden Entwicklung, die derzeit noch wenig Raum in der Diskussion findet und wenn, dann auch nicht sehr ernst genommen wird. Es geht nämlich um das, was ich als „gebildete Wissenschaft" bezeichnen möchte. Damit soll nicht eine stetige öffentliche Mitsprache in wissenschaftlichen Entscheidungen eingefordert werden, aber es zielt auf eine neue Form der „Auseinandersetzungskultur" ab, die sich von der bisher weit verbreiteten „Erziehungskultur" (im Sinne der Umsetzung eines aufklärerischen Anspruches) klar abgrenzt. Eine gebildete Wissenschaft würde in ihren Strukturen - von der Ausbildung bis zur Forschung - auch die Auseinandersetzung mit Gesellschaft als ein tragendes Element verankern. Dies würde für Wissenschaft bedeuten, ein Stück weit den Anspruch aufzugeben, als Expert/innen für die Gesellschaft sprechen und damit auch entscheiden zu können. Denn für andere zu sprechen bedeutet, gewissermaßen immer auch die zum Schweigen zu bringen, in deren Namen man spricht. Der Gesellschaft soll auf diesem Wege das Wort erteilt und die Möglichkeit, Positionen zu formulieren, eröffnet werden. Ziel sollte also nicht eine Umerziehung der Öffentlichkeit zu wissenschaftlichen Bürgern, nicht mehr nur eine erfolgreiche Verwissenschaftlichung der Gesellschaft sein, sondern vielleicht eine neue Form der Vergesellschaftung der Wissenschaft.

Anmerkung

1 Wie beispielsweise bei diesem EU-Projekt: URL: http://www.univie.ac.at/wissenschaftstheorie/opus.

Literatur

Nowotny, Helga u. a. (2001): Re-thinking Science: Knowledge and the Public in an Age of Uncertainty. London
Stehr, Nico (1994): Arbeit, Eigentum und Wissen. Zur Theorie von Wissensgesellschaften. Frankfurt/M.
Wynne, Brian (1994): Public Understanding of Science. In: Jasanoff, Sheila u. a. (Hrsg.): Handbook of Science and Technology Studies. Thousand Oaks u. a., S. 361-388


Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
April 2002

Ulrike Felt, Bildung durch Wissenschaft. Online im Internet:
URL: http://www.diezeitschrift.de/22002/positionen1.htm
Dokument aus dem Internetservice Texte online des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung
http://www.die-bonn.de/publikationen/online-texte/index.asp